Johannes-Mathesius-Gesellschaft
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Èeská verze

    Rat an König Georg

    die Verbesserung des Handelswesens in Böhmen betreffend
    Ein nationalökonomischer Traktat aus dem 15. Jahrhundert

    Deutsche Übersetzung von Gerhard Messler, Prag 2007


    A. Vorbemerkungen des Autors


    B. Zeitgenossen und Zeitumstände


    C. Die Denkschrift "Rat an König Georg"


    D. Literatur zum Thema


    E. Anmerkungen



    (erster Teil)


    C. Die Denkschrift "Rat an König Georg"

    Damit kommen wir zum Thema des vorliegenden Schriftchens im engeren Sinne. Um das von Franti¹ek Palacký in Ermangelung einer Originalüberschrift unter dem von ihm selbst gewählten Titel "Rat an König Georg, die Verbesserung des Handelswesens in Böhmen betreffend" veröffentlichte Memorandum[12] übersichtlicher zu machen, wurde die hier erstmalig in moderner deutscher Sprache vorgelegte Fassung vom Übersetzer mit einer in der Vorlage nicht vorhandenen Gliederung versehen. Diese ist, wie die Leser schnell bemerken werden, einerseits hilfreich, andererseits in ihrer Gestaltung keineswegs zwingend. Der mitzuteilende Text enthält zwar mehrfach Aufzählungen, deren durchgehende systematische Ordnung indessen nur bedingt erkennbar ist. Darüberhinaus finden wir mancherlei eingestreute Wiederholungen und Tautologien, einschließlich etlicher als schlüssig dargebotener Pseudobegründungen.

    Einen realistischen Eindruck von alledem soll die sich möglichst eng an Wortfolge und Satzbau des Originaltextes anlehnende Übersetzung[13] bieten. Damit verrät sie sowohl etwas über die fachliche Kompetenz, wie auch das Selbstwertgefühl des sich an seinen königlichen Herrn wendenden Beraters. Zugleich gewinnen wir hier einen Eindruck von der stilistischen Bombastik einer renaissancezeitlichen Fachexpertise.


    I. Der Text In Deutscher Sprache


    1. Anlaß und Thematik der Denkschrift


    1.0 Einleitung

    Im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit. Erhabenster König!

    Ew. Herrlichkeit haben zu Ehren und Lobpreis Gottes und aller himmlischen Herrschaft mir als ihrem getreuen Dienstmann und Rat sieben Fragen vorgelegt, ungeachtet dessen, daß ich hierzu ungenügend und unwürdig bin.

    1.1 Konfessionelle Spannung mit Rom

    Zum ersten haben euere Majestät mich, wie sie es stets zu tun pflegte, gefragt, wie es zu ermöglichen wäre, Ew. Herrlichkeit mitsamt ihrem böhmischen Volke zur einigkeit mit der heiligen römischen Kirche zu führen. Erhabenster König! Ich antworte, nach, wie ich meine, bester Erkenntnis, daß ein zweckmäßigerer, heiligerer und erhabenerer Weg nicht beschritten werden kann, als der des Ew. Herrlichkeit schon wiederholt vorgeschlagenen Parlaments, und daß der allerchristlichste französische König allerhöchster Sachwalter der Sache Ew. Herrlichkeit und allen böhmischen Volks werden solle.


    1.2 Harmonisierung der abendländischen Mächte

    Zum zweiten fragt Ew. Herrlichkeit, wie es erreichbar wäre, sämtliche christliche Fürsten zu drei Dingen zu bewegen; zuvörderst zu Frieden und einem allgemeinen Vertrag, zum zweiten, daß alle gemeinsam den Glauben schützen sollten, drittens, daß die Ehre der allerheiligsten Mutter, der römischen Kirche, des heiligen päpstlichen Stuhls und des heiligen Reichs gewahrt werde. Glorreicher König ich antworte, daß die Grundlage all dieser Bestrebungen, nach denen eure Herrlichkeit fragt, in jeder Hinsicht ihre Verwirklichung finden wird, wie eure Herrlichkeit sie vorgesehen haben, und wie es mittels der Gesandtschaft, welche ich für Ew. Herrlichkeit bei allen christlichen Völkern unternommen habe, bezüglich des neuen Parlaments bekanntgemacht worden ist.


    1.3 Dauerhafte Stabilisierung der Währung

    Zum dritten fragte Ew. Herrlichkeit, wie erreicht werden könnte, daß das Münzwesen in Eurem böhmischen Königreiche und seinen Herrschaften geregelt werde, ebenso bezüglich goldener wie silberner Münzen, desgleichen bezüglich der Scheidemünzen und des gegenseitigen Austauschverhältnisses aller untereinander, dergestalt, wie es einstmals zu sein pflegte, und dies so, daß sie niemals verschlechtert werden möchten. erhabenster König hierüber habe ich sehr ausführlich abgehandelt, so möge denn Ew. Herrlichkeit diese Dinge tatsächlich dementsprechend gestalten und niemals vergessen, und desgleichen auch Euere Söhne, sowie das böhmische Volk.


    1.4 Ertragssteigerung der Edelmetallgewinnung

    Zum vierten fragt Ew. Herrlichkeit, wie Gold- und Silbergruben im böhmischen Königreiche und seinen Herrschaften erneuert und in einen besseren Stand, als sie sich jetzt befinden, versetzt zu werden vermöchten. Diesbezüglich, erhabenster König, habe ich ausreichende Kennerschaft erworben, um hoffen zu dürfen, durch Gottes und der Jungfrau Maria Gnade ausreichende Mittel zu finden, daß nach kurzer Zeit alle Untertanen der böhmischen Krone eine reichliche geldliche Beisteuer zu sämtlichen Gold-, Silber-, und sonstigen Erzgruben leisten werden, die es im böhmischen Königreiche und seinen Herrschaften gibt.


    1.5 Handhabung der Regalien

    Zum fünften fragt Ew. Herrlichkeit nach den königlichen Rechten, welchen Rat ich zu geben vermöchte, und wie ich meine, daß die Regalien zu gestalten seien; und Ew. Herrlichkeit betont, daß sie hierüber eingehende Unterrichtung benötige. Erhabenster König. ich antworte auf Grund eigenster Anschauung, die ich in allen christlichen Königreichen bezüglich der Verwaltungseinrichtungen von Königen und Fürsten gewonnen habe. Es gibt vier Haupteinrichtungen, deren Könige und Fürsten zum zwecke ihrer Hofhaltung in königlicher Würde ganz besonders befürfen: die erste ist die Einrichtung des Münzwesens, die zweite Einrichtung diejenige der Salzabgaben, die dritte die Regelung der Zölle, und die vierte sind die strafweise verhängten Geldbußen. Aus diesen vier Einrichtungen sollen die Könige ihren rechtmäßigen Unterhalt bestreiten. Darüber habe ich überaus eingehend geschrieben, wie Ew. Majestät zu bezeugen vermag.


    1.6 Ständeordnung und Lebenshaltung

    Zum sechsten fragt Ew. Majestät, wie über ihre siebenerlei Untertanen am förderlichsten befunden werden könne: nämlich über Bauern, geistliche Fürsten und Standesherren, Militärpersonen, dazu alle Arten von Doktoren, Handwerkern, Kaufleuten. Auch wünscht Ew. Herrlichkeit Kenntnis zu gewinnen hinsichtlich aller Dinge, welche ihr Königreich verlassen oder in dieses eingeführt werden, um zu ermessen und zu entscheiden, ob Euere Lande mehr auf fremde angewiesen sind als jene auf die Eurigen, so bezüglich Nahrungsmitteln wie auch Handelswaren und sonstigen Bedarfsgegenständen. Allerherrlichster König! Hierauf antworte ich, daß ich Ew. Herrlichkeit eine so vorzügliche, hochgemute und nützliche Schrift geschrieben habe, wie sie in den Zeitläufen der Welt überhaupt geschrieben zu werden vermag, deren Inhalt von den Landtafeln des Königreichs handelt, wie auch ihr eigener Titel lautet; eine Blüte aller Blüten, ein Schlüssel aller Schlüssel!


    1.7 Handelsförderung

    Zum siebenten und letzten fragten Ew. Majestät nach den Handelsgeschäften, und wie Ew. Majestät das Handelswesen wieder auf jenen hohen Stand bringen könnte, in dem es sich im böhmischen Königreiche und seinen Herrschaften einstmals befand. Erhabenster König! Möge Ew. Majestät diesbezüglich die nachfolgenden Ausführungen lesen, und sie wird erkennen, mittels welcher Maßnahmen das Handelswesen zu seinem ursprünglichen Stande hinangeführt zu werden vermag.


    2. Allgemeine Imponderabilien obrigkeitlicher Handelsförderung


    2.0 Relevanz von örtlichem und zeitlichem Umfeld

    Obgleich derlei unmöglich dünkt, ist es dennoch in Wirklichkeit nicht unmöglich sondern möglich: weil nämlich eine derartige Regelung, wie im folgenden dargestellt, nicht einfach auf althergebrachtem Wege zu verwirklichen ist, sondern einige ihrer Grundvoraussetzungen hinsichtlich des Naturells von Menschen und Landschaften, so des böhmischen Königreichs und seiner Nebengebiete, wie auch hinsichtlich ihrer Abhängigkeit vom Zeitenlauf, bisher unbeachtet geblieben sind. Erhabenster König! Möge Ew. Herrlichkeit sich der Weisheit Salomos und jener der Königin von Saba erinnern; diese Königin erläutert nämlich in kurzen Worten, daß Gehörigkeit, desgleichen Brauch und rechte Ordnung, in allen Dingen der Welt regelmäßig und sinnvoll in Betracht gezogen werden müssen. Von solcher Art indessen ist die Ordnung in meinen Schriften, wenngleich ich nicht so weise bin, daß der tatsächliche Alltagsbrauch wirklich jenen Regeln folgt. Ferner ist es möglich, daß Regel und Brauch ihrerseits die zugehörigen Zeitumstände gestalten.


    2.1 Personelle Voraussetzungen

    Item, erhabenster König! Ich erinnere Ew. Herrlichkeit an jene sieben Grundvoraussetzungen, welche Ew. Herrlichkeit oben ansprach; sie sind so wesentlich, daß bedeutungsvollere niemals vorkommen. Indessen beürfte Ew. Herrlichkeit eines höheren Verstands als des meinigen zur Verwirklichung all Ihrer erhabenen Absichten; dennoch habt Ihr alle Voraussetzungen schriftlich und vollendet abgefaßt vorliegen, außerdem kann, was die Ratschläge betrifft, Ew. Herrlichkeit diese mit Hilfe kluger Menschen leicht verwirklichen. Ew. Herrlichkeit möge wissen, daß ich für eine gute Regelung und Verwirklichung des in Aussicht gestellten Zusicherungen abzugeben und auch Ew. Hoheit unfähige Amtsleute zu gehorsam zu bringen vermöchte: Es möchten wohl zwei Jahre werden oder etwas länger, dann hätte ich den Grund gelegt und alle jene Dinge verwirklicht, die oben genannt werden.

    2.2 Generelle Zielsetzung

    Ich habe kein besonderes Gewicht darauf gelegt, große Worte zu machen. Indessen, in diesen dem Handelswesen gewidmeten Seiten, wovon im vorliegenden abzuhandeln meine Absicht ist, hoffe ich zu Gott, wie ich Ew. Herrlichkeit eingangs ankündigte, daß ich eine solche Regelung schaffen werde, für alle Handelswaren, die etwa aus Venedig nach Böhmen kommen sollten, so Gewürze, wie Tuchmacherwaren, Malvasier, Baumöl, Baumwolle, nebst anderem, grundsätzlich alle Dinge, die aus Welschland kommen können. Mit Gottes Hilfe hoffe ich zu erreichen, alle diese oben genannten Waren Ew. Herrlichkeit ohne eine unbillige geldliche Beanspruchung verfügbar zu machen; dies abgesehen von Löhnen der Dienstleute, Vorarbeiter und jener, die damit beschäftigt sein werden, die erwähnten Waren aus Venedig nach Böhmen zu schaffen. Dergestalt und auf diese weise wird euer Land in Prag und anderen Städten für alle Bewohner sämtliche Bedarfsgegenstände haben können, die aus Welschland zu kommen vermögen.


    2.3 Reform von Regalien und sonstiger Gesetzgebung

    Allerdings erscheint es erforderlich und mehr als erforderlich, daß manche Rechtssatzungen erneuert und verbessert erlassen würden, desgleichen jene Handelsbräuche, die unseren Absichten förderlich sein könnten. Zuvörderst wünsche ich, daß Ew. Herrlichkeit vor allen Dingen die Münzordnung regeln, desgleichen das Salzregal und Währungswesen, wie ich dies Ew. Herrlichkeit geschrieben habe. sofern ihr die Absicht hättet, etwas zu verbessern, schiene es mir überaus wünschenswert, wenn diese Dinge so gut gestaltet werden könnten, wie dies kurzfristig überhaupt möglich ist, sofern derlei Ew. Majestät grundsätzlich gefällig wäre. Hierdurch wird die nachfolgend beschriebene Neugestaltung gelingen. Indessen möge Ew. Herrlichkeit eingedenk bleiben, daß keine gute und vollkommene Regelung zustandekommen kann, ohne die unumgängliche Ordnung des Münzwesens, der Rechtssatzungen und Handelsbräuche ganz im Sinne dessen, was ich Ew. Herrlichkeit in der dem Münzwesen gewidmeten Denkschrift dargelegt habe. Sofern aber Ew. Herrlichkeit mit ihrem Volke jene Verfahrensweisen anwenden wird, welche hier niedergelegt sind, und Ew. Herrlichkeit die Landtafeln des Königreichs dementsprechend ordnen wird, möge Ew. Herrlichkeit versichert sein, daß sie alle die Dinge, von denen die Rede ist, während der vorgesehenen Zeit verwirklichen können wird. Und nochmals versichere ich Ew. Herrlichkeit beim Worte Gottes, daß, wenn ich eine glückliche Gesetzgebung und Schaffung ausgewogener Verhältnisse vorfinden werde, ich bewirken werde, daß Euere, obwohl auf anderen Gebieten kenntnisreichen, in Handelsdingen unbewanderten Leute, in diesen Dingen noch vor Ablauf von vier oder fünf jahren so geschickt und erfolgreich gemacht werden sollen, daß Ew. Herrlichkeit es nicht nötig haben wird, nach Welschland oder irgendeiner der Städte in Deutschland zu senden, zwecks Ausbildung ihres Volks in Kaufmannsdingen. Deswegen also möge sich Ew. Herrlichkeit von Sorgen um Münzwesen und Handelsdinge, nicht aber anderweitig beeindrucken lassen, sondern nur jene Lösungen verwirklichen, die bezüglich dieser sieben Bereiche von mir angeführt wurden.


    3. Ausgangsüberlegungen böhmischer Handelsförderung


    3.0 Mögliche Ansatzpunkte

    Zunächst forscht Ew. Majestät nach Grundvoraussetzungen in fünf Teilbereichen, nämlich: nach der Beeinflußbarkeit des Bestehenden, nach einer Begründung, welche das Volk motivieren könnte, nach dem Grunderfordernis, daß auch sie sich erfolgreich betätigen könnten, nach den Voraussetzungen dieses Grunderfordernisses, mit abschließender Würdigung, was werden wird, was ausgehen oder eingehen wird, und was in unserem Hause verbleiben kann. hinsichtlich dieser fünf Einzelvoraussetzungen sucht Ew. Herrlichkeit Klarheit.


    3.1 Propagandistische Vorarbeit

    Erhabenster König! Um erschöpfender antworten zu können, werde ich drei Erwägungen anstellen. Diese werden (zunächst) allgemeiner Art sein, danach werde ich mich kleineren, enger umrissenen Themen zuwenden. Hatte ich doch Ew. Majestät in der gestrigen Nacht gesagt, daß es für jeden Menschen, der irgendeine Landschaft in irgendeiner Weise zu verbessern oder zu irgendeiner Vollkommenheit zu führen trachtet, nötig sei, in die zwangsläufigen Notwendigkeiten dreier Möglichkeiten Schritt für Schritt Einblick zu gewinnen und danach lieber zunächst von unten mit der Herstellung einer allgemeinen Übereinkunft, als mit der Errichtung eines Obrigkeitlichen Sittengebots zu beginnen. Es ist nämlich eine sich naturgegeben anbietende Verfahrensweise, jeden in seiner Natürlichkeit verbleiben zu lassen. Sittlich aber ist es, sich seiner, zu ihm verständnisvoll hinabblickend, anzunehmen. Ich behaupte zu recht, daß es hundertfach größer und schwerer ist, sich der Menschen zu erbarmen, um sie durch Sittengesetz und Belehrung zu lenken, als durch ihnen Angeborenes. Wenn aber, wer auch immer, sein Volk oder irgendeine Person aus moralischen Erwägungen bessern will, ist das Vorliegen einer von zwei Vorbedingungen unerläßlich: entweder, daß derjenige, der beeinflußt werden soll, verständig und einsichtsvoll sei, oder daß derjenige, der erziehen will, so stark und mächtig sei, daß er durch Gewaltanwendung einzuwirken vermag. Die Natur kennt keine anderen Voraussetzungen. Sofern aber Ew. Herrlichkeit das zu tun beliebte, was die Leute wollen, wäre sie augenblicks und ohne irgendwelche Widerstände eines Sinnes mit ihnen.


    3.2 Motive menschlichen Handelns

    Somit erhabener könig, möge Ew. majestät erwägen, daß jene Dinge, von denen oben die Rede war, als notwendige Voraussetzungen für denjenigen verstanden werden müssen, der beabsichtigt, einen anderen oder viele in irgendeiner Weise zu lenken. Als erstes muß er zweifellos das menschliche Naturell würdigen, als zweites die landschaftlichen Gegebenheiten, zum dritten ist es erforderlich, Entscheidungen gemäß den jeweiligen Zeitumständen zu treffen. die Natur der Sache nämlich, erhabenster König, nach welcher Ew. Herrlichkeit fragt, verursacht einen Sturm im Königreich und Volk, strebt aber gleichzeitig danach, diesen zum Guten ausschlagen zu lassen. Eine Motivation indessen, welche die Menschen antreiben soll, ohne deren Widerstand zu finden, muß bei Gutwilligen wie bei Böswilligen notwendigerweise drei Voraussetzungen genügen, wie mehrfach ausgeführt wurde. Erstlich Gottesfurcht, denn niemand ist so schlecht, daß er nicht in irgendeiner weise Gott fürchtete; zweitens die Achtung der Welt, denn niemand ist so schlecht, daß er nicht gern Ehrerweisungen empfinge; drittens persönlicher Nutzen, denn niemand ist so schlecht, daß er nicht Genuß liebte und bereitwillig annähme, namentlich dann, wenn er ihm ohne Anstrengung zufällt. Solcherart ist der gesicherte Weg beschaffen, mittels dessen Ew. Herrlichkeit in umfassender Anwendung der drei genannten Motivationen ihrem Volke, desgleichen jedem anderen menschlichen Stamme, ohne Widerstand zu finden, völlig genugtun kann.


    3.3 Günstige Umfeldbedingungen

    An nächster Stelle forscht Ew. Hoheit nach dem dritten Aspekt jener fünfe. welche genannt wurden: ob nämlich ich ausreichend im Auge behielte, daß dies alles dem Volke ausreichend nütze. Dies habe ich bereits dargelegt, erhabenster König! indessen fragt Ew. Herrlichkeit, wie und durch welche Regelungen es ermöglicht werde. Immerhin erscheint solches Ew. Herrlichkeit sehr schwierig, ja geradezu unmöglich. Angesichts des menschlichen Naturells, wie dies erörtert wurde, desgleichen auch im Blick auf die landschaftlichen Gegebenheiten, sowie auch vermöge verschiedener Zeitumstände. Erhabenster könig! Ew. Herrlichkeit hält das für überaus schwierig und unmöglich. Mir hingegen erscheint es leicht und durchaus möglich, sofern sechs Vorbedingungen geschaffen werden: Als erstes, wir müssen einen neuen Brauch zur Tat reifen lassen; als zweites, wir müssen Zeit haben; drittens, wir müssen eine gute Rechtspflege haben; viertens, wir müssen bedachtsam abwägen, so die Art, wie auch das Ausmaß der Dinge; fünftens, es müssen gute Maßstäbe herrschen; sechstens. daß die Kunst der Rechnungslegung die Wohlfahrt des Volks belegt und gemeinsame Wohlfahrt beweist. Zugleich soll aus allen diesen Voraussetzungen Gottesverehrung fließen. Sofern Rechtsordnung und -satzungen unwiderruflich ergehen werden, denen kein Widerstand geleistet werden kann, so hoffe ich zu Gott, jene drei ersten Einzelvoraussetzungen erfüllen zu können, die oben erörtert sind.


    3.4 Vorleistungen des Königs

    So möge es denn Ew. Herrlichkeit belieben, ihr Volk zu versammeln, so wie es besprochen ist, Fürsten, Herren und Junker und das übrige Volk. An erster stelle soll Ew. Herrlichkeit dann die vorgesehene Vereinbarung und die Erneuerung des Münzwesens bekanntgeben. Danach. wie Ew. Herrlichkeit das Handelswesen zu gestalten gedenkt und ihrem Volke einige Tausend Golddukaten auf eine bestimmte Zeit überlassen mit der Eröffnung, daß Ew. Herrlichkeit hieraus keinerlei Nutzen ziehen wolle mit Ausnahme dessen, daß sie in Kaufmannsdingen erfahrener und gewandter gemacht werden sollten und daß, sofern sie Verluste haben sollten, Ew. Herrlichkeit diese Verluste zu tragen entgegenkommenderweise gesonnen sei, und daß sie selbst nicht gehalten sein sollten, etwas davon zu erstatten, sofern und soweit sie es wirklich ohne Trug und böse Absicht verloren hätten und ihren Verlust glaubhaft machen könnten. Und ferner, daß Ew. Hoheit diese Dukaten auf glückliches Gelingen anzulegen gedenke und um das Volk zu guten Handelsbräuchen anzuleiten. Dann soll Ew. Herrlichkeit bekanntgeben, daß sie gedenke, es dergestalt zu halten, daß ihnen allerlei Kaufmannsgüter kreditiert werden sollen, vielleicht im Werte von 20 000 Dukaten oder darüber. Und daß, falls sie selbst beabsichtigen sollten, etwas aus eigenen Mitteln einzuschießen, es Ew. Gnaden belieben würde, daß der Gesamte Gewinn daraus ihnen selbst zufallen sollte, gemäß der Geldsumme die jeder zusätzlich einbringen würde. Im Falle, daß sie jedoch keinen Eigenanteil beisteuern wollten, sei Ew. Herrlichkeit bereit, 10 000 Dukaten in bar zur Verfügung zu stellen oder zu leihen und für 20 000, bei Bedarf auch mehr, Waren auf Kredit zu gewähren. Dies alles aus Wohlwollen, welches Ew. Herrlichkeit ihrem Volk entgegenbringt, sowie dazu, damit die Handelsgewinne, welche andere Kaufleute im Königreiche erzielen, künftig aus dem Königreiche nicht abfließen sondern bleiben. Auch möge Ew. Herrlichkeit den Leuten versprechen, daß sie durch diese Regelung wohlhabender werden sollen, daß die Rechte, Satzungen, Absprachen, welche von Ew. Herrlichkeit bezüglich aller Einzelheiten des Münzwesens, des Währungs- und Handelswesens festgesetzt worden sind, auch in Zukunft in Kraft bleiben werden!


    3.5 Reaktion und Mitwirkung der Bevölkerung

    Und hieraus, erhabenster König, wird Ew. Herrlichkeit ermessen, daß sie nur wenig Gegnerschaft finden wird, möglicherweise sogar überhaupt keine. Hierfür vermag ich drei überaus einleuchtende Begründungen anzuführen, dies aber setzt voraus, daß Ew. Herrlichkeit drei Spielarten des Menschengeschlechts erkenne: die einen sind überaus geizig, andere verschwenderisch und etliche mittelmäßig. Alle drei Typen werden das von Ew. Herrlichkeit Dargebotene annehmen, und es wird ihnen gefallen. Vorab die geizigen wegen ihres geizes, um etwas zu finden und zu erlangen, um ohne einen eigenen Beitrag einen Gewinn zu erzielen, aber auch, weil sie etwas lernen können. Als zweite werden die Verschwenderischen noch bereitwilliger mitmachen, aus doppeltem Grunde; vor allem, weil sie Ew. Herrlichkeit großzügig und reich wissen, dabei jedoch selbst die Eigenschaft haben, daß ihrer jeder gern von großzügiger Denkungsart sein möchte, so werden sie, um des Verglichenwerdens mit Ew. Herrlichkeit willen, gern zustimmen. Endlich jene, welche mittelmäßig sind, weder sehr klug noch gewitzt, sie richten sich vielmehr gemeinhin nach dem Urteil anderer als nach ihrem eigenen. Auf diesem wege wird Ew. Herrlichkeit jene drei Voraussetzungen schaffen, die im Vorausgegangenen erörtert wurden. Zunächst erfolgt eine beträchtliche Förderung des angeborenen Einsichtsvermögens beim gemeinen Volke, darauf wird man beobachten, daß sie frei von ihren Bindungen einfallsreicher und kenntnisreicher werden, daß sie darüberhinaus wohlhabender werden und Ansehen gewinnen, als eine Art Beamtenschaft des Königs. Zweitens werden die Gegebenheiten des Landes berücksichtigt, wo es ja weder Leute gibt, die solche Geschäfte ausführen können, noch solche, die den Wunsch hegen, in deren Modalitäten eingeführt zu werden, die aber auch niemanden aus einem fremden Lande dulden wollen, der sie belehren könnte, weil sie vor allen anderen Dingen an Einsichtsvermögen unübertroffen sein wollen. Indessen werden sie es nicht ablehnen, die Belehrung von Ew. Herrlichkeit zu empfangen, sie werden vielmehr den oben dargelegten Verfahrensweisen umso bereitwilliger zustimmen, als sie dadurch des Wohlwollens ew.herrlichkeit teihaftig zu werden vermögen. Des weiteren, weil sie eingehender und begründeter erkennen werden, daß Ew. Herrlichkeit ihnen stets ein gnädiger Herr war und bleiben wird. Auf solchen Wegen und durch solche Übereinkünfte hat Ew. Herrlichkeit reichlich Gelegenheit, Ansehen und Sympathien zu erwerben.


    4. Praktische Umsetzung

    4.0 Konkrete Erfordernisse

    Auch fragt Ew. Herrlichkeit nach dem vierten und sagt, daß die Wurzeln des Ganzen jene Grundvoraussetzungen seien, welche dazu dienen, diese grundlegende Neuordnung zu verwirklichen. Erhabenster König! Ew. Herrlichkeit fragt überaus tiefgründig, und zu entsprechenden Antworten bedürfte Ew. Herrlichkeit weiserer Menschen als ich es bin. Die wurzeln einer Verwirklichung dieser Grundordnung sind zahlreich. Indessen gibt es ihrer sechs, welche auch andere zu erfassen vermögen. Die erste Vorbedingung jeglicher grundsätzlichen Neuordnung ist, daß so viele Geldmittel und Kredite gefunden zu werden vermöchten, daß es hinreichend wäre für sämtliche Wirtschaftszweige, welche man für Böhmen und die anderen Herrschaftsgebiete Ew. Herrlichkeit für wünschenswert erachtet. Zweite vorbedingung ist es, daß eine Regelung gefunden werde derart, daß die Aufsichtsorgane und jene, welche dieses Handelswesen abwickeln werden, hinreichend kundig sein müssen, um etwa auftretende Schwierigkeiten beheben zu können. Dritte Voraussetzung ist, daß keine wirtschaftlichen Verluste eintreten. Die vierte ist, daß alles, was versprochen und zugesagt wird, auch erfüllt werde. Fünfte vorbedingung ist, daß unter jenen Städten und Menschen, die sich dem Handelswesen widmen, ein solcher Zuverlässigkeitsgrad erreicht werde, daß künftighin keinerlei Verunsicherungen aufzutreten vermögen. Dies, weil das böhmische Volk, wenn es bemerkte, daß man einmal an irgendeiner Sache Verluste hätte, es niemals mehr zu ihr zurückkehrte, da sie keinerlei Erfahrungen in Wirtschaftsdingen haben; sie müssen eine zeitlang erfolgreich sein, dann werden sie nicht abspringen. Auf diese fünf Vorbedingungen muß allergrößter Wert gelegt werden, denn wenn nur eine einzige Unregelmäßigkeit vorkäme, würde ein Vielfaches verdorben. von der glücklichen Abwicklung einer einzigen Unternehmung hingegen würden zahlreiche andere hervorgerufen. Die sechste Vorbedingung ist, daß jene Ersten, welche dies alles einleiten werden, ihre Vorarbeit dergestalt einrichten sollen, daß sie keiner Stadt im allgemeinen und keinem Menschen im besonderen blindlings vertrauen schenken, damit das Vermögen Ew. Herrlichkeit und der Mitgesellschafter niemals in Gefahr gerate! Es ist bekannt, daß in allen städten, welche in großem Umfange Handel treiben, die in früheren Zeiten zu übertrieben hohen Kreditgewährungen bereit waren, die man den Leuten einräumte, eine solche Handlungsweise viele und schädliche Unsicherheiten hervorruft.


    4.1 Quellen der Finanzierung

    Zur ersten Vorbedingung, erhabenster König, bezüglich deren Ew. Herrlichkeit fragt, auf welche Weise wohl so viel Geld oder Kredit gefunden werden könnte, daß Ew. Hoheit dreißigtausend oder vierzigtausend Dukaten zu erhalten vermöchte? Erhabenster König, diese Frage ist durch zwei grundsätzliche Umstände erledigt! Zunächst durch den Kredit, welchen Ew. Hoheit in Venedig haben wird, zweitens durch Mittel, welche Ew. Hoheit durch die Prägung von Scheidemünzen zu erlangen vermag. Zweifellos wird Ew. Hoheit so viel Kredit finden und so viele Barmittel durch Scheidemünzen gewinnen, daß Ew. Hoheit das Volk ihrer Absicht gemäß anleiten können wird. Dies aber wird geschehen, obschon die Böhmen Ew. hoheit mit keinerlei Geldsummen beistehen werden. Und umso mehr sich euere Böhmen verwundern werden, umso mehr werden sie Ew. Hoheit lieben, denn sie werden euch keinerlei Hilfe gewähren, während Ihr ihnen viel geben werdet. So mögen denn Ew. Hoheit glauben, daß Ihr, nachdem Scheidemünzen, Salzregal und Währungswesen eingerichtet sein werden, reiche Geldmittel erlangen werdet, und zwar so viel, wie man zur Wirtschaftsreform benötigt. Diesen Weg dürft ihr als zweckmäßig erkoren erachten und, wenn es Gott gefällt, für frei von Hindernissen bewerten.


    4.2 Herkunft der Teilnehmer

    Hinsichlich der zweiten Vorbedingung ist es nötig, daß jene, welche diese Pläne verwirklichen werden, treu und kenntnisreich seien. erhabenster König! Diese Aufgabe will ich selbst übernehmen, und ich werde ihnen die von Ew. Hoheit gestellte Aufgabe mündlich so erläutern, wie ich darüber in der Denkschrift über das Münzwesen geschrieben habe. Alle jene nämlich, die als erste mitwirken werden, werden nach meiner Überzeugung Gewinne erzielen, und Ew. hoheit wird ihnen keinerlei Verpflichtungen auferlegen, ausgenommen jener, persönlich hin- und herreisen zu müssen. Diesbezüglich also möge Ew. hoheit nicht die geringsten Zweifel hegen, es wird zu keinerlei Beschwerden kommen.


    4.3 Ausschluß von Verlusten

    Zur dritten Vorbedingung, erhabenster König! Hier wird erklärt und dargelegt, daß mit den Handelsgeschäften keine Verluste verknüpft sein werden; weder Ew. hoheit noch sonst jemand wird etwas verlieren können, weil niemand etwas auf gut Glück anlegen wird. Weder soll jemand nach Venedig reisen, noch wird Ew. Hoheit hinschicken, ohne daß das, was erlegt werden wird, sich in Sicherheit befindet, denn alle waren werden Ew. Hoheit in Salzburg oder Passau übergeben werden. Außerdem, wie ich zusichern kann, auch in Böhmen selbst. Somit wird Ew. Hoheit aus dreifachem Grunde keinerlei Risiko haben: erstens, weil das Handelsgut ungefährdet näher an euer Königreich herangebracht werden wird; zweitens dank meiner Maßnahmen, weil diejenigen, die das alles abwickeln werden, selbst nichts in ihren Händen halten sollen; endlich weil jene, die im Detail verkaufen, im umhegten Raum ihrer Häuser sein und Handelswaren nur an sichere Abnehmer abgeben werden. Da ich zudem gesonnen bin, auf diesem Wege zielstrebig weiterzuschreiten, wird es weder irgendeinen Widerstand geben, noch kann Ew. Hoheit Anlaß zur klage oder irgendein Schaden erwachsen.


    4.4 Sicherung gewährter Kredite

    Zur vierten Vorbedingung, welche von den zu treffenden Abmachungen handelt und bedeutsamer als alle anderen Bestimmungen ist: Unbedingt muß erfüllt werden, was immer versprochen ist, und zwar bezüglich gegenwärtiger, vergangener und künftiger Vorgänge. In dieser Sache, erhabenster König, muß dreierlei bedeutsame und grundsätzliche Sicherstellung bestehen. Erstens, falls jene, denen man Handelswaren überläßt, so vermögend und flüssig sind, daß sie diese ohne Schwierigkeiten bezahlen könnten, ihre Ware innerhalb der ihnen gesetzten Frist nicht abzusetzen vermöchten und dennoch solvent sind, so soll ihnen nicht unmäßig viel anvertraut werden, sondern nur so viel, wie meinen Beauftragten, die diesen Vorgang abwickeln werden, bezüglich dessen, daß sie innerhalb jenes Zeitraums, für den der Kredit eingeräumt wird, zu bewältigen vermöchten, angemessen dünken wird. Zweitens, falls sie verarmen oder keinen guten Leumund mehr haben sollten, dürfen jene Beauftragten keine Handelswaren ohne ausreichende Sicherungsbürgschaften an sie abgeben. Drittens sollen sie monatlich einen niedrigeren Zins entrichten, als man ihn gemeinhin erzielen zu können vermeint. Falls aber in solchem Falle Ew. hoheit einige Tausend dukaten auf vier oder fünf Monate gewähren sollte, die üblicherweise nicht einmal auf drei Monate gegen Verzinsung gewährt werden, und die Schuldner würden sie innerhalb dieser zeit nicht zurückgeben, dann sollen sie in schwere Strafe fallen. derart sollen die Dinge hinsichtlich der vierten Vorbedingung, nämlich der Kreditierung aller jener Waren, die als Handelsware überlassen werden können, eindeutig geregelt werden.


    4.5 Verfahrensmodalitäten und Sanktionen

    Zur fünften Grundbedingung, welche, wie beispielshalber dargelegt, den zuverlässigen Ablauf des Handelswesens folgendermaßen sicherstellt, gilt: Ew. Herrlichkeit verspricht etliche tausend Dukaten zur Rückzahlung nach einer bestimmten Zeit zu bewilligen, dann gilt es auch in jedem analogen Falle, daß es recht und billig ist, Versprechen einzuhalten, denn jeder Kaufmann muß das, was er anderen Kaufleuten zu geben hat, erfüllen, und auch jene Kaufleute sind es anderen und diese wiederum anderen zu geben schuldig und verpflichtet. Wenn nun auch nur ein Beteiligter seine Zusage nicht einhielte, würde daraus ein Fehlbetrag nicht nur bei einem einzigen sondern bei mehr als einem Dutzend oder zwanzig erwachsen. Dies ist der Grund, dessentwegen Ew. Herrlichkeit allen jenen schwere Strafe auferlegen soll, die ihre Schulden nicht innerhalb der festgesetzten Frist zurückzahlen sollten. Falls jene indessen kein Geld hätten, so mögen sie es lieber auf diese oder jene Weise, in der Judenstadt oder bei den Wechslern beschaffen, damit keine Verunsicherung daraus erwachse.


    4.6 Selektive Bonitätsmaßstäbe

    Zur sechsten Grundbedingung, deren Vernachlässigung in vergangenen Zeiten häufig Mißhelligkeiten im Gefolge hatte, soll eine Regel gesetzt werden mittels der Feststellung, daß jede Übermäßigkeit sich in Bedrängnis zu verkehren pflegt. so der Herr in der Hl. Schrift: Verflucht der Mensch, der seine ganze Zuversicht auf Menschen setzt. Denn es ist dem Volksmund gemäß voll ausreichend und schon viel zu viel erhofft, wenn einer auch nur auf die Hälfte seiner Ware vertraut; dies verdeutlicht ein Beispiel: wenn ein Kaufmann wäre, der allererfolgreichste auf Erden, der zehntausend Dukaten in seinem vermögen hätte, wäre es dennoch bereits übertrieben, ihn etwa auf fünf Tausender zu veranschlagen, weil niemand weiß, wieviel er insgeheim anderen schuldet. Deshalb gebrauchen die Kaufleute ein Sprichwort des Inhalts, daß an Verstand, Geld oder Reichtümern und Gläubigkeit in der Welt wesentlich weniger wirklich vorhanden sei, als allgemein angenommen wird.


    5. Zeitlose Verhaltenskriterien erfolgreicher Kaufmannschaft

    Es ist aber Brauch guter Kaufleute, fünf Dinge zu bewahren: als erstes, das Geld nicht tot liegen zu lassen, sondern es gewinnbringend anzulegen; als zweites, es nicht nur an einer einzigen Stelle festzulegen; als drittes, seine Versprechungen zu erfüllen; als viertes, niemals auf übergroße Sicherheitschancen zu hoffen; als fünftes, daß man niemals seine Zusagen brechen und betrügerisch handeln darf. Diese fünf Stücke nämlich sind die Grundvoraussetzung für Ehre, Ansehen und Wertschätzung, dazu die Einhaltung aller obenstehenden Erfordernisse, welche Kaufleute stets einhalten müssen. Dann werden sie niemals verlieren, weder Geld noch Ansehen, und sie werden auch ihr Gewissen nicht belasten!


    II. Erwägungen zum sachlichen Gehalt

    Zwecks Erleichterung einer möglicherweise für wünschenswert gehaltenen Parallel-Lektüre, folgt die nachstehende Betrachtung in Aufbau und Gliederung der vorausgegangenen Wiedergabe des Memorandum-Wortlauts.


    1. Anlaß und Thematik der Denkschrift

    Der vorliegende Text ist an nicht wenigen Stellen im Tonfall eines zwischen König Georg von Podiebrad und seinem Experten in oeconomicis stattgehabten Fachgesprächs, stellenweise auch dessen an den Auftraggeber gerichteten Briefwechsels, abgefaßt. Dabei verwendet es zeitbedingt nicht die heutezutage gebräuchliche Fachterminologie. Dennoch ist es nicht ohne Reiz, dem konkreten Inhalt nachzuspüren. Dies bedingt, die enthaltenen Empfehlungen in moderne Ausdrucksformen zu übertragen, möglicherweise gar, deren sachliche Tauglichkeit zu hinterfragen. Dabei kann uns bezüglich der Aussagen des jeweiligen Textabschnitts die eingefügte, bewußt klein gerasterte Gliederung das Zurechtfinden erleichtern.

    Absatz 1.1, 1.2

    Gestützt auf manche enthaltene Formulierungen kann man annehmen, daß das sich mit den Regierungsproblemen König Georg von Podiebrads befassende Memorandum eine kurzzeitig erstellte Zusammenfassung vorangegangner, mehr oder minder detaillierter Erörterungen ist. Dabei werden neben zu allen Zeiten an alle Herrscher herantretenden Problemen auch solche genannt, die Böhmens König ganz spezifisch in Anspruch nahmen. Sie sind sogar an den Anfang gestellt und betreffen zunächst das aus bekannten Gründen überaus gespannte Verhältnis des Herrschers zum Heiligen Stuhl. Der die alltägliche gemeindliche Kommunionspraxis betreffende Dissens mochte zwar für einzelne der Päpste nur ein läßliches lokales Ärgernis, für andere aber ein die Autorität des Papstes bedrohendes dogmatisches Grundsatzproblem bedeuten; für den Böhmenkönig war es stets eine brennende Existenzfrage. Das neben der päpstlichen Anerkennung seines Königtums bestehende zweite Grundanliegen Georgs von Podiebrad lag im staatsrechtlichen Bereich und betraf die internationale außenpolitische Akzeptanz seiner herrscherlichen Ebenbürtigkeit seitens der abendländischen Fürstenhäuser. Dabei wird auch auf bereits früher an anderer Stelle eingehender Abgehandeltes Bezug genommen. Leider aber geschieht dies, und dieser Mangel wird uns analog noch mehrfach begegnen, ohne jegliche Datums- und Ortsangaben.


    Absatz 1.4

    Manche etwa aufkeimende Hoffnung, hier eine praktikable neue Art zweckgebundener Besteuerung zur Suvention ansonsten unrentierlicher Edelmetallgewinnung kennenzulernen, wird leider enttäuscht; auch im weiteren Textverlauf wird diese Idee nicht wieder aufgegriffen.


    Absatz 1.6

    Die nun anklingende Thematik einer in sieben Klassen gegliederten Sozialordnung ist, auch was Einzelnennungen und Reihenfolge der Aufzählung betrifft, ein möglicherweise unbeabsichtigt eingeflossener Beleg für das Menschenbild der Renaissance. Auch daß sich in der angeregten Ermittlung der Außenhandelsbilanz des Landes manifestierende Wissen um das Eingebettetsein jeglichen Warenverkehrs in die weltweiten Normen des kaufmännischen "do ut des", belegt ein über die böhmischen Randgebirge hinausweisendes Weltbild von Besteller wie Verfasser des Gutachtens. Offenbar stimmte man auch darin überein, daß alles darangesetzt werden müsse, die im europäischen Umfeld noch virulenten Spätfolgen der Hussitenzüge zu überwinden. Einige derselben werden bei Rejchrtová[14] erwähnt. Sie nennt die evidente Tatsache der Stagnation des aus Süddeutschland nach Polen zielenden Transithandels, weil viele ausländische Kaufleute geschäftliche Kontakte mit dem vom Bürgerkrieg geschüttelten Lande scheuten. Später bedeutete die Unmöglichkeit, im Ausland Kredite zu erhalten, ein gewaltiges Handelshemmnis, weil man die Bonität der böhmischen Geschäftspartner dort als unzureichend einschätzte. Dies ist eine sich auch an anderen Textstellen aufdrängende Erkenntnis. Sie wird übrigens in seiner zusammenfassenden Würdigung auch von Chylík[15] ausdrücklich vertreten. Indessen wäre es wohl verfehlt, ungeachtet eines den ganzen Traktat zumindest unausgesprochen durchziehenden Autarkiestrebens, darin bereits einen bewußten Vorgriff auf merkantilistische Wirtschaftspraktiken vermuten zu wollen. Derlei kann ausgeschlossen werden, zumal in diesem ganzen Absatz keinerlei Erwähnung sonst systemimmanent unverzichtbarer internationaler Edelmetallzu- und Abflüsse geschieht. Bemerkenswert ist hier die Erwähnung der "Landtafeln" des Königreichs[16]. Diese in nicht zu ferner Folgezeit in den anderen habsburgisch beherrschten Territorien ebenfalls die Errichtung analoger Aufzeichnungen stimulierenden Register, hatten gerade nach den König Georgs Herrschaft vorausgegangenen stürmischen Jahrzehnten für die erstrebte positive Entwicklung von Handel und Wandel allergrößte Bedeutung. Eine gewissenhafte Handhabung dieser Institution hob nämlich die allgemeine Rechtssicherheit im Lande. Mit ihr stiegen auch die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit und die Chancen zur Verifizierung der Kreditwürdigkeit vieler Interessenten beträchtlich. Auch wäre es sicherlich irreführend, auf Grund einer hier möglicherweise erweckten gedanklichen Assoziation im Sinne von "Landtafel = Grundbesitz = Einkommensquelle" darin eine Vorwegnahme physiokratischer Wirtschaftsvorstellungen zu vermuten. Dazu bietet der weitere Inhalt des Memorandums keinerlei Ansatzpunkte.


    Absatz 1.7

    Das häufigere Auftreten von mit dem verengenden Begriff "Handels..." gebildeten Wortzusammensetzungen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß dem umfassenderen Anliegen des Königs gemäß, an den meisten dieser Textstellen eine inländische Gesamtwirtschaftsförderung gemeint ist.


    2. Allgemeine Imponderabilien obrigkeitlicher Handelsförderung


    Absatz 2.0

    Ungeachtet eines beeindruckenden Wortreichtums ist den Ausführungen zu entnehmen, daß keine Hebung wirtschaftlicher Prosperität zu ihrem Gelingen nur auf Allgemeinrezepten fußen kann. Erfolgverheißende Ratschläge müssen vielmehr örtlichen und personellen Gegebenheiten, bzw. Erfahrungswerten, angepaßt sein, wenn letztere künftighin verändert werden sollen. Es wirkt realistisch, daß in diesem Zusammenhang abschließend für den Fall des Zusammenstoßes von zielgerichtet postulierten Sollzuständen mit empirisch vorgefundenen Istzuständen ein Resultieren gegenseitiger Wechselwirkungen im Sinne eines Kräfteparallelogramms erwartet wird.


    Absatz 2.1

    Gegenüber dem Vorausgegangenen finden wir nun eine kleine Fortentwicklung insofern, als hier erstmals eine unserem Vorstellungsvermögen dienliche konkrete Zeitgröße genannt ist, nämlich zwei Jahre. Leider wird sie durch eine vage Einschränkung sofort wieder abgeschwächt. Somit bleibt der Leser hinsichtlich des gegebenenfalls zu präliminierenden zeitlichen Rahmens de facto im Ungewissen.


    Absatz 2.2

    Man kann davon ausgehen, daß das an König Georg von Podiebrad adressierte vorliegende Wirtschaftsmemorandum angefordert worden war, um den zufolge der Hussitenwirren in seinem Reiche allgemein niedergegangenen Lebensstandard zu heben. Hierzu ein Einschub: bereits damals gab es Stimmen, welche eine Mitschuld am Wirtschaftsverfall neben den zurückliegenden Kriegsereignissen auch den anspruchsvollen Maßstäben der offiziellen utraquistischen Sittenlehre beimaßen. Sie versicherten, daß "...mit dem Kelch zwar eine Verbesserung der Sitten, zugleich aber auch Hunger, Armut und alle Übel Einzug gehalten" hätten[17]. Verständlicherweise wurden solche Erklärungen seitens des Leitenden Geistlichen, des "Hauptpfarrers am Theyn" Jan Rokycana, zwar abgesplitterten Abtrünnigen zugeschrieben, ungeachtet dessen sind sie aber evident.

    Anhand einiger Beispiele erfahren wir vom Verfasser, welche aus dem Mittelmeerraum über Venedig zu beziehende Importgüter wir im 15.Jahrhundert als Indikatoren einer gehobenen mitteleuropäischen Lebenshaltung betrachten können. Bemerkenswert erscheint hier der Hinweis auf die im Zuge der beabsichtigten Warenimporte gegenüber den beteiligten Fuhrunternehmern anfallenden Kosten für Löhne und Betriebsmittel, während betreffs der eigentlichen Warenpreise deren Kreditierung seitens der Lieferanten offenbar stillschweigend unterstellt wird. Auch ist hier nichts über eine Einbindung inländischer Fachkräfte/Kaufleute gesagt. Damit entsteht der Eindruck, daß diesbezüglich geradezu die Neuschöpfung einer königseigenen Warenhandelsorganisation in Erwägung gezogen werden müßte. Angesichts des offenbar unterstellten bisher unzureichenden Leistungsvermögens einheimischer und wohl auch fremder Warenimporteure, müßte diesem Gremium eine de facto (vielleicht sogar de iure?) monopolistische Position eingeräumt werden? Dieses Unternehmen wäre organisatorisch zwischen den ausländischen Großlieferanten und den einheimischen Detaillisten zu installieren. Bezüglich der ausländischen Partner scheint der königliche Ratgeber seine zuversichtlichsten Hoffnungen auf Venedig gerichtet zu haben. Auf Grund persönlicher Bekanntschaften und der Aussicht, den traditionellen Finanziers des böhmischen Außenhandels, den Nürnbergern, einen wichtigen Markt streitig machen zu können, mochte er sich realistische Erfolgsschancen versprechen. Auch mochte er meinen, bezüglich der erforderlichen Krediteinräumungen in Venedig unbefangener verhandeln zu können, als im (wenn auch bereits vor einem Menschenalter) "hussitengeschädigten" Nürnberg. Es wäre ein Exkurs nicht ohne Reiz, an dieser Stelle ein wenig dem proponierten Resultat der Verwirklichung des Planes, der Ermittlung und dem Verbleib dessen nachzusinnen, was die kaufmännische Terminologie früherer Generationen als "bürgerlichen Gewinn" zu bezeichnen pflegte.


    Absatz 2.3

    Daß eine prosperierende Wirtschaft das Vorhandensein förderlicher Rahmenbedingungen voraussetzt, bedarf eigentlich keiner grundsätzlichen Erörterung, wie sie nun neuerlich erfolgt. Wünschenswert wäre aber die Mitteilung von die angesprochenen Begleitumstände konkret determinierenden Details. Dies gilt für die praktische Handhabung der Regalien ebenso, wie für die "dementsprechend" vorzunehmende Organisation der Landtafeln. So jedenfalls dann, sofern hier nicht nur an die Aufarbeitung der durch die Zeitwirren während der Hussitenkriege bedingten Eintragungsrückstände gedacht sein sollte. Die gegen Ende erwähnten "Sieben Bereiche" haben wir wohl in den im vorausgegangenen Text ohne Betonung einer Systematik angeführten einzelnen Postulaten zu erblicken. Auch dabei liegt die Frage nahe, ob der sich seinen auf mannigfachen inner-und außerstaatlichen Ebenen positionierten Gesprächspartnern gegenüber in die Defensive gedrängt fühlende König Georg Entlastung durch eine wenigstens partielle Wirtschaftsautonomie zu erreichen verhoffte? Darüberhinaus bleibt weiterhin ungeklärt, ob man die innerhalb von vier bis fünf Jahren zu schulenden "Euere ... Leute" als freie Unternehmer oder als königliche Amtsträger zu betrachten hat.


    3. Ausgangsüberlegungen böhmischer Handelsförderung

    Absatz 3.0

    Nun leitet die Denkschrift thematisch in die Sphäre der seitens des Königs zu ergreifenden praktischen Maßnahmen über. Dabei bleiben betreffs programmatischer Stringenz des Inhalts kaum Wünsche offen.


    Absatz 3.1

    Im Zusammenhang mit Neuerungen aller Art sollte auch der Fürst sich selbst informieren und danach auf eine propagandistische Vorarbeit keinesfalls verzichten. Damit begegnen wir einem im 15. Jahrhundert als Selbstverständlichkeit möglicherweise gar nicht zu erwartenden, auf psychologische Effekte setzenden Aspekt des Zusammenwirkens zwischen Herrscher und Beherrschten. Hinsichtlich der Vornahme für notwendig gehaltener Veränderungen öffentlicher Normen oder Rechtssatzungen ist immer der Weg über das den Menschen Vertraute und von ihnen als Gegebenheit Akzeptierte, demjenigen des mittels obrigkeitlicher Anordnung autonom Neustatuierten vorzuziehen. Dieses Postulat könnte auch dahingehend formuliert werden, daß der wohlwollende Machtinhaber danach streben sollte, die relevanten Zeitumstände so zu gestalten, daß vermöge der von ihnen ausgehenden funktionalen Erziehung der Öffentlichkeit (= seiner Zöglinge!) diese derart beeinflußt werden, daß der Herrscher sie betreffender intentionaler Erziehungsmaßnahmen enthoben ist.


    Absatz 3.2

    Die Hinweise sind einerseits Wiederholung des Vorausgegangenen, andererseits aber auch ein wenig dessen Spezifizierungen. Dabei wird man deren erster wohl eine gewisse zeittypische Komponente nicht absprechen können, wogegen die beiden anderen, Ehrgeiz und Genußsucht, bis in unsere Zeit an Aktualität nichts verloren haben.


    Absatz 3.3

    Ungeachtet mancher Stellen des Textes, wo es anfangs scheinen könnte, als ob das Memorandum seine eigene Gedankensystematik aus den Augen verloren habe, bietet die straffe Gliederung den Beweis des Gegenteils[18]. Es folgt nämlich eine weitere systematische Aufzählung von sechs Erfolgsvorbedingungen. Diese erfordern seitens des Ökonomen zwar keine weitere Interpretation, lassen aber die Frage nach ihrer Kausalität betreffs einer aus ihnen resultierenden allgemeinen Gottesverehrung fraglos zu. Möglicherweise handelt es sich hierbei aber auch nur um eine, in der damaligen stark religiös motivierten Zeit kritischen Kircheninstanzen gegenüber für zweckmäßig gehaltene Deklaration mit einkalkulierter Alibifunktion? Falls eine solche Interpretationsmöglichkeit bereits ursprünglich beabsichtigt/gewollt gewesen sein sollte, stünden wir hier vor einem beachtenswerten Kabinettstückchen vorausschauender Formulierung. Immerhin könnte dieses Postulat im Bedarfsfalle gegenüber den Autoritäten aller einander im Reich König Georgs kontrovers begegnenden dogmatischen Denominationen geltend gemacht werden, ohne Anstoß zu erregen.


    Absatz 3.4

    Hier folgt eine der für die beabsichtigte Wirtschaftserneuerung des Königreichs Böhmen geltenden zentralen Aussagen. Es wird mitgeteilt, welche Aktivitäten der Herrscher seinerseits zu erbringen bereit sein müsse, um das neben dem Allgemeinwohl vor allem seinen eigenen Interessen dienende zentrale Anliegen zu verwirklichen. Am Anfang muß eine eingehende Belehrung stehen, die allen Beteiligten sowohl kaufmännische, wie auch geld- und währungstechnische Zielvorstellungen des Königs einsichtig macht. Die nachfolgende konkrete Wirtschaftsförderung soll mittels in Bargeld gewährter, zinsloser königlicher Kredite erfolgen. Sie ist aber auch als Anschubfinanzierung a fonds perdu möglich. Selbst aus kaufmännischem Unvermögen einzelner Mitwirkender resultierende Verluste solcher Mittel, ist der König bereit, als seinen souverän gewährten persönlichen Beitrag zur kommerziellen Ertüchtigung der Bevölkerung zu tragen. Darüberhinaus soll neben solchen Zahlungsmittelkrediten auch eine Ausweitung des Vorhabens mit Hilfe von auf Kreditbasis zu liefernden Waren erfolgen. Diesbezüglich ist angesichts der geplanten Strukturierung des projektierten Gesamtvorhabens vermutlich beabsichtigt, den vorwiegend ausländischen Warengläubigern vom König als Gesamtschuldner Sicherheit leisten zu lassen? Sofern eine solche Absicht wirklich bestanden haben sollte, hätte sie, jedenfalls im erforderlichen Volumen zu erträglichen Bedingungen schlechterdings niemals realisiert werden können. Möglicherweise wäre Georg von Podiebrad zwar rein rechnerisch dennoch in der Lage gewesen, durch entsprechende Belastungen ihm persönlich oder der Krone gehöriger Realitäten die erforderliche Kreditsumme de iure formal zu sichern. De facto hätte er sich dadurch aber selbst die Hände so gebunden, daß er keines seiner den Einsatz beträchtlicher liquider Mittel erheischender, brennend vitaler Ziele hätte weiterverfolgen können. Somit hätte er sein Ende als souveräner Herrscher selbst herbeigeführt. Hier ist auch der Punkt, an dem man betreffs des ganzen Vorhabens Chylíks und der ihm Beistimmenden eingängiger Wertung "Kühn, aber nicht phantastisch"[19] nicht zustimmen kann.

    Analoge Zweifel sind auch bezüglich der dem König zugemuteten Investition von Barmitteln angebracht. Auch ein Mehrfaches der im Memorandum beispielhaft genannten Beträge wäre viel zu gering, um im gesamten Königreich den gewünschten Effekt zu erzielen. Im Ernstfalle wären die erforderlichen Summen in ökonomisch vertretbarer Weise vom König allein nicht zu beschaffen gewesen. Vielleicht deswegen plante man für das Unternehmen durch die angeregte Einbeziehung von zulässigen Eigenleistungen der Teilnehmer eine nicht uninteressante Eventualerweiterung? Die mittels solcher Einsätze erzielten Mehrgewinne sollten grundsätzlich belastungsfrei, d.h. zu 100% steuerbegünstigt, bleiben. Hier wird beabsichtigt, das Gesamtvolumen der von Inländern mit anderen Inländern getätigten Handelsumsätze zu steigern, damit diese "Handelsgewinne ... künftig aus dem Königreich nicht abfließen". Auch dieser, ein wenig merkantilistisch klingende, wohlgemeinte Passus kann indessen nicht darüber hinwegtäuschen, daß seine Befolgung keine den Lebensstandard im Lande hebende Steigerung der Warenproduktion, sondern nur eine Erhöhung der Umlaufsgeschwindigkeit von Zahlungsmitteln zu verursachen vermocht hätte. Ein daneben möglicherweise in Betracht zu ziehender inflatorischer Effekt könnte zunächst vernachlässigt bleiben. Dies so lange, wie - anders als 1716ff bei John Law - die "Spielregel" beachtet bleibt, daß der Materialwert der seitens des Königs in Umlauf gebrachten Dukaten nicht gemindert werden dürfte.


    Absatz 3.5

    Nach der im vorausgegangenen Absatz erfolgten Darlegung der vom König zu erbringenden vielfältigen praktischen Leistungen, erfolgt nun eine quasi psychologische Nachbearbeitung. Es ist, als sollte diese systematisch und übersichtlich aufgebaute Apologie dem möglicherweise vor seinem eigenen Unternehmungsgeist erschreckenden König Georg eine Art moralischer Unterstützung bieten. Dazu wird unter Erörterung des Naturells verschiedener Menschentypen die seitens der Bevölkerung zu er wartende Reaktion auf die königlichen Anordnungen erwogen. Dabei scheint eine eher reservierte Haltung der Öffentlichkeit unterstellt. Dennoch entbehrt die Art ihrer Inanspruchnahme für das dem König angediente Projekt sicherlich nicht einer sehr weitherzigen Betrachtungsweise.


    4. Praktische Verwirklichung


    Absatz 4.0

    Aus heutiger Sicht sind die aufgezählten Imponderabilien erfolgreicher Kaufmannschaft unbestreitbare Selbstverständlichkeiten. So war dies sicherlich auch im Bewußtsein von Angehörigen einschlägig tätiger Gesellschaftskreise des 15. Jahrhunderts der Fall, denen der Autor offenbar ebenfalls zuzurechnen ist, nicht anders. Hier ist aber zu berücksichtigen, daß der vorliegende Text sich ja an einen "Laien" und dessen Räte wendet, die vorab grundlegend informiert und für die Sache gewonnen werden sollen. Zur praktischen Umsetzung werden ihnen sechs prinzipielle Vorbedingungen genannt. Zunächst die Mobilisierung von Geld und Krediten in erforderlicher Menge. Es folgt die Gewinnung und Instruktion des erforderlichen Fachpersonals. Etwas treuherzig wirken hier das dritte und das vierte Postulat, betreffend Verlustvermeidung und Vertragstreue. Als fünfte folgt die Forderung von persönlicher Vertrauenswürdigkeit und Integrität aller Beteiligten, um das Renommee des Vorhabens nicht zu beschädigen. Dem Grundsatz nach trifft dies sicherlich zu, indessen kann den vielleicht unerfahrenen Geschäftspartnern der letzten Handelsstufe die Erfüllung der Pflicht "sie müssen ... erfolgreich sein", unter Marktbedingungen billigerweise nicht per Vertrag auferlegt werden. Als sechste Bedingung finden wir, unter Hinweis auf die möglicherweise bis zum Fallissement reichenden Konsequenzen, eine Warnung vor leichtfertiger Kreditexpansion.


    Absatz 4.1

    Im Zuge von Einzelüberlegungen zur Praktikabilität der obenstehend genannten prinzipiellen Vorbedingungen wendet sich die Denkschrift nun dem Komplex Geld und Kredit zu. Dabei erscheint es ein wenig befremdlich, daß für die Finanzierung des ehrgeizigen Projekts vollwerige Kurantmünzen überhaupt nicht in Betracht gezogen werden. Alles soll mittels Scheidemünzen geschehen, also strenggenommen mittels eines deren Unterwertigkeit entsprechenden Zwangskredits aller Wirtschaftsteilnehmer an den Emittenten, mithin den König, finanziert werden. Selbst wenn sich in diesem Vorschlag die Vorstellung äußern sollte, daß es vorteilhafter sein könnte, die nur in beschränktem Umfang verfügbaren Münzmetalle überhaupt nicht vollwertig auszumünzen, sondern sie zur Basis eines umso größeren Kreditgebäudes zu machen und dadurch das gesteckte Ziel mit größerer Wahrscheinlichkeit realisieren zu können, bliebe dies dennoch eine verzweiflungsvolle Handlungsweise. Das umso mehr, als man die als Warenkreditgeber in Aussicht genommenen venezianischen Kaufleute wohl schwerlich geneigt gefunden hätte, sich die von ihnen vollwertig gelieferten Waren in unterwertigen Münzen zu deren mehr oder minder inflationistischem Nennwert begleichen zu lassen. Praktisch liefe dies auf nichts anderes als eine beträchtliche Erweiterung des von ihnen bereits eingeräumten Kreditrahmens hinaus. Eine wahrhaft halsbrecherische Konstruktion also, die auch durch den abschließend angesprochenen, positiv gemeinten, "frommen Hintergrund" nicht geheilt wird.


    Absatz 4.2

    Die hier gegebene generöse Zusage ist, vordergründig betrachtet, ohne Schwierigkeiten durchführbar. Es wäre aber wesentlich sachdienlicher, wenn zu den beabsichtigten Schulungsmaßnahmen wenigstens einige grundlegende technische Details über Ort, Dauer und Inhalt der Unterweisung sowie Anzahl, Herkunft und Qualifikation der Teilnehmer enthalten wären.

    Absatz 4.3

    Mit dem bei jedem Handelsgeschäft zu berücksichtigenden Risiko, bzw. dessen Vermeidung, geht es in bemerkenswert konkreten Einzelheiten weiter. Eine Minimierung soll dadurch geschehen, daß nur tatsächlich zugegangene Waren zur Zahlung verpflichten, daß also das Transportrisiko weitestgehend bei den Lieferanten bleibt, daß Unterschlagungen durch Dritte verunmöglicht werden sowie dadurch, daß nur aus gesicherten Kaufmannsgewölben heraus und nur an solvente Kunden verkauft werden darf. Dies alles ist sachlich begründet, war aber nichts Neues, sondern aus der internationalen Fernhandelserfahrung gewachsene Praxis; so auch zu König Georgs Zeiten in Prag. Chylík[20] verweist darauf, daß viele fremde Kaufleute in der Landeshauptstadt Warenlager unterhielten, welche z.T. von angestellten, z.T. von selbständigen Kommissionären verwaltet wurden.


    Absatz 4.4

    Zum ebenfalls sehr bedeutsamen Aspekt der Vertragstreue folgt einiges an Vorschlägen. So wird auf die Möglichkeit hingewiesen, gegebenenfalls die Mengen überlassener Kommissionswaren zu mindern. Auch wird empfohlen, in dubiosen Fällen zusätzliche Sicherungsbürgschaften Dritter zu veranlassen. Interessant und modern wirkt der Hinweis auf fallweise in Betracht zu ziehende Zinsminderungen, im Effekt mithin königliche Zinssubventionen. Dabei legt die Nennung eines nach Monaten zu bemessenden Prolongationszeitraums die Vorstellung nahe, daß man diesen Zeitraum auch in Böhmen bereits im 15.Jahrhundert bei der Festlegung von Kreditzinsen als Basis der Berechnung zu verwenden pflegte. Ansonsten ergibt sich der Anschein, daß man bei solchen Anlässen nicht sonderlich kleinlich zu verfahren beliebte. Die hier ebenfalls angeregte Möglichkeit, gegen säumige Schuldner Strafverfahren anzustrengen, wäre vermutlich auf eine ihnen ex tunc unterstellte bewußte Betrugsabsicht zu stützen gewesen. Dabei hätte das Argument gegolten, daß der Geschäftspartner ja ursprünglich zum Kauf nicht genötigt gewesen sei, er aber dennoch, ungeachtet seiner ihm notwendigerweise bewußten Illiquidität, zum Nachteil des Verkäufers den entsprechenden Warenkauf getätigt habe.


    Absatz 4.5

    Auch im Folgenden ist von etwas die Rede, das innerhalb des erstrebten Systems die Störungslosigkeit der internen Abläufe sichern soll. Es geht um die Vermeidung von Beeinträchtigungen oder gar Hemmungen des Wirtschaftskreislaufs. Hier wird der bereits früher erwähnte traditionelle Kaufmannsgrundsatz "do ut des" expressis verbis erwähnt und seine Beachtung eingefordert. Dies geschieht allerdings unausgesprochen mit einer wenig realistischen Unterstellung. Nämlich mit der, als ob ein den Geschäftsfreund selbst in Schwierigkeiten bringender Zahlungsausfall von diesem zur Tilgung einer genau zu diesem Zeitpunkt und genau in dieser Höhe fälligen Lieferantenschuld benötigt würde und weiter so, als ob auch bei dem in Zahlungsverzug Geratenen gegenüber der ganzen Reihe all seiner wirtschaftlichen Vorstufen eine analoge Sachlage gegeben sei. In Wirklichkeit aber pflegen sich die Fälligkeiten glücklicherweise zeitlich und summenmäßig aufzusplittern. Dies mildert vielfach die Dramatik, kann aber, wie uneingeschränkt anerkennt werden muß, bei unglücklichem Zusammentreffen kummulativer Umstände tragische Auswirkungen hervorrufen. Der Juden und Wechsler als dii ex machina empfehlende Rat verfehlt seinen Zweck völlig. Seine Befolgung würde nämlich nur eine Problemverlagerung innerhalb des Wirtschaftssystems als Ganzem bewirken. In Nettobetrachtung also gar nichts! Was die ebenfalls empfohlene Geldmittelbeschaffung "auf diese oder jene Weise" an kürzer- oder längerfristigen Folgen zu haben vermöchte, ist so mannigfachen Spekulationen zugänglich, daß es sinnvollerweise hier nicht nachvollzogen werden kann.


    5. Zeitlose Verhaltenskriterien erfolgreicher Kaufmannschaft

    Die hier vorliegende, abschließende Zusammenfassung des Memorandums ist eigentlich sehr/zu allgemein gehalten. Vielleicht wäre ein das ganze für König Georg von Podiebrad ausgearbeitete Projekt spezifisch bekräftigender letzter Absatz überzeugender gewesen? Hier werden aber nur Allgemeinplätze geboten. Das vierte der empfohlenen fünf "Dinge" ist eigentlich nichts anderes als die Kehrseite des dritten in negativer Überhöhung. Auch das fünfte ist weitgehend inhaltlich analog mit mit dem dritten. Vielleicht aber ist dieser unprätentiöse Ausklang nur Ausdruck dessen, daß der Verfasser selbst von der Realisierbarkeit seiner Empfehlungen nicht ganz voll überzeugt war? Vielleicht auch war sein Engagement bereits anderweitig in Anspruch genommen, oder er war in Eile, vielleicht gar des ganzen Projekts längst überdrüssig?

    Eine eindeutige Beantwortung von derlei Fragen wird vermutlich niemals gefunden werden. Dies mindert aber nicht die Bedeutung des sie auslösenden Memorandums. Es belegt eindeutig, daß dessen Ursprungsland bereits zur Zeit der Entstehung dieses Textes in vielfacher Weise und ungeachtet seiner durch die es umgebenden hohen Grenzgebirge schon immer bestehnden erschwerten Zugänglichkeit, wie auch ungeachtet seines durch konfessionell bedingte Boykottmaßnahmen zeitweiligen Ausschlusses vom zentraleuropäischen Wirtschaftsaustausch damals das erhöhte Interesse der abendländischen Welt fand.

    (dritter Teil Teil)


    E. Anmerkungen

    [12] Rada králi Girjmu o zlepssenj kupectwj w Èechách publiziert in: Èasopis spoleènosti wlastenského Museum w Èechách (Zeitschrift der Gesellschaft für das vaterländische Museum in Böhmen), Prag 1828.

    [13] Der vorgelegten Übersetzung liegt der tschechischsprachige Wortlaut zugrunde, welcher bei der zweiten Publikation des Traktats durch Karel Jaromír Erben in Výbor z literatury èeské, Prag 1868, Spalte 777-792, mitgeteilt wurde.

    [14] Rejchrtová, a.a.O., Seite 141.

    [15] Chylík, a.a.O., Seite 415.

    [16] Landtafeln = zemské desky = tabulae terrae = registrum iudicii terrae regni Bohemiae - eine im Königreich Böhmen in jahrhundertelanger Tradition gepflegte und weiterentwickelte Form öffentlichen Glauben genießender Register. Sie enthalten allgemeinverbindliche Erkenntnisse/Entscheidungen des Höchsten Landesgerichts und Landtagsbeschlüsse, daneben aber auch Verzeichnisse aller in adeligem oder städtischem Eigentum befindlichen Grundstücke nebst deren Reallasten, Eigentümer- und anderen sie betreffenden Veränderungen.

    [17] Rejchrtová, a.a.O.. Seite 142.

    [18] Der erwähnte "dritte Aspekt jener fünfe" bezieht sich auf die im Absatz 3.0 enthaltene programmatische Aufzählung.

    [19] Chylík, a.a.O., Seite 415.

    [20] Chylík, a.a.O., Seite 413.



Reformation:

> Johannes Mathesius (1504-1565)
> Jan Hus und die hussitische Bewegung
> Der Hussitenkönig Georg von Podiebrad
> Die Brüderunität (Unitas fratrum)
> Friedrich Reiser (1401-1458)
> Balthasar Hubmaier (1480-1528)
> Kaiser Karl IV. und die Vertreibung der Juden aus Nürnberg
> Rat an König Georg - eine Denkschrift
> Das Archiv des Brüderbischofs Matou¹ Koneèný
> David Zeisberger (1721-1808)
> M. Wernisch: Die Unität der Böhmischen Brüder
> J. Just: Neue Forschungen zur Reformationsgeschichte
> J. Èepelák: Tschechisch-deutsche Beziehungen im Überblick
> Die Entstehung der Toleranzgemeinden in Prag

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