Jiøí Èepelák
Die tschechisch-deutschen Beziehungen in Böhmen und Mähren
bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts im Überblick
Vortrag auf dem tschechisch-deutschen Jugendseminar "Die Beziehungen zwischen
Tschechen und Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien während
der Toleranzzeit (1781-1784)" vom 15. bis zum 22. Juli 2005 in Velká Lhota
Die Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen in den böhmischen
Ländern sind keine simple Angelegenheit, denn das geschichtliche
Verständnis ihres Ursprungs und ihrer Wechselwirkungen wird
gewöhnlich zum Gegenstand völkischer Aufwallungen und Fiktionen.
Wollen wir uns mit den Beziehungen zwischen diesen beiden Völkern
beschäftigen, so müssen wir zunächst den Begriff des Volkes
bestimmen. In den böhmischen Ländern wurde die Volkzugehörigkeit
einerseits durch die Muttersprache, andererseits rechtlich bestimmt. Unter
rechtlichem Gesichtspunkt war jeder Bewohner der böhmischen Länder
ein Böhme, also ein Landsmann, aber nicht jeder war Tscheche, in dem
Sinne, daß er die tschechische Sprache beherrschte. Die ersten
schriftlichen Belege über die Unterscheidung der Begriffe "böhmisch"
und "tschechisch" stammen vom Ende des 13. Jahrhunderts.
Der zweite wichtige Faktor, der die Geschichte und die ethnische
Zusammensetzung der böhmischen Länder beeinflußte, sind die
natürlichen geographischen Gegebenheiten. Die bewaldeten nicht sehr hohen
Gebirgszüge bildeten schon in ältesten Zeiten eine natürliche
Grenze, die eine Hochebene und ein mäßig hohes Hügelland
umschloß, durchbrochen nur von den fruchtbaren Flußtälern von
Elbe und Eger. Ein zusammenhängendes Flußnetz bildete die Grundlage
für die Zentralisierung der Verkehrswege und eine zentrale Verwaltung.
Grundsätzlich andere Voraussetzungen hatte das benachbarte Mähren,
das sich mit dem breiten Flußbett der Morava im Süden zur Donau und
zur pannonischen Tiefebene öffnete. Von Böhmen durch das nicht sehr
hohe böhmisch-mährische Gebirgsland getrennt, war es im Osten und im
Norden von Bergzügen umgeben, die jedoch im Nordosten von der sogenannten
mährischen Pforte unterbrochen wurden. Schon seit den Zeiten der antiken
Bernsteinstraße waren hier die Verkehrsverbindungen in
Nord-Süd-Richtung bestimmend. Beide Landesteile waren waldreich und mit
allen wichtigen Rohstoffen gesegnet - außer Salz, das importiert werden
mußte.
Seit der Zeitenwende wurden die böhmischen Länder von den
germanischen Stämmen der Markomannen, Hermunduren, Quaden und Langobarden
besiedelt. Die Mehrzahl ihrer Angehörigen verließ im Laufe des 4. und
5. Jahrhunderts das Gebiet in Richtung Westen und Süden, während
allmählich slawische Siedler nachrückten. Die Slawen kamen jedoch
nicht in ein leeres Land, sondern trafen auf die Reste der Germanen, die sie in
der Folgezeit assimilierten. Diese Tatsache belegen vor allem Fluß- und
Bergnamen keltischen und germanischen Ursprungs, die die Neuankömmlinge
von den bisherigen Einwohnern übernahmen, und in jüngster Zeit sind
auch archäologische Untersuchungen über das Nebeneinander von
germanischen und slawischen Siedlungen erschienen. Die Grenze der slawischen
Besiedlung verschob sich bis tief in das Gebiet des heutigen Deutschland
hinein. Es stellt sich die Frage, warum die Slawen kein einheitliches Reich
gründeten. Ihre unzusammenhängenden Territorien kamen später in
Kontakt mit einer entwickelten antiken Kultur, und waren zudem ständig von
Wandervölkern aus den östlichen Steppen bedroht. Erst die gemeinsame
Verteidigung gegen das Reitervolk der Awaren bewirkte im 7. Jahrhundert
die vorübergehende Einigung der slawischen Stämme unter dem
fränkischen Kaufmann Sámo.
Die Bedrohung durch die Awaren nahm um das Jahr 800 stark ab, als der
fränkische Herrscher Karl der Große das Awarenreich zerschlug und
auch die slawischen Stämme tributpflichtig machte. Sein Einfluß war
zwar nur vorübergehend, aber keineswegs gering. Vom Namen "Carolus" leitet
sich das tschechische Wort für König "král" ab, das auch noch in
andere slawische Sprachen und in die ungarische Sprache übernommen wurde.
Das fränkische Reich fiel nach dem Tode Karls auseinander. Dies
ermöglichte die Entstehung des ersten slawischen Staates auf unserem
Gebiet - des Großmährischen Reiches. An seiner Spitze stand eine
einheimische Dynastie, der es gelang, eine relativ unabhängige Außen-
und Kirchenpolitik zu entwickeln. Neben den bisher schon von Regensburg aus
entsandten lateinischen Missionaren wirkten in Großmähren nun auch
slawische kirchliche Organisationen unter Leitung des Erzbischofs Methodius.
Der Einfluß Großmährens erstreckte sich über weite Teile
Mitteleuropas und endete erst 906 mit dem Einfall der Ungarn.
Eine Folge der ungarischen Bedrohung war die Verschiebung des Machtzentrums
nach Westen in das besser geschützte von einigen
Stammesfürstentümern regierte Böhmen. In der Mitte des Landes
und an der Kreuzung der Verkehrswege herrschte das Fürstengeschlecht der
Pøemysliden. Dank seiner Initiative trat es immer mehr in den Vordergrund,
bis es 995 zunächst Böhmen vereinigte und um 1120 durch den
Anschluß Mährens die böhmischen Kernländer unter seiner
Führung zusammenfaßte. Die deutsch-tschechischen Beziehungen in
dieser Zeit lassen sich unter drei Aspekten beschreiben:
Zunächst unter dem staatsrechtlichen und herrschaftlichen Gesichtspunkt:
Im Jahr 895 ordneten sich die böhmischen Fürsten kirchlich und
politisch dem bayerischen Herzog Arnulf unter. Die volle Integration in die
westliche Christenheit ist mit der Person des Fürsten Wenzel (Václav)
verbunden. Die tschechischen Fürsten waren zwar dem deutschen König
tributpflichtig, politisch jedoch weitgehend selbständig, was unter
Wenzels Nachfolgern deutlich sichtbar wurde. Der Grad politischer
Selbständigkeit war jedoch einerseits von der Stabilität der
Verhältnisse im Reich und anderseits von der Stabilität in der
Pøemyslidendynastie abhängig. Denn Rivalitäten zwischen
verschiedenen Anwärtern auf den tschechischen Fürstenthron waren an
der Tagesordnung. Das führte schließlich zur Vergabe eines
kaiserlichen Lehens an den Fürsten Vladivoj (1002-1003). Seitdem suchten
erfolglose Prätendenten regelmäßig Unterstützung beim
Kaiser, der ihr Lehen bestätigen konnte - die Kontrolle über das Land
mußten sie sich freilich selbst erkämpfen. Der böhmische
Fürst und der deutsche König waren meist Verbündete, doch auch
vorübergehende Gegnerschaft war nicht ausgeschlossen. Im
12. Jahrhundert erhielt der böhmische Fürst das bedeutende
Reichsamt des Erzmundschenks. Im Zuge eines Konflikts versuchte allerdings
Kaiser Friedrich Barbarossa das Land in drei Subjekte aufzuteilen: Böhmen,
Mähren und ein Prager Reichsbistum. Diese Krise konnte jedoch
überwunden werden. Grundsätzlich kann man sagen, daß der
tschechische Fürst zwar ein Vasall des deutschen Königs war, aber der
deutsche König in den böhmischen Ländern über keinerlei
Rechte verfügte, keine Reichsstädte, kein Eigentum besaß und in
der Regel die Wahl des hiesigen Herrschers anerkannte.
In kirchlicher Hinsicht unterstanden die böhmischen Länder bis in die
siebziger Jahre des 10. Jahrhunderts der Regensburger Diözese, nach der
Einrichtung des Prager Bistums dann der Mainzer Erzdözese. Die Stellung
des Bischofs entsprach jedoch eher der eines Hofkaplans des böhmischen
Fürsten ohne Einfluß auf die Einziehung des Zehnten. War der erste
Bischof Dietmar noch ein Sachse, so kamen später die stärksten
Bischofspersönlichkeiten überwiegend aus den Reihen der
Pøemysliden oder wie der heilige Adalbert aus dem konkurrierenden
Fürstengeschlecht der Slavnikiden. Liturgisch hielten die böhmischen
Länder am lateinischen Ritus fest. Eine Ausnahme bildet nur das Kloster
Sázava, das den slawischen Ritus bewahrte.
Schließlich der demographische Aspekt: Die Ehefrauen der böhmischen
Fürsten stammten überwiegend aus den deutschen Reichsgebieten. Die
deutliche Mehrheit der Bevölkerung war jedoch slawisch. Deutsche und
jüdische Ansiedlungen gab es in den größeren Agglomerationen in
Form von privilegierten Kaufmannssiedlungen. Aus den deutschen Gebieten kamen
auch die Vorbilder für Bauwesen und Architektur. Eine Kuriosität
stellt die Ausweisung der Deutschen aus Böhmen unter Spytihnìv I.
dar. Sie erfolgte ohne sichtlichen Grund, und ihr Umfang ist nicht mehr zu
bestimmen.
In den Jahren 1198 bis 1216 gewann das böhmische Königreich besondere
Privilegien, unter anderem die freie Wahl des Herrschers, die Vererbung der
Thronfolge in direkter Linie, die Garantie der territorialen Integrität,
das erbliche Reichsamt des Erzmundschenks. Die Bedeutung dieser
Veränderungen erhellt die Tatsache, daß das benachbarte Bayern die
Thronfolge in direkter Linie erst im 17. Jahrhundert erhielt. Kein anderer in
sich geschlossener und zentralisierter Teil des Reiches besaß
außerdem den Königstitel und so weitgehende Privilegien. Vom Amt des
Erzmundschenks wurde später, Mitte des 13. Jahrhunderts die
Kurfürstenwürde des böhmischen Königs abgeleitet, der sich
damit in das siebenköpfige Wahlgremium des römischen Kaisers
einreihte. Allmählich wuchsen auch Ehrgeiz und Einfluß der
böhmischen Herrscher, und zwar im direkten Verhältnis zur stetig
wachsenden Produktion der Silbergruben in Iglau und Kuttenberg sowie zur
labilen Situation in den Nachbarländern. Die Böhmischen Länder
erzeugten Anfang des 14. Jahrhunderts den Großteil des
europäischen Silbers. Die böhmischen Herrscher Pøemysl
Otakar II. und sein Sohn Wenzel II. bemühten sich um eine
territoriale Expansion, die jedoch mißlang. Im Mittelpunkt ihres
Interesses standen zunächst die österreichischen und baltischen
Länder, später Polen und Ungarn.
Im 12. Jahrhundert war die innere Kolonisierung des Landes abgeschlossen, in
deren Verlauf die ethnisch slawische Bevölkerung das besiedelte Gebiet
erheblich ausweitet hatte. Ein großer Teil des Landes war jedoch immer
noch ungenutzt, was in den relativ überbevölkerten Gebieten
Westeuropas, etwa Sachsen, Bayern, Dänemark, Frankreich und Flamen, nicht
ohne Antwort bleiben konnte. Die vom böhmischen Adel angeworbenen neuen
Siedler brachten landwirtschaftliche Erfindungen und vor allem neue
Rechtsformen mit: das emphyteutische Recht auf dem Land und das deutsche
Stadtrecht. Die nationalistische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts
versuchte, den ausländischen Siedlern nachträglich nationale Motive
für die Besiedlung des böhmischen Grenzlandes zu unterstellen. Der
tatsächliche Grund waren jedoch soziale Probleme in den
Herkunftsländern und das Streben nach Verbesserung des individuellen
Lebensstandards. In derselben Zeit begann die deutsche Besiedlung auf der Zips,
wo die ursprüngliche Bevölkerung beim Tatareneinfall in den vierziger
Jahren des 13. Jahrhunderts stark dezimiert worden war.
Der böhmische Königshof wurde zu einem Zentrum der europäischen
Ritterkultur und Literatur, was natürlich auch mit seiner Machtstellung
zusammenhing. In Böhmen hielten sich berühmte Minnesänger auf,
der böhmische König Wenzel II. gehörte selbst zu ihnen. Die
Eindeutschung der Namen der Adelsgeschlechter wurde zu einer Modeerscheinung,
die aber zugleich das wachsende Selbstbewußtsein gegenüber dem
Landesherrn widerspiegelte. Zu einem wichtigen kulturellen und wirtschaftlichen
Zentrum wurden die seit dem 12. Jahrhunder gegründerten Klöster
verschiedener Ordensgemeinschaften, besonders der Zisterzienser und
Prämonstratenser. Das von den letzten Pøemysliden begonnene Werk
machte sich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts der böhmische
König Johannes von Luxemburg zueigen, der die letzte
Pøemyslidentochter Eli¹ka geheiratet hatte. Der Einfluß der
böhmischen Krone begann sich auch auf die Nachbarländer auszudehnen,
also in die schlesischen Fürstentümer, die Ober- und Unterlausitz,
die Oberfalz und nach Luxemburg. Johannes' Sohn Karl wurde in den vierziger
Jahren des 14. Jahrhunderts Herrscher über das Heilige römische
Reich. Als Regierungssitz wählte er Prag, das er systematisch zu einer
vollwertigen Kaiserresidenz ausbaute. Der Plan umfaßte die Gründung
eines Prager Erzbistums, einer Prager Universität mit internationaler
Beteiligung und nicht zuletzt die beträchtliche Vergrößerung
Prags durch aufwendige Bauvorhaben. Im Blick auf die Flächenausdehnung
wurde Prag zu einer der größten Städte Europas, berühmt
für seine Kostbarkeiten wie die Veitskathedrale, die Karlsbrücke,
oder das slawische Emmauskloster. Diese umfangreichen Aktivitäten
ließen auch andere Landesteile nicht unberührt. Zur Verwahrung der
Kronjuwelen sollte die Burg Karlstein dienen, ebenfalls in die Zeit von Karls
Regierung fallen die Bauten im oberpfälzischen Lauf und im
brandenburgischen Tangermünde. Eine Stütze der kaiserlichen Macht
bildete die immer reicher werdende Kirche. Der Einfluß des böhmischen
Königs, beziehungsweise der böhmischen Krone breitete sich von
Böhmen und Mähren nach Schlesien, in die Ober- und Unterlausitz, nach
Görlitz, in die Oberpfalz, nach Brandenburg und Luxemburg aus. Karls
Kanzlei hatte beträchtlichen Einfluß auf die Entstehung der
oberdeutschen Schriftsprache, und Böhmen wurde zum Ursprungsland
literarischer Werke wie "Der Ackermann aus Böhmen". Die Deutschen bildeten
einen erheblichen Teil der Bevölkerung der Kronländer, wobei ihr
Anteil in den böhmischen und mährischen Städten allmählich
zurückging. Das tschechische Stadtbürgertum trat zunehmend hervor,
was auch die Unterscheidung zwischen den Böhmen in geografischer Hinsicht
und den Tschechen in sprachlicher Hinsicht mit sich brachte. Die wachsende
Rivalität zwischen beiden Bevölkerungsgruppen machte sich auch im
Ringen um die Erneuerung der Kirche bemerkbar. Karl selbst hatte Reformprediger
nach Böhmen geholt. Der erste von ihnen war der Deutsche Konrad
Waldhauser, der die Nachfolge von Jan Milíè aus Kremsier antrat. Ein
wichtiges gemeinsames tschechisch-deutsches Vorhaben war 1391 die Gründung
der Betlehemskapelle im Rahmen der Prager Universität durch den Tschechen
Køí¾ und den Deutschen Hanu¹ von Mühlheim.
Der Ausgang des 14. und der Beginn des 15. Jahrhunderts sind gekennzeichnet
durch die Abnahme der Macht und gesellschaftlichen Bedeutung des
böhmischen Königs. Karls Sohn Wenzel IV. blieb innen- und
außenpolitisch erfolglos. Mehrfach wurde er gefangengesetzt und sogar im
Jahr 1400 "wegen Unfähigkeit" vom römischen Thron abgesetzt. Die
Gesellschaft tritt in eine wirtschaftliche und soziale Krise ein. In den die
Bevölkerung dezimierenden Pestepidemien und in der Spaltung der Kirche mit
zwei, dann sogar drei Päpsten sieht man Gottes Strafgericht über eine
reiche Kirche, die ihrem Auftrag untreu geworden war. Die Gedanken des
englischen Reformators Johann Wycliffe begannen sich auszubreiten.
Allmählich schloß sich ihnen auch der Prediger der Betlehemskapelle
und Rektor der Prager Universität Johannes Hus an. Ablehnend stand den
Reformforderungen dagegen ein großer Teil der deutschen Professoren
gegenüber, die in den Universitätsgremien eine Stimmenmehrheit von
3:1 besaßen. Als Wenzel IV. mit dem Kuttenberger Dekret 1409 das
Stimmenverhältnis zu ihren Ungunsten in 1:3 umkehrte, wechselte ein
Großteil von ihnen nach Heidelberg und Leipzig. Einige blieben jedoch oder
kehrten später zurück: der spätere Rektor Johannes Schindel,
Nikolaus und Peter von Dresden, Johannes Drandorf und Peter Turnow. Auch beim
Konflikt um die Universität war die nationale Frage nicht entscheidend,
den Ausschlag gaben vielmehr die kirchlichen Reformbemühungen.
Magister Jan Hus wurde im Jahr 1415 durch das Konstanzer Konzil verurteilt und
anschließend auf dem Scheiterhaufen verbrannt, ein Jahr später folgte
ihm Jeronym von Prag. Was das Konzil zunächst für eine Nebensache
gehalten hatte, wuchs zu einer sichtbaren Auflehung gegen die kirchlichen
Autoritäten an, als man in Prag die Abendmahlsfeier unter beiderlei
Gestalt (sub utraque) einführte. Aufgrund der Einführung des
Laienkelchs wurden die Hussiten in der Folgezeit meist als Kelcher oder
Utraquisten bezeichnet. Als einige Jahre später die hussitische Revolution
zum offenen Ausbruch kam, fanden sich in den Reihen der Hussiten auch
zahlreiche Deutsche, zum Beispiel der Prager Erzbischof Konrad von Vechta. In
den deutschen Städten endeten die Hussiten jedoch meist auf dem
Scheiterhaufen. Die hussitische Bewegung war also keinesfalls ursprünglich
gegen die Deutschen gerichtet, die gegenseitige Feindschaft war erst eine Folge
der antihussitischen Kreuzzüge, die aus den deutschen Reichsgebieten nach
Böhmen entsandt wurden. Auf der deutschen Seite weckten vor allem die
bewaffneten Feldzüge der Hussiten - die "herrlichen Fahrten" zur
Verbreitung des Laienkelchs - Unwillen, denn diese waren auch mit
Plünderungen verbunden. Die hussitische Bewegung konnte sich
militärisch behaupten, und in den dreißiger Jahren des 14.
Jahrhunderts klärte sie ihre Beziehungen zur päpstlichen Seite in den
Basler Kompaktaten. Trotz einiger Versuche, dieses Abkommen wieder
rückgängig zu machen, kam es 1485 in Kuttenberg schließlich zu
einer Einigung zwischen römischen Katholiken und Utraquisten. So blieben
die Utraquisten letztlich mit der römisch-katholischen Kirche verbunden.
In den böhmischen Ländern erstarkte jedoch zugleich die
selbständige und nicht offiziell anerkannte Brüderunität.
Die Reformation in Deutschland führte zu einer weiteren Aufspaltung der
kirchlichen Reformströmungen in Böhmen. Während die
Neoutraquisten sich dem Luthertum anschlossen, näherten sich die
Altutraquisten wieder dem römischen Katholizismus. Unter der deutschen
Bevölkerung der böhmischen Länder breitete sich die lutherische
Reformation aus. Besonders lebendig war das Luthertum im Grenzgebiet,
namentlich in Brück, Komutau, Budweis und in Joachimsthal, wo Johannes
Mathesius lebte, lehrte und predigte. Diese Entwicklung beeinflußte auch
die Ausrichtung der Brüderunität, die beide Bevölkerungsgruppen
vereinigte, was zum Beispiel in der Herausgabe von Gesangbüchern in beiden
Sprachen seinen Ausdruck fand. Während der Brüderbischof Johannes
Augusta sich eher den Lutheranern zuneigte, stand sein Nachfolger Johannes
Blahoslav der schweizerischen Reformation näher. Die
römisch-katholischen Studenten aus Böhmen studierten in Italien, die
Reformierten dagegen in Heidelberg und Heilbronn. Die Brüderunität
selbst begann mit dem Aufbau hervorragender Schulen. Charakteristisch für
diese Zeit ist die Verbesserung der tschechisch-deutschen Beziehungen auf der
Grundlage der gemeinsamen Bekenntnisse.
Im Schmalkaldischen Krieg 1547 verbündeten sich die tschechischen mit den
deutschen protestantischen Ständen. Ihre Revolte gegen Ferdinand von
Habsburg scheiterte zwar, doch das Bündnis blieb auch danach bestehen. Der
Augsburger Religionsfriede ermutigte die tschechischen Stände zu weiteren
Verhandlungen über Konfessionsfragen. 1575 erteilte König Maximilian
I. seine mündliche Zustimmung zur Böhmische Konfession, um die
Krönung seines Sohns Rudolf zum böhmischen König zu sichern. Die
Böhmische Konfession enthielt hussitische, brüderische und
lutherische Artikel, womit die teilweise Legalisierung dieser konfessionellen
Richtungen sowohl für die tschechische als auch für die deutsche
Bevölkerungsgruppe erreicht wurde. Insgesamt lag der Anteil der
Evangelischen an der Bevölkerung bei etwa 90 Prozent, wobei den
größten Teil die von Sachsen aus unterstützten Lutheraner und
Neoutrakvisten ausmachten. Von nicht geringer Bedeutung ist auch die Tatsache,
daß Gelehrte der Brüderunität inzwischen die gesamte Bibel in
die tschechische Sprache übersetzt hatten, die zu dieser Zeit eine neue
Blüte erlebte.
An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert starben die bedeutendsten
tschechischen Adelsgeschlechter von Pernstein (z Pern¹tejna), von
Rosenberg (z Ro¾mberka) und die Herren von Neuhaus (z Hradce) aus. Die
Macht übernahm eine neue, schon von Jesuiten erzogene Generation. Zugleich
gewannen nachrückende deutsche Adelsfamilien und Handwerker
unterschiedlicher Konfession in Böhmen an Bedeutung. An die Spitze beider
konfessioneller Lager gelangten radikale Kräfte. Anführer der
Protestanten waren die Deutschen Leonhard Colonna von Fels und Heinrich Mathias
von Thurn sowie der Tscheche Wenzel Budovec von Budov. 1609 erzwangen Sie von
Kaiser Rudolf den Erlaß des Majestätsbriefes, der eine so weitgehende
Religionsfreiheit gesetzlich verankerte, wie es sie in Europa noch nicht
gegeben hatte. In den folgenden Jahren führten wachsende Spannungen
zwischen römischen Katholiken und Protestanten dazu, daß das
Tschechische zur einzig gültigen Verhandlungssprache erklärt wurde.
Ein Landesgesetz, das sich offiziell auf die Unkenntnis der tschechischen
Sprache unter den neuen Siedlern bezog, war in Wirklichkeit gegen die deutschen
Führer der protestantischen Opposition gerichtet, von denen man kaum zu
befürchten hatte, daß sie auf den Landtagen flammende tschechische
Reden halten würden.
Konflikte über die Auslegung des Majestätsbriefes und wachsende
Spannungen führten schließlich im Mai 1618 zum zweiten Prager
Fenstersturz, zum Aufstand der böhmischen Stände und zum Ausbruch des
Dreißigjährigen Kriegs. Im Kampf gegen die Habsburger entstand eine
Konföderation der Stände von Böhmen, Mähren, der Lausitz,
Österreich und Ungarn. Als neuer Landesherr kamen zwei Personen in Frage:
der Lutheraner Johann Georg von Sachsen und der Kalvinist Friedrich von der
Pfalz, der nicht nur ein Schwiegersohn des englischen Königs Jakob I. war,
sondern auch an der Spitze der reichsweiten protestantischen Union stand. Die
Wahl fiel auf Friedrich von der Pfalz, denn von ihm und seiner Stellung
versprachen sich die revoltierenden Stände am meisten.
Die protestantische Union fiel jedoch auseinander, die Hilfe aus England blieb
aus und Johann Georg von Sachsen wahrte mit Aussicht auf den Zugewinn der Ober-
und Unterlausitz bewaffnete Neutralität. Zu Hilfe kamen allein die
Niederlande. Der Aufstand wurde im November 1620 am Weißen Berg
niedergeschlagen. Es folgten Konfiskationen, die Hinrichtung der
Rädelsführer des Aufstands beiderlei Nationalität und die
Rekatholisierung sämtlicher Einwohner der böhmischen Länder.
In den Jahren 1627 und 1628 wurde die "Verneuerte Landesordnung" in Kraft
gesetzt, die den Absolutismus begründete, das römisch-katholische
Bekenntnis zur allein zulässigen Religion erklärte und die
Gleichberechtigung der tschechischen und der deutschen Sprache bestimmte. Im
Interesse der Zentralisierung und Effektivierung der staatlichen Verwaltung
wurde die deutsche Sprache meist vorgezogen, so daß diese bald die
führende Rolle einnahm und ihr Gebrauch als modern angesehen wurde. Das
Tschechische erhielt sich vor allem auf dem Lande und als Grundstock unter den
Gebildeten. Die Veränderungen in der Benutzung der Sprache wurden noch
vestärkt durch die Emigration von bis zu 30.000 protestantischen Familien
und durch den Zuzug von Ausländern - nicht nur Untertanen, sondern auch
Adligen. Die tschechischen Emigranten wandten sich vor allem nach Pirna,
Dresden, Berlin, Zittau, ferner nach Preußen, Polen, Holland und England.
Bedeutende Zentren der tschechischen Emigration entstanden im polnischen
Le¹no, später in Berlin-Rixdorf und in der Lausitz (Herrnhut). Die
deutschen Flüchtlinge aus dem Erzgebirge siedelten sich in einer neuen
sächsischen Stadt an, die sie nach ihrem Gönner dem sächsischen
Kurfürsten Johann-Georgenstadt benannten. Die herausragende
Persönlichkeit der Emigration war der Bischof der Brüderunität,
Pädagoge und Philosoph Johann Amos Comenius. Zu den Bischöfen der
Brüderunität im Exil gehörten auch sein Enkel Daniel Ernst
Jablonski, 1711 Begründer der Berliner Akademie der Wissenschaften, ebenso
wie der deutsche Schirmherr der Brüdergemeinde in Herrnhut Graf Nikolaus
Ludwig von Zinzendorf. Die Zahl der Einwohner in Böhmen sank im Zuge des
Krieges um ein Drittel, während die Germanisierung voranschritt.
Die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, bisweilen als "Zeit der
Finsternis" bezeichnet, darf nicht nur einseitig wahrgenommen werden.
Gewiß wurden zahlreiche tschechische Künstler in die Emigration
getrieben - etwa der Maler Karel ©kréta, oder der Graphiker
Václav Hollar. Trotzdem blieb Böhmen auch weiterhin
Wirkungsstätte einheimischer wie internationaler Künstler und
Wissenschaftler. Unter den Tschechen wären Adam Michna von Otradovice,
Wenzel Lorenz Reiner und Peter Brandl zu nennen, auf deutscher Seite etwa die
Familie Dientzenhofer, der Bildhauer Ferdinand Brokoff und der aus der Slowakei
stammende Mathias Bernard Braun. Aber auch der aus Italien stammende
Schöpfer der Barockgotik Johann Blasius Santini-Aichl oder der spanische
Theologe Rodrigo de Arriaga gehören in diese Zeit. Gemeinsames
Ausdrucksmittel der genannten Künstler war der Barock, ein neuer Stil, der
zu recht mit der Gegenreformation in Verbindung gebracht wird, aber dennoch
einen unumstrittenen Rang nicht nur in der tschechischen, sondern in der
europäischen Kunstgeschichte einnimmt. Für die Pflege der
römisch-katholischen Frömmigkeit und Bildung sorgten neue Orden:
Karmeliter, Kapuziner und Piaristen. Die Verfolgung der Evangelischen war zu
Beginn sehr hart, im Verlauf des 18. Jahhunderts wurden die Strafen etwas
abgemildert. Wesentlich anders war die Situation in Schlesien, wo die
Evangelischen den Schutz zunächst des sächsischen Kursfürsten,
dann des preußischen Königs genossen, der das Gebiet Mitte des 18.
Jahrhunderts seiner Herrschaft einverleibte.
Im Zuge der weiteren Zentralisierung kam es zur Säkularisierung des
Schulwesens, zur Aufhebung von Klöstern und zur Auflösung der
zentralen Landesbehörden, die erst zusammengelegt und dann nach Wien
verlagert wurden. Zugleich setzte sich immer mehr die deutsche Sprache durch,
die seit 1764 auch auf dem Boden der Universität das Lateinische
ablöste. Im Zusammenhang mit der Säkularisierung einiger Bereiche des
öffentlichen Lebens stand auch die Aufhebung der Leibeigenschaft und die
Herausgabe des Toleranzpatents 1781. Auf seiner Grundlage wurden das orthodoxe,
das lutherische und das reformierte Glaubensbekenntnis geduldet. Das Patent
wurde an vielen Orten geheimgehalten. Bei der Information der Bevölkerung
und der Gründung der neuen Gemeinden halfen sich die tschechischen und
deutschen Nichtkatholiken gegenseitig. Zu den Orten, wo sich die Evangelischen
beider Bevölkerungsgruppen zusammenschlossen, gehörte Prag, die
deutsche Gemeinde in Èenkovice und die tschechische Gemeinde in Horní
Èermná im böhmisch-mährischen Grenzgebiet. In Nord und
Nordwestböhmen entstanden keine neue Gemeinden - die dortigen
Nichtkatholiken suchten weiterhin die sächsischen und schlesischen
Gemeinden jenseits der Grenze auf.
Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts entstand im tschechischen
Bildungsbürgertum als Reaktion auf den Germanisierungdruck die Bewegung
der "nationalen Wiedergeburt", die im 19. Jahrhundert in die politische
Emanzipation der tschechischen Nation einmündete. Eine Begleiterscheinung
der nationalen Bewußtwerdung auf beiden Seiten waren jedoch zunehmende
Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen.
Tschechische Literatur
1) Jaroslav Èechura, Zimní král aneb èeské
dobrodru¾ství Fridricha Falckého, Praha 2004, 380 S.
2) Eva Melmuková, Patent zvaný toleranèní, Praha 1999, 238
S.
3) Jiøí Otter, Údìl èesko-nìmeckého
sousedství v zrcadle dvanácti století, Her¹pice 1994, 178
S.
4) Ferdinand Seibt, Nìmecko a Èe¹i. Dìjiny jednoho
sousedství uprostøed Evropy, aus dem Deutschen übersetzt von
Petr Dvoøáèek, Praha 1996, 464 S.
5) Tisíc let èesko-nìmeckých vztahù. Data, jména
a fakta k politickému, kulturnímu a církevnímu vývoji
v èeských zemích, Praha 1995, 288 S.
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