|
Pfr. Pavel Smetana, emeritierter Synodalsenior der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder
Die Brücke zur HeimatPredigt im evangelischen Gottesdienst zum Pfingstsonntagam 27. Mai 2007 auf dem Sudetendeutschen Tag in Augsburg
Römerbrief 12,9-14.17-21
mit innerer Unsicherheit und Unentschlossenheit habe ich die Einladung angenommen, bei diesem heutigen Gottesdienst zu predigen. Es geht nicht nur um die sprachlichen Schwierigkeiten. Denn wo Menschen in Liebe miteinander sind, können sie sich verständigen, auch wenn sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Das beste Beispiel ist ja schließlich das Ereignis an Pfingsten. Die Besucher in Jerusalem, die aus der ganzen damaligen Welt kamen, verstanden die apostolische Predigt, weil sie sie mit dem Herzen begriffen haben. Wie soll aber der Inhalt meiner Predigt aussehen? Was soll ich Ihnen sagen, ohne die alten, vielleicht noch nicht verheilten Wunden wieder aufzureißen? Um die Erinnerungen nicht zu wecken, von denen Sie sich schon lange verabschiedet haben? Ich bewege mich hier auf einem sehr dünnen Eis. Sie sind die Nachfahren deutscher Bürger, die nach dem zweiten Weltkrieg aus ihrer alten Heimat vertrieben wurden. Und einige von Ihnen erlebten diese schrecklichen Ereignisse vermutlich sogar persönlich am eigenen Leib. Und ich bin ein tschechischer Staatsbürger. Zwar bin ich in der tragischen Zeit erst ein Kind gewesen, das nicht verstanden hat, was damals passiert ist. Aber während meiner Jugend begegnete ich in der Schule den Bewertungen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Und dieses Bild verstärkte die schwierige Geschichte meiner eigenen Familie. Ich bin ein Nachfahre tschechischer Glaubensexulanten, die in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts aus ihrer Heimat geflüchtet sind. Ich weiß, was es bedeutet, wenn Menschen alles, was die Heimat gewesen ist, verlassen müssen. Mein Vater verbrachte seine Kindheit und seine Jugend in Polen, in einem tschechischen evangelischen Dorf namens Zelow, das von tschechischen Exulanten gegründet worden war. Erst nach dem ersten Weltkrieg öffnete sich meiner Familie die Möglichkeit in die alte Heimat zurückzukehren. Mein Großvater verkaufte in Polen seinen Bauernhof und siedelte mit seiner ganzen Familie 1925 nach Mähren über. Er ahnte nicht, daß er in nur 14 Jahren, auf Grund des Münchener Abkommens seine neue Heimat wieder verlassen wird und mit 70 Jahren eine neue Bleibe im Landesinneren suchen wird. Mein geliebter Onkel, ein Arzt und Humanist, starb während des Krieges im Konzentrationslager in Mauthausen. Unmittelbar nach der "Samtenen Revolution" konnten wir aus den geöffneten Archiven die Nachkriegsgeschichte neu betrachten und bewerten. Mir wurde damals bewußt, welches schwere Schicksal Sie damals getroffen hat. Sie, die unsere deutschen Mitbürger waren. Sie mußten Ihre Heimat, Ihre Häuser verlassen, in denen Ihre Familien Jahrhunderte gelebt haben, und nur mit dem Notwendigsten wurden Sie in das zerbombte und zerstörte Deutschland vertrieben. Es war grausam und ich schäme mich dafür. Als Christ lehne ich eine Kollektivschuld und Rache ab. Wie soll man in so einer Situation reden, was soll man sagen, um die Wunden nicht noch mehr zu öffnen? Ich bin froh, daß ich mich von der apostolischen Botschaft aus dem 12. Kapitel des Römerbriefes anleiten lassen kann. Diese Abschnitte enthalten unüberhörbare Aufforderungen, wie man in einer christlichen Gemeinschaft aber auch inmitten von Menschen, für die das Wort Gottes nichts bedeutet, leben kann. In der Zeit des Apostels herrschte zwischen den Juden und den römischen Bürgern gegenseitiger Haß und Feindschaft. Für die freidenkenden Juden war Rom eine verhaßte Okkupationsmacht. Dieser Haß mündete im Jahr 70 nach Christus in einen grausamen, den sogenannten Jüdischen Krieg. Apostel Paulus, ursprünglich ein jüdischer Rabbiner, schrieb den Christen in Rom, von denen die meisten auch römische Staatsbürger waren. Er schreibt von der Liebe, die ohne Falsch ist, die innerlich rein ist. Im 1. Korintherbrief, im 13. Kapitel zeigte er, wie die wirkliche christliche Liebe aussieht:
"So kann ich nicht leben!" - denken wir vielleicht manchmal. "Wir sind nur Menschen. Wir haben keine Kraft, uns an das Unrecht, das uns andere angetan haben, nicht mehr zu erinnern. Wie haben nicht die Kraft zu einer solchen Vergebung". Ja, dazu haben wir wirklich nicht genügend Kraft. Eine innere tiefe Vergebung und Versöhnung ist eine der größten Leistungen überhaupt. Der Apostel schreibt aber nicht, daß es das Ergebnis menschlicher Bemühungen ist. Stattdessen erinnert er daran, daß Liebe ein Geschenk des Heiligen Geistes ist. Heute ist Pfingsten. Von den Geschehnissen beim ersten Pfingstfest haben wir vorhin gehört. Christus erfüllte seine Verheißung. Der Heilige Geist begann, das Denken und das Tun der Apostel und aller, die der Predigt von Petrus geglaubt haben, zu verändern. Eine große Ansammlung von Menschen, die sich um Petrus versammelt hatten, konnten sich plötzlich miteinander verständigen, obwohl sie aus den verschiedensten Ecken dieser Welt nach Jerusalem gekommen waren. Die apostolische Botschaft hat sie persönlich angesprochen. Lukas schreibt, daß die Predigt ihre Seelen getroffen hat wie ein Schwert. Sie haben plötzlich verstanden, daß auch sie keine unschuldigen Menschen sind. Daß auch sie die Schuld an Christus Tod tragen. Und statt die anderen zu beschuldigen, ihre Führer und Staatsmänner, fragen sie nach ihrer eigenen Schuld. Was können wir tun? Wie können wir alles Böse, das wir angerichtet haben, wieder gut machen? So arbeitet der Heilige Geist. Er berührt unsere Gewissen, so daß wir uns plötzlich in einem ganz neuen Licht sehen können. Er verunsichert unser Gewissen, gleichzeitig wird er uns erneuern, damit wir eine neue Schöpfung werden. Unsere Sünde können wir nicht abarbeiten oder wieder gut machen. Wir können Sie nur durch Vergebung bewältigen. So wie Christus unsere Sünden und unsere Schuld vergeben hat, so sollen wir einander vergeben. So sprechen wir es auch im Vaterunser aus: "Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern". Christliche Liebe bedeutet immer Vergebung und Versöhnung. Wer nicht vergibt, ist kein Christ und kein Nachfolger Christi. Der Predigtabschnitt aus dem Römerbrief zeigt ganz konkret, was die Liebe ohne Heuchelei bedeutet.
Zu wissen, daß eine endgültige Wertung und Bewertung des menschlichen Lebens in der Hand Christi ist, gibt uns Christen wirkliche Freiheit. Wir müssen nicht an Rache denken, weil wir wissen dürfen, daß Gott gerecht und barmherzig ist. Das Motto Ihres diesjährigen Treffens lautet: "Wir Sudetendeutschen - Brücke zur Heimat". Ich wünsche Ihnen, daß sie eine wirkliche Brücke nicht nur zu ihrer alten Heimat werden, sondern auch eine Brücke zwischen den Herzen der Menschen. Ich wünsche Ihnen, daß sie die Quelle der Liebe und des Friedens werden. Über so eine Brücke werden nicht nur ihre Kinder und Freunde gerne gehen, sondern auch die Menschen von der anderen Seite. Diejenigen, denen Ihre Heimat zur eigenen Heimat geworden ist, deren Heimat also auch Ihre Heimat ist. Vergessen wir aber nicht, die einzige, wahre Brücke ist Jesus Christus allein. Er bringt Verständnis, Verständigung und Frieden in menschliche Herzen. Er weckt die wirkliche Hoffnung. Er lädt uns ein:
| ||
| ||
|