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Wolfgang Eibich
Pfarrer Walter Eibich
(1912-1995)
Am 24. Januar 2012 würde Pfarrer Walter Eibich, letzter deutscher
evangelischer Pfarrer in Roßbach bei Asch und Mitbegründer
der Johannes-Mathesius-Gesellschaft 100 Jahre alt. Aus diesem Anlaß
erinnert sein ältester noch lebender Sohn Wolfgang Eibich an die
wichtigsten Stationen ihres gemeinsamen Lebens.
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Gewidmet:
Pfr. Walter Eibich, verstorben 1995
Ehefrau Elsa, verstorben 1957
2. Ehefrau Irma, verstorben 1999
Sohn Hans-Dieter, verstorben 1955
Tochter Irmtraud, verstorben 1997
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Am 24. 1. 2012 würde mein verstorbener Vater Pfr. Walter Eibich 100 Jahre alt werden. Dies war für mich Anlass über seinen und damit auch meinen gemeinsamen Lebensweg nachzudenken und diese Wege aufzuzeigen.
Nach Flucht und Vertreibung aus dem Sudetenland (letzter Pfarrer in Roßbach), war seine Familie auf fünf Köpfe angewachsen. Er selbst, seine Frau Elsa, die er 1939 heiratete, sowie die älteste Tochter Irmtraud 1940 geb., ihre Schwester Lieselotte und mein Bruder Dieter, der in Melsungen noch einen schweren tödlichen Unfall erleiden sollte. Mein Vater war von 1940-1941 und von 1945-1946 Pfarrer in Roßbach Krs. Asch/Sudetenland. Von 1941 - 1945 hat auch er an Kriegsdienstleistungen bei der deutschen Marine, zunächst als Sanitäter, später als Oberfähnrich der Verwaltung, am Weltkrieg teilgenommen. Die fünfköpfige Familie Eibich wurde dann im Mai 1946 mit einem Teil der Gemeinde nach Kurhessen-Waldeck vertrieben. 1947 kam dann der Verfasser dieser Biografie, Wolfgang Eibich, im Krankenhaus zu Melsungen zur Welt. In den ersten Monaten lebten wir in einer Wohnung nahe dem Marktplatz bei Gleims. Später konnten wir umziehen in das damalige Pfarrhaus Rotenburger Str. 9 und hatten dann wesentlich mehr Platz. Leiderist dieses Haus nach unserem Wegzug 1957 als Fachwerkhaus aus mir bis heute unbekannten Gründen abgerissen worden. Auch ein Foto als Fachwerkhaus des inneren Stadtkerns (vielleicht zusammen mit Haus Nr. 7, ehem. Bartenwetzer-Apotheke) habe ich bis heute nicht gefunden. 1952 wurden ich, mein Bruder Ernst (1949 geb.) und unsere Freunde aus der Rotenburger Straße in die Volksschule Melsungen eingeschult. Nach 4 Jahren Volksschule machten ich und mein Kinderfreund und heutiger Apotheker J. Sch. die Prüfung zur Aufnahme in das Gymnasium, das wir auch bestanden. 1955 passierte in Melsungen jedoch ein Unglück, bei dem mein Bruder Dieter nach 3 Tagen verstarb. Sein Freund Gerhard Reinemund und ich waren dabei. Er stürzte rücklings von einer Strohmiete ab und brach sich das Genick und beide Handknöchel. Es war ein Schock für meine Eltern und die ganze Familie. Dieter galt als sehr musikalisch und lernwillig. Er starb im 15. Lebensjahr. Mein Vater konnte sich als Pfarrer in M
elsungen einen Namen machen. Ich empfand ihn oft als den ,,Prediger". Er engagierte sich in vielen Dingen, sodass wir Kinder oft auf ihn verzichten mussten. Wenn es aber mal klappte, nahm er uns mit auf die Hochzeiten, die er auf den Dörfern rund um Melsungen zu halten hatte. Das tollste war, dass wir abends mit dicken Kuchen- oder Wurstpaketen nach Hause kamen.
Meine Mutter hatte sich als ausgebildete Organistin u. Chorleiterin der Musikantengilde ebenso stark in der Gemeinde engagiert und war sehr beliebt. Sie litt aber seit Jahren an Darmkrebs. Wenn ich mit ihr zum Üben an die Orgel in der Stadtkirche ging, wischte sie öfter die Holzbank sauber. Sie versuchte alles so gut es ging zu überspielen bzw. zu vertuschen. 1956 musste sie oft nach Kassel gebracht werden und wurde dort von der Kobaltbombe bestrahlt. Sie fiel jetzt praktisch als Mutter aus. Im März 1957 wurden mein Bruder Ernst und ich aus der Schule nach Hause geholt: Mutti ist tot. Es war eine der größten Beerdigungen, die ich je erlebt habe. In der Folgezeit bemerkte ich, wie sich unser Familienleben änderte. Jeder war mit sich beschäftigt. Da wir erst 8 und 10 Jahre alt waren, musste unsere älteste Schwester Irmtraud teilweise Erziehungs- und Haushaltsaufgaben übernehmen. Ich konnte mich in der Schule nicht richtig konzentrieren und das Lernen fiel mir schwer. Deshalb gab es auch kein Abitur und kein Studium. Mein Vater hätte gern gesehen, wenn einer seiner Söhne Theologie studiert hätte. Es muss noch erwähnt werden, dass mein Vater im Juli 1958 eine neue Frau mit 3 Kindern heiratete. Im März 1957 starb unsere Mutter, im Juli 1958 hat Vater sich wieder verheiratet. Damit ist der Vorwurf der Melsunger widerlegt, mein Vater hätte das Trauerjahr nicht eingehalten. Außerdem hatte er für 7 Kindern zu sorgen, wobei 2 Kinder noch klein waren. Es war nicht immer leicht für mich und meine Geschwister, eine neue Mutter zu akzeptieren. Noch 1957 zogen wir nach Kassel und Vater trat eine neue Pfarrstelle an.
Wir bekamen in Kassel zunächst ein Ausweichquartier in der Elfbuchenstraße, da das neu zu bauende Gemeindezentrum (Kirche + Pfarrhaus) in KS-Erlenfeld noch nicht bezugsfertig war. Ich hatte nun 3 leibliche und 3 angeheiratete Geschwister, die ihre Mutter noch hatten. Das war für mich in meiner aufkommenden Pubertät der Hauptgrund neidisch zu sein und Abstand zu halten. Ich machte mit Ach und Krach die Mittlere Reife, suchte mir den Beruf des Polizeibeamten aus und ging zur Ausbildung nach Südhessen. Mein Zuhause hatte zumindest starke Risse bekommen. Es gab in dieser Zeit noch drakonische Strafen, die meist von meinem Vater ausgesprochen wurden. Bei schlechten schulischen Leistungen kannte er sogar noch die Prügelstrafe. Ich haßte ihn manchmal dafür. Ich brauchte keine Prügel, sondern ein liebevolles Gespräch, wie es meine Mutter getan hätte. Meine große Schwester Irmtraud schlüpfte manchesmal in diese Rolle. Ich hatte auch schöne Zeiten. Ich wuchs als junger Mann heran und wurde noch in der alten Holzkirche von meinem Vater konfirmiert. Aus diesem Grund wird mich Frau Pfr. Eva Kilian für das Jahr 2012 zur Feier der Goldenen Konfirmation einladen. Auch die Erlebnisse und Fahrradtouren mit Zeltübernachtungen und den vielen Wochenendfreizeiten auf der CVJM-Hütte, auf denen mein Vater manchmal teilnahm, möchte ich nicht missen. Trotz Tod meiner Mutter, war dies eine meiner schönsten Zeiten v. 10. - 21. Lebensjahr. Es gab viele Freunde u. Bekannte und der CVJM gab uns allen Halt und Aufgabe.
Ich war 20 oder 21 Jahre alt und hatte die Ausbildung bei der Hessischen Polizei erfolgreich hinter mich gebracht und machte bereits Einzeldienst in Frankfurt am Main, als mein Vater den Familienrat einberief und fragte, wer damit einverstanden sei, dass er eine neu geschaffene Pfarrstelle in Kitzbühel i.T./Österreich antreten solle. Die Mehrzahl der Familie war dafür und so trat mein Vater 1968 die Pfarrstelle in Kitzbühel an. Ich freute mich auf viele Besuche in den herrlichen Tiroler Bergen, im Sommer und vor allem im Winter zum Skilaufen.
In Kitzbühel handelte es sich ja ebenso wie in Kassel, um eine neue Kirche und ein neues Pfarrhaus, dass für 7-10 Personen nicht groß genug sein konnte, besonders an Feiertagen wie Weihnachten und Ostern. Wenn dann noch guter und reichlich Schnee vorhanden war, platzte unser Haus aus allen Nähten und der eine oder andere musste ausquartiert werden. Mittags oder abends traf sich dann alles wieder um den großen Kirschenholztisch auf dem Irmas guter Braten mit Böhmischen Semmelknödeln serviert wurden. Das war natürlich genau das Essen, das Walter liebte und nach seinen anstrengenden Gottesdiensten (Hauptgottesdienst, Kindergottesdienst, sowie Ortsteilgottesdiensten) wieder zu Kräften brachte. In Kitzbühel war ich natürlich nicht ständig an der Seite meines Vaters, da ich meinem Beruf in Frankfurt a.M. nachgehen mußte und so konnte ich ihn nur im Urlaub oder Kurzbesuchen erleben. 1980 kam meine Tochter Steffi in Frankfurt zur Welt und wir fuhren so oft es ging zu Opa und Oma in die Tiroler Berge. Mein Vater lebte dort sichtlich auf, ihm machte die Arbeit Spaß und er war schnell anerkannt. Er lud uns oft zu Touren in die umliegenden Täler und den umliegenden Kitzbüheler Bergen ein. Eine größere Tour führte uns, d.h. Walter + Wolfgang Eibich, ein Freund von mir Rolf Lieberum und unser Bergsteiger aus Kitzbühel Herbert Strobel, 1976 auf den Großvenediger, den wir von der Südseite aus angingen. Mein Vater war damals 64 Jahre alt, so alt wie ich heute. Das war unsere umfangreichste Bergtour. Wir sprachen oft davon und wenn es der liebe Gott zulässt, könnte man ja den Großglockner noch in Angriff nehmen. Aber leider war uns dies nicht mehr vergönnt. So verging die Zeit mit Dienst, Familie und Freizeit. An und ab gestaltete er mit Irma (seiner 2. Frau) den Pfarrgarten zwischen Pfarrhaus und Kirche auf steilem Hang selbst. Leider entwickelte sich das Familienleben von mir aus gesehen nicht harmonisch. Es gab ständig Auseinandersetzungen mit der 2. Mutter oder deren drei Kindern
. Anderen leiblichen Geschwistern ging es ähnlich aber keiner zeigte es so offen und kritisierte so offen wie ich. Deshalb hatte ich es in der Familie immer schwer und fühlte mich nur wohl, wenn meine Familie in der Nähe war oder meine Lieblingsschwester Irmtraud, die vor ihrer Pensionierung an schwarzem Hautkrebs starb. Vor dem Tod von Irma und Walter kamen Gespräche mit mir auf, in denen die Eltern erkannten, was mit mir los war. Es war der Neid und die Eifersucht auf die angeheirateten Geschwister, die sehr oft vorgezogen wurden. War ja auch verständlich, da diese Geschwister ihre Mutter noch hatten und diese auch für die Vorteile ihrer Kinder sorgen konnte und auch tat. Meinem Vater und meiner 2. Mutter wurde dies leider zu spät klar. Mein Vater wurde 1980 pensioniert im 68. Lebensjahr. Er genoß seine Freizeit in einem herrlichen Land, er fuhr im Winter viel mit den Langlaufskiern und arbeitete an seinem Schreibtisch viel an seinen Schriftstücken für die Sudetendeutschen und hatte zu seinem Ruhestand eine passende Eigentumswohnung in Brixen i.Th. gefunden. Das war die 2.Wohnung die er besaß, nachdem er ein Grundstück in Kirchberg im Tausch für eine dort zu erstellende Ferienwohnung (auf der Baustelle half er später mit) hergab.
Diese Ferienwohnung sollte laut Testament an die Kinder der 2. verstorbenen Ehefrau und die Wohnung in Brixen i.Th. an mich als ältesten Sohn vererbt werden. Die Geschwister sollten geldlich abgegolten werden. Nach dem Tod meines Vaters haben dieselben die Verfügung nicht akzeptieren wollen und die Wohnung entgegen seinem letzten Willen verkauft. Auch die Ferienwohnung in Kirchberg wurde sofort nach seinem Tod veräußert. Dies war sehr traurig und bis heute sind die Wunden darüber nicht verheilt.
1995 starb mein Vater relativ plötzlich im 83. Lebensjahr im Kitzbüheler Krankenhaus an einer Lungenentzündung. Vieles wollte ich noch mit ihm besprechen, aber leider war es nicht mehr möglich. 3 Jahre nach seinem Tod ist seine Frau Irma nach einem Schlaganfall ins Koma gefallen. Sie wurde unter gerichtlichen Vormund ihrer Tochter Edda gestellt und siechte noch ein Jahr in einem Pflegeheim b. Stuttgart bis zu ihrem Tod 1999 dahin. Sie wurde in Hof/By. (Wohnort ihrer Tochter Wally) beigesetzt, was ich sehr bedauerlich fand, da sie nicht neben ihrem Mann in Brixen i.Th. zur letzten Ruhe gebettet wurde. Tirol war für die gesamte Familie nur noch eine Ära und es finden nur noch gelegentliche Grabbesuche statt. Am 16.8.2011 starten wir (meine Frau, ein Freund und ich) zu einer Alpenquerung als Gedenken an meinen Vater.
Der erste Name der mir einfällt, war Familie D. mit ihren drei Kindern. Sie gehörten zur Gemeinde unseres Vaters und wir freundeten uns schnell an. Familie D. suchte einen Bauplatz. Meine Eltern waren im Besitz eines solchen in der Gemeinde Kirchberg. Man war sich schnell einig, setzte entsprechende Verträge auf und Herr D. als gelernter Betonfacharbeiter machte sich an die Arbeit. Im Gegenzug zum Wert des Grundstücks verpflichtete sich die Fam. D., eine Ferienwohnung zu erstellen. Diese Wohnung war 1983 fertiggestellt und wurde von allen Familienmitgliedern Sommer wie Winter bewohnt. 1980 ist Vater pensioniert worden und er hatte für diese Zeit vorgesorgt. Er hatte die Dienstwohnung (Pfarrhaus) zu verlassen und privat zu wohnen. Da er sich wiederum ein kleines Kapital aufgebaut hatte, konnte er sich mit seiner Frau Irma eine Eigentumswohnug in Brixen im Thale kaufen. Die Wohnung war so geräumig, daß ich mit meiner Frau und Tochter öfter zum Urlauben bei den Eltern wohnen konnte. Unsere Eltern konnten eine schöne Pensionszeit verbringen, in dieser Zeit hat mein Vater viele Vertretungsgottesdienste gehalten. Sein großes Hobby waren seine Lichtbildervorträge über Flora und Fauna Tirols. Dafür hat er viele Ehrungen von Seiten des österreichischen Staates und des Landes Tirol erhalten. Die Stadt Kitzbühel hat ihm für seine Verdienste die Goldene Gams verliehen.
Einer besonderen Erwähnung im menschlichen Kontakt vor allem als Nachbar, bedarf es unserem jetztigen Bürgermeister Dr. Klaus Winkler. Er wohnte damals mit seinen Eltern im Nachbarhaus. Er drückte sich in einem Brief an mich folgendermaßen aus: ,,er war für mich immer eine schillernde Persönlichkeit, auf welche wir Kinder am Ölberg aufgeblickt haben, doch verbinden mich auch viele schöne Momente, in welchen er sehr viel Herz für die Menschen, insbesondere an uns Nachbarn gezeigt hat.`` Es geht im Brief weiter: ,,die Nachbarschaft, im besonderen mit meinen Eltern war immer auf hohem Niveau. Seine Verbundenheit zur Bergwelt war weitaus bekannt. Seine Lichtbildervorträge sehr beliebt, abwechslungsreich und äußerst interessant." Ein Gruß und ein Dankeschön gilt auch Dr. G. D., der viel mit meinem Vater zusammen gearbeitet hat. Zunächst im Presbyterium. Dort versuchte man, junge Leute in die Gemeindearbeit miteinzubeziehen. ,,Als junger Pflichtschullehrer verband mich mit Walter Eibich der häufige Kontakt mit seiner Tätigkeit als Religionslehrer. Ein weiterer Berührungspunkt war Walter Eibichs Engagement für den einheimischen Tourismus und einer Urlauber-Seelsorge, mit Lichtbildervorträgen und seiner Präsenz in der örtlichen Öffentlichkeit. Besonders positiv fand ich seine Präsenz bei der ,,700 Jahr-Feier der Stadterhebung Kitzbühels" und bei der Einweihung der Doppel-Hauptschule Kitzbühel, wo der die evangelische Pfarrgemeinde Kitzbühel sehr gut vertrat.`` In der Folge schied Herr D. aus dem Presbyterium aus. Sie hatten leider kaum noch Kontakt. Er traf meinen Vater während seiner Pensionszeit noch in Kirchberg/Tirol und Hr. D. studierte nebenberuflich an der Universität Innsbruck. Der Kontakt war aber verloren.
Weiterhin zu erwähnen wäre Herr H. W., der damals schon einen guten Kontakt zum Kitzbüheler Anzeiger, seinen Bürgern u. Traditionen gehabt hat. Ich nehme an, dass sich beide befruchtet haben. Vater mit seinen Dia-Vorträgen und Hr. W. mit seinen Ortskenntnissen.
Als letztes Beispiel aus seiner schönen Kitzbüheler Zeit ist die Familie K. zu nennen, die 1972 von meinem Vater als ökomenische Hochzeit in der katholischen Kirche getraut wurden. Frau K. schrieb mich an, nachdem ich im Kitzbüheler Anzeiger von unseren Aktivitäten zu seinem 100. Geburtstag berichtet hatte. Neben einigen Hochzeitsfotos ist auch ein Gedicht überliefert worden das, so nehme ich an, aus seiner berühmten Geburtstags- und Hochzeitsmappe vorgelesen wurde und zu längerer Heiterkeit geführt hat.
Ich selbst finde es schade, dass mich nun kein regelmäßiger Besuch mehr in diese herrliche Gegend führen wird, da meine Geschwister es fertiggebracht haben, innerhalb weniger Jahre zwei herrliche Immobilien-Einheiten in einer der interessantesten europäischen Tourismusgebiete zu verkaufen, ohne dass Bedarf bestand.
Die Erstgemeinde und der Ursprung der Familie Eibich stammt aus dem Sudetenland. Da der Biograf erst 1947 in Hessen geboren wurde, stammt dieses Kapitel aus den Aufzeichnungen und Erzählungen von Walter Eibich, speziell aus Kirchlichen Anzeigern der Kirchengemeinnde Bettenhausen vom 01.03.1958 oder was ich selbst mal zu Ohren bekam.
Recht verdattert stand der Abiturient der Staats-Oberrealschule in Aussig a.d.Elbe (Sudetenland) Walter Eibich in seinem zu knapp gewordenen Konfirmandenanzug vor seinem Deutschlehrer, nachdem ihm dieser zum Theologiestudium geraten hatte. Zwar hatte er mit Auszeichnung maturiert und seine Deutscharbeit über ein philosophisches Thema anscheinend auch zur vollsten Zufriedenheit der Prüfenden geschrieben, aber jemals auf eine Kanzel steigen, in der Öffentlichkeit wirken und künftig keine freien Sonntage mehr haben, nein, das schien dem etwas schamhaften, scheuen jungen Mann denn doch ein nicht zumutbares Ansinnen, zumal ihm seine in recht bescheidenen finanziellen Verhältnissen lebenden Eltern kein längeres Studium ermöglichen konnten. Viel lieber wollte er in die Industrie gehen und sich dort emporarbeiten.
Tatsächlich trat er auch im Sommer 1930 als Volontär in eine heizungstechnische Firma in Bodenbach a.d. Elbe ein. Aber Bleistiftspitzen und Aktenablegen befriedigte ihn in keinster Weise. Durch Vermittlung seiner ehemaligen Klassenkameraden gelingt es ihm auch sehr bald, in das Betriebsbüro einer Lack-u. Farbenfabrik eintreten zu können, wo er seine auf der Realschule erworbenen Kenntnisse besser verwerten und auch mehr verdienen kann. Sein jugendlicher Idealismus aber und sein stark ausgeprägtes Verantwortungsgefühl für das Volksganze, fanden zunächst volle Befriedigung im deutsch-völkischen Turnverein, die ja damals alle unter der Führung von Konrad Henlein Erziehungsstätten zum bewussten Deutschtum waren, um den immer massiver werdenden Entnationalisierungsversuchen des tschechischen Staatsvolkes zu begegnen. Der Weg des jungen Mannes, den er sich selbst gewählt hatte, schien klar und für immer festzuliegen. ,,Aber der Herr allein gibt, dass er fortgehe", heißt es ja weiter in dem als Überschrift gewählten Spruch. Und so geschah es auch, dass Gott den Neunzehnjährigen nicht losließ und ihm eine Unruhe und Unzufriedenheit ins Herz gab, bis er dort stand, wo Gott ihn brauchen wollte. Das Betriebsklima in der Lackfabrik war sehr schlecht und hätte ihn gezwungen, zur Radfahrernatur zu werden, wenn er es zu etwas hätte bringen wollen. So sehnte er sich bald nach einer anderen Stelle, die ihn mehr befriedigen würde. Da ermahnte ihn ein väterlicher Freund, doch den Vorschlag des Deutschlehrers, Theologie zu studieren und Pfarrer zu werden, aufzugreifen und jetzt fiel er auf fruchtbaren Boden. Aber wie sollte das geschehen? Für ein Hochschulstudium fehlte die Reifeprüfung in Latein und das nötige Geld. Eine Vorsprache bei dem zuständigen Gemeindepfarrer wies den Weg, der zwar zunächst ein Umweg war, aber im Endeffekt das gesteckte Ziel um so sicherer erreichen ließ. Kirchenrat Baier nahm also seinen ehemaligen Konfirmanden als Kirchgemeindesekretär in Dienst (wobei er mi
t allen praktischen Pfarramtsgeschäften vetraut wurde) und ein humanistisch gebildeter Vater eines Freundes erteilte ihm in den Abendstunden kostenlosen Lateinunterricht. Nach 2 1/2-jähriger Tätigkeit in der Lackfabrik sollten noch einmal zweieinhalb Jahre vergehen, bis der Start an die Universität Wien gelang. Aber noch einmal glaubte der frischgebackene Gemeindesekretär seinen eigenen Weg gehen zu können.
Es war ja die Zeit politischer Hochspannung (1933-1935) und für das durch den Friedensvertrag von St. Germain von Österreich abgetrennte und dem tschechischen Traum vom reinen tschechischen Nationalstaat ausgelieferte Sudetendeutschtum, die Zeit der Hoffnung auf Befreiung und Sicherung seiner nationalen Belange. (Persönl. Einschätzung v. Pfr. W. Eibich i.J. 1958). Unter diesen Umständen erschien es dem stud. theol. in spe das weitere Studium und vorallem die Opferung seiner freien Zeit für das Lateinstudium wie eine nicht zu verantwortende Flucht vor dem wirklichen Leben und er entschloss sich Gemeindesekretär und Diet(kultur)wart des dt. Turnvereins zu bleiben. Doch abermals bediente sich Gott eines wackeren Mannes - es war der Kurator der ev. Kirchengemeinde, ein Tuchfabrikant - um sich sein Werkzeug zuzubereiten. Dieser Mann verstand es - hatte er doch als Industrieführer die nötige Autorität, dem jungen Heißsporn klarzumachen, dass man seinem Volke auf keinem anderen Posten besser und wirksamer dienen könne als auf dem eines Gemeindepfarrers. Nun wurde der Endspurt unternommen, die Lateinprüfung am Brüxer Gymnasium nachgeholt, im September 1935 die Universität Wien bezogen und alles andere rollte so planmäßig und ohne Schwierigkeiten ab, dass die Zeit bis zum Amtsantritt am 01. Juli 1939 in Teplitz-Schonau wie im Fluge verging. In den ersten beiden Semestern musste freilich wegen der griechischen und hebräischen Sprachprüfung besonders fleißig gearbeitet und wegen Geldmangel auch gehungert werden. Aber die weiteren Semester im Franz-Rendtorff-Haus in Leipzig, das eine Semester in Erlangen und der Abschluss wieder in Wien, verliefen dank der kostenlosen Aufnahme in Heimen und Stipendien ohne besondere Schwierigkeiten. In Wien wurde stud.theol. Eibich auch mit seiner künftigen Ehefrau Elsa ligner, einer Studentin der Wiener Musikakademie, bekannt, welche er dann auch kurz nach bestandenem Examen heiratete.
Dies war auch meine Mutter, die ich leider 10-jährig meinem Herrgott zurückgeben musste. Sie als Musiklehrerin aus Wien, versuchte mir das Klavierspielen beizubringen. Heute kann ich nur noch den Flohwalzer. Der Beginn seiner Tätigkeit als Pfarrer in Teplitz-Schönau fiel in den Ausbruch des 2. Weltkrieges. Es sollte sich bald zeigen, dass der Umweg über die Industrie und Praxis nicht vergebens gewesen war; denn Pfr. Eibich wurde dadurch in die Lage versetzt, besonders schwierige Gemeindesituationen zu meistern und seinen Gemeindegliedern immer menschlich nahe zu bleiben. Wie ein Idyll muten im Rückblick die 1 1/2 Jahre Vikariatszeit in der selbständigen Diaspora-Zweiggemeinde Böhmisch - Kamnitz in dem reizvollen Nordböhmen an, wo er der Nachfolger des sudetendeutschen Singepfarrers Hans Mrozek wurde. Wesentlich härter wurden dagegen die Anforderungen, als er im Mai 1941 in die seit der Reformation lutherische Marktgemeinde Roßbach bei Asch mit ihren über 5000 Seelen gerufen wurde, deren geistliches Leben durch das Versagen dreier Vorgänger völlig zerrüttet war. Hier konnte nur unbedingte Treue im Kleinen und Kleinsten, Geduld und Zähigkeit neues Vertrauen wachsen lassen. Und das hatte Pfarrer Eibich ja bei seinem eigenen Werdegang gelernt und bewähren müssen. Leider mußte er das eben begonnene Wiederaufbauwerk nach einem Jahr (Januar 1942) wegen seiner Einberufung zur Marine wieder niederlegen. In der Marine diente er 3 Jahre, zunächst als Sanitäter und später als ROA der Verwaltung. Nach der Entlassung aus der Internierung in Schleswig-Holstein im August 1945 schlich er sich heimlich über die grüne Grenze in die wiedererstandene Tschechoslowakei zu Frau und seinen drei Kindern. Bei den Kindern handelt es sich um Tochter Irmtraud und Lieselotte und den Sohn Dieter, die im Sudetenland geboren wurden.) und seiner Gemeinde, die in seiner Abwesenheit durch die als Organistin und Kirchenchorleiterin wacker tätige Ehefrau gut zusammengehalten worden war. Aber wiederum war
ihm nur eine 3/4 jährliche Wirksamkeit gegönnt; denn im Juni 1946 entführte ihn die Vertreibung mit einem Teil der Gemeinde in unser Hessenland, und zwar zunächst nach Stolzhausen im Kreis Melsungen, von wo er sehr bald in Malsfeld einen ebenfalls sehr schwierigen Vertretungsdienst übernahm.
Schon im September 1946 übersiedelte er aber mit seiner Familie nach Melsungen, wo er zunächst die Hilfspfarrstelle und ab 1948 die neu errichtete dritte Pfarrstelle bis zu seinem Wechsel nach Kassel begleitete. Seine Herkunft und sein Interesse für die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche bestimmten ihn sehr bald zum Kreismänner- und Pressepfarrer und er hat darin entscheidende Pionierarbeit geleistet. Aber auch seiner in alle Winde zerstreuten sudetendeutschen Gemeinde ist er mit großer Hirtentreue durch weite Besuchsfahrten, Treffen und Korrespondenz und einem nun schon im 11. Jahre erscheinenden Gemeindeblatt ,,Heimatbote" nachgegangen. Dieses machte er 1952 zum Träger eines kirchlichen Mitteilungsblattes für alle ev. Sudetendt, genannt ,,Glaube und Heimat`` und trug damit entscheidend dazu bei, dass die einstmals blühende deutsche evangelische Kirche im Sudetenland nicht in Vergessenheit geriet. Durch diese Tätigkeit wurde Pfarrer Eibich in den Vorstand der Gemeinschaft ev. Sudetendeutscher berufen. Trotz dieser die Freizeit sehr beanspruchenden ehrenamtlichen Tätigkeit fand Pfr. Walter Eibich aber noch die Zeit und Kraft, in seinen beiden Filialdörfem Kirchhof und Kehrenbach ebenso wie in seinem Melsunger Pfarrbezirk der Siedlung recht rührige Frauenkreise ins Leben zu rufen.
Hätte es nun, mindestens seit dem Beginn des Theologiestudiums so scheinen können, als deckte sich der Weg Gottes mit dem des Menschen Walter Eibich, so wurde es an zwei sehr einschneidenden Ereignissen deutlich, daß der Weg Gottes und der Weg des Menschen in dieser Welt wohl nie ganz zur Deckung kommt; denn so spricht der Herr:
,,Meine Wege sind nicht eure Wege und eure Gedanken sind nicht meine Gedanken."
Im Oktober 1955 nahm der Herr über Leben und Tod den frischen, zwölfjährigen, sehr begabten ältesten Jungen Hans-Dieter durch Unfalltod aus der Schar der fünf Geschwister und am 30. März 1957 folgte ihm seine Mutter, erst 42jährig, in die Ewigkeit nach. Die infolge ihres Wiener Charmes und übersprudelnder Musikalität in Melsungen sehr beliebte Pfarrfrau hatte über 5 Jahre an Krebs zu leiden und ist dieser bösen Krankheit trotz zweimaliger erfolgreicher Operation schließlich erlegen. So hat Pfr. Eibich am eigenen Leib erfahren, was es heißt, das zu verlieren, was man auf Erden verlieren kann: Heimat, Hab und Gut und Weib und Kind. Aber das alles hat ihn der Sache Gottes nicht entfremdet, sondern nur noch mehr verbunden, weil es ja alles im Worte Gottes seine Bestätigung findet und es ihm dadurch leichter gemacht ist, die Traurigen und Leidtragenden aufzurichten. Pfr. Eibich hat 1958 Melsungen verlassen und ist nun zu uns gekommen, (die feierliche Amtseinführung durch Kirchenrat Dekan Schwab fand im Gottesdienst am Sonntag, dem 23.02.1958 in der Immanuelkirche statt), weil er mit Gottes Hilfe eine neue Familie zu gründen hoffte und er sieht es dabei als eine besondere Freundlichkeit Gottes an, daß ihm nach den schmerzlichen Verlusten der letzte Jahre mit der 2. Frau noch drei Kinder dazu beschert werden (die Problematik habe ich weiter vorne beschrieben), so daß in das noch zu erstellende zweite Pfarrhaus (neben dem von Pfr. W.) im Erlenfeld neun Personen einziehen werden. Zum Schluß schreibt Walter Eibich: Möge Gott auch diesen neuen Anfang und Weg in Familie u. Gemeinde segnen und zu einem rechten Höhenweg werden lassen zu seiner Ehre und zu unser aller Freude.
Möge er in der Ewigkeit seinen Frieden gefunden haben - AMEN.
Wolfgang Eibich
Dr.-Erich-Schneider-Str. 2a, D 35619 Braunfels/Hessen
E-mail:
eibichbraunfels@t-online.de
Telefon: 0049 6442 5935
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