Rat an König Georg
die Verbesserung des Handelswesens in Böhmen betreffend
Ein nationalökonomischer Traktat aus dem 15. Jahrhundert
Deutsche Übersetzung von Gerhard Messler, Prag 2007
A. Vorbemerkungen des Autors
B. Zeitgenossen und Zeitumstände
C. Die Denkschrift "Rat an König Georg"
D. Literatur zum Thema
E. Anmerkungen
Vor etwa einem Vierteljahrhundert beendete der Übersetzer die dem Leser
zugedachten Vorbemerkungen eines analogen Schriftchens[1] mit "...will als Ausdruck des Wunsches
verstanden sein, im Anknüpfen an die jahrhundertealte Tradition
nachbarlichen Gebens und Nehmens zwischen Deutschen und Slawen, dort tätig
zu werden, wo dies unter den gegebenen Zeitumständen einem gegenseitigen
Näherrücken und Verstehen der Völker dienlich sein kann".
Keine der seit damals glücklicherweise stattgehabten politischen
Veränderungen hat dieses Anliegen erübrigt oder hinfällig werden
lassen. Die Abwicklung vieler rechtlicher Formalien und wirtschaftlicher
Abläufe, sowie des inzwischen möglichen technischen Miteinanders, hat
bereits bedeutende Erleichterungen erfahren. Jetzt ist es an der Zeit, sich
auch einzelnen Komponenten des historischen Erbes der beiderseitigen Nachbarn
von jenseits der Grenzgebirge zu nähern. Dabei muß es sich keineswegs
immer um spektakuläre Ereignisse oder Themen handeln. Gerade die
Vertrautheit mit ohne Emotionen erörterbaren Hintergrundinformationen oder
reizvollen Randthemen und deren Details kann Verständnis fördern und
dadurch zum Aufeiander-Zugehen und Einander-gegenseitig-Annehmen viel
beitragen.
Als solches Detail darf man die hier erstmalig in deutscher Übersetzung
vorgestellte Schrift zur Wirtschaftsförderung in den Ländern der
Böhmischen St. Wenzelskrone betrachten. Dieser Traktat wurde in den
frühen Sechziger Jahren des 15.Jahrhunderts erstellt. Er wird allgemein
als ältestes in tschechischer Sprache erhaltenes einschlägiges
Memorandum betrachtet. Auch sein Adressat, der "Ketzerkönig" Georg von
Podiebrad (Jiøí z Podìbrad, 1458-1471), nimmt in der langen
Reihe der Herrscher seines Landes eine einmalige Sonderstellung ein.
Es liegt nahe, daß die Abfassung der Übertragung ins Deutsche
für den Übersetzer neben dem sprachlichen auch unter
sachlich-inhaltlichem Aspekt ihre Reize hat. Sie verlockt nämlich, die
darin enthaltenen Empfehlungen versuchsweise im Sinne der modernen
Fachterminologie zu interpretieren. Dies schon allein darum, daß
gelegentlich dort, wo von Förderung des Handelswesens die Rede ist, aus
unserer Sicht richtigerweise von Wirtschaftsförderung gesprochen werden
müßte. Leider jedoch könnten uns derlei Gedankenspiele bei
exzessiver Praxis ins Reich der Spekulation entführen, in welchem der
Übersetzer korrekterweise nichts zu suchen hat. Dennoch soll im
Zusammenhang mit der Betrachtung des sachlichen Gehalts der historischen
Schrift nicht jeder Hinweis auf in den mitgeteilten Textaussagen enthaltene
Anklänge an moderne Denkweisen und terminologische Kategorien
unterbleiben.
So möge denn dieses Schriftchen zur Erkenntnis beitragen, daß damals
wie heute beiderseits der böhmischen Grenzgebirge Menschen lebten/leben,
bei denen Vorgänge abliefen und Ideen virulent waren/wurden, deren
anteilnehmende Kenntnisnahme und Rezeption allen Beteiligten angelegentlich zu
wünschen ist.
Angesichts der hierbei beiderseits ins Kalkül zu ziehenden Millionenzahlen
von Adressaten, erscheint ein solches sich von Fall zu Fall an alle richtendes
Postulat zwar ad personam irreal, ad rem aber ist es anzustreben und zu
fördern, um dem eingangs erwähnten Ziel, "Näherrücken und
Verstehen der Völker dienlich" zu sein!
Gerhard Messler, Leimen
Wer sein Interesse dem im deutschen Sprachraum nicht sonderlich bekannten
nachfolgenden, für einen spätmittelalterlichen böhmischen
Herrscher erstellten Gutachten zuzuwenden beabsichtigt, findet vorangesetzt
einige kurzgefaßte Randinformationen zu dessen politischem Umfeld, sowie
den damaligen Machtverhältnissen. Im Anschluß daran wird auf die
konfessionellen Entwicklungen eingegangen und die Biographie der Hauptperson
mitgeteilt. Diese Materialangaben dienen der Hinleitung jener Leser in das
zeitgenössische Umfeld, denen Einzelheiten der böhmischen
Landesgeschichte des mittleren 15. Jahrhunderts fremd sind. Den mit den
Fakten Vertrauteren kann eine kursorische Lektüre zur Rekapitulation
dienen.
Das Königreich Böhmen besetzte am politischen Schachbrett des
ausklingenden Mittelalters eine bedeutungsvolle Position. Sie war das Ergebnis
der seinem jeweiligen Herrscher etwa hundert Jahre vorher (1356)
gemäß den Resultaten der Reichstage von Nürnberg und Metz vom
damaligen Kaiser, dem Luxemburger Karl IV., zugebilligten Position des ersten
in der Reihe der weltlichen Kurfürsten des Reichs.
Nun war aber seit etwa 1420, als Folge des Erstarkens der Hussitenbewegung, im
Königreich Böhmen die Entwicklung der effektiven
Machtverhältnisse mancherlei Unwägbarkeiten unterworfen. Zugleich
stand auch die rasche Abfolge von Aspiranten und Trägern der
böhmischen St.Wenzelskrone einer nachhaltigen Konsolidierung entgegen.
Beides rief bei den Bewohnern der Nachbarländer zweifellos mancherlei
Bedenken und Ängste hervor, verhinderte aber nicht, daß das Land
weiterhin Ziel nachbarlicher Machtspekulationen und Begehrlichkeiten blieb.
Immerhin wurde damals ganz Böhmen von den zerstörenden Wirren eines
grausamen Bürgerkriegs geschüttelt. Dessen ursprünglich
konfessionelle Motivationen waren im Verlauf zunehmend von nationalistischen
und standespolitischen Beweggründen überwuchert und verfälscht
worden. Sie wuchsen so stark an, daß sie - inzwischen vielfach zu reinen
Raubzügen verkommen - sogar die Landesgrenzen überschritten. Dabei
wurden in Franken, Oberpfalz, Thüringen, Brandenburg, Meißen,
Schlesien, Oberungarn an die 700 Städte und Marktflecken
ausgeplündert und niedergebrannt. Freilich fehlte es vermöge der
geographischen Lage und überkommenen Bedeutung des Landes nicht an
Bestrebungen, ungeachtet aller Widrigkeiten das im Chaos versinkende, ehemals
attraktive Glied des Heiligen Römischen Reichs zu dessen früheren
Normen und Maßstäben zurückzuführen. Es war vergeblich.
Sowohl königliche Heere erlitten bereits im Jahre 1422 bei Kutná Hora
(Kuttenberg) und Nìmecký Brod (Deutschbrod, jetzt
Havlíèkùv Brod) blutige Niederlagen. Ebenso auch die als
"Kreuzfahrer" bezeichneten ausländischen Interventionstruppen in den
Jahren 1426 bei Ústí n/L (Aussig an der Elbe), 1427 und 1429 bei
Støíbro (Mies) und am Böhmerwaldpaß von Doma¾lice
(Taus).
Vielerorts fielen so den länger als ein Jahrzehnt andauernden, mehr von
Sozialneid als von Glaubensbegeisterung verursachten Gewaltaktionen zahlreiche
der bestehenden gesellschaftlichen Strukturen zum Opfer. Zahlreiche Burgen im
Lande waren zerstört, Kirchen und Klöster waren ihrer Insassen und
ihres Besitzes beraubt, verbrannt und ruiniert. In den gemischtnational
bewohnten Städten von Innerböhmen verlor das deutsche Bürgertum
Leben oder Existenz, in den vorwiegend deutschen Städten der Randgebiete
etablierte sich vielfach ein tschechisches Stadtregiment.
Eine langsame Beruhigung bahnte sich erst an, als, anfangend mit dem vierten
Jahrzehnt des 15.Jahrhunderts, die örtlichen, vielfach hussitischen.
Landadeligen darangingen, ihre mancherlei Beute zu arrondieren und ihren Besitz
zu konsolidieren. Auch die inzwischen im städtischen Milieu Saturierten
brannten nicht weiter auf eine Fortsetzung der Turbulenzen, zumal sich bei den
radikalen Gruppierungen der Hussiten, den Taboriten und Waisen, bezüglich
der künftigen Gestaltung des persönlichen Eigentumsrechts mancherlei
kommunistische Tendenzen abzeichneten. Allenthalben in den tonangebenden
Kreisen machten sich Neigungen zu Verhandlung und Verständigung bemerkbar.
Als äußeres Anzeichen einer gewissen Stabilisierung kann man werten,
daß an dem im Jahre 1431 nach Basel einberufenen neuerlichen Konzil
hussitische Vertreter ebenfalls teilnahmen. Darüberhinaus wandten sich die
Bestrebungen der Mächtigen wieder auch außerhalb Böhmens
gelegenen Interessen zu. Nicht anders auch Sigismund, Kronaspirant des Landes
seit 1419. Etwa zeitgleich erwarb er 1431-1433 die lombardische und die
Kaiserkrone. Ein in konfessionellen Dingen dank seiner Vermittlung, freilich
neben gleichzeitigen Anstrengungen auch anderer, zustandegekommenes
Übereinkommen mit der römischen Kurie, die "Kompaktaten", können
wir - zusammen mit den Verhandlungsergebnissen des Iglauer Landtags von 1435 -
als ursächlich dafür betrachten, daß Sigismund nunmehr erstmalig
offiziell in seine Landeshauptstadt Prag einziehen konnte. Dennoch ließ
er, von bald darauf wieder einsetzenden böhmischen und
außerböhmischen Querelen in Anspruch genommen, seinen habsburgischen
Schwiegersohn Albrecht (als deutscher König Albrecht II.), zum König
von Ungarn und Böhmen ausrufen. Die nahe Zukunft erwies diese
vorausschauende Maßnahme als sinnvoll, denn bald darauf, im Dezember 1437,
ist Kaiser Sigismund verstorben.
Ungeachtet dessen, daß der nahezu gleichzeitige Regierungsantritt von
Albrecht in Ungarn und Böhmen ohne größere Schwierigkeiten
erfolgen konnte, war der junge Herrscher vielseitig in Anspruch genommen. Nicht
zuletzt durch seine am 18. März 1438 erfolgte Wahl zum deutschen
König. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, daß das Leben dieses
Herrschers, an dessen Tatkraft sich mancherlei Hoffnungen geknüpft haben
mochten, bereits im Oktober 1439 endete. Damals war er erst 42 Jahre alt. Im
Römisch-deutschen Reich folgte ihm sein Bruder Friedrich von Steiermark
als Kaiser Friedrich III. nach. In Böhmen beerbte ihn de jure sein erst im
Jahre 1440 nachgeborener Sohn Ladislaus, eingegangen in die Geschichte mit dem
Beinamen Postumus; dessen Krönung zum König erfolgte in Ungarn
bereits im Jahre 1440, in Böhmen jedoch erst 1453. Das Amt seines Vormunds
hatte zunächst sein kaiserlicher Oheim Friedrich selbst inne. In den
böhmischen Landesangelegenheiten stand dem Prinzen ab dem Jahre 1452 der
dem Herrenstand des Landes entstammende Georg von Podiebrad und Kunstadt als
Gubernator zur Seite. Nach dem schon im Jahre 1457 erfolgten Tod des jungen
Königs Ladislaus, dessen böhmisches Königtum ebenso episodenhaft
blieb, wie dasjenige seines Vaters, wählten die böhmischen
Stände den der utraquistischen Glaubensrichtung angehörenden
bisherigen Reichsverweser Georg von Podiebrad zum König. Er ist auch
Adressat der Denkschrift, deren Vorstellung in deutscher Sprache Gegenstand des
vorliegenden Schriftchens ist.
Wegen der sich in Glaubensdingen bereits aus dem Mittelalter zur Renaissance
herrüberrankenden zahlreichen kontroversen Lehrmeinungen, nicht minder
wegen der diesen vorausgehenden/nachfolgenden außertheologischen
Aktivitäten der Zeitgenossen, zeigt die abendländische Christenheit
des 15. Jahrhunderts ein facettenreiches Bild; so auch in Böhmen. Die
damit auf verschiedenen Ebenen verbundenen Konsequenzen konnte keiner der
damaligen Mächtigen ignorieren. Jeder mußte, schon um dem Erfordernis
der Selbstbehauptung zu genügen, Stellung beziehen. Dabei ist klar,
daß die Intensität ideeller wie materieller Beteiligung an
Glaubensauseinandersetzungen, desgleichen die Würdigung der
Autoritätsansprüche einzelner Päpste oder deren schismatischer
Konkurrenten, in den verschiedenen Herrschaftsgebieten und während
bestimmter Zeitabschnitte unterschiedlich nachhaltig war. Für unsere
Betrachtung von Zeit und Person des "Ketzerkönigs" Georg von Podiebrad
sind in erster Linie die konfessionellen Verhältnisse in seinem
Königreich Böhmen nebst zugehörigen Nebenländern
(Mähren, Schlesien, Lausitz) als Hintergrundinformation relevant.
Auch für Nichthistoriker ist es naheliegend, wenn man für das
Königreich Böhmen die Zusammenfassung der dortigen konfessionellen
Verhältnisse des 15. Jahrhunderts am Wirken des Priesters und
Magisters der Prager Universität, Johannes Hus, sowie seiner Schüler,
Anhänger und Parteigänger expliziert. Hus wurde im Jahre 1415 in
Konstanz als überführter Ketzer am Scheiterhaufen justifiziert. Er
lebt aber bis heute im Bewußtsein des tschechischen Volks ebenso als
für seine Glaubensüberzeugung standhaft in den Tod gegangener
Bekenner, wie auch als schändlich verratener nationaler Märtyrer
weiter. Die deutschen Bewohner Böhmens und der Nachbarländer
versagten dem religiösen Überzeugungstäter niemals den ihm
billigerweise gebührenden Respekt; bezüglich der von seinen
Nachfolgern unter nationalem Aspekt entfesselten, bis an die Ostsee
führenden Beutezüge, die weiter oben erwähnt sind, fällt
das Urteil freilich zurückhaltender aus.
An den in der Prager Bethlehemskapelle seit dem Anfang des
15. Jahrhunderts in tschechischer Sprache gehaltenen öffentlichen
Predigten des vermutlich im Jahre 1369 im südböhmischen Hussinetz
geborenen Magisters und Professors Johannes Hus schieden sich sehr schnell die
Geister. Zunächst in den Universitätsgremien, bald danach in den
gehobenen Bürger- und Adelskreisen, endlich auch in der gesamten
Einwohnerschaft der Prager Städte und des Königreichs.
Vordergründig ging es dabei um die Lehren des Oxforder Theologen John
Wiclif (1320-1384). Dieser hatte als einzige Norm in Glaubensdingen ein streng
interpretiertes Schriftprinzip samt dessen Konsequenzen für das
Glaubensleben von Kirchenhierarchie und allen Gläubigen postuliert. Die
massenwirksame wiclifitische Argumentationsweise des Hus wuchs schnell
über den Kreis der Universitätstheologen hinaus und fiel, nicht
zuletzt dank vieler in Böhmen virulenter waldensischer
Überlieferungen, in allen Gesellschaftsschichten auf einen fruchtbaren
Boden. Dabei bewirkte eine unkontrollierbare Mundpropaganda zweifellos manche
Vergröberungen und Entstellungen, welche das ursprünglich
theologische Anliegen schnell zum nationalistischen umfunktionierten.
Vor dem Hintergrund einer religiös erregten Zeit, in welcher (1378-1417)
u.a. zwei/drei Männer gegeneinander beanspruchten, rechtmäßiger
Inhaber des päpstlichen Thrones zu sein, während gleichzeitig in
Westeuropa nationalkirchliche Ambitionen am geschlossenen Aufbau der
Christenheit rüttelten, kann es nicht verwundern, daß auch
Mitteleuropa einschlägige Erfahrungen nicht erspart blieben. Mit seinen in
Volkssprache abgefaßten Predigten und Schriften, desgleichen mit der durch
Statutsveränderung herbeigeführten "Nationalisierung" der
Universität Prag, wurde Hus im Volksbewußtsein zur Gallionsfigur
aller nationaltschechischen Bestrebungen. Er wurde im Jahre 1409 zum Rektor
gewählt und war in weitesten Kreisen so populär, daß selbst
seine im Jahre 1411 erfolgte Exkommunizierung ihn weder von seinen
Anhängern zu trennen noch die im Lande herrschende revolutionäre
Stimmung zu dämpfen vermochte. Nach mancherlei weiteren dramatischen
Zuspitzungen, deren Details andernorts mitgeteilt sind, wurde schließlich
an dem bis in die Gegenwart populären Johannes Hus, der das Hauptgewicht
seiner Bestrebungen und Interessen nach 1412 wieder theologisch-kirchlichen
Themen zugewandt hatte, am 6.Juli 1415 zu Konstanz das allgemein bekannte
grausame Exempel seiner Verurteilung und Verbrennung als Ketzer statuiert.
Entgegen manchen Erwartungen war mit dem Feuertod des Bekenners die von ihm
angestoßene Bewegung in Böhmen nicht zur Ruhe gekommen. Aber sogar in
Konstanz selbst hatte er so standhafte Anhänger, daß dort am
30. Mai 1416 sein Schüler und Jünger, Hieronymus von Prag, ihm
auf den Scheiterhaufen nachfolgen mußte. Dieses weitere Ketzerurteil und
andere Maßnahmen der Amtskirche erbitterten die Hus-Anhänger so
stark, daß es in Prag und Böhmen zu blutigen Aufstandshandlungen kam.
Sie griffen immer weiter und chaotischer um sich. Man bezeichnete sie als
religiös motivierte Rachezüge gegen den "Mörder", König
Sigismund, welcher seinem im Jahre 1419 verstorbenen Bruder, Wenzel IV., auf
den böhmischen Thron nachzufolgen berufen war. Erst in den Dreißiger
Jahren ebbte diese Schreckens-und Chaosperiode wieder ab, als deren
Protagonisten sich insbesondere die Gruppe der radikalen "Taboriten"
hervorgetan hatte.
Schon damals war eingetreten, daß auch die in der Nachfolge des Johannes
Hus Stehenden nicht zu vermeiden vermochten, was erfahrungsgemäß bis
in unsere Zeit allen eine gewisse Bedeutung erlangenden weltanschaulichen und
politischen Zusammenschlüssen zu widerfahren pflegt: abweichende
Idealvorstellungen oder -
interpretationen,
führen zur Entstehung von Fraktionen. Bei den Hussiten finden wir
zunächst die für die weitere Entwicklung der Dinge relevanten,
gemäßigten "Utraquisten", "Calixtiner" oder "Prager". Diese
Bezeichnungen erhielten sie nach ihrer Kommunionspraxis "sub utraque specie",
bzw. dem dabei verwendeten Kelch als Glaubenssymbol, bzw. ihrer Herkunft aus
Adel, städtischem (Besitz-)Bürgertum und Universität. Zu ihrem
Glaubensexercitium gehört der durch den Magister Jakob von Mies im Jahre
1415 eingeführte und von Hus noch aus Konstanz gutgeheißene
Laienkelch. Ansonsten vertraten sie den großzügigen Standpunkt,
daß im Gemeinde- und Kirchenleben alles beibehalten werden soll/darf, was
nicht Gottes Gesetz ausdrücklich zuwiderläuft.
Neben den Utraquisten bestanden als radikalere, vielfach auch aggressivere,
sich auf den hingerichteten Magister Hus berufende Gruppierung die bis in
unsere Tage unvergessenen "Taboriten", benannt nach der zwischen Prag und
Èeské Budìjovice (Böhmisch Budweis) gelegenen Stadt
Tábor. Im Rückblick können dieser Gesinnungsgemeinschaft auch
die zeitweise abgesplitterten, bzw. wieder eingegliederten und Episode
gebliebenen "Waisen" und "Horebiten" zugerechnet werden. Ihnen allen ist
gemeinsam, daß ihre Forderungen in Vielem noch über Wiciif und Hus
hinausführten. Wir finden bei ihnen ansatzweise demokratische Elemente,
aber auch phantastischen Vorstellungen zuneigende kommunistische Ideen. Ihre
Lehre wandte sich bezüglich der überkommenen Gemeindepraxis gegen
alles nicht ausdrücklich biblisch Gebotene. Die radikalen Gruppierungen
rekrutierten sich vornehmlich aus städtischen "kleinen Leuten",
weltfremden Schwärmern und der Masse des ungelehrten Landvolks.
Im Blick auf die späteren Entwicklungen des konfessionellen Lebens in
Böhmen, soll nun noch eines lokalgeschichtlich bemerkenswerten,
völlig auf der Linie Wiclif-Hus liegenden Dokuments gedacht werden,
ungeachtet dessen, daß dieses bereits etwa zwei bis drei Jahrzehnte vor
dem Zeitpunkt abgefaßt wurde, von dem ab König Georg von Podiebrad
ins allgemeine Bewußtsein von Landeskindern und übriger Welt eintrat.
Es handelt sich um die im Juni 1420 in utraquistischen Kreisen erarbeiteten und
bald danach unter dem Druck der gemeinsamen Interessen auch von den Vertretern
aller übrigen Richtungen der hussitischen Bewegung angenommenen "Vier
Prager Artikel". Sie wurden als gegenüber der römischen Kirche
allgemein anerkannte und verbindliche Glaubenssatzung beschlossen. Die
wortreich und unter Zitierung zahlreicher biblischer Belegstellen
abgefaßten, auslegungsfähigen Artikel verlangen:
1. Dem Auftrag Jesu Christi gemäße freie und unbehinderte Predigt des
Wortes Gottes im gesamten Königreich;
2. Entsprechend den Einsetzungsworten Jesu allgemeine Kommunion unter beiderlei
Gestalt mit Brot und Wein (Laienkelch);
3. Rückkehr der Geistlichkeit zur biblisch gebotenen, apostolischen Armut
der Diener des Worts und desgleichen auch der kirchlichen Institutionen;
4. Kirchenzucht sowie obrigkeitliche Strafen für Todsünden, aber auch
für im Rahmen ihrer Amtsausübung begangene Vermögensdelikte und
andere schwere Verfehlungen der Kleriker.
Einen neuen Anlauf zur Bereinigung der konfessionellen Verhältnisse und
Stabilisierung der innerkirchlichen Hierarchie, unternahm das im Jahre 1431
eröffnete dramatische Konzil von Basel. Man traf dort eine Reihe von
Entscheidungen und Gegenentscheidungen; einerseits solche, die nur
deklaratorisch blieben, andererseits auch solche, die bleibenden Bestand
hatten. Dies gilt z.B. für die Kulmination des Ringens zwischen
Episkopalisten und Kurialisten um das künftige Kirchenregiment, aber auch
für den Auszug etlicher Konzilsväter nach Ferrara (1438) und weiter
nach Florenz (1439). Das Konzil bescherte durch das in der Folgezeit allerdings
nur Papier gebliebene päpstliche Unionsdekret "Laetentur coeli" vom Jahre
1439 der westlichen Christenheit den Zusammenschluß mit den von den
Türken bedrohten orthodoxen Griechen. Den Franzosen aber eröffnete es
den Weg zu der die gallikanische Kirche ermöglichenden Sanktion von
Bourges (1438) und diente ungeachtet des großen zeitlichen Abstands als
Grundlage der Beschlüsse von Trient.
In Böhmen standen einander damals wie bisher drei konfessionelle
Richtungen gegenüber: hier Gemäßigte, da Radikale und dort
"Altgläubige" römischer Obödienz. Dabei war es um die
Stabilität des nichtrömischen Lagers sehr schlecht bestellt, und man
bekämpfte einander weiterhin sehr heftig. So kam es, daß bereits am
30.Mai 1434 das Feldheer der Taboriten beim Ort Lipany von utraquistischen
Truppen besiegt und vernichtet wurde. Im Zuge dieser Entwicklung erlangte das
Basler Konzil auch für Böhmen eine spezifische Bedeutung. Diese
bestand im Abschluß der Basler Kompaktaten von 1433. Rom bewilligte damit
den utraquistischen Hussiten zwar für die Kommunion den Gebrauch des
Laienkelchs, ließ aber die übrigen Anliegen der Vier Prager Artikel
von 1420 im wesentlichen unberücksichtigt. Dies konnte umso leichter
geschehen, als einzelne Bestimmungen, z.B. durch die inzwischen stattgehabte
Aufteilung kirchlicher Ländereien an den Landadel, einiges an materieller
Aktualität verloren hatten.
Nach Lipany bestanden zwar keine offiziellen Institutionen des radikalen
Hussitismus mehr, aber dennoch gab es im Lande noch zahlreiche über
religiöse Themen durchaus eigenbestimmt denkende Menschen. Nicht wenige
davon waren Deutsche, z.T. verfolgte Waldenser, die in ®atec (Saaz) mit
taboritischer Unterstützung eine überörtliche Basis fanden.
Hierbei stand das religiöse Anliegen über dem nationalen, so daß
man ihnen seitens der Taboriten sogar die Ausbildung und Weihe von Priestern
ermöglichte. Zugleich hatte Basel den Utraquisten zur Errichtung einer
quasi tschechisch katholischen Nationalkirche verhelfen. Dabei ist hier aber im
Vorgriff auf später Folgendes darauf hinzuweisen, daß Papst Pius II.
(Eneas Silvio de Piccolomini, 1458-1464), damals noch "Spitzendiplomat von
Kaiser Friedrich III.", der das Basler Konzil aus eigener Erfahrung kannte, die
einschlägigen Zugeständnisse des Konzils zwar als solche des Konzils,
jedoch nicht als solche des Papstes betrachtete und sie im Jahre 1462
kündigte. Er hat auch den Priester Johannes Rokycana, der vom
böhmischen Landtag 1435 zum Prager Erzbischof gewählt worden war,
niemals als geistlichen Oberhirten anerkannt.
Die zwischen den geistigen Exponenten der beiden hussitischen Grundrichtungen
weiterhin anhaltenden theologischen und philosophischen Auseinandersetzungen um
die rechte Lehre wurden auf überaus hohem Niveau geführt. Zahlreiche
uns überkommene Traktate und Abhandlungen, abweichend vom üblichen
Latein in tschechischer Volkssprache abgefaßt, sind thematisch der
zentralen Abendmahlslehre gewidmet. Hierbei vertreten utraquistische Autoren
einen dem römisch-katholischen analogen Standpunkt über die reale
Existenz des Leibes Christi im Altarsakrament, während die Taboriten an
ihrer Auffassung festhielten, daß Christus in der Gestalt von Brot und
Wein geistig gegenwärtig sei. Einen gewissen Schlußstrich bedeutete
es, daß nach einer entscheidenden Disputationsniederlage des
führenden Taboritentheologen Mikulá¹ Biskupec z
Pelhøímova (Nikolaus Biskupetz von Pilgrams), der Kuttenberger
Landtag von 1444 dem Standpunkt des Prager Erzbischofs Rokycana beitrat. Damit
waren die radikalen Hussiten aus der utraquistischen Kirche, die auch aus
römischer Sicht als rechtgläubig anerkannt sein wollte,
ausgestoßen und zusammen mit ihren übrigen Lehrmeinungen und
Praktiken als häretisch zu betrachten. Demzufolge war es ihnen auch
verboten, eigene organisatorische Strukturen aufrechtzuerhalten oder
auszubauen. Folgerichtig wurden sie im Jahre 1453 vom damaligen "Gubernator"
des Königreichs, Georg von Podiebrad, nach Eroberung ihres vormaligen
Hauptstützpunkts, der Stadt Tabor, zersprengt. Das Leben ihres ersten und
letzten Bischofs, Nikolaus von Pilgrams, endete im Gefängnis.
Um die Jahrhundertmitte waren in Böhmen - allenfalls vordergründig -
nach offizieller Eliminierung der radikalen taboritischen Strömungen die
Wogen sanfter geworden. Römische und böhmische Katholiken (d.h.
Utraquisten) hatten sich abgefunden, beiderseits wissend, daß eine
kurzfristige Veränderung des eingependelten Statusquo auch mit Gewalt
nicht durchsetzbar sei. Daneben war man sich wohl auch des nunmehr
ermöglichten symbiotischen Nebeneinanders der Konfessionen zustimmend
bewußt, welches dem Nebeneinander der beiden Machtexponenten analog war:
der König schützte die Katholiken, der Gubernator die Utraquisten.
Dennoch hatte sich bei nicht wenigen Zeitgenossen die Gedankenwelt des
jahrzehnteweit zurückliegenden waldensisch-wiclifitischen Vätererbes
erhalten und wirkte fort. Seine Anhänger waren vorwiegend an
urchristlichen Idealen orientierte, friedensbereite Menschen. Sie lebten als
Stille im Lande, vermieden Polemik und verfolgten keine missionarischen
Zieletzungen. Im Umgang mit den kirchlichen Institutionen vermieden sie
dogmatische Konflikte. Einer ihrer führenden Repräsentanten, Petr
Chelèický (Peter von Cheltschitz), hatte dies in dem Sinne
formuliert, daß man ins Ringen um die tschechische Nationalkirche nicht
eingreifen, sondern mit ihr äußerlichen Frieden bewahren, innerlich
aber nichts zu tun haben wolle. Aus seinem von Resten der böhmischen
Waldenser und Taboriten verstärkten Umkreis ging die Unität der
Böhmischen Brüder hervor, welche im Jahre 1457 in Ostböhmen ihre
erste Gemeinde begründeten. Sie waren Pazifisten, bestritten ihren
Lebensunterhalt als Handwerker, lehnten Eidesleistung, Waffendienst und
öffentliche Ämter ab. Dennoch verfolgte sie der Utraquist Georg von
Podiebrad mit Nachdruck. Er wollte dem Papst keinen Anlaß zum Vorwurf
liefern, daß er in seinem Lande ketzerische Häretiker dulde oder gar
unterstütze. Vergebens! Bereits 1462 kündigte Pius II. die Basler
Kompaktaten, und schon 1466 belegte er den Böhmenkönig mit dem
Kirchenbann. Dieser Schlag konnte auch durch die im Jahre 1467 seitens der
Brüder erfolgte Trennung von der utraquistischen Kirche mittels Wahl eines
eigenen Bischofs nicht abgewehrt werden.
Damit blieben die kirchlichen Verhältnisse in Böhmen weiterhin
kontrovers und schwer überschaubar. Immerhin gelangte man am Kuttenberger
Landtag von 1485 so weit, daß römisch-katholische und
"tschechisch-katholische" (utraquistische) Kirche einander als offizielle
Landesbekenntnisse anerkannten, wohingegen die Böhmischen Brüder
sowohl im Jahre 1503, wie auch 1508 für vogelfreie ketzerische Sektierer
erklärt wurden.
Ohne den Vorwurf der Übertreibung herauszufordern, darf man König
Georgius Primus wie er sich auf den Prager Groschen seiner Regierungszeit
selbst nennt, als singuläre Erscheinung nicht nur unter allen Trägern
der böhmischen St. Wenzelskrone, sondern auch im Kreise der
zeitgenössischen Herrscher als merkwürdigsten Monarchen seiner Zeit
bezeichnen. Diese Wertung wird allgemein geteilt und begleitete ihn durch die
Jahrhunderte. Vordergründig geht es dabei um die Problematik der
Legitimität des vom kurialen römischen Katholizismus bestrittenen,
vom territorial emanzipierten hussitischen Utraquismus aber gestützten
Königtums. Daneben war er zwar Nutznießer des zu seiner Zeit einander
bereits seit Jahrhunderten symbiotisch begegnenden tschechischen und deutschen
Kulturerbes, dabei aber auch mancherlei Belastungen durch nationale
Unterschiedlichkeiten ausgesetzt. Damit wurde er automatisch zur Leit- und
Integrationsfigur widersprüchlicher Richtungen, konnte indessen niemals
sein gesamtes Herrschaftsgebiet qua "Natio Bohemica" repräsentieren, weil
darin stets auch Katholiken oder Deutsche oder Polen inbegriffen hätten
sein müssen. Er ist eine jener interessanten Gestalten der Weltgeschichte,
die eine Stellungnahme ihrer Betrachter förmlich herausfordern. Dabei
stoßen wir hier auf das Paradoxon, daß der historische Georg von
Podiebrad es zeitlebens vermochte, sich seinerseits den ihm immer wieder
abgeforderten offiziellen Entscheidungen persönlich zu entziehen. Zur
Illustration dessen sollen hier in Kurzfassung Angaben zu Lebenslauf,
Bezugspersonen und herrscherlichem Wirken des Adressaten jenes
Wirtschaftsmemorandums geboten werden, dessen vollständige
deutschsprachige Edition Gegenstand des vorliegenden Schriftchens ist.
Der nachmalige König Georg von Podiebrad entstammte einer bereits zur Zeit
König Wenzel I. (1205-1253) als Burggrafen u.a. der mährischen
Landeshauptstadt Olomouc (Olmütz) in Erscheinung getretenen Familie[2]. Einer ihrer späteren Vertreter, der
mährische Herrenstandsangehörige Boèek von Kun¹tat, erwarb
das böhmische Incolat und setzte sich auf der im östlichen
Mittelböhmen gelegenen Burg Podìbrady (Podiebrad) fest. Dort wurde
Georg als Sohn des Viktorin von Podiebrad am 23. April 1420 geboren. Seine
Mutter, Anna von Vartemberk (Wartenberg) entstammte einem im Laufe der
Landesgeschichte, vielfältig auch als "Herren von Ralsko", in Erscheinung
getretenen Seitenzweigs des bedeutenden Hauses der Witigonen. Da Viktorin
bereits anfangs des Jahres 1427 verstarb, übernahm ein Verwandter, Herald
von Kun¹tat (Kunstadt) und Lestnice (Lestnitz) bis zu Georgs im Jahre 1437
erlangter Volljährigkeit die Verwaltung des Erbes. In jener Zeit nannte
sich Georg gelegentlich auch nach den Herrschaften Buzov (Busau), Chornice
(Kornitz) oder Tøebova (Mährisch Trübau).
Der nur fünf Jahre nach dem spektakulären Feuertod des Mag. Johannes
Hus geborene Georg war von frühester Jugend an mit den das Land
erhitzenden politischen und religiösen Leidenschaften konfrontiert worden.
Einen Höhepunkt derselben bildete die 1434 in der Schlacht von Lipany
(Lipan) ausgetragene Entscheidung zwischen den die Basler Kompaktaten
vertretenden Utraquisten und deren radikalen taboritischen Gegnern, welche mit
der Niederlage der letzteren endete. In den die Öffentlichkeit bewegenden
landespolitischen Dingen schloß sich der junge Standesherr Georg den
vielseitigen Aktivitäten seines persönlichen Vorbilds, Hynek/Hynce
(Heinrich) Ptáèek von Pirkstein an. Mit ihm verband ihn eine bis zu
dessen Tod währende enge persönliche Freundschaft. Kurz nach dem Tod
von König Albrecht (1439) wurde Georg zusammen mit Jan Smiøický
zum Hauptmann des Bunzlauer Kreises gewählt. Von da an finden wir ihn
vielfach als Teilnehmer in aktuelle Ereignisse des politischen Zeitgeschehens
eingebunden. So nahm er z.B. im Mai 1441 an einer militärischen
Intervention gegen Jan Kolda ze ®ampachu teil[3]. Bereits wenig später gehörte er dem
Reisegefolge der Kaiserin Barbara[4] von Chrudim
nach Mìlník, wo sie während der Vierziger Jahre lebte, an. Auch
der im März 1442 zu Königin Elisabeth[5] und König Friedrich[6] abreisenden Gesandtschaft zwecks Klärung
der Bedingungen einer böhmischen Kronprätendentur des 1440 geborenen
Prinzen Ladislaus (Postumus) gehörte Georg von Podiebrad an.
Im Jahre 1444 verstarb Hynek Ptáèek von Pirkstein. Er hatte das
große Verdienst, als Nichttheologe zwischen dem profilierten Geistlichen
Jan Rokycana und dessen Pøíbramer Gegner Petr Chelèický
((Peter von Cheltschitz) vermittelt und dadurch die utraquistische Einheit
gestärkt zu haben. Bereits damals hatte der vierundzwanzigjährige
Georg sowohl als politischer Praktiker wie auch als staatsmännisch
denkender Kopf so hohes Ansehen gewonnen, daß die utraquistische
Herrenunion ihn in Kutná Hora (Kuttenberg) zu ihrem Führer erkor. Man
darf unterstellen, daß diese Wahl ihm nahezu automatisch auch die vorher
von Ptáèek innegehabten Kreishauptmannschaften von Kouøím,
Èáslav (Tschaslau), Chrudim und Königgrätz einbrachte. Da
ist es nicht verwunderlich, daß den jungen Landespolitiker auch mit dem
geistlichen Exponenten der Utraquisten, Jan Rokycana, mancherlei Beziehungen
verbanden, denen sowohl praktische wie dogmatische Affinitäten zu Grunde
lagen. Anfangs 1445 erwählte Kaiserin Barbara den jungen Standesherrn von
Podiebrad zu ihrem Bevollmächtigten, den sie mit der Wahrnehmung ihrer
gesamten im Lande gelegenen Rechte und Interessen betraute. Immerhin verblieb
diesem daneben aber noch hinlänglich Zeit zur Erledigung familiärer
Angelegenheiten. So etwa gelang es ihm, im Oktober 1445 die im Vorjahr erfolgte
treulose und verräterische Hinrichtung seines Vormunds Herald von Kunstadt
und Lestnitz durch die Brünner, welche das ganze Land in Erregung versetzt
hatte[7], zu rächen.
Aber auch die "große" Politik nahm Georg in Anspruch. So war er an den mit
dem römisch-deutschen König Friedrich geführten Verhandlungen um
die Annahme von dessen Mündel, Prinz Ladislaus; als König von
Böhmen beteiligt. Georgs Hauptwidersacher, Ulrich von Rosenberg, zog den
Ablauf bewußt in die Länge, ebenso wie er auch die Auseinandersetzung
mit der römischen Kurie um die Basler Kompaktaten und die Installation
Rokycanas als Prager Erzbischof erschwerte. Ein Versuch des im Jahre 1448 als
päpstlicher Nuntius in Prag eingetroffenen Kardinals loannes von Carvajal,
die konfessionellen Gespräche neu anzustoßen, endete nach mancherlei
Mißhelligkeiten mit dessen Flucht aus der Stadt. Dabei gelang es Georg,
ihm bei Bene¹ov (Beneschau) die beschlagnahmten Kompaktaten wieder
abzujagen. Dies stärkte seine Stellung innerhalb des utraquistischen
Lagers ganz beträchtlich. Dort war man inzwischen zur Meinung gelangt,
daß auf dem Verhandlungswege in Böhmen stabile
Konfessionsverhältnisse wohl nicht erreichbar sein würden. Deshalb
einigten sich die utraquistischen Herren im Juni 1448 zu Kuttenberg auf eine
radikalere Vorgehensweise. Hierzu kam ihnen ein Besuch Ulrichs von Rosenberg
bei Friedrich in Österreich sehr zustatten. Am 3. September, vor
Tagesanbruch, drangen Georgs Parteigänger ohne auf Widerstand zu
stoßen, in die Hauptstadt Prag ein, die sie im Handstreich nahmen. Der
Oberstburggraf, Meinhard von Hrádek, wurde festgenommen und nach Podiebrad
in Gewahrsam gebracht. Unter dem Jubel des Volks wechselte Georg das
Stadtregiment aus und berief, während der Adel sich fügte, auch den
als Repräsentant des gesamten utraquistischen Klerus allseits anerkannten
Jan Rokycana in die Stadt. Freilich kam es damals auch zu nicht
unbeträchtlichen Klöster-, Deutschen- und Judenplünderungen, die
erhebliche Turbulenzen und Abwanderungen zur Folge hatten. Georg bemühte
sich zielstrebig, die Wogen zu glätten. Er verhielt sich in der Stadt
äußerst maßvoll, verfolgte keinen der Amtsenthobenen und berief
als Nachfolger Meinhards den Spitzenmann der römisch-katholischen Herren,
Zdenko Konopi¹tský von Sternberg.
Ungeachtet dessen, daß die böhmischen Stände Georg von Podiebrad
zum Reichsverweser ernannt hatten, dauerten die Spannungen weiterhin an, und
beide Seiten suchten auch im Ausland Verstärkung. Dennoch brachte weder
die seitens des Rosenbergers erfolgte Einbeziehung Friedrichs von Meißen,
noch Georgs Allianz mit Wilhelm von Meißen und Markgraf Friedrich von
Brandenburg eine dauernde Stabilisierung der Lage. Immerhin kam man
überein, neuerlich bei König Friedrich, der sein Mündel den
streitenden Parteien nicht ausliefern wollte, zwecks Überstellung von
Prinz Ladislaus Postumus nach Böhmen zu intervenieren. Das Ergebnis war
ein im Juli 1451 zu Bene¹ov nad Èernovce erfolgtes Zusammentreffen
der böhmischen mit einer österreichischen Gesandtschaft. Kurzfristig
gesehen war diese Begegnung zwar ergebnislos, führte indessen Georg von
Podiebrad erstmals mit dem Bischof von Siena, dem vielseitigen
Spitzendiplomaten Friedrichs, Enea Silvio de Piccolomini, persönlich
zusammen.
Von dem auf den St. Georgstag 1452 einberufenen Landtag wurde Georg von
Podiebrad angesichts der Minderjährigkeit des Kronprätendenten
einstimmig zum Gubernator des Königreichs Böhmen erwählt, er
bemächtigte sich ohne zu zögern der Kroneinkünfte, besetzte
Gerichte und Landesämter neu und wandte sich ungesäumt der
Herstellung von Recht und Frieden im Lande zu. Trotzdem aber war Ulrich von
Rosenberg noch nicht gesonnen, Georg als Sieger anzuerkennen. Um Einfluß
zu gewinnen, strebte er danach, sich des jungen Ladislaus zu bemächtigen.
Deswegen verband er sich auch bei Friedrichs zwecks seiner Krönung zum
römisch-deutschen Kaiser erforderlicher Romfahrt von 1451[8] während dessen Abwesenheit mit
aufrührerischen österreichischen Standesherren. Georg zögerte
nicht, dem Kaiser mit Waffengewalt beizustehen. Beim Anmarsch eroberte er die
vormals dem radikalhussitischen Flügel gehörige Stadt Tábor.
Dieses mußte auf seine dort noch erhalten gebliebenen kirchlichen
Bräuche sofort verzichten und sich den Utraquisten angleichen. Auch
Hluboká (Frauenberg) wurde schnell genommen, und selbst in Èeské
Budìjovice (Böhmisch Budweis) war der Widerstand Ulrich von
Rosenbergs vergebens; er mußte kapitulieren und Georg von Podiebrad als
Landesgubernator anerkennen.
Inzwischen hatte der Kaiser seinen von Ulrich Eitzinger und Ulrich von Cilly
angeführten bisherigen Gegnern den bereits 1440 zum König von Ungarn
gewählten Prinzen Ladislaus übergeben. Nach Verhandlungen mit diesen
beiden wurde im Jahre 1453 Ladislaus offiziell auch als König von
Böhmen akzeptiert, und Georg von Podiebrad für weitere sechs Jahre im
Gubernatorenamt bestätigt. Erst im Oktober traf Ladislaus in Jihlava
(Iglau) ein. Nach seiner Ankunft und Krönung in Prag
(28. 10. 1453) ernannte er im Zuge der Neuregelung von vielerlei
Landesangelegenheiten den Gubernator Georg von Podiebrad zum Allerhöchsten
Hofmeister. Als solcher begleitete Georg den König ausgangs Dezember 1454
nach Breslau und im Jahre 1455 nach Wien. Im Jahre 1456 gewann er von den
sächsischen Fürsten Most (Brüx) und beendete durch die Eroberung
von Nachod die Schrankenlosigkeit des Usurpators Jan Kolda. Zwischen Ladislaus
und Georg bestand eine nur minimale persönliche Sympathie. Die
Animosität des jungen Königs gegenüber Georg, dessen
Ratschläge er nur mit Widerwillen zur Kenntnis nahm, war von Anfang an
unübersehbar. Es dauerte auch sehr lange, bis es Georg gelang, König
Ladislaus aus Wien wieder nach Prag zu bringen. Am 29. September 1457 traf
der junge Herrscher endlich ein, um bald danach, am 23.November 1457, in Prag
zu sterben.
Als primär erwägenswerte Kandidaten für Ladislaus Nachfolge auf
dem böhmischen Königsthron, vorwiegend auf Grund verwandtschaftlicher
Beziehungen, galten: Friedrich von Brandenburg, Albrecht VI., Sigismund von
Tirol, Herzog Wilhelm von Sachsen, König Kasimir von Polen. Neben ihnen
aber auch Georg von Podiebrad, der, obwohl nicht fürstlichen Geblüts
aber utraquistischer Tscheche, letztlich als Sieger über alle anderen
hervorging.
Georgs Königswahl durch die böhmischen Stände fand - allerdings
unter Mißachtung bestehender Erbverträge und ohne Beteiligung der
Nebenländer - am 2. März 1458 statt. Seine Krönung zum
König von Böhmen erfolgte am 7. Mai 1458 in der Prager
Theynkirche. Sie wurde in Vertretung des zum Erzbischof designierten
Utraquisten Jan Rokycana, dem Rom aber beharrlich die Anerkennung verweigerte,
von zwei ungarischen Bischöfen ausgeführt. Freilich hatte der
König sich am Vortage gegenüber der römischen Kurie in einem
geheimen Revers verpflichten müssen, die Seelenheilsgleichwertigkeit
sowohl der unter einerlei wie unter beiderlei Gestalt empfangenen Kommunion
anzuerkennen, die römischen Katholiken niemals zu verfolgen und die
Ketzerei in seinen Landen auszutilgen. Georgs Königswahl stieß nicht
von vornherein in allen Gebieten seines Reichs auf volle Zustimmung.
Mährens deutsche Städte Brünn, Olmütz, Iglau, Znaim
verweigerten ihm die Anerkennung. So sah sich Georg vor der Notwendigkeit, zu
allererst die allgemeine Anerkennung seines Königtums sicherzustellen, und
dies nicht nur bei den Mächtigen innerhalb seines eigenen
Herrschaftsbereichs, sondern auch bei den benachbarten auswärtigen
Mächten.
Den König von Ungarn, Matthias Corvinus, gewann er, indem er ihm seine
Tochter Katharina verlobte. Die mährischen Stände unterwarfen sich
endlich doch, ausgenommen Iglau, das mit Gewalt bezwungen und blutig bestraft
wurde. Im Zuge einer Zusammenkunft mit Kaiser Friedrich III. vor Wien, wurden
Albrecht und Sigismund von Tirol bewogen, allen Ansprüchen auf die
böhmische Königskrone zu entsagen. Beim Landtag von Eger (1459)
einigte sich Georg mit den sächsischen Nachbarn, Kurfürst Friedrich
und Wilhelm, über seit 1453 bestehende Meinungsverschiedenheiten, betreffs
der böhmischen Städte Most (Brüx), Osek (Osseg) und Duchcov
(Dux) darauf, daß sie auf diese verzichteten, dafür aber mit einer
Reihe in den Territorien von Meißen und Thüringen gelegener
Herrschaften der böhmischen Krone belehnt wurden. Diese Abmachungen wurden
auch familiär untermauert: Georgs Tochter Zdenka (Sidonie) wurde mit
Albrecht, dem Sohn Kurfürst Friedrichs, und Wilhelms Tochter Margarete mit
Georgs Sohn Hynko (Heinrich) verlobt. Damals erfreute sich Georg eines ihm auch
seitens der auswärtigen Potentaten gezollten hohen Respekts, zumal es ihm
gelang, auch mit den Kurfürsten von der Pfalz und Brandenburg
Freundschaftsverträge abzuschließen. Selbst die sich in dieser
Situation isoliert fühlenden Schlesier und Lausitzer unterwarfen sich dem
König. Allein die Stadt Breslau verharrte abseits.
In jenen Tagen bestieg nach dem Tode des friedfertigen Papstes Calixtus III.
(6. 8. 1458), der bereits erwähnte vielseitige Diplomat und
Gelehrte Enea Silvio de Piccolomini, ein exzellenter Kenner der
abendländischen Machtstrukturen, einschließlich jener des Hofs und
Reichs von Kaiser Friedrich III., als Pius II. den päpstlichen Thron. Ihm
lag, aktualisiert durch den 1453 erfolgten Fall von Konstantinopel, eine
ernergische Eindämmung des Vordringens der muselmanischen Türken auf
dem Balkan am Herzen. Für einen deswegen geplanten abendländischen
Kreuzzug kam dem Königreich Ungarn eine erhöhte Bedeutung zu. Dort
aber war ein Teil der Magnaten mit der Herrschaft von König Matthias so
unzufrieden, daß man, nachdem Georgs Sohn Heinrich abgelehnt hatte, Kaiser
Friedrich III. zum König von Ungarn erwählte. Stark bestimmt durch
seinen Kreuzzugsplan, neigte Pius II. in der ungarischen Königsfrage eher
zu Matthias. Was Wunder, daß der bedrängte Kaiser seinen angesehenen
Nachbarn Georg von Podiebrad um Unterstützung anging. Um bei dieser
Interessenlage die Position ihres Favoriten Matthias zu stärken,
mußte die Kurie ein Zusammenwirken des Kaisers mit dem, allerdings beiden
Seiten Avancen machenden, Böhmenkönig hintertreiben. Der Kaiser
seinerseits nützte die Gelegenheit der offiziellen Belehnung Georgs mit
dem Königreich Böhmen (Brünn, Juni 1459) weidlich aus, sich
dessen Verbundenheit zu sichern. Er erhob Georgs Sohn Viktorin in den
Reichsfürstenstand. Dazu ließ er ihm auch andere
Wohlwollensbekundungen zukommen, wie die Landeshauptmannschaft in Mähren,
sowie das Recht der Münzprägung in der Grafschaft Glatz und dem
Herzogtum Münsterberg. So erfolgte daneben die Erneuerung mancher zwischen
österreichischen und böhmischen Herrenstandsfamilien bestehender
Erbverträge. Hinzu kam ein kaiserliches Privileg, daß die
böhmischen Länder zu künftigen Krönungs-Romfahrten 150
Reiter oder ebensoviele Pfund Silbers beistellen sollten[9]. Georg selbst wurde zum Vormund von Friedrichs
Sohn Maximilian und Erben Österreich für den Fall bestimmt, daß
der kaiserliche Prinz bereits als Minderjähriger sterben sollte.
Unmittelbar darauf versöhnte sich der Stellvertreter des Kaisers, Albrecht
von Brandenburg, mit Georg. Zudem wurde dieser von den bayerischen Fürsten
und dem Kaiser selbst zwecks Regelung ihrer strittigen Angelegenheiten zum
Schiedsrichter erwählt. Endlich gebot der Kaiser den Breslauern, Georg als
Herrscher anzuerkennen. Am 1. September 1459 leisteten die Schlesier, am
21. September die Lausitzer in Schweidnitz bzw. Jauer den Treueeid. Auch
die Breslauer bequemten sich (3. Jänner 1460) zu Georgs Anerkennung,
wenn auch mit der Einschränkung, sich momentan zwar den Gegebenheiten zu
unterwerfen, den förmlichen Eid aber erst nach drei Jahren leisten zu
wollen.
Damals mag es wohl gewesen sein, daß bei König Georg erste
Überlegungen keimten, sich als Initiator eines gegen die Türken zu
konzipierenden allgemeinen Friedensplans der römischen Kirche
unentbehrlich zu machen und der gesamten Christenheit als "conservator pacis
per totum Imperium" zum Retter des Abendlands, Obersten Reichsfeldherrn und -
mit etwas Glück - gar zum Träger der römisch-deutschen
Königskrone anzudienen. Über dieses ehrgeizige Projekt, das man
inzwischen ziemlich einhellig Georgs Rat, dem vormaligen Mainzer Kanzler
Dr. Martin Mayr (Mayer, Maier)[10]
zuschreibt, wurde an anderer Stelle berichtet[11]. Es leuchtet ein, daß von solchen
Spekulationen Kaiser Friedrich III. nicht unberührt bleiben konnte.
Immerhin hatten auch die unzufriedenen Standesherren in Österreich und
Ungarn Georg um Unterstützung gebeten, die ihnen nicht abgeschlagen wurde.
Georg war nämlich zur Auffassung gelangt, daß eine
grundsätzliche Verbesserung seiner Beziehungen zu König Matthias
erwägenswert sei. So kam es bereits im Jahre 1460 in Ko¹ice (Kaschau)
und wiederum 1461 in Trenèín (Trentschin) zu einvermehmlichen
Kontakten. Als dann die Verhältnisse im Reich zu militärischen
Aktionen führten, stand Georg gegen den Kaiser. Auch wurde im Juni 1462
der brandenburgische Kurfürst in Guben genötigt, die Niederlausitz
bis auf Cottbus gegen Ersatz von 10.000 Schock Böhmischer Groschen der
böhmischen Krone abzutreten.
Ungeachtet seiner in den frühen Sechziger Jahren erlangten,
vordergründig allseits gesicherten Position im Kreise der
Reichsfürsten, kam Georg von Podiebrad sehr bald in die Lage, sich rundum
defensiv verhalten zu müssen, um nicht zwischen den Mühlsteinen an
ihn von außen herantretender Erwartungen Dritter zerrieben zu werden.
Daß dabei angesichts seines glänzenden Aufstiegs auf einen
Königsthron neben seinen wirklich oder nur vermeintlich abgegebenen
Zusagen auch persönlicher Neid eine Rolle spielte, liegt nahe. Tatsache
ist, daß man sowohl seitens der römischen Kurie als auch seitens der
utraquistischen böhmischen Herren von ihm eine jeweils antagonistische
Politik einforderte. Seitens der Utraquisten war dies die uneingeschränkte
Einhaltung der am Basler Konzil 1433 analog den Vier Prager Artikeln von 1420
fixierten Kompaktaten. Seitens der Kurie bestand die Forderung von Georgs
vorbehaltloser Unterwerfung unter die Autorität des Papstes, welche
Voraussetzung einer "internationalen" Legitimierung seines Königtums war.
Diese Gegensätzlichkeiten belasteten Georgs gesamte Regierungszeit. Zwar
erwies er sich dabei keineswegs als der Schwächling am Königsthron,
den manche erhofft haben mögen, dennoch konnte er nicht immer
Maßnahmen vermeiden, die ihm persönlich contre coeur waren. So etwa,
als er 1461 offiziell gegen die stark angewachsenen Böhmischen Brüder
einschritt, um sich dem insistierenden Papst gegenüber ein Alibi zu
schaffen. Dennoch erwies dieser Beschwichtigungsversuch sich als untauglich,
denn Pius II. erhöhte fortlaufend seine Forderungen. Endlich legte er
Georgs vor seiner Krönung abgegebene Verpflichtungserklärung gar
dahingehend aus, daß der König dadurch zum römischen
Katholizismus konvertiert und zur ungesäumten, vollständigen
Austilgung des Utraquismus in seinen Ländern verpflichtet sei. Von dieser
überextensiv interpretierten Auslegung seines Versprechens in die Enge
getrieben, entschloß sich Georg, eine Sondergesandtschaft nach Rom zu
senden. Sie sollte Pius II. der ungebrochenen Ergebenheit des Königs
versichern und dabei im Gegenzug eine neuerliche Bestätigung der
Kompaktaten erwirken und mitbringen. Der Papst indessen hob die Kompaktaten
abseitig auf, nachdem sich Georg am 12.August 1462 vor dem böhmischen
Landtag als Verteidiger des Kelchs erklärt hatte. Dies geschah auch
deshalb, weil der päpstliche Legat Fantinus de Valle ihn eidbrüchig
genannt hatte und vom beleidigten König verhaftet worden war. Damit war
für Georg sein Streit mit der römischen Kurie in ein neues Stadium
getreten. Später kam hinzu, daß Georg seiner am 15. Juni 1464
durch Pius II. erfolgten Zitation vor ein Ketzergericht ebensowenig Folge
leistete, wie deren Wiederholung durch Papst Paul II. am 2. August 1465.
So kam es, daß nach Verstreichen der ihm gesetzten Fristen am
23. Dezember 1466, König Georg von Podiebrad mitsamt seiner Familie
als verstockter Ketzer endgültig exkommuniziert und für seiner
Königswürde entkleidet erklärt wurde.
Gleich anfangs dieser dramatischen Entwicklung hatten die Breslauer die
Ablehnung des Georg in Aussicht gestellten Lehenseids wahrgemacht. Bald folgten
auch Aufrufe an Schlesier und Lausitzer zur allgemeinen Ablehnung des
Ketzerkönigs. Ansonsten fanden die kurialen Maßnahmen gegen Georg
nicht nur bei jenen Zustimmung, die Georg aus Glaubensgründen ablehnten,
sondern auch bei allen anderen, die ihn aus unterschiedlichsten Motiven
haßten. Die Mehrzahl der Letztgenannten stellten böhmische Herren,
angeführt durch Zdenko Konopi¹tský von Sternberg. Georg
mißfiel ihnen wohl als energischer Herrscher, der den oligarchischen
Bestrebungen des böhmischen Adels widerstand. Man bildete eine
Opponentenorganisation, veranstaltete Zusammenkünfte und streute haltlose
Gerüchte gegen den König aus. Deren Inhalt indessen schenkte der
Kaiser Glauben und verbündete sich mit den böhmischen Herren. Am
25. November 1465 schloß man in Zelená Hora (Grünberg)
einen förmlichen Bund, der seinerseits mit dem Papst paktierte und
insbesondere anregte, anstatt Georgs den polnischen König Kasimir auf
Böhmens Thron zu installieren, was der Pole indessen ablehnte. Dennoch war
eine Sicherung von Georgs Position nur noch mit kriegerischen Mitteln
möglich.
So wurden denn alsbald die befestigten Burgen der Widerstand leistenden
Standesherren belagert, und gegen die Breslauer war Georgs Sohn das
Kriegsglück hold. In der Lausitz vermochte Georg sich nur in Hoyerswerda
zu behaupten. Im Juli 1467 bemühte man sich vergeblich, in Nürnberg
aus dem Kreise der deutschen Fürsten Verbündete gegen Georg zu
gewinnen. Der als einziger Hilfswillige, Herzog Ludwig von Bayern, wurde am
22. September 1467 bei Nýrsko (Neuern) geschlagen. Zugleich erwies es
sich als schwierig, einen ernstzunehmenden neuen Aspiranten auf den
böhmischen Königsthron zu erlangen. Nach König Kasimir hatte
Herzog Karl von Burgund ebenso abgelehnt, wie der Brandenburger Kurfürst
Friedrich, bis es den Unzufriedenen endlich gelang, in Matthias Corvinus einen
in ihrem Sinne präsentablen Kandidaten zu interessieren.
Freilich war dabei allen Beteiligten klar, daß König Georg freiwillig
nicht resignieren, mithin Waffengewalt entscheidend sein werde. Somit kam es am
31.März 1468 zur offiziellen Kriegserklärung des sich als Protektor
des Katholizismus ins Geschehen einführenden Ungarn. Die Kämpfe
gingen hin und her, Matthias vermochte es, das Städtchen
Tøebíè (Trebitsch) zu nehmen. Daneben befanden sich bereits auch
Olmütz, Brünn und andere mährische Städte in seiner Hand.
Aber auch in der Lausitz (Hoyerswerda) und Schlesien (Frankenstein) verlor
Georg Terrain. Im Jahre 1469 rückte Matthias gar auf das böhmische
Kutná Hora (Kuttenberg) vor. Dabei wurde er aber bei Vilémov
(Wilimow, Kreis Havlíèkùv Brod) von den böhmischen Truppen
umschlossen. Nur vermöge eines großmütigen Angebots König
Georgs (28. Feber 1469) vermochte Matthias eine entscheidende Niederlage zu
vermeiden. Dabei mußte er König Georg geloben, sich für dessen
Aussöhnung mit dem Papst zu verwenden und auch die Kriegshandlungen
einzustellen. Indessen waren diese Versprechungen kaum sehr ernsthaft gemeint,
denn bereits am 9. Mai 1469 ließ sich Matthias zufolge einer
diesbezüglichen Offerte der Grünberger Union in Olmütz zum
böhmischen König wählen. Kurz danach konnte er die Huldigung von
Breslau und etlichen schlesischen Fürsten entgegennehmen; die Lausitz
hatte sich bereits 1467 von Georg ab- und Matthias zugewandt.
Die nochmalige Exkommunikation des Ketzers und seiner Anhänger, sowie die
Bedrohung aller Sympathisanten mit dem Interdikt (20. August 1469),
führten nebst mannigfachen anderen Widrigkeiten bei Georg von Podiebrad
zur bitteren Einsicht, daß es ihm nicht gelingen werde, die böhmische
St. Wenzelskrone innerhalb seiner Familie zu erhalten und somit analog zu
seinem einstmaligen Vorgänger, Fürst Przemysl, eine landeseigene
Herrscherdynastie zu begründen. Er bot deshalb die Krone dem polnischen
Königshaus für Prinz Wladislaw an, während der Krieg auf einem
sich ausweitenden Kampfgebiet seinen blutigen Verlauf fortsetzte. Im Jahre 1470
unternahm Matthias neuerlich erfolglose Vorstöße in den Raum von
Kuttenberg und Kolín. Inzwischen aber hatten die vielen blutigen
Kriegshandlungen und kostenträchtigen Strapazen verständlicherweise
bei allen Beteiligten die Kriegslust erlahmen und die Siegeszuversicht sinken
lassen. Weder Matthias noch Georg, weder der Papst noch die böhmischen
Herren mochten weiterkämpfen. Allseitig breitete sich eine Tendenz zu
Waffenstillstand und Friedensverhandlungen aus. Deren erste Präliminarien
waren eingeleitet, als am 22. März 1471 König Georg von
Podiebrad an Wassersucht verstarb. Man bestattete seinen Körper an der
Seite von König Ladislaus Postumus im Prager St. Veitsdom, einen Teil
der inneren Organe aber in einem Holzfäßchen neben seinem
langjährigen Weggefährten, dem "Hauptpfarrer am Theyn" Jan Rokycana,
an dessen Wirkungsstätte im Herzen der Altstadt von Prag.
Im weiteren Verlauf der Historie trat die Familie des "Ketzerkönigs" nicht
mehr besonders hervor. Daran änderte nichts, daß seine von ihm mit
Troppau, Münsterberg, Frankenstein sowie Glatz belehnten und vom Kaiser in
den Reichsfürstenstand erhobenen Söhne später zum Katholizismus
übertraten. Im Mannesstamm erlosch das Haus Podiebrad bereits im Jahre
1647, hingegen wurde Georgs mit Herzog Albrecht I. verheiratete Tochter Sidonie
zur Stammmutter des sächsischen Königshauses.
(zweiter Teil)
[1]
Messler, Gerhard, Das Weltfriedensmanifest König
Georgs von Podiebrad - Ein Beitrag zur Diplomatie des 15.Jahrhunderts, deutsche
Übersetzung; Johannes-Mathesius-Verlag, Kirnbach 1973.
[2]
Urbánek, Bd.IV, Seite 14.
[3]
An dieser Aktion mag Georg besonders ambitioniert teilgenommen haben, denn
der bekämpfte Kolda hatte erst wenige Jahre vorher (1437) die Georg von
Podiebrad gehörigen Besitztümer Náchod und Èernikovice
unter Assistenz seines Verwandten Mike¹ Hlo¹ek ze ®ampachu mit
Gewalt an sich gebracht.
[4]
Barbara von Cilly, 2. Gemahlin <1408) von Kaiser Sigismund, dem
2. Sohn von Kaiser Karl IV., verstorben 1451.
[5]
Tochter von Kaiser Sigismund. Verheiratet 1421 mit König (1438) Albrecht
von Böhmen, verwitwet 1439.
[6]
Römisch-deutscher König 1440 und Vormund von Ladislaus Postumus.
[7]
Urbánek, Bd.IV, Seite 132.
[8]
Diese war die erste Krönung eines Habsburgers in Rom, zugleich aber auch
die letzte dort stattgehabte Kaiserkrönung.
[9]
Dieses im hiesigen Zusammenhang ein wenig unvermittelt wirkende Privileg
bezieht sich auf einen Passus in einer damals bereits 250 Jahre alten
Kaiserurkunde, der sogenannten Sizilianischen Goldenen Bulle. Am 26.September
1212 wurde sie Przemysl Ottokar I. erteilt und verbrieft diesem und den
nachfolgenden böhmischen Herrschern die erbliche Königswürde.
Darin ist auch die von Böhmen dem designierten Kaiser für seine
Romfahrt zur Krönung zu stellende Eskorte auf wahlweise 300 Kämpfer
oder 300 Pfund Silbers festgelegt. Somit wurde Georg eine Halbierung dieser
Verpflichtung gewährt.
[10]
Brockhaus, a.a.O., Seite 262.
[11]
Siehe Anm. 1.