Johannes-Mathesius-Gesellschaft
Evangelische Sudetendeutsche e.V.
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Èeská verze
Pfr. Pavel Smetana, emeritierter Synodalsenior
der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder

Die Brücke zur Heimat

Predigt im evangelischen Gottesdienst zum Pfingstsonntag
am 27. Mai 2007 auf dem Sudetendeutschen Tag in Augsburg


Die Liebe sei ohne Falsch. Haßt das Böse, hängt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht ... Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): ,,Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.'' Vielmehr, ,,wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln'' (Sprüche 25,21-22). Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Römerbrief 12,9-14.17-21


Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

mit innerer Unsicherheit und Unentschlossenheit habe ich die Einladung angenommen, bei diesem heutigen Gottesdienst zu predigen. Es geht nicht nur um die sprachlichen Schwierigkeiten. Denn wo Menschen in Liebe miteinander sind, können sie sich verständigen, auch wenn sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Das beste Beispiel ist ja schließlich das Ereignis an Pfingsten. Die Besucher in Jerusalem, die aus der ganzen damaligen Welt kamen, verstanden die apostolische Predigt, weil sie sie mit dem Herzen begriffen haben.

Wie soll aber der Inhalt meiner Predigt aussehen? Was soll ich Ihnen sagen, ohne die alten, vielleicht noch nicht verheilten Wunden wieder aufzureißen? Um die Erinnerungen nicht zu wecken, von denen Sie sich schon lange verabschiedet haben?

Ich bewege mich hier auf einem sehr dünnen Eis. Sie sind die Nachfahren deutscher Bürger, die nach dem zweiten Weltkrieg aus ihrer alten Heimat vertrieben wurden. Und einige von Ihnen erlebten diese schrecklichen Ereignisse vermutlich sogar persönlich am eigenen Leib. Und ich bin ein tschechischer Staatsbürger. Zwar bin ich in der tragischen Zeit erst ein Kind gewesen, das nicht verstanden hat, was damals passiert ist. Aber während meiner Jugend begegnete ich in der Schule den Bewertungen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Und dieses Bild verstärkte die schwierige Geschichte meiner eigenen Familie. Ich bin ein Nachfahre tschechischer Glaubensexulanten, die in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts aus ihrer Heimat geflüchtet sind. Ich weiß, was es bedeutet, wenn Menschen alles, was die Heimat gewesen ist, verlassen müssen. Mein Vater verbrachte seine Kindheit und seine Jugend in Polen, in einem tschechischen evangelischen Dorf namens Zelow, das von tschechischen Exulanten gegründet worden war. Erst nach dem ersten Weltkrieg öffnete sich meiner Familie die Möglichkeit in die alte Heimat zurückzukehren. Mein Großvater verkaufte in Polen seinen Bauernhof und siedelte mit seiner ganzen Familie 1925 nach Mähren über.

Er ahnte nicht, daß er in nur 14 Jahren, auf Grund des Münchener Abkommens seine neue Heimat wieder verlassen wird und mit 70 Jahren eine neue Bleibe im Landesinneren suchen wird.

Mein geliebter Onkel, ein Arzt und Humanist, starb während des Krieges im Konzentrationslager in Mauthausen.

Unmittelbar nach der "Samtenen Revolution" konnten wir aus den geöffneten Archiven die Nachkriegsgeschichte neu betrachten und bewerten. Mir wurde damals bewußt, welches schwere Schicksal Sie damals getroffen hat. Sie, die unsere deutschen Mitbürger waren. Sie mußten Ihre Heimat, Ihre Häuser verlassen, in denen Ihre Familien Jahrhunderte gelebt haben, und nur mit dem Notwendigsten wurden Sie in das zerbombte und zerstörte Deutschland vertrieben. Es war grausam und ich schäme mich dafür. Als Christ lehne ich eine Kollektivschuld und Rache ab.

Wie soll man in so einer Situation reden, was soll man sagen, um die Wunden nicht noch mehr zu öffnen?

Ich bin froh, daß ich mich von der apostolischen Botschaft aus dem 12. Kapitel des Römerbriefes anleiten lassen kann. Diese Abschnitte enthalten unüberhörbare Aufforderungen, wie man in einer christlichen Gemeinschaft aber auch inmitten von Menschen, für die das Wort Gottes nichts bedeutet, leben kann.

In der Zeit des Apostels herrschte zwischen den Juden und den römischen Bürgern gegenseitiger Haß und Feindschaft. Für die freidenkenden Juden war Rom eine verhaßte Okkupationsmacht. Dieser Haß mündete im Jahr 70 nach Christus in einen grausamen, den sogenannten Jüdischen Krieg.

Apostel Paulus, ursprünglich ein jüdischer Rabbiner, schrieb den Christen in Rom, von denen die meisten auch römische Staatsbürger waren.

Er schreibt von der Liebe, die ohne Falsch ist, die innerlich rein ist. Im 1. Korintherbrief, im 13. Kapitel zeigte er, wie die wirkliche christliche Liebe aussieht:

    Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.

"So kann ich nicht leben!" - denken wir vielleicht manchmal. "Wir sind nur Menschen. Wir haben keine Kraft, uns an das Unrecht, das uns andere angetan haben, nicht mehr zu erinnern. Wie haben nicht die Kraft zu einer solchen Vergebung".

Ja, dazu haben wir wirklich nicht genügend Kraft. Eine innere tiefe Vergebung und Versöhnung ist eine der größten Leistungen überhaupt. Der Apostel schreibt aber nicht, daß es das Ergebnis menschlicher Bemühungen ist. Stattdessen erinnert er daran, daß Liebe ein Geschenk des Heiligen Geistes ist.

Heute ist Pfingsten. Von den Geschehnissen beim ersten Pfingstfest haben wir vorhin gehört. Christus erfüllte seine Verheißung. Der Heilige Geist begann, das Denken und das Tun der Apostel und aller, die der Predigt von Petrus geglaubt haben, zu verändern. Eine große Ansammlung von Menschen, die sich um Petrus versammelt hatten, konnten sich plötzlich miteinander verständigen, obwohl sie aus den verschiedensten Ecken dieser Welt nach Jerusalem gekommen waren. Die apostolische Botschaft hat sie persönlich angesprochen. Lukas schreibt, daß die Predigt ihre Seelen getroffen hat wie ein Schwert. Sie haben plötzlich verstanden, daß auch sie keine unschuldigen Menschen sind. Daß auch sie die Schuld an Christus Tod tragen. Und statt die anderen zu beschuldigen, ihre Führer und Staatsmänner, fragen sie nach ihrer eigenen Schuld. Was können wir tun?

Wie können wir alles Böse, das wir angerichtet haben, wieder gut machen? So arbeitet der Heilige Geist. Er berührt unsere Gewissen, so daß wir uns plötzlich in einem ganz neuen Licht sehen können. Er verunsichert unser Gewissen, gleichzeitig wird er uns erneuern, damit wir eine neue Schöpfung werden.

Unsere Sünde können wir nicht abarbeiten oder wieder gut machen. Wir können Sie nur durch Vergebung bewältigen. So wie Christus unsere Sünden und unsere Schuld vergeben hat, so sollen wir einander vergeben. So sprechen wir es auch im Vaterunser aus: "Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern". Christliche Liebe bedeutet immer Vergebung und Versöhnung. Wer nicht vergibt, ist kein Christ und kein Nachfolger Christi.

Der Predigtabschnitt aus dem Römerbrief zeigt ganz konkret, was die Liebe ohne Heuchelei bedeutet.

  • Haßt das Böse, hängt dem Guten an. Der Apostel war überzeugt, daß ein Christ zwischen dem Guten und dem Bösen im alltäglichen Leben unterscheiden kann. Und wenn wir erkennen, daß die Rachsucht, Haß und Gleichgültigkeit böse sind, so sollen wir auf jeden Fall auf sie verzichten.
  • Ehrt einander. Ehrt nicht nur die bedeutenden Persönlichkeiten, sondern auch die Kleinsten unter ihnen, die Verachteten, diejenigen, die am Rand der Gesellschaft stehen: ungeborene Kinder, Alte und Behinderte. Menschen aller Länder und Sprachen haben ein Recht auf Würde. Weil Christus uns zu ihren Brüdern und Schwestern gemacht hat, sind wir verpflichtet, sie als eine wertvolle Schöpfung Gottes zu behandeln.
  • Seid brennend im Geist, dient dem Herrn. In der Offenbarung des Johannes tadelt der auferstandene Herr die Christen in Laodizea deswegen, daß sie lau geworden sind. "Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde." Die Kirchen stecken heute in einer Krise, weil das Christentum für viele nur noch eine schöne Tradition ist. Wir müssen um neuen Schwung bei der Arbeit für Gottes Werk bitten.
  • Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Bis heute denke ich dankbar an eine Reihe von Christen aus Deutschland und anderen westlichen Ländern, die in der kommunistischen Zeit zu uns kamen, um uns zu unterstützen, zu helfen und zu ermuntern. So entstanden viele Freundschaften, die noch bis heute halten.
  • Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. Betet für eure Verfolger. Nur so können menschliche Beziehungen wieder heil werden.
  • Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Jede Vergeltung macht die endlose Kette der Gewalt nur fester. Zu welcher Aussichtslosigkeit so etwas führen kann, sehen wir an der Situation im Irak und in anderen Ländern.
  • Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Wir müssen begreifen, daß wir selbst nicht imstande sind, die Welt, die so voll von Bösem, Haß und Gewalt ist, zu erlösen. Dort, wo aber wir zum Frieden beitragen können, müssen wir alles tun, was in unserer Macht steht.
Alle unsere Sorgen, unser Leid und unsere Schmerzen dürfen wir an Jesus Christus abgeben. Er heilt Leib und Seele. Und in seiner Hand liegt auch das letzte Gericht. Im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums lesen wir:

    Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.

Zu wissen, daß eine endgültige Wertung und Bewertung des menschlichen Lebens in der Hand Christi ist, gibt uns Christen wirkliche Freiheit. Wir müssen nicht an Rache denken, weil wir wissen dürfen, daß Gott gerecht und barmherzig ist.

Das Motto Ihres diesjährigen Treffens lautet: "Wir Sudetendeutschen - Brücke zur Heimat". Ich wünsche Ihnen, daß sie eine wirkliche Brücke nicht nur zu ihrer alten Heimat werden, sondern auch eine Brücke zwischen den Herzen der Menschen. Ich wünsche Ihnen, daß sie die Quelle der Liebe und des Friedens werden. Über so eine Brücke werden nicht nur ihre Kinder und Freunde gerne gehen, sondern auch die Menschen von der anderen Seite. Diejenigen, denen Ihre Heimat zur eigenen Heimat geworden ist, deren Heimat also auch Ihre Heimat ist.

Vergessen wir aber nicht, die einzige, wahre Brücke ist Jesus Christus allein. Er bringt Verständnis, Verständigung und Frieden in menschliche Herzen. Er weckt die wirkliche Hoffnung. Er lädt uns ein:

    Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.



Aktuelles:

> Jahrestagung 21.-23. April 2017 in Jáchymov
> Gottesdienst auf dem Sudetendeutschen Tag 2016
> Volkszählung in der Tschechischen Republik
> Die evangelische Gemeinde in Neustadt a.T.
> 140 Jahre Friedenskirche in Eger
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> Buchempfehlung: Die Lutheraner in Böhmen und Mähren
> Oskar Sakrauskys Geschichte der DEKiBMS auf CD-ROM
> Wanderausstellung über David Zeisberger
> Neue tschechische Bibelübersetzung
> Ein Plan zur Entschädigung der Kirchen
> 60 Jahre slowakische ev.-luth. Gemeinde in Prag
> Pavel Smetana: Brücke zur Heimat (Predigt)

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