Johannes-Mathesius-Gesellschaft
Evangelische Sudetendeutsche e.V.
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Èeská verze

Erinnerung an die
Deutsche evangelische Kirche
in der Tschechoslowakei 1919-1945

Gemeinsam mit den protestantischen Kirchen in der Tschechischen Republik erinnerte die Johannes-Mathesius-Gesellschaft - Evangelische Sudetendeutsche an den 90. Jahrestag der Gründung der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien (DEKiBMS).

Am 24. und 25. Oktober 2009 hatten die Evangelisch-lutherische Kirche in der Tschechischen Republik und die Mathesiusgesellschaft in die Prager Michaelskirche eingeladen. Am Sonnabend gab der Wiener Historiker Univ.-Prof. Dr. Karl Schwarz in einem Vortrag vor tschechischen, slowakischen und deutschen Zuhörern einen Überblick über die Geschichte der Deutschen Evangelischen Kirche in der ersten Tschechoslowakischen Republik. Am Sonntag erinnerten slowakische, tschechische und deutsche Evangelische in einem dreisprachigen Gedenkgottesdienst an den Weg der deutschen Lutheraner in Böhmen, Mähren und Schlesien.

Die nur 26jährige Geschichte der DEKiBMS ist heute in der deutschen wie in der tschechischen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Nach dem ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Donaumonarchie trennten sich auch die Wege der in Böhmen, Mähren und Schlesien lebenden Protestanten. 1918 verbanden sich die tschechischen Reformierten und Lutheraner zur Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, und ein Jahr später, im Oktober 1919 gründeten die verbliebenen deutschsprachigen Gemeinden der evangelischen Toleranzkirchen eine Deutsche evangelische Kirche in der Tschechoslowakischen Republik. Bis zur Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei bot diese den vor allem in den Grenzgebieten zu Österreich, Deutschland und Polen lebenden deutschen Lutheranern eine Heimat.

Auch der Ort der diesjährigen Gedenkveranstaltung war mit Bedacht gewählt. An St. Michael in der Gerbergasse hatten die deutschen Lutheraner ihren Sitz bereits seit dem Toleranzpatent Josefs II. Da diese Gemeinde zunächst die einzige Toleranzgemeinde in Prag blieb, fanden hier nicht nur deutsche, sondern auch tschechische Evangelische Zuflucht. Ohne Rücksicht auf Sprache und Nationalität unterstützten sich Lutheraner und Reformierte hier gegenseitig. Aus der Prager Gemeinde stammte auch der spätere Bischof der Evangelischen Kirche A.u.H.B. in Österreich Oskar Sakrausky (1914-2006), der in der Deutschen Evangelischen Kirche als Vikar wirkte. Nach dem Krieg zogen in das vom Staat konfiskierte Kirchengebäude erneut Lutheraner ein - nun aber slowakischer Nationalität. Die Slowakische ev.-luth. Kirche fand hier einen Versammlungsort für ihre in der Hauptstadt lebenden Mitglieder. Nach der Teilung der Tschechoslowakei 1993 wurde aus dieser Gemeinde eine selbständige Kirche, die ähnlich wie andere kleinere evangelische Kirchen in neuester Zeit ein bemerkenswertes Wachstum verzeichnen kann. Auch die nach der politischen Wende gegründete Deutschsprachige Evangelische Gemeinde Prag feierte ihre Gottesdienste von 1991-1993 an St. Michael zu Prag, bevor sie 1994 in die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB) eingegliedert wurde.

Der von Superintendent Dr. Du¹an Tillinger geleitete Abendmahlsgottesdienst am Sonntag wurde in drei Sprachen gefeiert. Die deutschsprachigen Bibellesungen übernahmen Fritz Reinholz, Horst Schinzel und Prof. Karl Schwarz. Über dem Gedenken an den Weg der deutschen Lutheraner in der Tschechoslowakei standen Bibelverse aus dem 1. Korintherbrief (1. Kor 12,26-27): "Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied." Der aus der Nordelbischen ev.-luth. Kirche stammende und 19 Jahre lang in der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder tätige Pfarrer Christof Lange beschrieb in seiner Predigt, wie sich die evangelischen Kirchen nach dem ersten Weltkrieg entlang der Sprachen- und Nationalitätengrenzen getrennt und voneinander entfernt hatten, wie von der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei die deutsche Sprache und Nationalität zunächst als schützende Mauer angesehen wurde und wie die Ausgrenzung durch den tschechoslowakischen Staat und faschistische Propaganda die deutsche Kirche schließlich in den Sog des Nationalsozialismus brachten. Ebenso absurd, wie die Vorstellung, daß das Auge zur Hand sagt 'Ich brauche dich nicht', seien Christen, die ihren Mitchristen durch Worte und Taten die Botschaft vermitteln 'Ich brauche dich nicht'. Sie verlören damit selbst ihren Anteil am lebendigen Leib Christi, den Christus ihnen in der Taufe geschenkt hat. Nicht ein nationales, politisches oder kulturelles Gemeinschaftsgefühl sei es, was die Glieder der Kirche zusammenhalte, sondern die Einladung und leibliche Gegenwart Jesu Christi an seinem Tisch. Von ihm empfingen sie die Vergebung ihrer Schuld, sein Geist gebe ihnen den Mut, Gegensätze, Konflikte und Feindschaft zu überwinden. Und Christus erwarte von ihnen auch, daß sie aus den schützenden Mauern der Kirche hinausgingen, um das Evangelium allen Völkern bekanntzumachen.

Ein weiterer Höhepunkt des Gottesdienstes, der ebenfalls die Bedeutung der Einladung Christi für die Gemeinschaft verschiedener Völker und Nationalitäten am einen Leib hervorhob, war die feierliche Einweihung des neuen Altarbildes der Michaelskirche. Das ursprüngliche Altarbild der deutschen evangelischen Gemeinde, ein Werk des Preßburger Malers und Radierers Adam Friedrich Öser (1717-1799) war am Ende des Zweiten Weltkriegs verlorengegangen. Eine schon vorher angefertigte Kopie wurde 1992 bei einem Einbruch in die Kirche gestohlen und durch ein gerahmtes Kruzifix ersetzt. Daß nun endlich Abhilfe geschaffen wurde, ist wiederum einem ehemaligen Gemeindeglied aus der Deutschen evangelischen Kirche zu verdanken. Als der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Kanada ausgewanderte Jaroslav Jarsch vom Verlust des Bildes erfuhr, kontaktierte er in Kanada den Künstler Vasil Chlebovski und ließ nach Fotografien ein neues Bild anfertigen, das das ursprüngliche Abendmahlsmotiv wieder aufnahm. Zu seiner Einweihung hielt Jaroslav Jarsch, der mit seiner gesamten Familie nach Prag gekommen war, eine beeindruckende Ansprache.

Neben den Mitgliedern der örtlichen lutherischen Gemeinden und der Johannes-Mathesius-Gesellschaft konnten die Gastgeber auch eine Reihe ökumenischer Gäste begrüßen. An der Veranstaltung am Sonnabend nahm der Synodalsenior der EKBB Joel Ruml teil. Im Gedenkgottesdienst am Sonntag überbrachte der stellvertretende Bischof und Vorstandsvorsitzende der Schlesischen Diakonie Jan Waclawek die Grüße der Schlesischen ev.-luth. Kirche.

Das in Tschechien lange Zeit verdrängte Erbe der Deutschen evangelischen Kirche in der Tschechoslowakei ist in diesem Jahr wieder ins Gespräch gekommen. Auch die evangelischen Kirchenhistoriker und Fakultäten sind inzwischen auf das Thema aufmerksam geworden. Darauf, daß die Gedenkveranstaltung an der Michaelskirche sicher keine einmalige Aktion bleiben wird, deutet nicht zuletzt auch die rege Publikationstätigkeit der Luthergesellschaft hin, die bereits im November eine neue wissenschaftliche Arbeit zur Geschichte des Luthertums in Böhmen, Mähren und Schlesien vorstellte.




Aktuelles:

> Jahrestagung 21.-23. April 2017 in Jáchymov
> Gottesdienst auf dem Sudetendeutschen Tag 2016
> Volkszählung in der Tschechischen Republik
> Die evangelische Gemeinde in Neustadt a.T.
> 140 Jahre Friedenskirche in Eger
> Erinnerung an den 90. Jahrestag der Gründung der DEKiBMS
> Buchempfehlung: Die Lutheraner in Böhmen und Mähren
> Oskar Sakrauskys Geschichte der DEKiBMS auf CD-ROM
> Wanderausstellung über David Zeisberger
> Neue tschechische Bibelübersetzung
> Ein Plan zur Entschädigung der Kirchen
> 60 Jahre slowakische ev.-luth. Gemeinde in Prag
> Pavel Smetana: Brücke zur Heimat (Predigt)

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