Ein Plan zur Entschädigung der Kirchen in der Tschechischen Republik
Das Abgeordnetenhaus der Tschechischen Republik soll im Frühjahr dieses
Jahres über ein Gesetz zur Entschädigung der Kirchen für das in
der sozialistischen Zeit verstaatlichte Eigentum abstimmen.
Zwar kam es auch in der ehemaligen Tschechoslowakei nach der politischen
Wende des Jahres 1989 in großem Maßstab zur Rückgabe
verstaatlichen Eigentums, der umfangreiche Grundbesitz der
römisch-katholischen Kirche aus der Zeit vor 1949 wurde dabei jedoch immer
wieder ausgeklammert, da sich Staat und Kirche weder über einen
Rückgabemodus noch über seine Bewertung für eventuelle
Ersatzleistungen einigen konnten. Im Dezember 2007 legte der
christdemokratische Finanzminister Miroslav Kalousek einen konkreten Plan zur
Entschädigung für das 1949 enteignete Immobilieneigentum der Kirchen
der Öffentlichkeit vor. Im Januar wurde der Rahmen für eine
entsprechende Gesetzesvorlage vom Regierungskabinett beschlossen.
Nach dieser Regelung soll von Beginn des Jahres 2009 an über einen
Zeitraum von 60 Jahren eine Summe von 83 Milliarden Tschechischen Kronen (3,3
Mrd. EUR) an die Kirchen ausbezahlt und dabei mit 4,85 Prozent jährlich
verzinst werden, so daß die Kirchen im Ergebnis insgesamt
267 Milliarden Kronen (10,7 Mrd. EUR) als Kompensation für in der
sozialistischen Zeit verstaatliches Kircheneigentum erhielten. Auf diesen
Betrag hatten sich die Vertreter des Staates, der römisch-katholischen
Kirche und der im Tschechischen ökumenischen Rat zusammengeschlossenen
kleineren tschechischen Kirchen Ende letzten Jahres geeinigt.
Die Kirchen sollen auf diese Weise für einen Teil ihres einstigen Besitzes
- Wälder, landwirtschaftlichen Nutzflächen, Wiesen und Fischteiche im
Umfang von insgesamt 226.000 ha und im geschätzten Wert von 110
Milliarden Kronen - entschädigt werden. 1949 mußte die katholische
Kirche und ihre Ordensgemeinschaften ihren gesamten Grundbesitz und Immobilien
mit Ausnahme der Kirchengebäude und Pfarrhäuser abgeben. Der Staat
übernahm im Gegenzug die Finanzierung der Pfarrergehälter.
Nach der politischen Wende hatte der Staat 1991 den verschiedenen christlichen
Kirchen bereits den Großteil der enteigneten kirchlichen Gebäude
zurückgegeben. Über das beachtliche Grundeigentum, das
hauptsächlich die römisch-katholische Kirche und verschiedene
Ordensgemeinschaften für sich beanspruchten, konnte aber unter den
verschiedenfarbigen Regierungen der letzten 18 Jahre keine Einigung erzielt
werden. Deshalb blieb auch bisher die Bezahlung der Pfarrergehälter durch
den Staat als eines der vielen "ewigen Provisorien" in diesem Land erhalten.
Rückgabe oder Entschädigung?
Eine wesentliche Schwierigkeit bei den Verhandlungen zwischen Staat und Kirchen
war neben der Frage der Bewertung auch die Tatsache, daß die betreffenden
Grundstücke sich heute in den Händen ganz verschiedener
Eigentümer befinden. Eine vollständige Rückgabe war also kaum
denkbar. So wurden die Ansprüche der Kirchen zunächst detailliert
erfaßt, und dann verschiedene Modelle für einen finanziellen
Ausgleich zwischen Staat und Kirchen erarbeitet.
Die nun angekündigten Entschädigungszahlungen beziehen sich auf etwa
zwei Drittel der Grundstücke und Immobilien, nämlich diejenigen, die
seinerzeit den römisch-katholischen Diözesen und Pfarrgemeinden
gehört hatten. Dagegen soll der einstige Besitz der Ordensgemeinschaften
diesen nach Möglichkeit zurückgegeben werden. Der Staatssekretär
für Kirchenfragen im Kulturministerium Jaromír Talíø
erläuterte, daß von der Rückgabe an die Orden lediglich solche
Grundstücke ausgenommen seien, die durch Kredite belastet sind oder heute
militärisch genutzt werden. In diesen Fällen würde jedoch
ebenfalls eine Entschädigung geleistet.
Die Ordensgemeinschaften machen sich bereits Gedanken darüber, wie sie das
zurückgewonnene Eigentum nutzen werden. "Wir setzen nicht voraus, daß
wir es gleich nach Erhalt wieder verkaufen. Besonders insofern es sich um
Wälder handelt. Wir sind sehr wohl imstande diese auch bewirtschaften,"
erklärte nach Bekanntgabe des Planes P. Ale¹ Vandrovec vom
Benediktinerkloster Bøevnov. Die Erträge sollten für die
Instandsetzung der Gebäude verwendet werden.
Zustimmung des Parlaments steht noch aus
Zwar hat es in den letzten Jahren schon viele Vorstöße zur Neuordnung
des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche gegeben, aber zum erstenmal
wird nun ein vollständiger Zeitplan für Rückgabe und
Entschädigung des kirchlichen Eigentums vorgeschlagen. Trotzdem ist bis
zur Verabschiedung des Gesetzes noch eine heftige Debatte zu erwarten.
Kritik aus den Reihen der sozialdemokratisch-kommunistischen Opposition, aber
auch aus der konservativ-bürglichen ODS stößt sich dabei weniger
an den 83 Milliarden, als an der enormen Summe von 267 Milliarden, die durch
die Verzinsung über einen Zeitraum von 60 Jahren entsteht. Finanzminister
Miroslav Kalousek (KDU-ÈSL) erklärte dazu: "Wenn Sie den Betrag auf
Jahrzehnte verteilen, ist dies gar nicht so viel." Die Zahlungen würden
für den gesamten Zeitraum automatisch zu mandatorischen Staatsausgaben,
vergleichbar etwa den Ausgaben für die gesetzlichen Sozialleistungen. Die
Notwendigkeit der Verzinsung ergebe sich aus der Tatsache, daß eine
einmalige Zahlung den tschechischen Staatshaushalt bei weitem überfordern
würde.
Obwohl die seit einem Jahr im Amt befindliche Regierung aus Konservativen,
Christdemokraten und Grünen im Parlament nur über eine sehr
dünne Mehrheit verfügt und Kritiker des Vorhabens durchaus mit
Sympathie in der tschechischen säkularen Öffentlichkeit rechnen
können, scheint eine Annahme des Gesetzes doch nicht unwahrscheinlich,
denn ein solches Abkommen ist in der Tat Bestandteil des Koalitionsvertrags.
Nur ein eventueller - in den letzten Monaten vielfach vorausgesagter, aber dank
Überläufern aus den Reihen der der sozialdemokratischen
Parlamentsfraktion bislang nicht eingetretener - Sturz der Regierung
könnte den Ausgleich mit den Kirchen erneut auf unbestimmte Zeit
hinausschieben.
Vorteile für den Staat
In der politischen Debatte dürfte entscheidend sein, daß die
angestrebte Regelung auch dem Staat erhebliche Vorteile bringt.
Durch die Auszahlung der finanziellen Entschädigung entfällt die
Blockade von Tausenden Hektar Grundbesitz und Immobilien, die sich zwar im
Eigentum des Staates befinden, aber während der letzten 18 Jahre nicht
privatisiert werden durften. Nach einem Ausgleich mit den Kirchen könnte
der Staat endlich frei über sie verfügen. Deswegen drängen
gerade auch Städte und Gemeinden, in deren Besitz viele verstaatlichte
Grundstücke überführt wurden und die die
Privatisierungseinnahmen zur Finanzierung ihrer Haushalte benötigen, auf
eine Einigung mit den Kirchen.
Auf staatlicher wie auf kirchlicher Seite geht man außerdem davon aus,
daß das jetzige Abkommen den Weg für eine wirtschaftliche
Eigenständigkeit der Kirchen ebnet. Seit die kommunistische Regierung 1949
die Trennung von Staat und Kirche rückgängig gemacht hatte, werden
die Pfarrgehälter sämtlicher registrierter Kirchen aus dem Etat des
Kulturministeriums bezahlt - zur Zeit betragen diese Subventionen für alle
Kirchen zusammengenommen ungefähr eine Milliarde Kronen jährlich.
Diese Kosten müßten die Kirchen künftig selbst tragen.
Und schließlich geht auch ein gewisser Problemlösungsdruck von den in
den letzten Jahren neu registrierten jungen christlichen Kirchengemeinschaften
aus. Nach einer Frist von 10 Jahren haben diese nach heute geltendem Recht die
Möglichkeit, die Finanzierung ihrer Geistlichen und ihrer zentralen
Verwaltung durch den Staat zu beantragen. Dies beträfe in Kürze etwa
auch die Zeugen Jehovas, die Mormonen und verschiedene islamische
Verbände. Staatliche Subventionen für Sekten wäre der
tschechischen Öffentlichkeit nun doch eher schwer zu vermitteln, selbst
wenn die Zeugen Jehovas aus eigener Überzeugung nie Geld vom Staat
annehmen würden.
Eine gemeinsame Regelung für alle Kirchen
Klar ist, daß es zur Trennung von Staat und Kirche langfristig keine
Alternative gibt. Ein Ende der staatlichen Subventionen für die
Pfarrergehälter und eine Umstellung der Finanzierung der Kirchen
hätte allerdings einschneidende Folgen nicht nur für die
römisch-katholische Kirche und ihre Ordensgemeinschaften, sondern für
sämtliche christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften in der
Tschechischen Republik. Würden die protestantischen Kirchen nicht in
angemessener Weise an der Kompensationsregelung beteiligt, wären einige
von ihnen durch den Ausfall der staatlichen Unterstützung in ihrer
Existenz bedroht.
Der allergrößte Teil des verstaatlichten Eigentums gehörte der
katholischen Kirche, die in der Tschechischen Republik 83 Prozent der Christen
repräsentiert. Daher führte das Kulturministerium die Verhandlungen
vor allem mit ihren Vertretern. Die im Tschechischen Ökumenischen Rat
(ERC) zusammengeschlossenen nicht-römisch-katholischen Kirchen, die
ebenfalls Listen von bisher noch nicht zurückgegebenen Grundstücken
und Immobilien erstellt hatten, wurden in die Verhandlungen jedoch von Anfang
an mit einbezogen, so daß der nun vorliegende Entwurf eine Regelung
für alle an der beteiligten Kirchen vorsieht.
Für die Zeit von 60 Jahren sollen die Kirchen jährliche Zahlungen von
über vier Milliarden Kronen erhalten. Dabei entfielen auf die
römisch-katholische Kirche 3,55 Milliarden Kronen, auf die
Tschechoslowakische Hussitische Kirche 189 Millionen, auf die Evangelische
Kirche der Böhmischen Brüder 139 Millionen, auf die Orthodoxe Kirche
70 Millionen, die Brüderkirche 49 Millionen und die Föderation der
jüdischen Religionsgemeinden 16 Millionen Kronen pro Jahr. Diese
Zahlenverhältnisse entsprechen aber nicht der Höhe des von den
verschiedenen Kirchen reklamierten Kirchenbesitzes. Legte man die bislang nicht
zurückgegebenen Grundstücke zugrunde, dann müßten die
Zahlungen für die nichtkatholischen Kirchen wesentlich geringer ausfallen.
Hier handelt es sich vielmehr um ein Zugeständnis der
römisch-katholischen Kirche an ihre kleineren Schwesterkirchen, die ihre
Bemühungen um eine Lösung der Restitutionsfrage politisch mit
unterstützt haben.
Sind die Kirchen vorbereitet?
Je aussichtsreicher ein Abkommen erscheint, desto drängender wird jedoch
eine andere Frage: Was werden die Kirchen mit dem Geld anfangen? Wenn sich die
zentralen Einnahmen der Kirche von einem Tag zum anderen vervielfachen, stellt
das besonders die stark kongregationalistisch geprägten protestantischen
Kirchen vor große Herausforderungen. So teilte etwa die Kirchenleitung der
EKBB ihren Gemeinden am 11. Dezember mit, die sich abzeichnende Vereinbarung
erfordere "eine Reihe rechtlicher Schritte".
Wie diese Schritte aussehen werden, weiß wohl zur Zeit noch niemand. Wird
man die Pfarrergehälter erhöhen, die inzwischen wieder auf etwa 75
Prozent des tschechischen Durchschnittslohns abgesackt sind? Wird man
außer den Pfarrern nun auch andere qualifizierte Mitarbeiter anstellen?
Wer entscheidet darüber? Wird das Geld für die Instandsetzung und
Erhaltung der Gebäude verbaut oder wird es gar irgendwo in der
Kirchenbürokratie versickern?
Wie kann angesichts der plötzlichen Geldflut verhindert werden, daß
die Eigenverantwortlichkeit der Gemeindeglieder, die durch den Rückbau der
staatlichen Sozial- und Krankenversicherung, das Ende der Mietenregulierung und
Preissteigerungen auf allen Gebieten unter zunehmenden Existenzdruck geraten,
nicht nachläßt? Werden diejenigen, die sich ihr Salar (Kirchengeld)
von der niedrigen Rente absparen müssen, noch genügend
Verständis dafür haben, daß auch sie selbst ihr Schärflein
beitragen müssen?
Kommt es zur Trennung zwischen Staat und Kirche?
Die angestrebte Vereinbarung stellt einen entscheidenden Schritt auf dem Weg
zur Trennung zwischen Staat und Kirche dar. Die Frage des Kircheneigentums
blockierte 18 Jahre lang eine Neuordnung der Beziehungen zwischen Staat und
Kirche. Mit ihrer Lösung endet einerseits ein Kuriosum - nämlich
daß in dem am meisten säkularisierten Land Europas das Personal der
christlichen Kirchen vom Staat bezahlt werden. Andererseits kommen nun sicher
andere Aspekte des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche stärker in
den Blick, etwa die Erhaltung der historisch wertvollen kirchlichen
Gebäude, die Aktivitäten der Kirchen in der Armee, in den
Gefängnissen, Krankenhäusern und staatlichen Schulen, die staatliche
Begünstigung von kirchlichen Privatschulen und die Arbeit von Diakonien
und Caritas, die auf Kooperation mit dem staatlichen Sozialsystem angewiesen
sind. Selbst wenn die Hoffnungen auf die viele Jahre überfällige
politische Einigung diesmal nicht enttäuscht werden, wird es im
Verhältnis zwischen Staat und Kirchen in einem Land, von dessen
Bevölkerung sich nur noch knapp über 30 Prozent zu einer christlichen
Kirche bekennen, auch künftig sicher noch viele Reibungsflächen
geben.
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