Ostern 2011
Rembrandt von Rijn, 1634
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Selig sind, die nicht sehen
und doch glauben!
Johannes 20,29
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wenn wir Ihnen heute die Osterausgabe unserer Mitteilungen zusenden, ist schon die diesjährige Jahresmitgliederversammlung der JMG auf der Burg Hohenberg, im deutschtschechischen Grenzgebiet in Bayern, durchgeführt worden.
Sie werden, wie immer, über diese Veranstaltung und ihre Ergebnisse in der nächsten Ausgabe von "Glaube und Heimat" informiert werden. Der Anlass in Hohenberg zu tagen war das 950-jährige Jubiläum der erstmaligen urkundlichen Erwähnung der Stadt Eger, das es von unserer Gesellschaft besonders zu würdigen galt. Desweiteren beschäftigten wir uns in den Hauptvorträgen mit den Verhältnissen der evangelischen Kirchen in der ehemaligen sozialistischen Tschechoslowakei bis zur heutigen Zeit. Diese beiden Themen verbinden die historische Tradition der Kirchen mit den derzeitigen Problemen, besonders in den Grenzgebieten des Sudetenlandes.
Angemeldet haben sich neben unsern Mitgliedern auch junge Leute, u.a. Studenten der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag. Diese Studenten haben während ihres Theologiestudiums Archivbestände der Evangelisch-Theologischen Fakultät gesichtet und sich mit Teilbereichen der Geschichte der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien intensiv befasst. Sie werden uns die neuesten Ergebnisse ihrer Forschungen vortragen. In diesem Zusammenhang lernen sie auch die heutige Arbeit der Johannes-Mathesius-Gesellschaft kennen, die es sich seit ihrer Gründung im Jahr 1957 zur Aufgabe gemacht hat, das reformatorische Erbe in Böhmen, Mähren und Schlesien zu erforschen und zu bewahren. Dabei werden hoffentlich das Handeln und die Aussagen der deutschen und tschechischen Seiten verständlicher.
Diese Jahrestagungen sind wie immer ein schöner und wichtiger Anlass, über die laufenden Tätigkeiten unseres Vereins zu beraten und über die Medien einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Durch die Einrichtung der Website unserer Gesellschaft im Internet eröffnen sich neue Wirkungsfelder, wie z.B. die Verbesserung der Kontakte und Pflege zu anderen Kirchengremien und -einrichtungen sowie das persönliche Kennenlernen.
Der Vorstand wünscht Ihnen allen in Deutschland, Österreich, Tschechien und Slowakei ein segensreiches Osterfest 2011 verbunden mit angemessener Gesundheit und Gottes Segen
Ihr Karlheinz Eichler
Vorsitzender
Am Abend aber desselben ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten ein spricht zu ihnen: "Friede sei mit euch!" Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh. dass sie den Herrn sahen.
Da sprach Jesus abermals zu ihnen: "Friede sei mit euch! Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch." Und da er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: "Nehmet hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen, welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten."
Thomas aber, der Zwölf einer, der das heißt Zwilling, war nicht bei ihnen, da Jesus kam. Da sagten die anderen Jünger zu ihm: "Wir haben den Herrn gesehen!". Er aber sprach zu ihnen: "Es sei denn, dass ich in seinen Händen sehe die Nägelmale und lege meine Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, will ich's nicht glauben."
Und über acht Tage waren abermals seine Jünger drinnen und Thomas mit ihnen. Kommt Jesus, da die Türen verschlossen waren und tritt mitten ein und spricht: "Friede sei mit euch!" Danach spricht er zu Thomas: "Reiche deinen Finger her und siehe meine Hände, und reiche deine Hand her und siehe meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig." Thomas antwortete und sprach zu ihm: "Mein Herr und mein Gott!" Spricht Jesus zu ihm: "Dieweil du mich gesehen hast, Thomas, so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!"
Auch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, dass ihr glaubt, Jesus sei Christus, der Sohn Gottes, und dass ihr durch den Glauben das Leben habet in seinem Namen.
Johannes 20,19-31
Wir kommen von Ostern her. Die Feiertage sind wieder vorüber gegangen. Haben sie eine Segensspur hinterlassen, die weiter leuchtet in unsere Sonntage, in unseren Alltag? Was ist uns von Ostern her geblieben? Wir müssen in einer Zeit, in der uns so viel genommen wird, in der uns so vieles fraglich und unsicher wird, fragen nach dem, was uns bleibt.
Der Apostel Paulus hat einmal auf diese Frage Antwort gegeben. In dem unüberbietbaren Preislied der Liebe, dem 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes, sagt er, als wollte er all die wunderbaren Töne dieses Liedes auf einmal in einen herrlichen Dreiklang zusammenfassen: Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Das sagt der Apostel, der den auferstandenen und lebendigen Herrn und Heiland erlebt hat wie kein zweiter. Das bekennt der Paulus, der uns das in alle Tiefen der Vergänglichkeit und auf alle Höhen der Unvergänglichkeit hinab- und hinaufsteigende Kapitel von der Auferstehung im gleichen 1. Korintherbrief geschrieben hat. Das sagt der Apostel Paulus, der den auferstandenen Herrn nicht mit leiblichen Augen gesehen hat, aber der von der Ostertatsache tief durchdrungen an den Auferstandenen mit der ganzen Kraft seiner Seele geglaubt, auf ihn mit allen Fasern seines Herzens gehofft und ihn mit der ganzen Inbrunst seiner Seele geliebt hat. Als ein durch das Ostererlebnis wiedergeborener Mensch darf er dankar jubeln: "Ich lebe, aber nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir."
Paulus hat den Auferstandenen erlebt und hat gewusst, geglaubt und bekannt, was uns von ihm bleibt. Er hatte das Bleibende ohne das Evangelium zu kennen, in dem von dem die Rede ist, was der Auferstandene seinen Jüngern und damit uns allen schenken will. Lasst uns heute, in dieser Stunde, dem Worte des Auferstandenen andächtig lauschen. Es soll uns sein, als träte er jetzt in unsere Mitte, wie er einst am Abend des Auferstehungstages unter seine Jünger getreten ist. Es soll uns sein, als zeigte er uns seine Wundmale an Händen und Füßen und in seiner Seite und sagte uns das alles, was er einst seinen Jüngern gesagt hat. Und nichts wünschte ich mehr als bleibenden Ertrag aus dieser Begegnung, als dass der eine oder andere, der bisher noch eine zweifelnde Seele gewesen ist, dankbar, gläubig und anbetend sprechen könnte: "Mein Herr und mein Gott!"
Wir fragen uns, was will der Auferstandene auch uns schenken? Unser heutiges Evangelium sagt es uns: Er will uns eine Freude schenken, die über alle Freuden geht, einen Frieden, der alles menschliche Verstehen übersteigt, eine Vergebung aus der Kraft des Heiligen Geistes, einen Glauben, der ohne dass wir sehen, selig macht.
Der Auferstandene schenkt uns höchste Freude. Als der Herr Jesus seine Jünger mit dem Friedensgruß grüßte, als er ihnen seine Hände und seine Seite gezeigt hatte, da wurden sie froh, dass sie den Herrn sahen. Was muss das für eine Freude gewesen sein, als die Jünger den für immer verloren geglaubten Heiland wieder sahen! Sie wagten es am Tage gar nicht, sich blicken zu lassen. An allen Ecken und Enden nahten sich lauernde, drohende Gefahren. Eine lähmende Furcht schnürte ihre Seelen zusammen. Kein lautes Wort kam über ihre Lippen. Das wurde mit einem Schlag anders, als sie den Auferstandenen vor sich sahen. Da wurde es wieder licht in ihrer Seele. Da wurden sie froh. Diese Freude leuchtete am hellsten in den Seelen, die am dunkelsten und traurigsten waren: in der Seele der trauernden Maria. Ihr hat der Herr die Tränen getrocknet. In der Seele des gefallenen Petrus. Ihm hat er Vergebung gebracht. Wo Jesus ist, das ist Freude. Da kann ein Herz wirklich dankbar sprechen: "Weicht, ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister, Jesus tritt herein."
Warum leben viele Menschen so freudlos dahin, warum so viele in beständiger Furcht? Weil sie nichts von dem auferstandenen Herrn wissen, weil sie nichts von seiner Nähe spüren, weil sie sich nicht den heilenden und helfenden Heilandshänden anvertrauen, die für uns alle die Wundmale getragen haben. Wenn unter uns solche sein sollten, und wo gäbe es die heute nicht, die mit ihrer Traurigkeit nicht aus noch ein wissen, die aus der bedrückenden Furcht vor allem Möglichen, das noch kommen könnte, nicht herausfinden, die an nichts mehr Freunde haben können, die den Kopf hängen lassen, auch wenn draußen die freundliche Sonne lacht, die sollen es sich sagen lassen: Es gibt auch für dein trauriges Herz, auch für dein verängstetes Gemüt eine Freude. Es leuchtet aus deinem, von dunklen Wolken verhangenem Sorgenhimmel eine Sonne, von der einer, der auch von des Lebens Angst und Traurigkeit ein reichlich Maß zugemessen erhielt, gesungen hat: "Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ. Das was mich singen machet, ist was im Himmel ist."
Die Freude hatte ihren Grund im Grußwort des Auferstandenen "Friede sei mit euch!" Das war das Ziel seines Lebens und seines Sterbens: Frieden zu stiften, der weit über das hinaus geht, was Menschen zumeist darunter verstehen. In seinen Abschiedsreden sagt er das ganz deutlich: "Den Frieden gebe ich euch, meinen Frieden lasse ich euch. Nicht gebe ich, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht." Was die Welt gibt ist im besten Falle ein ungestörtes Mit- und Nebeneinanderleben. Auf wie schwachem und brüchigem Fundament das ruht, das wissen wir zur Genüge. Jeder Krieg ist uns neuer, immer furchtbarer Beweis dafür, wie wenig dieser Friede gesichert scheint trotz aller Konferenzen und Bündnisse. Wir sind der Meinung, dass auch dieser Friede erst dann einmal von Dauer sein könnte, wenn Jesu Liebe die Herzen nicht nur berührt, sondern überwunden hat. Es geht um den Frieden zwischen Gott und den Menschen, es geht um die Stillung des Sturmes in den aufgewühlten Herzen und Gewissen. Es geht um die Überbrückung der Kluft, die durch die Sünde zwischen Gott und den Menschen aufgerissen ist. Dass wir Frieden mit Gott haben können, dazu ist der Heiland in den Tod gegeben worden, mit Paulus gesprochen: "Christus ist um unserer Sünde willen dahin gegeben und um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt." Und so ist das Lutherlied zu verstehen: "Nun ist groß Fried' ohn' Unterlass, all Fehd' hat nun ein Ende." An diesen Frieden soll uns unsere Kirche erinnern, so oft wir uns hier um Gottes Wort und Sakrament versammeln. Wenn du den Türdrücker am Kirchentor in die Hand nimmst, wenn du einen Blick zum Altar richtest, immer grüßt dich das Wort des Auferstandenen und lebend gegenwärtigen Herrn: "Friede sei mit euch!" Und die Taufe ist das Friedensband und das Heilige Abendmahl ist das Friedensmahl und die Prediger des Evangeliums sind die Friedensboten und der Christenstand ist friedvoll, zufrieden in seinem Gott, zufrieden in jeder Lage, auch in Armut und Krankhe
it, im Frieden heimfahrend zu seinem Herrn. Aber das alles wird uns durch den Osterfrieden geschenkt. Dieser Friede ist keine Zeit- und Zufallserscheinung. Er kann uns von der Welt nicht gegeben werden, weil sie ihn nicht zu verschenken hat. Er kann uns aber auch von der Welt nicht genommen werden, weil sie gar nicht die Macht dazu hat. Wir haben ihn, wenn wir Christus haben, und er fehlt uns, wenn er nicht bei uns ist. Ohne ihn werden immer die Schatten der Friedlosigkeit auf unserem Lebensweg liegen, ohne ihn wird unser Herz und Gewissen nie zur Ruhe kommen.
Dieser Friede ist dort erst ganz, wo wir der Vergebung gewiss geworden sind. Der Auferstandene ist nur die Bürgschaft dafür, dass sein Gebet "Vater, vergib ihnen" wirklich Erhörung gefunden hat. Gott hat uns vergeben um Christi willen, den er aus dem Tod ins Leben gerufen hat. Der Auferstandene schenkt seinen Jüngern seinen Heiligen Geist. In seiner Kraft, die zu reinigen und neu zu gestalten vermag, sollen sie hingehen und Sündenvergebung und innere Wiedergeburt verkündigen. Wer diese Kraft des Heiligen Geistes an seinem Herzen arbeiten lässt, der darf sich der Vergebung seiner Sünden getrösten. Wer sich den umgestaltenden Kräften des Heiligen Geistes verschließt, bleibt in seinen Sünden. Das will uns wohl das Wort des Auferstandenen an seine Jünger sagen: "Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten." Merken wir wohl darauf, dass diese den Jüngern erteilte Vollmacht erst auf das Wort: "Nehmet hin den Heiligen Geist!" erfolgt. Es ist nicht der Priester, der zu binden oder zu lösen vermag, sondern der Heilige Geist. Der Priester, welcher Konfesskon er auch angehören mag, ist nur der Verkündiger der reinigenden Kraft des Heiligen Geistes und der Rufer, um die Herzen dieser Kraft zu erschließen.
Wenn wir aus unserem Herzquälen nicht herauskommen, wenn es in uns immer auf- und niedergeht, wenn unsere Sünden uns zerbrechen lassen, wenn wir keinen Frieden haben, dann ist das nur ein Beweis dafür, dass Jesus noch nicht bei uns drinnen ist. Wir haben die Predigten vom Kreuz, wir haben die Sprache seiner Wundmale nocht nicht verstanden. Für dich der Leib gebrochen, für dich das Blut vergossen, damit du Frieden hättest und durch seine Wunden geheilt würdest. Das ist der Segen des Heiligen Abendmahls, dass wir der Vergebung gewiss werden, die uns durch des Heilandes Tod und Auferstehung verbrieft ist. Mögen die vielen, die zu Ostern an den Tisch des Herrn getreten sind, den Frieden aus der Vergebung mitgenommen haben.
Und das Letzte, was der Herr den Seinen als bleibende Frucht seiner Auferstehung geschenkt hat, ist der Glaube, den der Herr mit den an Thomas gerichteten Worten umschreibt: "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!" Das ist die letzte Seligpreisung, die Jesus gesprochen hat. Sie ist von ganz großer Bedeutung für unser ganzes Christenleben. "Christ sein" heißt doch, sein Leben auf einen festen, unerschütterlichen Glaubensgrund stellen. Was dieser Glaube ist, sagt uns das Herrenwort nicht. Es wird uns aber doch wenigstens gesagt, was er nicht ist: Sehen und dann glauben! Wir finden gar oft einen Glauben, der vor dem Wort Jesus: "Nicht sehen und doch glauben" nicht bestehen kann. Wenn man Gott förmlich mit Händen greifen kann, wenn er uns im Leben vieles gelingen lässt, wenn er uns gute, sorglose Tage schenkt, wenn sichtbar und spürbar seine Liebe über unserem Leben leuchtet, wenn er uns auf Schritt und Tritt begegnet, wenn uns das Glück hold ist und uns nur Freude begegnet, dann von Gott, seiner Treue und Liebe zu reden und ihm vielleicht auch dafür zu danken, das ist noch kein Glaube im Sinne Jesu. Wer aber nicht zweifelt, dass Gott ist und mit seinem Geist und Willen und mit seiner Liebe waltet, wenn es hart zugeht, wenn sich die Sonne hinter den Wolken verbirgt, wenn es scheinen will, als habe sich Gott verborgen und schweige und kümmere sich nicht mehr darum, was in der Welt und wie alles geschieht. Wenn es aussieht, als gäbe es keine Gerechtigkeit im Himmel und auf Erden, wenn wir dem Herrn folgen müssen des Morgens in die Wüste und des Abends nach Gethsemane und des Mittags nach Golgatha und dennoch an Gott nicht zweifeln, sondern an ihm festhalten, wenn wir aus Angst und Not, aus Sorge und Qual heraus sprechen: "Herr, wenn ich nur Dich habe" - "Dennoch bleibe ich stets an Dir", dann ist das echter Glaube. Viele sagen: "Erst sehen, dann glauben!" und sie kommen nie zum Glauben. Aber der Herr preist die selig, die nicht sehen und doch glauben - und die werd
en dann geführt vom Glauben zum Schauen. Amen.
(Predigt von Pfarrer Hugo Gerstberger, gehalten in der Friedenskirche in Eger am 08. April 1945)
Die Reformation erreichte Eger, im Unterschied zum nahen Vogtland und dem Ascher Gebiet, offiziell erst im Jahr 1564. Am 19.11.1564 fand der erste evangelische Gottesdienst über Matthäus 24 in Eger statt. Die heutige katholische St. Niklaskirche war von 1564 bis 1627 evangelische Kirche, also auch noch kurze Zeit während der Gegenreformation. 1590 waren in Eger nur noch zwei Familien katholisch. Man wird aber davon ausgehen müssen, dass die Egerer Bevölkerung schon bereits früher zu einem erheblichen Teil evangelisch war, denn in den Jahren 1541, 1551 und 1555 besuchte Philipp Melanchthon, der Mitreformator und Freund Martin Luthers Eger und wurde von den Stadtvätern jeweils ehrenvoll empfangen. Ein weiterer Hinweis auf das frühe Vorhandensein zahlreicher Evangelischer in Eger ist der Bau der evangelischen Dreifaltigkeitskirche im Jahr 1617. Sie wurde auf dem Friedhof vor dem Obertor, dem späteren Stadtpark, errichtet. Als Eger wieder katholisch wurde, verödete sie und verfiel zwangsläufig.
Nach der Schlacht am Weißen Berg am 8.11.1620 wurden die böhmischen evangelischen Stände in der Gefolgschaft Pfalzgraf Friedrichs geschlagen. Es kommt unter Ferdinand II. - wie in ganz Österreich - auch in Böhmen zur Gegenreformation und weitgehenden Ausrottung der Protestanten. Der Großteil der evangelischen Familien verließ Eger, weil sie am evangelischen Glauben festhalten wollten. Die Stadt war 1672 wieder rein katholisch. Das Toleranzpatent Joseph II. im Jahr 1781 und das Protestantenpatent Kaiser Franz Joseph I. von 1861 brachte den Evangelischen im Bereich der Donaumonarchie für immer die Gleichberechtigung mit den katholischen Gläubigen.
Wo sich 100 evangelische Familien oder 500 evangelische Personen befanden, durften sie Bethaus und Schule bauen sowie Prediger und Lehrer anstellen. Da die meisten Protestanten Eger und das Egerland während der Gegenreformation verlassen hatten - Ausnahmen waren Asch und Fleißen - brachte erst die Industrialisierung und der Ausbau der Eisenbahn wieder protestantische Arbeiter und Beamte, vor allem aus Bayern und Sachsen, nach Eger.
Da Eger aufgrund der geringen Zahl der Evangelischen noch keine evangelische Gemeinde hatte, wurden die evangelischen Familien von Schirnding, Schönberg, Asch und Fleißen aus seelsorgerlich betreut. Mit starker Unterstützung der Gustav-Adolf-Stiftung (heute: Gustav-Adolf-Werk) sowie anderer evangelischer Gemeinden, um die Gelder für die Besoldung des Pfarrers aufbringen zu können, wird am 11.11.1862 die evangelische Pfarr- und Schulgemeinde A.B. mit 197 Gemeindegliedern, darunter 19 Kindern, in Eger gegründet. Im März 1863 wurde Ithamar Koch, Vikar in Waldsassen, zum ersten evangelischen Pfarrer der neu gegründeten evangelischen Gemeinde gewählt und am 13. September 1863 in sein Amt eingeführt. Gleichzeitig wurde der Schwurgerichtssaal als Betsaal geweiht.
Dieser Betsaal war von Anfang an nur als Provisorium gedacht und der Wunsch nach einer eigenen Kirche war groß. Das Presbyterium war sich sehr bald einig, dass ein Kirchbau so bald als möglich in Angriff genommen werden sollte. Im Dezember 1864 wird der Kirchbau jedoch zugunsten der Einrichtung einer Schule und den dafür erforderlichen Bau eines Schul- und Pfarrhauses zurückgestellt. Die notwendigen Mittel wurden mit Hilfe des Rittergutsbesitzers Opitz in Oberlose bei Plauen, dem damals das Schloss Pograth bei Eger gehörte, und durch eine vom königlich-sächsischen Kultusministerium bewillligte Hauskollekte im Königreich Sachsen zur Verfügung gestellt. Bereits im Juli 1865 konnte das Gebäude bestimmungsgemäß genutzt werden.
Der Kirchbau wurde immer vordringlicher, denn nach Wiedereinführung der Schwurgerichte 1868 musste der privisorische Betsaal wieder geräumt werden. Rittergutbesitzer Opitz war - wie beim Bau des Schul- und Pfarrhauses - der Retter aus der Not. Er ließ in seinem, in Eger neu erbauten Haus, gegen geringe Miete, einen großen Raum als Betsaal einrichten und bewahrte damit die Evangelischen vor der Obdachlosigkeit. Die Seelenzahl der Gemeinde wuchs so rasch, dass der Kirchbau - trotz dieser Lösung im Hause Opitz - unumgänglich war.
Im Dezember 1868 wurde der Bau der Kirche an den Baumeister Adam Haberzettel aus Eger vergeben. Der Grundstein wurde am 10. Juni 1869 gelegt. Ähnlich wie beim Bau des Schul- und Pfarrhauses war auch der Kirchbau nur mit Unterstützung des Gustav-Adolf-Vereins und anderer evangelischer Kirchengemeinden und zahlreicher Einzelpersonen möglich. War für den Schul- und Pfarrhausbau eine Hauskollekte im Königreich Sachsen durchgeführt worden, kam es zur Finanzierung des Kirchbaus zu einer Hauskollekte in der Provinz Brandenburg und in der Haupt- und Residenzstadt Berlin
Der Bau der Kirche ging so zügig voran, dass die Kirche nach einer Bauzeit von nur 27 Monaten am 5. Oktober 1871 als "Evangelische Friedenskirche" eingeweiht wurde. Trotz aller Freude über diesen Tag stimmte die Festversammlung die Tatsache traurig, dass der Kirchbaumeister Adam Haberzettl die Einweihung seines Lieblingsbauwerkes nicht mehr erleben konnte. Er war wenige Tage vor der festlichen Einweihung der Kirche verstorben.
Am Tag der Einweihung der Kirche fand auch die Beerdigung des Baumeisters in Eger statt. Es war selbstverständlich, dass sich alle Teilnehmer des Festes in der Friedenskirche dem an der Kirche vorbeigehenden Trauerzug anschlossen und sich auf den katholischen Friehof begaben, um hier in ökumenischer Einheit das Andenken des Kirchbaumeisters zu ehren.
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Die Friedenskirche in Eger, Schmeykalstraße
rechts im Vordergrund das Pfarrhaus
(Archivbild: Arno¹ta Franke)
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Die Friedenskirche steht im schönsten Teil von Eger, ca. 300 Schritte vom Marktplatz entfernt. Sie ist in neugotischem Stil errichtet worden, in unmittelbarer Nähe stehen Schul- und Pfarrhaus. Man hat auf jeglichen äußeren Zierrat verzichet, so wirkt sie allein durch ihre Schlichtheit und die beeindruckenden Größenverhältnisse. Besonders auffallend ist der hohe, schlanke Turm, der sich über dem westlichen Haupteingang mit seiner Kreuzrose bis zur einer Höhe von 40 m erhebt.
Das Innere der Kirche wird von sechs Spitzbogenfenstern stimmungsvoll erhellt. Auch im Innenraum hat man auf ornmentale Mittel verzichtet. Die drei Glocken mit den Inschriften
"de excelsis sono, aus der Höhe klinge ich", große Glocke
"divina pronuntio, Göttliches verkündige ich euch", mittlere Glocke
"ad coela tollo, ich trage zum Himmel", kleine Glocke
wurden bereits im August 1870 geliefert. Die Glocken sind auf die Töne b, c und d gestimmt. Die mittlere Glocke wurde ursprünglich nur für das Abendläuten benutzt.
Die Orgel kommt aus der Werkstätte von G.F.Steinmeyer und Co. aus Öttingen, ist zweimanualig und hat 14 Register. Das besondere an der Orgel ist, dass sie heute wohl die einzige noch nicht modernisierte Steinmeyer-Orgel ist. Jeder, der die Orgel einmal gehört hat, hofft, dass sie noch lange ihren ursprünglichen, wunderschönen Klang behält. Taufstein und Altartisch sind aus Fichtelgebirgsgranit. Auf der Vorderseite des Altartischs wurde die vergoldete Inschrift "Friede sei mit Euch!" angebracht. Der Altaraufsatz hat die Form eines gotischen Hochaltars.
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Das Altarbild "Der segnende Christus" wurde
von dem Wiener Maler Karl Hemmerlein
als Ölgemälde hergestellt
(Archivbild: Cheb Evangnet)
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Von der übrigen Ausstattung der Kirche, die zum größten Teil gestiftet wurde, soll besonders nur noch ein in Silber getriebener Abendmahlskelch erwähnt werden. Er trägt die von einem Eichen- und Lorbeerkranz umrahmte Inschrift: "Der evangelisch-lutherischen Kirche zu Eger durch Ehrengaben des Reichskanzler Fürsten Bismarck und Grafen Beust. Am 5. Oktober 1871 gestiftet." Dieses wohl wertvollste Geschenk, das die evangelische Gemeinde zur Einweihung ihrer Kirche erhalten hat, war seit der Vertreibung meines Vaters als Pfarrer an der Friedenskirche im September 1946, wie auch so manche anderen Ausstattungsgegenstände der Friedenskirche, verschollen. 2008 wurde bei vollständiger Räumung des Dachbodens im Pfarrhaus dieser wertvolle Abendmahlskelch völlig unbeschädigt und in einer verschlossenen Holzkiste, nahezu unauffindbar versteckt, wieder entdeckt.
Er wurde der Gemeinde beim deutsch-tschechischen Versöhnungsgottesdienst im Juni 2009, an dem auch eine ganze Reihe vertriebener deutscher evangelischer Gemeindeglieder teilnahm, der Gemeinde präsentiert. Einen schöneren Anlass hätte es nicht geben können, denn man feierte an diesem Sonntag 10 Jahre deutsch-tschechische Versöhnungsarbeit an der Friedenskirche.
Leider haben sich manche andere Ausstattungsgegenstände, die ebenfalls verschollen sind, bis heute nicht wieder gefunden.
Die Friedenskirche in Eger hat in den 140 Jahren ihres Bestehens bisher fünf verschiedene Staaten und ihre unterschiedlichsten Regierungsformen erlebt. Gebaut und eingeweiht zur Regierungszeit Kaiser Franz Joseph I. im Kaiserreich Österreich-Ungarn, kam Eger nach Ende des 1. Weltkriegs zu der im Jahr 1918 neu gegründeten 1. Tschechoslowakischen Republik. Damit wurde auch für die Evangelische Kirche die Verbindung zum Konsistorium in Wien zerschlagen und für die Deutschen die neue Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien (DEKiBMS), mit dem Sitz der Kirchenleitung in Gablonz, gegründet. Nach dem Anschluss des Sudetenlandes aufgrund des Münchner Abkommens im Herbst 1938 gehörte Eger zum Gebiet des Deutschen Reiches. Die DEKiBMS wurde Mitglied der Deutschen Evangelischen Kirche. Nach Ende des 2.Weltkriegs kehrte Eger 1945 in die Tschechoslowakei, nämlich in die 2.Tschechoslowakische Republik, zurück. Seit Teilung der Tschechoslowakei am 1.1.1993 in zwei selbständige Staaten gehört Eger zur Tschechischen Republik.
In der Zeit, als die evangelische Kirchengemeinde in Eger die Heimat einer nahezu rein deutschen Gemeinde war, also zwischen 1864 und 1946, haben nur drei Seelsorger diese Gemeinde betreut:
1864-1900 Adam Ithamar Marian Koch
1901-1922 Gustav Fischer
1923-1946 Hugo Friedrich Gerstberger
Jeder der drei Pfarrer hatte besondere Schwierigkeiten, wenn auch unterschiedlicher Art, zu bewältigen. Alle drei Seelsorger haben durch großen persönlichen Einsatz ihre Gemeindeglieder durch schwierige und leidvolle Zeiten geführt. Es würde den Umfang dieses Berichtes, der nur einen groben Überblick über 140 Jahre der evangelischen Kirche in Eger geben soll, bei weitem sprengen, wollte man nur die wichtigsten Ereignisse detailliert ansprechen.
Pfarrer Koch und Pfarrer Fischer sind während ihrer Dienstzeit in Eger verstorben. Mein Vater wurde nach mehr als neunmonatiger Haft 1946 im Kreisgerichtsgefängnis in Eger vom tschechischen Gericht am 11. September 1946 freigesprochen und mit der Auflage entlassen, mit dem nächsten Vertreibungstransport Eger zu verlassen. Er ist am 3. Dezember 1949 an den Folgen der tschechischen Haft, von denen er sich nicht mehr erholt hat, in Neu-Berich in Hessen gestorben.
Überdenkt man diese Jahrzehnte, so kann man nur staunen über die Wunder, die die Kirche 140 Jahre und die evangelische Gemeinde fast 150 Jahre begleitet haben:
Nur mit finanzieller Hilfe des In- und Auslandes konnten die evangelische Gemeinde überhaupt gegründet und Kirche sowie Pfarr- und Schulhaus gebaut werden.
Ein vielleicht noch größeres Wunder ist es, dass diese Kirche in den letzen Kriegstagen 1945 nicht zerstört, sondern nur stark beschädigt wurde und bald wieder als Kirche benutzt werden konnte.
Die Übernahme des Kirchengebäudes erfolgte durch die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder nach Auflösung der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien durch Gesetz vom 6. Mai 1948, rückwirkend auf 4. Mai 1945. Sie hat die 40 Jahre kommunistischer Herrschaft als Kirche überdauert. Die Absicht, die Kirche als Lagerhalle für Reqisiten des nahegelegenen Theaters zu nutzen, konnte durch den hohen persönlichen Einsatz von Pfarrer Lubomir Libal verhindert werden. So konnte die Friedenskirche immer als Kirche genutzt werden und sie wurde, trotz der bescheidenen finanziellen Mittel der kleinen tschechischen evangelischen Gemeinde, im Gegensatz zu vielen anderen evangelischen Kirchen in der heutigen Tschechischen Republik, vor dem Verfall bewahrt.
Nach der politischen Wende 1989/1990 setzten sich die Wunder fort: Es entstand die Partnerschaft mit der evangelischen Friedenskirche in Bayreuth. Durch engagierte private Initiativen von Einzelpersonen und Organisationen konnte ein Großteil der Geld- und Sachmittel zur Verfügung gestellt werden, um die baulichen Schäden am Kirchturm zu beheben. Damit können - nach 40-jähriger Pause - die drei Glocken seit 24. Oktober 1993 wieder regelmäßig erklingen.
Ein weiteres Glied in der Kette der Wunder sind die regelmäßigen Treffen vertriebener deutscher ehemaliger Gemeindeglieder mit der heutigen tschechischen Gemeinde zu ihrem jährlichen Versöhnungsgottesdienst in der Friedenskirche. Viele vertriebene deutsche Gemeindeglieder haben so wieder in ihre Kirche zurückgefunden, in der sie getauft, konfirmiert und einzelne sogar getraut wurden.
Voraussichtlich am 12. September 2011 plant die Gemeinde der Friedenskirche einen Festgottesdienst anlässlich des 140. Jubiläums der Einweihung der Kirche. Die Gemeinde freut sich über jeden von diesseits und jenseits der deutsch-tschechischen Grenze, der an diesem Festgottesdienst teilnimmt, mitfeiert und sich mitfreut.
Die Friedenskirche einst und heute
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Archivbild: Arno¹ta Franke
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Foto: Pavel ©ebesta
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Jaromir Bohác: Cheb mésto - Stadt Eger - ein historisch-touristischer Führer
Gustav Fischer: Das Evangelium in Eger und im Egerlande
Hugo Gerstberger: Tagebuch 1914-1945
Heribert Sturm: Eger - Geschichte einer Reichsstadt
(Johanna Gerstberger, Ludwigsburg )
Der Vorstand dankt allen Mitgliedern und Freunden für die Spenden, die überwiesen wurden. Diese Zuwendungen helfen uns sehr, unser Wirken für das Anliegen der Evangelischen Sudetendeutschen weiterhin zu bewahren und fortzusetzen.
Leider ist Pøemysl Pitter, gebürtiger Prager und Mitglied der Böhmischen Brüdergemeinde, in der deutschen Öffentlichkeit völlig unbekannt, in seiner Heimat Böhmen ist es allerdings nicht viel besser. Dabei könnte es bei der Aufarbeitung der leidvollen Geschichte zwischen Deutschen und Tschechen hilfreich sein, wenn man auf Vorbilder verweisen kann, die Verständigung und Versöhnung in ihrem Leben vorgelebt und Impulse für ein neues Miteinander der beiden Völker gegeben haben.
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Eine solche Persönlichkeit ist zweifellos Pøemysl Pitter, der im 2. Weltkrieg seinen jüdischen Mitbürgern in Prag nach Kräften geholfen hat, der nach dem Krieg in seinen Heimen in einer groß angelegten Aktion Hunderte jüdischer und auch deutscher Kinder gerettet hat und der sich nicht zuletzt nach seiner Flucht in den Westen als Betreuer seiner Landsleute im Valka-Lager in Nürnberg in Predigten und Rundfunkansprachen aus dem Geiste des Evangeliums für Versöhnung eingesetzt hat.
Geboren 1895 in Prag-Smíchov erhielt Pøemysl Pitter in Dresden eine Ausbildung als Typograph, da er einmal die väterliche Druckerei übernehmen sollte. Als Freiwilliger zog er 1914 in der Krieg. Unter dem Eindruck grauenvoller Erlebnisse an den Fronten weigerte er sich, auf den Feind zu schießen und wurde deshalb zweimal zum Tode verurteilt. Auf wundersame Weise entging er beide Male der Hinrichtung. ,,Radikal gewandelt", wie er selbst in seinen Memoiren schrieb, kehrte er aus dem Krieg zurück und wurde kompromissloser Pazifist. Er wandte sich dem geistlichen Beruf zu und studierte als Externer, d. h. als Gasthörer, an der Hus-Fakultät in Prag Theologie. Nach zwei Semestern gab er das Studium auf und widmete sich ganz der praktischen Erziehungsarbeit.
1922 rief er mit einem Freundeskreis die Baugenossenschaft Milíè-Haus ins Leben. Erst im Jahr 1933 freilich konnte er das Haus eröffnen, und zwar für Kinder aus sozial schwächeren Familien im Stadtteil ®i¾kov.
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Das Milíè-Haus in Prag 1937...
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Schon Jahre vor dessen Eröffnung hatte Pitter in einem gemieteten Saal Kindern wertvolle pädagogische Freizeitangebote gemacht, denn es war seine Überzeugung, dass man dem gesellschaftlichen Verfall, der sich gerade auf Kinder so negativ auswirke, erzieherische Bemühungen entgegensetzen müsse.
... und sein heutiger Zustand
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Bereits 1920 hat er die Gesellschaft für geistige und gesellschaftliche Wiedergeburt "Neu Jerusalem" ins Leben gerufen. Sein geistiges Vorbild war Jan Milíè von Kremsier, ein tschechischer Reformator vor Hus.
1926 nahm Pitter an einer Konferenz der "Bewegung für Internationale Versöhnung" in Oberammergau teil. Hier begegnete er der Schweizerin Olga Fierz, die seine Sekretärin und treue Mitarbeiterin wurde.
Während des Kriegs unterstützte er jüdische Familien. Zusammen mit Olga Fierz brachte er den Kindern und Kranken Milch und Obst, worauf sie als Juden keinen Anspruch hatten. Dieses Tun war nicht ungefährlich. Und so stand er einmal kurz vor der Verhaftung. Zur Gestapo vorgeladen, wurde ihm die Unterstützung jüdischer Familien vorgehalten. Er erwiderte: "Vom menschlichen Standpunkt werden Sie mich wohl verstehen." Und zu seiner größten Überraschung konnte er wieder gehen. Eine weitere besondere Fügung im Leben von Pøemysl Pitter.
Bereits im Januar 1945 hat er einen Vorbereitungsausschuss zur Hilfe für jüdische Kinder gegründet, wenn diese aus den Konzentrationslagern zurückkämen. Im Mai erfuhr er, dass in Theresienstadt Kinder in unwürdigen Verhältnissen lebten. Er begab sich dorthin und holte am 22. Mai aus Theresienstadt 22 Kinder nach Olesovice, in das erste seiner Kinderheime, die er in Schlössern in der Nähe von Prag einrichten konnte. Es waren dies noch Kamenice, Stiøín und Lojovice. Schließlich waren es an die 250 Kinder, die er aus Lagern rettete.
Zwei Monate nach Kriegsende, es war am 26. Juli 1945, holte er aus Internierungslagern in Prag 56 deutsche Kinder und 3 Mütter in seine Heime. Eigentlich begann diese Aktion mehr zufällig und spontan. Pitter suchte im Lager in der Rais-Schule die Kinder einer deutschen Mutter. Doch was er da sah, war erschütternd. So schreibt er darüber in einem späteren Bericht: "Vor uns öffnete sich die Hölle, von welcher die Vorübergehenden keine Ahnung hatten. Mehr als tausend Deutsche, meistens Frauen und Kinder, waren in Schulklassen und Kellern zusammengedrängt. Da war kein Stroh, sie mussten auf der bloßen Erde sitzen. Sie konnten sich nicht einmal hinlegen. Kranke und Gesunde, Alte und Kinder drängten sich in unbeschreiblichem Gewirr. Einer der Internierten, ein deutscher Arzt mit schmutziger Schürze, zeigte mir das Zimmer, wo er wenigstens Säuglinge hat isolieren können. Sie lagen da mit runzeligen Gesichtern auf den Schulbänken, bloß noch Haut und Knochen, wie zwergenhafte Greise." So begann die humanitäre Aktion, die sich am Ende viel umfangreicher gestaltete, als sie ursprünglich geplant war. In den folgenden zwei Jahren fanden neben den jüdischen Kindern sowie Kindern anderer Nationalität an die 400 deutsche Kinder Schutz und Hilfe in seinen Kinderheimen. In dieser Zeit bedurfte es für diese Rettungsaktion eines besonderen Mutes, da man ihm vorwarf, er "schmuse mit den Deutschen" und "verschwende tschechisches Geld für deutsche Feindkinder".
Seine Motivation kam aus seiner konsequent christlichen Haltung, nach der die Jünger Jesu immer auf der Seite der Schwachen und Bedrängten, auf der Seite der Leidenden stehen. Pitter wurde Mitglied der neu gegründeten Sozialkommission des Nationalausschusses in Prag. Zu seinen Aufgaben gehörte der Besuch der Internierungslager. Bereits acht Tage nach seiner Beauftragung legte er einen Bericht vor. Es gab in Prag insgesamt 24 Lager, in denen vor allem Deutsche, in weit geringerer Zahl auch Tschechen - "Kollaborateure" - interniert waren. Die Gesamtzahl betrug etwa 9.000 Männer, Frauen und darunter auch 1.426 Kinder, d. h. Personen unter 14 Jahren.
In einem Brief vermerkte er kritisch, dass man hier nicht an SS-Männern und GestapoLeuten Grausamkeiten verübe, sondern dass der Hass sich an Frauen, Kindern und Greisen entlade. Da die Kontrolle der Lager politisch unerwünscht war, wurde er bald seines Postens enthoben. Er widmete sich jetzt nur seinen Kinderheimen.
1951 untersagten ihm die Kommunisten die Tätigkeit im Milíè-Haus. Er musste fliehen und wurde vom Weltkirchenrat als Betreuer für seine Landsleute ins Valka-Lager nach Nürnberg geschickt. Es war eine sehr schwere Aufgabe für ihn, unter der er sehr gelitten hat.
Pøemysl Pitter schreibt einige Wochen nach einem Gottesdienst in Haidmühle an P. Paulus: "Im selben Geist, in dem Sie gepredigt haben, predige auch ich und benütze jede Gelegenheit, in diesem Sinne zu wirken. .. Daher meine große Freude darüber, daß uns Gott zusammengeführt hat, damit wir einander in unserer Aufgabe unterstützen können."
Pitter hatte auch Kontakt zu den evangelischen Sudetendeutschen. So nahm er am Kirchentag der Johannes-Mathesius-Gesellschaft im September 1959 in Kassel teil. Höhepunkt war hier das wechselseitige Schuldbekenntnis mit der Bitte um Vergebung zwischen Tschechen und Deutschen.
Pøemysl Pitter erklärte im Namen der Union der tschechoslowakischen Protestanten in den USA, Kanada und anderen freien Ländern: "Ich spreche für meine tschechischen Glaubensbrüder, und da fühle ich mich verpflichtet, unsere Schuld und unser Versagen zu bekennen."
Der Kirchenpräsident D.Erich Wehrenfennig antwortete darauf: "Als die deutschen Kirchen nach diesem Kriege im Jahre 1946 in Stuttgart das Bekenntnis ihrer Schuld gegenüber den Ereignissen der letzten Jahre und Jahrzehnte aussprachen, da haben wir uns als Kirche mit dieser Erklärung solidarisch gewusst .... Wir wissen aus der Lehre unserer Kirche und gemäß dem Wort des Herrn Jesu Christi, dass das Bekenntnis der Schuld die Voraussetzung zur Vergebung ist; wir wollen einander vergeben, was vergangen ist, wie auch Gott uns vergeben möchte unsere tägliche Schuld."
In einer Rundfunkpredigt fand er harte Worte an seine tschechischen Landsleute: ,,Welch wahrhafter Tscheche ist nicht beunruhigt durch die heuchlerischen Gedenkfeiern von Lidice, wenn er an Stätten denkt wie Sokol-Stadion, Hagibor und andere Internierungslager, wo im Jahre 1945 Tschechen gewütet haben. Ich nenne nur die Prager Stätten, wo ich selbst Zeuge der Verrohung mancher Landsleute war. Aber auch Theresienstadt, Aussig, Brünn und andere Orte haben Stätten, an welchen die Schande unseres Volkes haftet."
1963 nimmt Pitter Stellung zur Vertreibung der Deutschen: "Sie wurden mit leeren Händen hinausgejagt in ein Land, das in Trümmern lag. Der Schrecken dieser Tat ist mit den Greueln der nazistischen Konzentrationslager vergleichbar. Die Nazisten führten ihre Bestialitäten stolz im Namen der deutschen nationalen und rassischen Überlegenheit durch, im Namen ihres neuzeitlichen Heidentums. Mit welchem Namen aber brüstet sich das tschechische Volk vor der ganzen Welt? Waren es nicht Hus, Comenius, Masaryk, die Demokratie, die Humanität? Von den Nazisten erwartete niemand etwas Gutes. Aber vom tschechischen Volk? Wo ist also die größere moralische Schuld?" Immer wieder stellt er Tschechen wie Deutschen die Frage nach Schuld und Vergebung. "Man kann sich der Mitschuld nicht entziehen, indem man seine Verantwortung auf andere abwälzt. Alle tragen wir Schuld und Verantwortung vor Gott, und so tragen wir auch die Folgen gemeinsam."
Als das Valka-Lager aufgelöst wurde, siedelte Pøemysl Pitter 1962 in die Schweiz um. Er starb am 15. Februar 1976 in Zürich.
Pøemysl Pitter wurde eine Reihe von Ehrungen zuteil. In Israel wurde ihm zum Dank für die Rettung jüdischer Kinder in der Allee der Gerechten ein Baum gepflanzt. In Deutschland erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Die Universität Zürich zeichnete ihn mit der Ehrendoktorwürde aus. 1991 verlieh ihm Präsident Havel in memoriam den Masaryk-Orden. Auch die Sudetendeutschen würdigten sein Wirken für Versöhnung: Die Johannes-Mathesius-Gesellschaft durch die Verleihung ihrer Medaille und die Ackermann-Gemeinde mit der Errichtung einer Stele in Nürnberg vor der Kirche St. Rupert, in der Gegend des ehemaligen Valka-Lagers, wo er ein Jahrzehnt lang als sozialer Betreuer seiner tschechischen Landsleute tätig war.
1994 wurde in Prag die "Stiftung Pøemysl Pitter und Olga Fierz" ins Leben gerufen, die sich zum Ziel setzte, die tschechische und internationale Öffentlichkeit mit dem Leben und Wirken dieser beiden Persönlichkeiten bekannt zu machen.
(Franz Bauer, Bamberg)
In den Jahren 1957-1963 kam es zu einem regen Kontakt zwischen Pfarrern der Johannes-Mathesius-Gesellschaft und Pøemysl Pitter. Dabei wurde ganz offen über die gemeinsame theologische Vergangenheit und die unterschiedlichen Einschätzungen zu Hus und Palacký gesprochen. Ergebnis dieses Austausches war die sog. Tutzinger Erklärung. All dies ist zu finden im Archiv der Johannes-Mathesius-Gesellschaft im Sudetendeutschen Archiv im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München
(Kontakt: helmut.demattio@bayhst.bayern.de).
Wortlaut der "Tutzinger Erklärung" vom 28. Juni 1958
unter Berücksichtigung der von Pøemysl Pitter erbetenen Änderungen
1. Unabhängig von allen kommenden politischen Entscheidungen sind wir deutsche und tschechische evangelische Christen uns darüber im Klaren, dass wir weiterhin Nachbarn bleiben. In der Sorge um die Gestaltung dieser Nachbarschaft suchen wir nach Voraussetzungen und Wegen zu einem friedlichen und segensreichen Zusammenleben.
2. Es müssen alle Möglichkeiten der Begegnung und des Gesprächs zwischen den deutschen, tschechischen und slowakischen evangelischen Christen gesucht und wahrenommen werden.
3. Wege dazu können sein: Das Einzelgespräch, gemeinsame Tagungen, Veröffentlichungen, Austausch von theologischem und kirchlichem Schrifttum, Information der kirchlichen und nichtkirchlichen Öffentlichkeit und gegenseitige Hilfe.
4. Wir glauben, dass wir in aufrichtiger Hingabe an unseren gemeinsamen Herrn Jesus Christus fähig werden, einander Schuld zu vergeben, Gegensätze zu überbrücken und Unstimmigkeiten zu bereinigen.
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(Dr Helmut Demattio, München)
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