Die Deutsche Evangelische Kirche
in Böhmen, Mähren und Schlesien
1919 - 1921
Heidelberg-Wien o.J. (1989), 116 Seiten
(3. Teil)
1921
Masaryks Verhältnis zu den christlichen Kirchen
Tschechischer Nationalstaat
Die Herausgabe der Kirchenverfassung
Amtsblatt der DEKiBMS vom 1. 2. 1923 - Faksimile
Schwedenreise
Gemeinde Rosendorf
Kreistag und GAV-Jahresfest in Ostböhmen
Budweis
Gründung des Diakoniemutterhauses in Aussig
Jubiläum der Wiener Fakultät
Besuche in Mährischen Gemeinden
Waisenhaus in Haber
Sonnenhof
Weltbruderschaftskonferenz in Prag
Die Tschechoslowakische Kirche
Johannes Georg Schaarschmidt, Aussig
Kinderheim in Görkau
Jahresversammlung des Gustav-Adolf-Hauptvereines in Komotau
Kirchentag in Stuttgart: deutsch und evangelisch
Mähr. Ostrau und Friedeck
Das Diakonissenhaus in Prag
Visitationen in Haber und Karbitz
Die evangelische Kirche A. B. in der Slowakei
Tagung des Evangelischen Bundes
Personalia
Vielleicht nahm Wehrenfennig an, daß der Präsident der èsl. Republik T. G. Masaryk sich als Glied der tschechisch-brüderisch evangelischen Kirche fühlte, obwohl nirgends angeführt war, daß Masaryk nach seinem Bruch mit der römisch-katholischen Kirche in die neuentstandene tschechisch-brüderische evangelische Kirche oder gar in die später sich neugebildete tschechoslowakische Kirche eingetreten wäre. Dennoch hielt man ihn für einen Anhänger der tschechischen Reformation und deren Nachkommen. Von tschechischer Seite sieht man ihn auf der Seite der protestantischen Minderheit:[92]
,,Die evangelischen Bauern, erzogen in der Frömmigkeit der geheimen Bibelleser, gingen durch die Schule des Heidelberger oder des Lutherischen Katechismus und begannen in der Periode des Frühkapitalismus eine bedeutungsvolle Rolle zu spielen. Sie bildeten im Volke eine wirklich fortschrittliche Schicht. Infolge des Einflusses der lebendigen Tradition der hussitischen Revolution und später der Zeit der Unterdrückung nach der Schlacht am Weißen Berge waren sie besser als irgendein anderer im Volk darauf vorbereitet, die Losungen der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zu verstehen. Die damaligen Volksführer: Karl Havlíèek Borovský, Franz Palacký und später auch Masaryk redeten sehr oft in ihrer Sprache, gebrauchten ihren Wortschatz, und was sie sagten, gingen ihnen in der Regel zu Herzen, obwohl ihre Worte oft noch vielen Schichten des Volkes unverständlich waren. Allerdings war der Kampf gegen die glaubenslos gewordene Kirche, der Kampf gegen die Machtposition des Vatikans, der Kampf gegen die Werkzeuge des Vatikans, nämlich die Habsburger, auf diese Weise ein Kampf der evangelischen Tschechen. Ihnen brauchte niemand erst zu erläutern, daß sich dort die wahren Feinde alles dessen befanden, was sie als gut und gerecht ansahen. Und selbst Palacky, Masaryk und andere waren Glieder der evangelischen Kirche."[93]
Masaryk selbst bekennt sich zu dieser geistigen Tradition, auch wenn er diese als eine Strömung der großen weltanschaulich-politischen Auseinandersetzung zwischen Ost- und Westeuropa ansah.
In seinen Memoiren - 1925 auch deutsch erschienen, also ohne die Emotionen der Kriegszeit - werden der Kampf des tschechischen Volkes gegen Österreich und der Erste Weltkrieg überhaupt nicht nur als ein Krieg zwischen Deutschen und Slawen, sondern durchaus im Sinne der Palacký-Thesen nahezu als geistige und weltanschauliche Auseinandersetzung interpretiert.[94]
Masaryk sagt:
,,... Ich sah im Krieg mehr. In der historischen Perspektive erschien mir der pangermanische Imperialismus als eine Verlängerung des alten und langwierigen römisch-griechischen Antagonismus, des Antagonismus zwischen dem Westen und dem Osten, Europa und Asien, später Rom und Byzanz; eines nicht nur nationalen, sondern auch kulturellen Antagonismus. Der Pangermanismus und sein Berlin-Bagdad gab dem ererbten römischen Imperium einen engen nationalen und geradezu chauvinistischen Charakter; die beiden nationalen Kaiserreiche, das deutsche und das österreichische, die aus dem mittelalterlichen römischen Imperium hervorgegangen waren, verbanden sich zur Eroberung der alten Welt. Gegeneinander standen nicht nur Deutsche und Slawen, sondern Deutsche und der Westen, die deutsche und die westliche Kultur - der Westen, der auch Amerika in sich schloß. Auf deutscher Seite standen die Magyaren und die Türken ... und den Deutschen ging es um die Eroberung Europas, [50] Asiens, Afrikas, der Alten Welt. Dagegen lehnte sich die übrige Welt auf, und zum erstenmal half die Neue Welt - Amerika - dem nichtdeutschen Europa dabei, den deutschen Angriff abzuschlagen. Die Vereinigung aller Nationen unter der Führung des Westens ist ein Beweis, daß der Krieg nicht nur einen nationalen Charakter hatte, es ging um den ersten großartigen Versuch einer einheitlichen Organisation der ganzen Welt und der Menschheit. Die nationalen Streitigkeiten waren der kulturellen Idee untergeordnet und dienten ihr... Unser Platz war nach unserer Geschichte auf der Seite der Alliierten ... Die Entscheidung gegen Österreich und für den Kampf war für mich nicht nur ein politisches, sondern auch ein sittliches Problem ..." |
Das war die geistige, ideologische Basis für die Staatsgründung von 1918 - und für den Versuch, einen tschechischen Nationalstaat ins Leben zu rufen."
J. L. Hromádka beschreibt die religiöse Haltung des ersten Präsidenten der Republik schon etwas kritischer, wenn er sagt: ,,der masaryksche Realismus war für die Evangelischen eine Hilfe in der fortschrittlichen Öffentlichkeit, aber es ist nicht sicher, ob er ihr immer geholfen hat, religiöse oder kirchliche Fortschritte zu machen."[95]
Von Seiten der tschechischen Kirche aber wird man noch deutlicher:[96]
,,Im Kampf mit dem oberflächlichen Freidenkertum und Indifferentismus fanden sie (die tschechischen Protestanten) freilich eine gewisse Hilfe in den Hinweisen Masaryks auf das Humanitätsideal der böhmischen Brüder. Aber sie übersahen nicht, daß der Begründer des tschechischen Realismus ,kein bestimmtes religiöses Bekenntnis annimmt und gleichfalls alle Offenbarung, insbesondere die geistliche in Christus, leugnet (T. B. Ka¹par) und daß das unitarische Verständnis Masaryks (F. Císaø) zur religiösen Skepsis führte.'" |
So waren schon nach dem 28. Oktober 1918 tschechische Legionäre auf Betreiben von Edvard Bene¹, rekrutiert aus Gefangenen und Überläufern tschechischer und slowakischer Nationalität, in die waffenlosen sudetendeutschen Städte und Gebiete eingerückt, nachdem 10 Tage vorher Masaryk in Philadelphia in den USA den selbständigen tschechoslowakischen Staat proklamiert und auch die Anerkennung von Frankreich, Italien und England erhalten hatte.[97] Die Friedenskonferenz bestätigte in St. Germain am 10. September 1919 diese widervölkerrechtliche Landnahme der deutschen Gebiete durch die tschechoslowakischen Legionäre, ohne sich um die um ihr Selbstbestimmungsrecht mit Gewalt gebrachten Sudetendeutschen zu kümmern. Bei friedlichen Demonstrationen der Deutschen wurden 58 von ihnen getötet und 112 schwer verwundet.[98] Dies aber geschah schon 1/2 Jahr vor dem Spruch der Friedenskonferenz. Im Schutze dieser Gewalteroberung der deutschen Gebiete für einen späteren tschechoslowakischen Staat werden das erste Bodenreformgesetz für Nutzflächen über 150 ha, (15. 4. 1919)[99] das Schulgesetz über Gründung oder Aufhebung von Schulen durch den tschechischen Vorsitzenden des Landesschulrates (3. 3. 1919)[100] und die Durchführung von Gemeindewahlen zur Korrektur von rein deutschen Gebieten in gemischte Gebiete, beschlossen. Das Programm der tschechischen Regierung war klar, wie es Kramáø auch ausspricht: (13. 5. 1919)
,,... Der Staat wird das sein, was er ist, ein Nationalstaat, ein tschechischer Staat, ein allslawischer Staat!" |
Daß die Tschechoslowakei auf Grund ihrer Volkszählung trotz aller Manipulationen kein Nationalstaat sein konnte sondern ein Nationalitätenstaat war, wird aus den Zahlen deutlich:[101] [51]
Die Einwohner nach ihrer Volkszugehörigkeit
Zählung 1910 | Zählung 1921 | |||
Tschechen | 6,345.939 | 44,56% | 6,570.703 | 48,28% |
Deutsche | 3,829.952 | 26,89% | 3,123.448 | 22,96% |
Slowaken | 1,711.023 | 12,01% | 2,190.254 | 16,10% |
Magyaren | 1,418.021 | 9,95% | 747.096 | 5,49% |
Ukrainer | 449.760 | 3,15% | 461.466 | 3,38% |
Juden | 180.536 | 1,31% | ||
Polen | 282.540 | 1,99% | 75.852 | 0,56% |
Andere | 52.421 | 0,37% | 23.052 | 0,19% |
Ausländer | 153.615 | 1,08% | 238.943 | 1,73% |
14,243.271 | 100,00% | 13,611.350 | 100,00% |
Die Zählung 1921 faßte die Tschechen und die Slowaken unter dem Namen ,,Tschechoslowaken" zusammen; deren Zahl betrug 8,760.957. Nach dem Schlüssel von 1910 entfallen von dieser Anzahl auf die Tschechen und die Slowaken die oben angegebenen Ziffern.
Die Zahl der Deutschen ist in Wirklichkeit erheblich größer als wie bei der Volkszählung erhoben wurde; die deutschen Wahlstimmen entsprechen der Volkszahl von 3 1/2 Millionen.
Noch im gleichen Monat, in dem Wehrenfennig bei Masaryk war, tagt die Nationalversammlung, in welcher sich Kramáø erlaubt zu sagen:
,,Die Deutschen werden sich niemals mit dem aussöhnen, was geschehen ist... Als so tief nationaler Mensch würde ich mich über die Deutschen wundern. Sobald einmal die deutsche Fanfare ertönen wird, werden sich alle Deutschen erheben, bei uns, in Österreich, in Deutschland. Das ist klar."[102] |
Schon am 26. Februar wird das Sprachengesetz erlassen, nach welchem die tschechische und die slowakische Sprache zu ,,Staatssprachen" erklärt werden. Besonders der § 4 ist für die deutschen Gebiete verhängnisvoll. Denn dort heißt es: daß die Behörden in der Regel tschechisch zu amtieren hätten und das auch in den rein deutschen Gebieten.[103]
Nachdem für Tschechen und Deutsche mit der Nationalversammlung ein gemeinsames Regierungsforum auf Grund der Wahlen geschaffen worden war, konnten die Deutschen nun auf diesem ,,demokratischen" Wege gegen die tschechische Vergewaltigung Protest erheben. Zusammengeschlossen im ,,Parlamentarischen Verband" aller Parteien, erklärte deren Sprecher am 1. Juni 1920 Dr. Lodgman von Auen (der frühere Landeshauptmann von Deutsch-Böhmen) im Abgeordnetenhaus in Prag:[104]
,,Die Deutschen Böhmens, Mährens und Schlesiens und die Deutschen der Slowakei hatten niemals den Willen, sich mit den Tschechen zu vereinigen und einen Bund zur Schaffung einer tschechoslowakischen Republik zu bilden ... Die Tschechoslowakische Republik ist daher das Ergebnis eines einseitigen tschechischen Willensaktes und hat diese Gebiete widerrechtlich und mit Waffengewalt besetzt... Wir verwerfen daher die Fabel vom rein tschechischen Staate und von der ,,tschechoslowakischen Nation" sowie von der ,,tschechoslowakischen Sprache" als mit den Tatsachen handgreiflich in Widerspruch stehend. Wir werden niemals die Tschechen als Herren anerkennen, niemals uns als Knechte in diesem Staat fügen. Unrecht kann auch durch tausendjährige Übung niemals Recht werden, insolange es nicht von den Betreffenden selbst aufgrund freier Entschließung anerkannt wurde und wir verkünden demnach feierlich, daß wir niemals aufhören werden, die Selbstbestimmung unseres Volkes zu fordern, daß wir dies als den obersten Grundsatz aller unserer Maßnahmen [52] und unseres Verhältnisses zu diesem Staate, den gegenwärtigen Zustand aber als unwürdig und mit den Grundsätzen moderner Entwicklung unvereinbar betrachten." |
Nicht weniger deutliche Worte fand am Tag darauf, also am 2. Juni 1920, der Führer der sudetendeutschen Sozialdemokraten Josef Seliger als Sprecher seiner Fraktion vor demselben Abgeordnetenhaus, als er in seiner Erklärung u. a. feststellte:
,,Die siegreichen Ententemächte haben durch den Gewaltfrieden von Versailles und St. Germain auch das deutsche Volk in den Sudetenländern der nationalen Fremdherrschaft unterworfen und es gegen seinen Willen und gegen den einmütigen Beschluß seiner berufenen Vertreter in den tschechoslowakischen Staat gezwungen. In der Stunde, da wir das Parlament der tschechoslowakischen Republik betreten, ... erklären wir deutschen Sozialdemokraten feierlichst, daß wir an dem Selbstbestimmungsrecht unseres Volkes unverrückbar und unverbrüchlich festhalten und daß wir entschlossen sind, auch auf dem Boden dieses neuen Nationalitätenstaates unseren großen geschichtlichen Kampf aufzunehmen." |
Das Parlamentsprotokoll vermerkt bei dieser Aussage zum Selbstbestimmungsrecht ,,Beifall aller deutschen Abgeordneten". Josef Seliger ließ es in seiner Erklärung jedoch nicht dabei bewenden, sondern nahm (ebenfalls wieder unter dem Beifall aller deutschen Abgeordneten) auch noch das Sprachengesetz aufs Korn:
,,Sie haben ein Sprachengesetz beschlossen... Aber dieses Sprachengesetz ist keine Regelung, sondern ist ein Diktat. Sie haben dieses Gesetz in einer Weise geschaffen, daß es zu einer Gefährdung, zu einer Schmälerung nicht nur des sprachlichen, sondern des materiellen Rechtes der deutschen Bürger dieses Staates wird." |
Und Seliger wandte sich gleich auch noch einem anderen wunden Punkt zu:
,,Es wird bei anderer Gelegenheit noch darüber zu reden sein, wie Sie deutsche Arbeiter, deutsche Angestellte, deutsche Beamte behandelt haben, wie Sie sie gemaßregelt, von ihren Arbeitsplätzen verjagt und von ihren Posten versetzt haben - nur aus dem Grunde, weil sie (und noch dazu in einer Zeit, wo Ihnen die Macht über das Gebiet, in dem wir siedeln, noch gar nicht zugesprochen war) sich für das Selbstbestimmungsrecht ihres Volkes eingesetzt haben." |
So war also die Ausgangslage 1920, und der sudetendeutsche Historiker Emil Franzel hat sicher recht, wenn er in seiner ,,Sudetendeutschen Geschichte" anmerkt: ,,Wären die Sudetendeutschen in der Lage gewesen, ... laut zu protestieren und die Rechtswidrigkeit der tschechoslowakischen Staatsordnung immer wieder zu bekunden, so wäre die Krise des tschechischen Staates wahrscheinlich nicht erst 1938 eingetreten."
Damit begann eine neue Phase des Nationalitätenkampfes in der neugeschaffenen ,,Tschechoslowakischen Republik" mit dem Ziele mit allen legalen, administrativen, propagandistischen und subversiven Mitteln, die Deutschen zu Tschechen zu machen, weil, nach den Worten des Unterrichtsministers Bechynì, nur kurze Zeit von 15 bis 20 Jahren gegeben war, zur inneren Ausgestaltung und Festigung der tschechischen Selbständigkeit.
,,Diese paar Jahre müssen wir mit der größten Intensität...
ausnützen, um dem Einflusse Deutschlands standhalten zu können. ... in 20 bis 25 Jahren wird man die Zahl der Deutschen soweit verringert und das geschlossene deutsche Sprachgebiet soweit mit Tschechen durchsetzt haben, daß die Deutschen keine Gefahr mehr für die Republik bedeuten würden."[105] |
Vielleicht paßt zu dieser Notiz des Kirchenpräsidenten die kurze Nachricht im ,,Deutschen Glauben" (1921/1/14):
,,Die Regierung nimmt nach wie vor der deutschen evangelischen Kirche gegenüber [53] eine entgegenkommende Haltung ein. Die letzte Post der Staatsunterstützung für 1920 im Betrage von 346.580 K wurde ausgezahlt. Der Präsident der Republik sagte dem Kirchenpräsidenten bei einer persönlichen Vorsprache des letzteren zu, was an ihm liege zu tun, daß unsere kirchlichen Angelegenheiten ehestens in Ordnung kämen. Das Ministerium für Schulwesen und Volkskultur wurde von ihm auf die Eingabe betreffend die Bestätigung der neugewählten Kirchenleitung mit dem Ersuchen aufmerksam gemacht, die Erledigung derselben nach Möglichkeit zu beschleunigen." |
Angesichts des bereits genannten Sprachengesetzes mußte sich also die Deutsche evangelische Kirche beeilen, ihre Kirchenverfassung, in welcher Deutschtum und auch die Deutsche Sprache (§ 3 Grundbestimmung) festgelegt worden waren, genehmigt herauszubringen, weshalb Wehrenfennig noch im Jänner 1921 schreibt:
,,1921: Sitzung des Redaktionsausschusses in Gablonz durch 5 Tage zur Herausgabe der Kirchenverfassung"[106]
Trotz Bemühung des Redaktionsausschusses und der Kirchenleitung konnte die Vorlage der Kirchenverfassung bei dem Unterrichtsministerum erst am 12. Oktober des Jahres 1922 erfolgen. Im Dezember 1922 erfolgte dann auch die positive Erledigung durch das Ministerium, die dann auch im ,,Amtsblatt der Kirchenleitung" vom 1. Februar 1923 als Nr. 1 erschien. Die volle Legalität der ,,Deutschen evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien" war damit gegeben.[107] [54]
Amtsblatt der Deutschen Evangelischen Kirchenleitung für Böhmen, Mähren und Schlesien. Heft 1. Gablonz a.N, den 1. Feber 1923. Jahrgang 1. Inhalt: Nr. 1. Erlaß des Ministeriums für Schulwesen und Volkskultur, Zl. 129003/22-VI, betr. Grundbestimmungen der Deutschen Evangelischen Kirche. - Nr. 2. Die Grundbestimmungen für die Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien. - Nr. 3. Erlaß der Politischen Landesverwaltung in Prag über Pauschalierung der Postgebühr bei Versendung der Impflisten an die Gemeinden". Nr. 1.
Ministerium für Schulwesen und Volkskultur. Prag, am 20. Dezember 1922. An die Verwaltung der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien in Gablonz a. N. In der am 16. November 1922 abgehaltenen Sitzung des Ministerrates wurden im Sinne des § 9 des kaiserlichen Patentes vom 8. April 1861, Zl. 41 R.-G.-Bl. und § 136 der bisherigen Verfassung der evangelischen Kirche, kundgemacht mit dem Erlasse des gewesenen österreichischen Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 15. Dezember 1891. Zl. 4 R.-G.-Bl. vom Jahre 1892 ,,Grundbestimmungen der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien" u. zw. mit diesen Veränderungen genehmigt: 1) Der Titel der Deutschen Evangelischen Kirche, wo dieser in den Grundbestimmungen vorkommt, ändert sich in den Titel: ,,Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien". 2) § 2 der Grundbestimmungen lautet: Zur Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien gehören alle deutschen evangelischen Kirchengemeinden und Glaubensgenossen in der Tschechoslowakischen Republik, welche sich ihr anschließen, ausgenommen jener auf dem Gebiete der Slowakei und in Karpathorußland (Podkarpátská Rus). Hievon wird die Verwaltung der Deutschen Evangelischen Kirche im Grunde der zuschrift des Ministerialratspräsidiums vom 18. November 1922, Zl. 13370/1293 S mit dem Bemerken versändigt, daß gleichzeitig Vorkehrung getroffen wird, daß diese Grundbestimmungen in dem genehmigten Wortlaute in der Sammlung der Gesetze und Verordnungen veröffentlicht werden. Eine Gleichschrift (tschechisch-deutsch) der genehmigten Grundbestimmungen wird beigeschlossen. Der Minister: Rud. Bechynì m.p.
[55] Nr. 2, Grundbestimmungen - 1. Jahrgang, Heft 1. --- Nr. 2. Grundbestimmungen für die Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien. Die deutschen evangelischen Gemeinden haben sich von der evangelischen Kirche augsburgischen und helvetischen Bekenntnisses im ehemaligen Österreich losgelöst und auf dem ersten Kirchentage zu Turn am 20. Oktober 1919 zu einer selbständigen Kirchengemeinschaft unter dem Namen ,,Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien" vereinigt. Die Rechtsverhältnisse dieser Kirche werden geregelt wie folgt: A) Von den inneren und äußeren Rechtsverhältnissen. § 1. Die Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien steht auf dem alleinigen Grunde der heiligen Schrift. Sie hält sich in ihrem Leben an die Grundsätze der Reformation und ion ihrer Lehre an das evangelisch-lutherische Bekenntnis. § 2. Zur Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien gehören alle deutschen evangelischen Kirchengemeinden und Glaubensgenossen in der Tschechoslowakischen Republik, die sich ihr anschließen, mit Ausnahme derer, die sich auf dem Gebiete der Slowakei und in Karpathorußland (Podkarpátská Rus) befinden. § 3. Die Kirchen- und Unterrichtssprache ist innerhalb der Grenzen der allgemeinen Gesetze und Vorschriften die deutsche. § 4. Nichtdeutsche evangelische Gemeinden und Glaubensgenossen können sich anschließen, wenn sie die Grundsätze und die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien anerkennen. § 5. Diejenigen Glaubensgenossen, die keine eigene Gemeinde bilden, gehören zu der ihrem ordentlichen Wohnsitze nächstgelegenen deutschen evangelischen Gemeinde. § 6. Die Vertretung und Verwaltung der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien gliedert sich nach den Abstufungen der Pfarrgemeinde, Kirchenkreisgemeinde (Seniorat) und Gesamtgemeinde. § 7. Die Pfarrgemeinden sind in ihrer durch Herkommen oder ukrundlich bestimmten Abgenzung und in ihrem Bekenntnisstande sowie mit ihrem Vermögen als zu Recht bestehend anerkannt. Sie vereinigen sich zu Kirchenkreisen. § 8. Die Gesamtgemeinde gliedert sich in Kirchenkreise. Änderungen in der Einteilung der Kirchenkreise bedürfen der staatlichen Genehmigung. § 9. Die vergassungsmächigen Stellen, durch welche die Kirche ihre Rechte und Pflichten ausübt, sind: a) für die Pfarrgemeinde: der Pfarrer, der Kirchenvorstand und die Gemeindevertretung (Gemeindeversammlung), b) für die Kirchenkreisgemeinde: der Kirchenrat (Senior), der Kirchenkreisvorstand und die Kirchenkreisversammlung, c) für die Gesamtgemeinde: der Präsident der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien, die Kirchenleitung und der Kirchentag. § 10. Jede Kirchengemeinde (Pfarr-, Kirchenkreis- und Gesamtgemeinde) ist berechtigt, Eigentum und alle anderen Rechte auf gesetzliche Weise zu erwerben. Sie ordnet, verwaltet und leitet ihre besonderen Kirchen-, Unterrichts- und Wohltätigkeitsangelegenheiten, ihre humanitären, religiösen und sozialen Anstalten, ihre Schulen und andere Erziehungsanstalten sowie die hiezu bestimmten Stiftungen und ihr Stammvermögen durch ihre verfassungsmäßigen kirchlichen Stellen selbständig innerhalb der geltenden Vorschriften. § 11. Für die Angehörigen der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien sind bei der Regelung und Verhandlung der eigenen kirchlichen Angelegenheiten ohne Ausnahme lediglich und ausschließend die Grundsätze der eigenen Kirche maßgebend.
[56] Nr. 2 Grundbestimmungen - 1. Jahrgang, Heft 1. --- Ihre geistlichen und weltlichen Amtsträger oder Sachwalter unterstehen in Disziplinarangelegenheiten den kirchlichen Gerichtsstellen. Über die Zweckbestimmung und Verwendung des der Kirche gehörenden Kirchen-, Schul- und Stiftungsvermögens entscheiden die Kirchenbehörden. § 12. Die vom Kirchentage als dem gesetzgebenden Körper der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien beschlossene Kirchenverfassung und die kirchenverfassungsmäßig zustande gekommenen kirchlichen Ordnungen sind für die Kirchengemeinden und ihre Glieder rechtsverbindlich und ausschließlich maßgebend. B. Vom Verhältnis der Kirche zum Staate. § 13. Die volle Freiheit ihres Glaubensbekenntnisses sowie das Recht der gemeinsamen, öffentlichen und privaten Religionsausübung steht den Angehörigen der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien nach Maßgabe der Verfassung gleich allen anderen Bewohnern des Staatsgebietes zu. (§ 122 des Ges. vom 29. Feber 1920, Ges.-Samml. Nr. 131). § 14. Die Gemeinden der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien sind berechtigt, ihre Seelsorger und kirchlichen Amtsverwalter jeder Art frei zu wählen. Als Seelsorger können nur diejenigen angestellt werden, die die Tschechoslowakische Staatsbürgerschaft nachweisen und deren Verhalten in sittlicher und staatsbürgerlicher Hinsicht einwandfrei ist. Solange ein Seelsorger die Tschechoslowakische Staatsbürgerschaft nicht erreicht hat, kann er in Kirchendienste nur provisorisch und vorübergehend mit Genehmigung der staatlichen Kultusbehörden verwendet werden. § 15. Es steht der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien innerhalb der bestehenden Vorschriften frei, an jedem Orte nach eigenem Ermessen Schuzlen zu errichten, an dieselben Lehrer und Professoren zu berufen und den Umfang sowie die Art des Religionsunterrichtes selbst zu bestimmen. (§ 119 und 120 des Gesetzes vom 29. Feber, Ges.-Samml. Nr. 121). § 16. Den Angehörigen der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien ist gestattet, theologische Lehranstalten des evangelischen Auslandes unter Berücksichtigung der allgemeinen gesetzlichen Vorschriften frei und ungehindert zu besichen. Für die Anstellung im inländischen Kirchen- und Schuldienste auf Grund ausländischer Prüfungen ist die staatliche Zustimmung vorbehalten. § 17. Gründung von Vereinen zur Förderung von kirchlichen Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecken im Inlande unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorschriften unterliegt keiner Beschränkung. (§ 113 des Ges. v. 29. Feber 1920, Ges.-Samml. Nr. 121.) § 18. Die Angehörigen der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien können nicht verhalten werden, zu Kultus- und Unterrichtszwecken oder für Wohltätigkeitsanstalten einer anderen Kirche Beiträge zu leisten, es wäre denn, daß ihnen die Pflichten des dinglichen Patronates obliegen, oder daß es sich um Giebigkeiten handelt, die entweder grundbücherlich sichergestellt sind, oder kraft ihrer besonderen Rechtsverbindlichkeit auf ihrem Grundbesitze haften, oder daß derartige Pflichten auf einem anderen öffentlichen oder privaten Rechtstitel beruhen. § 19. Zum Vollzuge der von den Kirchengemeinden oder kirchlichen Stellen in gesetzlicher Weise getroffenen Verfügungen oder ordnungsgemäß gefällten Erkenntnisse kann der Schutz und der Beistand der staatlichen Behörden in Anspruch genommen werden. Das gleiche gilt auch zur Einbringung der den Angestellten der Kirche und der Schule gebührenden Einkünfte und solcher Umlagen, die zur Erhaltung der Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitsanstalten der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien mit Genehmigung der politischen Landesstelle auferlegt worden sind. § 20. Die Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien hat Anteil an den alljährlichen von Staatswegen zur Bestreitung der Bedürfnisse der evangelischen Kirchen bestimmten Beträgen.
[57] Nr. 3, Impflingsverzeichnisse - 1. Jahrgang, Heft 1. --- C) Vom Verhältnis zur evangelischen Kirche des ehemaligen Österreich § 21. Die Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien betrachtet sich bezüglich der in ihr vereinigten Kirchengemeinden und Glaubensgenossen als die Rechtsnachfolgerin der alten evangelischen Kirche A. u. H. B. im ehelaigen Österreich. Die Obliegenheiten und Befugnisse des ehemaligen evangelischen Oberkirchenrates in Wien rücksichtlich der oberwähnten Gemeinden und Glaubensgenossen gehen auf die Kirchenleitung als die oberste kirchenbehörde der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien über und finden in der Kirchenverfassung ihre nähre Regelung. § 22. Alles Vermögen, alle Anstalten, Stiftungen und Fonde, welche die nunmehr in der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien vereinigten Kirchengemeinden und Predigtstationen, Seniorate und Superintendenzen A. u. H. B. allein besaßen, oder woran sie Anteil hatten bleiben ganz bezw. verhältnismäßig in deren Besitz und Verwaltung. Ebenso steht der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien ein verhältnismäßiger Anspruch auf das der evangelischen Kirche A. u. H. B. im ehemaligen Österreich gehörige Vermögen einschließlich ihrer Anstalten und ihrer, für die Kirchen-, Unterrichts- und Wohltätigkeitsanstalten bestimmten Stiftungen und Fonde zu. Zl. 637. Gablonz a. N., den 21. Feber 1923. Diese Grundbestimmungen für die Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien werden hiemit allen Kirchenkreisämtern, Pfarrämtern und Kirchenvorständen kundgemacht. Sie stellen das Grundgesetz unserer Kirche dar.
Deutsche Evangelische Kirchenleitung:
Nr. 3.
Zl. 22/A - 1524/5 ai 1922. Impflingsverzeichnisse. Pauschalierung der Postgebühren. Das Ministerium für Post- und Telegraphenwesen hat mit Zuschrift vom 29. Dezember 1922, Zl. 81.005-7-22 für die Sendungen von Impflingsverzeichnissen, die im Sinne des Par. 7 der Regierungsverordnung vom 20. April 1920, Zl. 298 d. S. d. G. u. V. von den Matrikelführern an die Gemeinden abgesendet werden, die Pauschalierung der Postgebühren bewilligt. Diese Pauschalierung bezieht sich - vorläufig mit Gültigkeit vom 1. Jänner 1923 - nur auf die historischen Länder. Die Postverwaltung behält sich das Recht vor, die Pauschalierung zu widerrufen. Auf Grund des Erlasses des Ministeriums für öffentliches Gesundheitswesen und körperliche Erziehung vom 16. Jänner 1923. Zl. 75-I ai. 23 ergeht die Aufforderung, die zuständigen Führer aller kirchlichen und bürgerlichen Matriken mit Ausnahme der röm.-katholischen Pfarrämter, deren Verständigung unter Vermittlung der zuständigen Konsistorien erfolgt, von der bewilligten Pauschalierung mit dem Zusatz in Kenntnis zu setzen, daß die betreffenden Briefe notwendigerweise äußerlich mit der amtlichen Bezeichnung der absendenden Matrikelverwaltung zu kennzeichnen sowie mit dem Vermerk: ,,Impflingsverzeichnis" Postgebühr pauschaliert. Erlaß des Ministeriums für Post und Telegraphenwesen, Zl. 81.005-7 ex 1922" zu versehen sind.
Der Präsident: ---
Im Selbstverlage der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren
und Schlesien. |
,,Als die Kirchen der Welt wieder zueinander Fühlung suchten und fanden, gab es viele Weltkirchenkonferenzen. An allen nahmen die anderssprachlichen christlichen Kirchen der È. S. R. teil. Es war selbstverständlich, daß wir uns auch beteiligten. Die erste Reise zur Weltkonferenz für Glauben und Kirchenordnung ging nach Genf im Jahre 1920. Durch gütige Vermittlung des Dr. A. W. Schreiber im Kirchenausschuß in Berlin war ich auf Erholung in Vadstena a. Wetternsee (Schweden) beim pensionierten Prof. Lindroth, dem Erzieher der königlichen Prinzen, - dann auch in Upsala beim Erzbischof Söderblom zum Lunch eingeladen. Damals richtete der Erzbischof an mich die Frage: ,Sind Sie auf Lebenszeit gewählt?' Auf meine bejahende Antwort sagte er: ,Dann sind Sie Bischof, ich lade sie ein, mit mir nach Stockholm zu fahren, um mir bei der Einführung des Pastors Primarius zu assistieren. Denn ich habe nur einen Bischof dort zur Verfügung.' Ich sah in Stockholm die ganze Pracht einer schwedischen Ordination in funkelnden, vielfarbigen, vergoldeten Meßgewändern. Ich selbst trug auch ein Meßgewand."
Wenn man die vorstehenden Erzählungen des Präsidenten, die er in ,,Mein Leben und Wirken" (Melsungen 1956) veröffentlichte, mit seiner Tagebuchnotiz vergleicht, dann erkennt man den Irrtum hinsichtlich des Jahres, dem der Präsident unterliegt. Nicht im Sommer 1920 sondern im Frühjahr 1921 war er in Vadstena und zu Besuch in Upsala bei Erzbischof Söderblom.
F.Rosendorf A.B. Post Tetschen; Ter. c. 2 Meilen (10 Ortschaften); Sel. 158 (Tagelöhner, Weber, Strumpfwirker, nur 3 größere Bauernwirtschaften); Gr. 1860; Kon. 1864. Die evangelischen Erweckungen, welchen die Filiale Rosendorf ihre Entstehung verdankt und die bereits in den Jahren 1839 und 1840 ihren Anfang nahmen, brachten die zur Erkenntnis der evangelischen Wahrheit gelangenden frühzeitig in Verbindung mit der 10 Stunden entfernten Brudergemeinde Herrnhut (Sachsen), von welcher sie eine lange Reihe von Jahren ihre meiste geistliche Nahrung empfingen, teils durch Besuche, teils durch Schriften. 1860 und 61 fanden die ersten Übertritte statt. 1863 und 64 wurde zum Bau eines eigenen Gotteshauses geschritten. Da die Filiale nicht in der Lage war, selbst einen eigenen Selsorger erhalten zu können, auch von der Muttergemeinde zu weit entfernt war (8 Meilen), um von dort aus regelmäßig mit Wort und Sakrament bedient zu werden, so wandte sie sich nach Herrnhut mit der Bitte, ihr einen Selsorger zuzusenden und vorderhand auch zu erhalten. Dieser Bitte wurde willfahrt. Der gegenwärtige Pfarrvikar (Konrad Beck) ist ein Mitglied der evangelischen Bruderkirche. Da aber diejenige Kasse, aus welcher er seinen Gehalt bezieht, zu ihrer Ergänzung lediglich auf freiwillige Beiträge aus den Kreisen der Brüderkirche angewiesen ist und diese Beiträge von Jahr zu Jahr abnehmen, so wird voraussichtlich das gegenwärtige Verhältnis nur noch wenige Jahre Bestand haben können und die Filiale würde dann bei ihrer eigenen Mittellosigkeit und der geringen Gliederzal wieder ebenso verwaist dastehen, wie sie ohne die Unterstützung der Brüderkirche von Anfang an dagestanden sein würde. Es wäre dies aber ein großer Schade nicht allein um der gegenwärtigen Gemeindeglieder [59] willen, sondern auch um der Katholiken willen, die sich durch das Wort der Predigt ziehen lassen. Im ersten Jahre des gegenwärtig angestellten Pfarrvikars fanden allein nahe an 30 Übertritte statt. Die Begründung eines selbständigen Pfarrwesens in Rosendorf erscheint als dringende Notwendigkeit. Wegen Mangels an schulpflichtigen Kindern (nur 2) war bisher die Begründung einer eigenen Schule noch kein Bedürfnis. Der eventuele zum Schullokal bestimmte Raum bildet nebst der Wohnung des Vikars den untern Teil des Gebäudes, dessen Stockwerk den Betsal der Filiale ausmacht; ist geräumig und in jeder Beziehung seinem Zwecke entsprechend. Baukosten c. 10.000 fl. Die laufenden kirchlichen Bedürfnisse (Leistung an die Muttergemeinde 40 fl., Beschaffung des Brennmaterials für den Vikar) werden durch die Predigtkollekten, im Notfall durch Hauskollekten aufgebracht. Zu festen freiwilligen Beiträgen zum Pfarrdotazionsfond (c. 3300 fl. im Mai 1868) verpflichten sich durch Subscripzion die erwerbsfähigen Gemeindeglieder von 3 zu 3 Jahren. Bestimmte Umlagen finden nicht statt. 13 leisten aus Armut nichts. Niedrigster Beitrag 40 kr., höchster 10 fl. jährlich. Unterstützungen: 200 fl. Staatsp., 7600 fl. vom G. A. V, 2350 Taler und 1300 Taler (Vikarsgehalt, jährl. 400 Taler) von der Brüderkirche, 580 fl. privat. |
In ,,Die Evangelischen Kirchen Augsb. und Helv. Bekenntnisses" von Charles Alphonse Witz, Wien 1898, wird berichtet:
,,Die Anzahl der Mitglieder 350, 1 Pfarrer; Evangelische Privatvolksschule mit Öffentlichkeitsrecht: einclassig, 1 Lehrer und 14 Schulkinder, Kostenaufwand 640 fl., Predigtstation: Böhm. Kamnitz. Immobiliar-Vermögen: Bethaus mit Thurm und drei Glocken im Wert von 11,000 fl., Schulhaus 5150 fl., Friedhof 100 fl., Äcker und Wiesen 600 fl." |
Im Jahr 1913 sind es schon 598 Seelen mit drei Predigtstationen, eine Schule, einklassig mit 28 Schülern und drei Lehrern. Im Jahr 1938 umfaßt die Pfarrgemeinde mit ihren 3 Zweiggemeinden Bensen (254 Seelen), Böhmisch Kamnitz (407 Seelen), und Steinschönau (190 Seelen) insgesamt 1169 Seelen.
Altkurator Sturm Franz war schon seit 1886 als Kuratorstellvertreter in der Gemeinde Rosendorf tätig, er war der Vater des nun verstorbenen Hermann Sturm. Dieser war seinem Vater im Amt nachgefolgt. Ein Kurator oder nach der neuen Kirchenverfassung ,,Kirchenvorsteher" ist ein sehr wichtiger Mann. Er kann nicht nur wie jedes andere Mitglied des Kirchenvorstandes (Presbyterium) zum Vorsitzenden des Kirchenvorstandes gewählt werden, so daß der Pfarrer nicht von amtswegen Vorsitzender dieses ist, sondern er hat auch nach § 137 auf Grund einer Bevollmächtigung des Kirchenvorstandes die Möglichkeit, im Rahmen bestimmter Grenzen und unter Aufrechterhaltung der Verantwortung des Kirchenvorstandes in dessen Namen Verfügungen zu treffen. Dies ist besonders wichtig für Gemeinden in der Diaspora, wo es auf Grund der weit verstreuten Wohnsitze der Gemeindeglieder nicht so leicht möglich ist, Sitzungen einzuberufen. Hier muß eine abgekürzte auf Vertrauen und Verantwortung aufgebaute Entscheidungsfreiheit die übliche Pflicht zur Teilnahme von Sitzungen ablösen. Selbstverständlich ist das Amt des Kirchenvorstehers ebenso wie die Ämter der anderen Kirchenvorstandsmitglieder ehrenamtlich. Die Amtsdauer beträgt sechs Jahre. Wiederwählbarkeit ist möglich.[109]
Die damit bekundete Stärkung des Laienelementes ist bezeichnend für eine Diasporakirche. Tiefer gesehen aber ist Dienst in den kirchlichen Gremien Herzenssache, die auch durch Mitarbeit in den kirchlichen Ämtern zum Ausdruck kommen soll. Damit wird die in den großen deutschen Binnenkirchen sonst nicht so spürbare Engagiertheit der kirchlichen Amtsträger deutlich, die den inneren Zusammenhalt und die Opferwilligkeit der Gemeindegheder zeigen. [60]
Kreistag des ostböhmischen deutschen evangelischen Kirchenkreises und
Jahresfest des Gustav-Adolf-Zweigvereines für den ostböhmischen
deutschen evangelischen Kirchenkreis am 26. Mai 1921 in Hohenelbe. Aufbau und Ausbau unserer Kirche geht Schritt für Schritt vorwärts. So versammelten sich am 26. Mai 1921 die Vertreter der ostböhmischen deutschen evangelischen Gemeinden in Hohenelbe. Im Saale der Bezirksvertretung war durch freundliches Entgegenkommen ein würdiger Beratungsraum geboten. Konsenior Piesch (Reichenberg) begrüßte herzlich die Abgeordneten und Gäste, Präsident Wehrenfennig (Gablonz a. N.) sprach das Eröffnungsgebet. Außer Rumburg waren alle Gemeinden vertreten, die Pfarrer Waitkat (Warnsdorf) und Günther (Grottau) waren leider durch Krankheit an der Teilnahme verhindert. Nach rascher Erledigung der einleitenden Punkte wurde in gewohnter Weise der Bericht über die Gemeinden durch Konsenior Piesch erstattet. In Freud und Leid, Sorge und Hoffnung gaben die Mitteilungen Einblick. Allenthalben wird an der Regelung der Kirchensteuer gearbeitet. Zweiggemeinden werden rasch erstehen, kräftiges Leben regt sich überall, in Opferwilligkeit steht der Kirchenkreis voran. Die Rechnungslegung über die Kirchenkreiskasse wurde einstimmig genehmigt und in den Voranschlag für 1921, die Kosten der Kirchenkreisversammlung eingerechnet, K 5000, - aufgenommen, wovon jede Gemeinde K 100. - zu tragen hat und der Rest nach der Seelenzahl umgelegt wird. Aus Hermannseifen lagen zwei Anträge vor: der erste wünschte für den ostböhmischen Kirchenkreis die alten Namen ,,Senior" und ,,Konsenior" beizubehalten und wurde mit 18 Stimmen angenommen; der zweite gibt die Anregung, die Kirchenleitung möge versuchen, für den Titel ,,Präsident" eine andere Bezeichnung ausfindig zu machen. Als in der Wechselrede neuerlich der Vorschlag des Titels ,,Bischof" auftauchte, erklärt sich Herr Präsident Wehrenfennig bereit, über Entstehung und Gebrauch dieses Wortes im ,,Deutschen Glauben" zu schreiben. Dies Anerbieten wird, wie auch der zweite Antrag Hermannseifen, angenommen. An der Neuwahl der Kirchenkreisleitung beteiligten sich 29 Stimmberechtigte. Ergebnis: Senior Pfarrer Hugo Piesch (Reichenberg), Konsenior Pfarrer Fritz Knorek (Trautenau), Senioratskurator Fritz Zimmermann (Trautenau), Schulvertreter Oberlehrer Rudolf Jenkner (Gablonz a. N.), Konseniorstellvertreter Pfarrer Hermann Stecken (Hermannseifen), Senioratskuratorstellvertreter, Eduard Kleining (Hohenelbe). Die Gewählten nahmen die Ämter an. Unter der Losung: ,,Einer trage des ändern Last..." (Gal. 6,2) berichtete Pfarrer Knorek über das Kinderheim des Kirchenkreises in Hermannseifen. Den abgedruckten Bericht erläuterte er durch eingehende Besprechung und bat um Zusammenschluß einer ,,Kinderheimsgemeinde", die in dauernder Anteilnahme die Last tragen helfen möge. In der Übernahme von Leistungen möchten die Gemeinden doch möglichst gleichmäßig willig sein. Die Rechnungen waren geprüft und in Ordnung befunden, die Entlastung wurde einstimmig erteilt. Herr Präsident Wehrenfennig überbringt die Bitte, Pfarrer Waitkat noch 400 Stück des ,,Deutschen Glaubens" unterbringen zu helfen. Sodann berichtete er über die Äußerung der Regierung zu den von unserer Kirche überreichten ,,Punktationen" (grundsätzliche Bestimmungen über das Verhältnis des Staates zu unserer Kirche als Ersatz für das ehemalige ,,Protestantenpatent"). Neben geringeren Einwänden wünscht die Regierung einige Paragraphe so zu fassen, daß unsere Freiheit in Bezug auf den Sprachgebrauch und die Anstellung ausländischer Geistlicher ganz gesichert erscheint. Die weiterhin vorgelesene Resolution der tschechisch brüderischen Kirche an die Nationalversammlung läßt den alten hussitischen Geist erkennen. Diese Kirche will allen Besitz, der seit der Schlacht am weißen Berge den Evangelischen verloren ging, durch Staatsgewalt wiedergewinnen. Über die Verzögerung des Erscheinens der Kirchenverfassung gab Pfarrer Zinnecker als Mitglied des Redaktionsausschusses [61] Aufklärungen. Zur Teilnahme an der Jubelfeier der Fakultät in Wien wurde als Vertreter unseres Kirchenkreises Pfarrer Zinnecker entsendet. Nach fast fünfstündiger Dauer wurde die erste Kirchenkreisversammlung mit dem Dankliede M. Rinckarts geschlossen. Im Anschluß an diese Tagung wurde das Jahresfest des Gustav-Adolf-Zweigvereines für den ostböhmischen deutschen evangelischen Kirchenkreis gefeiert. Helfende Liebe muß Sache des ganzen Kirchenvolkes sein. Über 100 Kinder waren aus Hohenelbe und den Nachbarorten zum Jugendgottesdienst gekommen. Mancher Erwachsene freute sich mit den Kleinen. Vikar Piesch (Gablonz a. N.) wußte dem kindlichen Gemüte und Erfassen angepaßt, die jugendlichen Herzen zur Opferwilligkeit des Schriftwortes Gal. 6,2 u. 9 zu erheben. Im anschließenden Festgottesdienst predigte Pfarrer Paul Rieger (Haida) auf Grund von Joh. 13,35 von dem Erkennungszeichen wahrer Jesusjüngerschaft, der Liebe. Solche Liebe zeigt sich im Gustav-Adolf-Werk, erwiesen durch die Tat, erwiesen in dem Verlauf der Hauptversammlung. Senior Piesch, der Obmann des Zweigvereines, erinnerte an das Fest vor 20 Jahren, da die Teilnehmer damals vom Gustav-Adolf-Fest in Hohenelbe zur Grundsteinlegung der evangelischen Kirche nach Langenau eilten. Welch Wachstum und Gedeihen seither! 20 Ortsvereine hatten heuer Vertreter entsendet. In die Vereinsleitung wurde Herr Rechnungsrat Koch (Reichenberg) gewählt, um die Arbeit des bisherigen Schatzmeisters Kind (Reichenberg) zu übernehmen. Herr Kind selbst möge seine Kraft weiterhin im Vorstand bewähren. An Einnahmen standen über 15.000 K zur Verteilung. Die Liebesgabe des Zweigvereines, die auf 2000 K ergänzt wurde, erhielt die Predigtstation Wurzelsdorf-Schenkenhahn für Ausbesserungsarbeiten am Bergkirchlein. Pfarrer Fritz Wehrenfennig (Morchenstern) dankte herzlich. Nach Abzug des Betrages, der dem Hauptverein abgeführt wird, konnten die Gemeinden Hermannseifen (Schule), Trautenau und Freiwaldau, der ,,Deutsche Glaube" und die Liebesgabe des Hauptvereines, die Waisenhäuser in Haber und Stanislau und das Theologenheim in Wien mit Gaben bedacht werden. Auch des Kinderheimes in Hermannseifen wurde nicht vergessen. In den Hauptvereins-Vorstand, dem schon Oberkirchenrat Cichorius (Kratzau) angehört, wurde einstimmig Pfarrer Steckert (Hermannseifen) gewählt. Die Entsendung eines Vertreters zur Hauptvereins-Versammlung und die Bestimmung des nächsten Festortes wurde dem Zweigvereinsvorstand überlassen. Künftig braucht in den Gemeinden nur eine Kirchensammlung für den Gustav-Adolf-Verein (zur Liebesgabe) eingehoben werden. Nach Worten des Dankes, die besonders dem Schriftführer Pfarrer Stekkert für seine musterhafte treue Arbeit galten, wurde die Versammlung geschlossen. Reichlich waren die Gaben eingelangt, großzügig wurden sie verteilt. Gottes Segen walte darüber! Im dichtgefüllten Schützenhaussaal begrüßte zum Familienabend der Ortspfarrer Ducommun Festgäste, Freunde und Gemeindeglieder. Eine reichhaltige Vortragsordnung sorgte für abwechslungsreiche Freude. Musik (Frau Helene Rotter, Fr. Marie Gottstein, die Herren Viktor Kastner und Berthold Spatzier) und Liederklang (Doppelquartett des Gesangvereines und Einzellieder des Herrn Hans Göllner, der schon im Gottesdienst Beckerts ,,Du bist ja doch der Herr" zur Erbauung gesungen) boten edle Kunstgaben. Reissinger, Chopin und Schutt, K. M. v. Weber, B. E. Bekker. Engelsberg, Jüngst, Kirchl, Wohlgemuth, Liszt, Strauß, Hildach und Stolz waren ausgewählt, reicher Beifall lohnte die Künstler. Für Heiterkeit sorgte die Liebhaberbühne des B. d. D. i. B. unter der Leitung des Herrn Willy Jerie in bewährter Weise. Statt des Vereinsberichtes durften die Teilnehmer aus dem Lande Gustav Adolfs hören. Herr Präsident Wehrenfennig (Gablonz a. N.) erzählte fesselnd von Schwedens Land und Leuten, die dort empfangenen Eindrücke mit der deutschen Heimat vergleichend: von der hl. Brigitta und dem Schlosse Gustav Wasas, von Kirchen und Bischöfen, von Gesang, Spiel, Freud und Leid. Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschten alle. So wurden [62] die Herzen aufgetan zu freudigem Geben. Als Sammlungsergebnis wurden 1040 K für Liebeswerke in Gustav Adolfs lebendigem Denkmal gespendet. Grüße und Wünsche eines früheren Seelsorgers von Hohenelbe, Dankesworte des Ortspfarrers, Lautenlieder (Herr Gustav Arloth) und das Schlußwort von Senior Piesch führten zum Ende des Festes. Am folgenden Tage besuchten noch einige Gäste das Kinderheim in Hermannseifen, dann soll sich Festfreude und Festdank umsetzen in unermüdliche Arbeit für die Segnung des Evangeliums. Pfr. Heinrich Zinnecker.[110] |
Auf diesem Kreistag des ostböhmischen Kirchenkreises wurden auch Pfr. Hugo Piesch und Pfr. Fritz Knorek zum Senior und Konsenior gewählt, worauf sich Wehrenfennigs Notiz bezieht:
,,29. Mai: Senioratsversammlung und Wahl des Senior Piesch mit 15 von 29 Stimmen, Konsenior Knorek-Trautenau"
,,31. Mai Neue Zweiggemeinde: Rochlitz und Böhmisch-Leipa"
Die Predigtstation Rochlitz im Bezirk Hohenelbe wurde schon im Jahre 1901 mit einer damaligen Seelenzahl von 198 Gemeindegliedern errichtet. Sie wurde von der Pfarrgemeinde Hohenelbe versorgt und wurde nun trotz ziemlich gleichbleibender Seelenzahl zur Zweiggemeinde erhoben. Der Zweck einer solchen Erhebung war die größere Selbständigkeit und die damit verbundene größere Verantwortlichkeit in den nunmehr kirchenrechtlichen Vertretungskörpern der Zweiggemeinde (§§ 62 ff. KV:).
Die Predigtstation Böhmisch-Leipa im gleichnamigen Bezirk gehörte seit 1920 zum ostböhmischen Kirchenkreis und zwar zur Pfarrgemeinde Haida. Sie wurde im Jahre 1883 mit einer Seelenzahl von 240 Seelen gegründet, wuchs aber bis zum Jahre 1937 zu einer stattlichen Zweiggemeinde mit 904 Gemeindegliedern. Die Erhebung der beiden Predigtstationen fand bei der vordem angeführten Kirchenkreisversammlung in Hohenelbe statt, da beide Predigtstationen zu diesem Kirchenkreis gehörten.
In Budweis gab es schon längere Zeit hindurch einen evangelischen Frauenverein, der auch eine evangelische Gemeindeschwester unterhielt. In Friedenszeiten betätigte sich diese als Helferin von körperlich Behinderten, besuchte alte, pflegebedürftige Gemeindeglieder und arbeitete so mit dem Pfarrer und dem Kirchenvorstand zusammen. Schon im Kriege begann sich das Interesse für die kriegsgefangenen österreichischen und deutschen Soldaten zu regen, welches sich nach dem Kriege auf die völlig mittellosen, oft kranken und auch verlassenen Soldaten-Heimkehrer konzentrierte. Pfarrer Twardzik Johann war 1888 geboren und kam erst 1918 nach Böhmisch-Budweis, diese Gemeinde augsburgischen und helvetischen Bekenntnisses wurde 1910 gegründet und war eine Zeit lang eine Filialgemeinde von Linz und Pilsen, bis sie mit 434 Seelen selbständig wurde. Sie gehörte zur westböhmischen Superintendenz, dann zum westböhmischen Kirchenkreis und war eine ausgesprochene konfessionelle und nationale Diasporagemeinde.
Präsident Dr. Erich Wehrenfennig erläßt als Ergebnis dieser Sitzung folgenden Aufruf an alle Kirchenkreisämter, Pfarrämter und Presbyterien sowie an einzelne Persönlichkeiten: [63]
,,Nach längeren schriftlichen und mündlichen Vorverhandlungen fand am
2. Juni l. J. in Aussig eine entscheidende Sitzung des evangelischen
Diakonie-Vereins unter Anteilnahme der Kirchenleitung und der Vertreter des
Diakonissen-Mutterhauses in Gallneukirchen statt zur Begründung eines
zweiten Diakonissen-Mutterhauses für unsere Kirche, das nach außen
selbständig dastehen soll, aber den inneren Zusammenhang mit
Gallneukirchen wahren muß. Die politischen Verhältnisse, das reiche Arbeitsgebiet in Böhmen und die Bedeutung der großen Schwesternstation im Krankenhause zu Aussig, haben den Gedanken der Gründung eines zweiten Mutterhauses in Böhmen geboren. Damit wird auch der Gefahr begegnet, die uns mit einer eventuellen Zurücknahme der Krankenhausschwestern zu Aussig träfe. Das Prager Diakonissenhaus ist dem nicht entgegen und sieht in dieser Neubegründung keine Beeinträchtigung seiner besonderen Arbeit und Aufgabe. Der Diakonie-Verein in Aussig hat vorbereitende Schritte getan und denkt sich den Anfang also: Der Diakonie-Verein in Aussig wandelt sich in ein Diakonie-Mutterhaus in der Tschechoslowakischen Republik um. Er löst sich mit Einverständnis seiner Mitglieder auf und bringt in die neue Gesellschaftsform sein Vermögen mit. Insolange die Gründung des Diakonie-Mutterhauses der ministeriellen Genehmigung harrt, fungiert der Vorstand des evang. Diakonie-Vereins als vorbereitender Ausschuß und ergänzt sich zu diesem Zwecke aus weiteren Kreisen. Aussig ist darum zum Sitze des neuen Mutterhauses gewählt worden, weil im Aussiger Diakonie-Verein ein vorbereiteter Boden und in den evangelischen Schwestern des Krankenhauses der nötige Rückhalt für die neue Gründung gegeben ist. In der Sitzung zu Aussig wurde die Berufung einer geeigneten Persönlichkeit als Rektor für die Leitung des Werkes beschlossen und Präsident Wehrenfennig ersucht, sich an die Spitze der ganzen Aktion zu stellen und an alle Gemeinden in unserer Kirche einen Aufruf zu erlassen, daß die Gemeinden, insbesonders die Pfarrer und Presbyter der geplanten Gründung ihre tätige Teilnahme zuwenden und den Zuzug junger Schwestern in unsere Diakonissenhäuser in jeder Weise fördern mögen. Für den Anfang besitzen wir außer dem Barvermögen des Diakonie-Vereins im Betrage von 291.292 K noch 10.000 K vom National Lutheran Council. Die Gemeinden werden herzlichst gebeten. Gaben für das Aussiger Mutterhaus an den Diakonie-Verein Aussig einzusenden (Postsparkassen-Konto Nr. 202.027) die Sache bekannt zu machen, Wohltätern zu empfehlen und dafür zu bitten. Der Mangel an Schwestern ist groß und nichts zeigt mehr den Ernst und die Kraft einer Kirche, als die Zahl der Schwestern, die in ihr dem Heiland an den Menschen dienen. Es ist schon öfters seitens eines öffentlichen Krankenhauses der Wunsch ausgesprochen worden, evangelische Schwestern zu stellen. Wir mußten erklären, daß wir keine haben. Wenn Deutsch-Österreich selbst in immer größere Schwesternot kommt, fällt es ihm schwer, unserer Kirche Schwestern zu überlassen. Das Prager Mutterhaus kann bei weitem nicht alle Wünsche erfüllen. Viele Gemeinden sind ohne Gemeindeschwester. Die Kinderheime (in Hermannseifen z. B.) brauchen Schwestern, wenn die schlesischen Schwestern zurückgezogen würden. Für das Wachstum und die Entwicklung unserer Anstalten der inneren Mission ist es eine Grundbedingung, daß wir genügend Schwestern haben. Es ist selbstverständlich, daß Gaben für das zu gründende Mutterhaus auch dem Hauptverein für Liebestätigkeit in Prag überwiesen werden können, da dieser auch von sich aus dieses neue Werk in jeder, auch finanzieller Weise fördern wird. Möge dieser Aufruf auf guten Boden fallen, allenthalben in unserer Kirche Verständnis finden und die Tat der helfenden Liebe erwecken!" D. E. Wehrenfennig. [64] |
Schon im Oktober d. J. wird vermerkt, daß die Geschwister Mahia in Gablonz für den Diakonieverein in Aussig zur Begründung des Mutterhauses den Betrag von 10.000 Kè. spendeten. Im selben Monat wird auch berichtet, daß zum Leiter des neugegründeten Diakonissenhauses Aussig, Pfarrer Schaarschmidt aus Thening in Oberösterreich (früher Pfarrer in Dux) gewählt wurde, der sein Amt am 1. Jänner 1922 antreten wird.[111]
Präsident Wehrenfennig schreibt darüber: ,,Im Jahre 1921 wurde ich nach Wien geladen zu meiner und des Senior Schwarz von Gallneukirchen Ehren-Promotion. Es war für meine Kirche und mich eine Ehrung, die viel bedeutete bei der Notwendigkeit zu repräsentieren."
Pfarrer Heinrich Zinnecker, der zu dieser Feier von der Kirche abgeordnet war, berichtete folgendes:
,,Mit einem Festgottesdienst in der Stadtkirche zu Wien begann am 5.
Juni die Feier des 100jährigen Bestandes der evang.-theol. Hochschule in
Wien. An denkwürdiger Stätte versammelten sich Festgäste und
Gemeinde. Prof. Völker legte der Predigt die ersten Worte des
Johannes-Evangeliums zugrunde und zeigte die Fäden, die von der Theologie
zur Wissenschaft und zur kirchlichen Gemeinschaft führen. Die ersten
Glückwünsche überbrachten Kurator Dr. Gunesch und Senior
Stökl von der Gemeinde A. B. Wiens, Sup. Lichtenstettiner und Sup. Schack
von den evang. Schwesterkirchen A. B. und H. B. in Österreich. Aus Holland
grüßte Dr. Boehl und aus der Schweiz Pfarrer Gantenbein. Der Begrüßungsabend am 6. Juni gab der auserlesenen Schar der Festgäste und den Teilnehmern an der Feier Gelegenheit zu brüderlich-freundschaftlichem Wort und Gruß. Erhebend und allen unvergeßlich, denkwürdig für die Geschichte des österreichischen Protestantismus gestaltete sich der Festakt im großen Festsaal der Universität. Sechzig studentische Vereinigungen hatten je zwei Vertreter in überlieferter Farbentracht entsendet. Sie eröffneten den feierlichen Einzug der akademischen und öffentlichen Würdenträger. Der akademische Orchester- und Gesangverein grüßten mit ihren Kunstgaben. Dekan Prof. D. Wilke entbot ein herzliches ,,Willkommen" und entrollte in markanten Zügen ein Bild der evang.-theol. Fakultät im Zusammenhang ihrer geschichtlichen Voraussetzungen. Die Reihe der Glückwünschenden eröffnete Vizekanzler Kreiska, ihm folgte Rektor Dopsch von der Wiener alma mater Rudolfina und der Präsident der Akademie der Wissenschaften Redlich. Präsident Haase kleidete die Glückwünsche des österr. Evang. Oberkirchenrates in Liederworte und Worte der heiligen Schrift. Aus dem Deutschen Reich sprachen, stürmisch begrüßt, Rektor Seckel aus Berlin, Rektor Kunze aus Greifswald, Prof. Heine aus Halle-Wittenberg, Prorektor Sellin aus Kiel, Dekan Steuernagel aus Breslau, anwesend waren außerdem die Professoren: Meinhold (Bonn), Thümmel (Jena), Bertholet (Göttingen), Ukeley (Königsberg), Rendtdorff (Leipzig), Hermann (Rostock) und Volz (Tübingen). Namens ausländischer Hochschulen überbrachten Glückwünsche: van Nees aus Leyden (Niederlande), Boehl und Ahlvers aus Groningen (Niederlande), van Baakel und van Kujper aus Amsterdam (Niederlande), Fischer (Basel, Schweiz), Thorn (Kopenhagen, Dänemark) Vischele (Christiania, Norwegen), Aurelius von Lund und von Eulau (Stockholm, Schweden). - All den herzlichen Begrüßungen dankte Dekan Wilke mit herzenswarmen, freudebewegten Worten. [65] Es schloß sich daran die Bekanntgabe der aus diesem festlichen Anlaß verliehenen akademischen Ehrungen. Prof. D. Loesche war von der Wiener Akademie der Wissenschaften zum Mitglied ernannt worden, Prof. Völker erhielt von Breslau die Ernennung zum D. theol. Die feiernde Fakultät selbst ernannte zu Doktoren honoris causa: Alt-Senior Karl Eckardt, Graz; Lic. C. Feller, Karlsbad; Pfarrer Gantenbein, Chur (Schweiz); Kurator Gunesch, Wien; Lic. Hochstetter, Berlin; Pfarrer Jaquemar, Wien; Rektor Saul, Gallneukirchen; Senior Schwarz, Waiern; Senior Spanuth, Leoben und Präsident Wehrenfennig, Gablonz a. N.; - zu Lizentiaten honoris causa: Pfarrer Waitkat, Warnsdorf, und Pfarrer Weidauer, Kolomea. - Präsident Wehrenfennig dankte im Namen der Genannten mit einem dreifachen Gruß. Mit dem ,,Gaudeamus" fand die denkwürdige Feier ihren Abschluß. Am Abend versammelten sich die Festteilnehmer zum Festkommers im Schulvereinssaale. Hatte in der Universität Dekan Wilke den Festakt würdig gestaltet, so leitete nun Pfarrer Muhr, Wien (A. H. des Vereines deutscher evang. Theologen ,,Wartburg"), in studentischer Straffheit. Schier endlos war die Zahl der zu Begrüßenden, 60 studentische Korporationen waren vertreten. Nach der Festrede des Dekans, der auf die mannigfachen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen Studentenschaft und Fakultät hinwies, erklang brausend der erneute Schwur: ,,Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu!" ... Den launigen Worten des Wiener Prorektors v. Schwind und den Grüßen der Göttinger Studentenschaft, die Prof. Bertholet überbrachte, folgte, von Herzen kommend und zu Herzen gehend, ein Mahnruf D. Thümmels, Jena. Vom Leid am Rhein sprach D. Meinhold, Bonn, während D. Aurelius, Lund, vom künftigen Sieg des Germanenthums das Wort gebrauchte: ,,Einst wird es wieder helle ..." Pfarrer Lichtenhahn grüßte von den Freunden in der Schweiz, wo auch ,,ein Fähnlein" in Treue fest steht. Lic. Hochstetter sprach namens des Evang. Bundes und Pfarrer Beck, Wien, für den Verein ,,Wartburg". Dem Vertreter des ,,Burschenbundes" Spielvogel, der stete Treue in Schicksalsgemeinschaft gelobte, folgte die ernste Bitte des Vertreters der Wiener Studentenkammer Kolbe: ,,Gebt uns das lebendige Beispiel von sittlich-religiösem Leben!" - Dank und wieder Dank war der Schluß des Abends, zu dem unzählige Glückwünsche und über eine halbe Million österr. Kronen an Festgaben eingelangt waren. Am folgenden Tage trafen sich die Festteilnehmer nochmals auf der Sofienalpe, wo u. a. Prof. Michelat aus Christiania und Pfarrer Lic. Kühne als ehemaliger Hörer der Fakultät zu Worte kamen. Die Bedeutung der Jahrhundertfeier der Wiener evang.-theol. Fakultät reicht weit über die Festesstunden hinaus. Als Stätte echter Wissenschaft vom Mutterland und Ausland rühmend anerkannt, wird ihr nun doch wohl die bis zum Feste selbst durch parteipolitische Machenschaften verhinderte Angliederung an die Wiener Universität zuteil werden. Darüber werden sich nicht nur Lehrer und Hörer, sondern auch Kirchen und Gemeinden freuen als über einen Schritt vorwärts zur Einheit, von der Rektor Kunze sagte: ,,Einheit des Geistes kann auf die Dauer nie überwältigt werden."[112] Zinnecker, Langenau |
,,22. Juni in Prag: Verhandlung mit Sektionschef Dr. Danovský, Hofrat Dr. Müller und Dr. Svoboda. Auch über Grundbestimmungen und über 'Asch', auch Staatspauschale. Dann Sitzung der 'Weltkonferenz zur Förderung der Freundschaft unter den Nationen durch die Kirchen' unter Beisein des Honorar-Sekretärs Dikkenson, Sekretär Superintendent Dr. ®ilka und Schiller leiteten die Versammlung. Ich schloß mit einem Gebet. - Im Herbst soll eine entscheidende Sitzung gehalten werden unter Teilnahme weiterer Kreise." [66]
Woher Alexander Sohn, der Geistliche der Pfarrgemeinde Olmütz kommt, ist uns nicht bekannt. Er ist in Olmütz nur Pfarradministrator und kann nach dem Gesetz nicht als Pfarrer bestätigt und daher auch nicht bezahlt werden, da er die èsl. Staatsbürgerschaft nicht besitzt. Seine Administrationsfunktion hört erst im Jahr 1929 auf, da er in diesem Jahr Staatsbürger wird. Er wird dann auch als Pfarrer in Friedland bestätigt.[113]
,,10. Juli, Grundsteinlegung in Christdorf"
Herr Präsident Wehrenfennig macht in den ersten 14 Tagen des Monates Juli eine Reise in den Mährischen Kirchenkreis und besucht nach Olmütz auch die anderen Gemeinden. In Christdorf wird der Grundstein zu einem neuen Gotteshaus gelegt. Schon am 17. April hat Pfarrer Johann Babylon eine Einladung an seine Gemeinde ergehen lassen, sie möchte für den Kirchbau in Christdorf ein entsprechendes Opfer geben. Er schreibt:
Unsere Kirche ist abgebrochen, wir sind Unterstands- und obdachlos. In einer
Stätte des engen Pfarrhauses müssen wir an Sonn- und Feiertagen
zusammengedrängt unsere Gottesdienste halten. Die zurecht kommen und Platz
finden, sind die Glücklichen; eng zusammengedrückt, wird ihnen durch
die süßen Lehren des Evangeliums warm ums Herz. Die Männer, die
auch in dem rauhen Gebirgsdorfe artig vor den Frauen aufstehen und ihnen ihren
Platz anbieten, müssen im Vorhaus stehen, die übrigen umkehren. So
herrscht schon eine halbe Stunde vor Beginn des Gottesdienstes im Pfarrhaus
reges Leben. Allein das ist ein unhaltbarer Zustand. Am Gründonnerstag kommen alljährlich 130 und am Karfreitag 150 Abendmahlsgäste; von denen wird heuer nur der dritte Teil Eingang finden können. Kümmerliche Ostern! Wir wollen darum den Osterstein unserer abgebrochenen Kirche am Sonntag Jubilate zum Grundstein unter die neu zu erbauende Christuskirche legen und an diesem Tage, als am Vorabende des Wormser Luthertages, vor Kaiser und Reich jubeln: ,,Hier stehen wir, wir können nicht anders, Gott helfe uns!" Denn für Christdorf gehört sich eine Christuskirche und nicht bloß eine Marienkirche, wie die Katholiken daselbst sie haben. Eine solche Christuskirche, geliebte Glaubensbrüder und -Schwestern, helfet, sie uns bauen! Wir hätten Ehrgefühl genug, sie aus eigenen Mitteln zu bauen aber wir sind zu schwach und zu wenig. 250 Seelen in Christdorf und mit den Glaubensgenossen in Hof, Herzogwald, Barn, Bautsch, Römerstadt, Friedland, Neuwaltersdorf und Karlsberg zusammen 725 Seelen, meist kleine Landwirte, Arbeiter und in den Städten etliche mittellose Beamte. Die Sammlungen für den Kirchenbau ergaben in unserer Mitte in den letzten Jahren 7000 K und für die Orgel 1000 K. Die Steuern haben wir im Jahre 1911 von 15 Prozent auf 30 Prozent, im Jahre 1919 auf 60 Prozent, im Jahre 1920 auf 120 Prozent erhöht. Bei aller dieser Anstrengung bringen wir aber jährlich nur 3200 K zusammen, wovon auch die Gemeindeangestellten bezahlt werden müssen. Wir sind auf die Hilfe der Glaubensgenossen angewiesen. Bevor die Gustav-Adolf-Vereine mit Ihrer Hilfe eintreffen können, erbitten und erhoffen wir uns zu unserem Kirchbau die Handreichung der deutschen evangelischen Gemeinden im Lande. Ihr lieben Glaubensbrüder und -Schwestern: ,,Nehmt euch der Heiligen Notdurft an! Herberget gerne." (Röm. 12,13) Gebt uns ein Plätzchen in euren Herzen, helfet uns zu einer Herberge, da wir als in einem gepflasterten Saal ,,das Osterlamm essen könnten mit dem Herrn" (Luk. 22,12), und tuet wie Maria in Bethlehem sechs Tage vor Ostern tat, indem sie eine kostbare Narde für den Herrn opferte und Christus ihr das Lob aussprach: ,,Sie hat getan, was sie konnte." (Joh. 12,3). Gott segne uns allen die Ostern im Süßteige der Lauterkeit und der Liebe![114] Pfarramt Christdorf. [67] |
,,11. Juli Zauchtel: 2 Güter-Pächter wollen den Grund haben"
Die Gemeinde Zauchtel des Mährischen Kirchenkreises hat bei 1529 Seelen, 5 Predigtstationen und wurde in der Toleranzzeit 1782 gegründet, noch ist Pfarrer Alfred Janik im Dienst seit 1885 mit einem Vikar Ernst Kleiß seit 1917. Die Gemeinde hat Grundbesitz und will diesen verpachten, es haben sich sogar Pächter gemeldet.
,,11. Juli Neutitschein, Pfr. Broser derzeit ? Vicebürgermeister. Gemeindeverhältnisse gut."
Diese Bemerkung des Herrn Präsidenten können wir nicht entschlüsseln. Vielleicht heißt sie nur, daß Wehrenfennig bei seinem Gemeindebesuch in Neutitschein den Ortspfarrer Arpad Broser nicht angetroffen hat. Er ist ja auch nicht mehr ganz jung, 1887 geboren und im jetzigen Amt schon seit 1912. Aber wir wollen das Raten aufgeben.
,,12. Juli Mährisch-Schönberg: 2 Damen im Presbyterium ...... nach 1/4 Jahr den Gehalt, dann verhandeln über weitere."
Mährisch-Schönberg ist eine viel kleinere Gemeinde mit 639 Seelen. Als ,,Pfarrer" ist dort der ausländische Prediger Waldemar Gorgon tätig und wird als Hilfsgeistlicher bezeichnet. Ob ihm die Gemeinde deshalb die Gehaltszahlungen verweigert, weil ihn vielleicht die Kirchenleitung zugeteilt hat?
Daß ,,2 Damen" im Presbyterium tätig sind, ist wohl auch dem Herrn Präsidenten aufgefallen, die Kirchenverfassung sieht dies jedenfalls vor (§ 18 KV.).
,,12. Juli Hohenstadt: Erhält der Pfarrer auch kein Staatspauschale in die Hand ... 14.000 Kc. Ich werde das in einem so regeln."
Die Gemeinde Hohenstadt mit den Predigtstationen Müglitz und Landskron ist eine recht kleine Gemeinde mit 235 Seelen. Auch im Jahr 1920 werden nur 270 und im Jahr 1937 erst 324 Seelen ausgewiesen. Es dürfte einleuchtend sein, daß die Gemeinde ihren Pfarrer Dietrich Höhn kaum erhalten kann. Er ist auch schon älter, im Jahr 1870 geboren und seit dem Jahre 1906 hier im Amt. Erst 1934 kommt sein Nachfolger Eduard Drgala. Für den Präsidenten ist es wichtig zu wissen, wie er die immer zu knappe Staatspauschale verteilen muß.
,,25. Juli Prag: Besprechung mit Ministerialrat Dr. Müller vom Ministerium für Schulwesen und Volkskultur wegen der Gemeindebestimmungen"
Ohne, daß der Präsident einen ausgiebigen Urlaub nach diesen anstrengenden Besuchen machen kann, muß er schon wieder nach Prag reisen, damit doch sobald wie möglich die Kirchenverfassung seitens des Staates bestätigt werden kann. So sind eben Besprechungen nötig. Vorher aber notiert er noch:
Nach dem Abgang von Pfarrer Dr. jur. Franz Kubisch war die Frage der Neubesetzung schon wegen des Waisenhauses dringend geworden. In Martin Sasse war nun ein [68] Nachfolger gefunden worden, der auch am 2. Oktober in sein Amt eingeführt werden sollte. Da es sich in Haber um ein diakonisches Hilfswerk des mittelböhmischen Seniorates handelte, wollte der Präsident sich vergewissern, ob sich mit dem neuen Amtsträger auch ein geeigneter Mann für das Waisenhaus gefunden habe. Zu Haber gehörte ja auch die Predigtstation Dauba (Gerichtsbezirk).
Waisenhaus in Haber. (Aus dem Jahresbericht für 1920.) Bewegung: Am 1. Jänner war ein Bestand von 48 Kindern, eingetreten sind im Laufe des Jahres 8 Knaben und 6 Mädchen, ausgetreten 10 Knaben und 7 Mädchen. Die Führung war bei allen gut, jedes war bestrebt fleißig und sittsam zu sein. Verpflegung: Nicht leicht war es immer, die Nahrungsmittel zu beschaffen, einen großen Teil Kartoffel hatten wir noch von der Ernte 1919 und reichten damit bis Ende März, doch in den folgenden Monaten bis zur neuen Ernte im August war Schmalhans manchmal Koch. Nicht, daß wir nichts zu essen hatten, Gott sei Dank, es war immer zur bestimmten Zeit etwas auf dem Tische, aber unsere Kinder sind es gewöhnt, das Tellerchen immer recht voll zu haben und auch ein zweitesmal nachzuholen. Da hat uns denn die Behörde hin und wieder ausgeholfen und Gries, Haferflocken und Haferreis angewiesen. Bei ziemlich gleichem Stande verbrauchten wir 1918 K 23.784'11, 1919 K 41.997'01, 1920 K 63.681'30 allein für Verpflegung. 1920 kostete die Verpflegung für den Kopf und Tag 3 K 05'4 h, die ganze Unterhaltung eines Kindes 5 K 75'5 h für den Tag, jährlich K 2106,33. Ende des Jahres sahen wir uns genötigt, den Betrag von 50 auf 75 K für den Monat zu erhöhen. Dieser Beitrag kommt manchen Behörden zu hoch vor, aus obigem ist aber zu ersehen, daß damit noch nicht die Hälfte unserer Auslagen gedeckt ist. Schule: Mitte September 1919 wurde die Evangelische Schule, die bisher in einem Bauernhause untergebracht war, ins Waisenhaus verlegt und gastierte da bis Schulschluß 1920. Das neue Schuljahr wurde in eigens dazu hergerichteten Räumen im Pfarrhause mit 23 Kindern begonnen. 5 Knaben gingen in die Bürgerschule nach Auscha und 12 besuchten die öffentliche Schule in Haber. Wirtschaft: Die im Juli eintretende Viehseuche schädigte auch uns schwer, die Milch unserer beiden Kühe und 5 Ziegen blieb wochenlang ganz aus, die Ziegen erholten sich nur langsam, die eine Kuh, die uns zwei Jahre kein Kalb gab, kam nicht wieder auf ihren Milchstand, sodaß wir sie Ende des Jahres verkaufen mußten. Es blieb uns somit nur eine Milchkuh, wo reicht aber deren Milch hin für 60 Personen? Der Ertrag unserer Felder war durch die im Frühjahr eintretende Nässe und darauffolgende Dürre ein recht geringer. Kaum ein Drittel anderer Jahre ernteten wir an den uns so nötigen Kartoffeln. Das Wort eines Fachmannes ,,Eine Anstalt ohne genügende Landwirtschaft ist ein Unding", bewahrheitet sich auch bei uns. Wir müssen trachten, bei bester Gelegenheit uns Land zu kaufen. Wünsche betreffs Umbau im Hause, Pflasterung des Hofes, Ankauf von Vieh und Feld, Anschaffung von Kleindern, Wäsche und Schuhzeug und anderes mehr hätten wir genug, wir wollen aber geduldig sein und bessere Zeiten kommen lassen. Hier ist eine Stätte, wo noch viel Gutes zu tun ist und - viele stehen noch abseits. Kommt und helft - ! Hausvater J. Müller.[115] |
Diese kurze Anmerkung bedarf schon einer weiteren Ausholung in die Vergangenheit. Der ursprüngliche Gründer des ,,Sonnenhofes" ist Pfarrer Lic. Otto Waitkat. Er wurde am 9. September 1870 zu Rastenburg in Ostpreußen geboren, studierte Theologie in Königsberg und arbeitete eineinhalb Jahre unter dem bekannten Hofprediger D. Stöcker in Berlin als Organisator des Kindergottesdienstes und der Armenpflege. Nach einer weiteren Betätigung von 1 1/2 Jahren im Waisenhaus Rummelsburg/Berlin und einigen Jahren als Erzieher in Bunzlau stellte er sich dem ,,Ausschuß zur Förderung der evangelischen Kirche in Österreich" im Jahre 1899 zur Verfügung und ging als einer der ersten Sendlinge des Superintendenten Meyer aus Zwickau im Jahre 1900 im Rahmen [69] der Los-von-Rombewegung nach Bielitz zu Pfarrer D. Schmidt. Danach wirkte er als Vikar in der kleinen Filialgemeinde Zwittau-Mährisch Chrostau von 1901 bis 1906. Im Jahre 1901 verheiratete er sich mit Eva, einer Pfarrerstochter aus Wittenau/Berlin. Vom Jahre 1906 bis 1913 übernahm er die Pfarrstelle Steyr in Oberösterreich. In der zur Seelsorge dieser Gemeinde gehörte auch die Strafanstalt Garsten, wo ihm die Not der nach Verbüßung ihrer Haftstrafe entlassenen Sträflinge so ans Herz ging, daß er beschloß für diese verlassenen Menschen etwas zu tun. Seine Frau schreibt darüber:[116]
,,Mein Mann war als Pfarrer von Steyr zugleich Seelsorger an der Strafanstalt
Garsten. Die Not der Häftlinge hinter den grauen Kerkermauern griff ihm
ans Herz. Wenn wir am Sonntag ihn nachmittags vom Gottesdienst in Garsten
abholten, so war der Heimweg vorbei am schönen Ufer der rauschenden Enns,
angefüllt mit Plänen zur Erleichterung ihrer jetzigen und noch mehr
zur Verbesserung ihrer späteren Lage. Was sollte aus diesen
Ausgestoßenen werden, wenn sie des gesetzlichen Schutzes entbehrten?
Dunkel lag der Weg vor ihnen. Und zum Licht wollte ihr Pfarrer sie wieder
führen. Darum Konnte es gar nicht anders sein, daß er sein Pfarramt
niederlegte, um den Sonnenhof, ein Heim für entgleiste Brüder
von der Landstraße und Arbeitslose zu gründen. Darum verließen
wir unser schönes Steyrer Pfarrhaus und tauschten die sichere Existenz
gegen eine Ungewisse Zukunft ein. Im Juli 1913 übersiedelten wir nach Habstein bei Böhmisch-Leipa. Das war für uns in vieler Beziehung äußerlich ein Schritt ins Dunkle. Und als mein Mann dort im alten Eisenbahnwagen auf dem Moor draußen allein hauste, während ich mit den Kindern in einem durchaus nicht schön zu nennenden Bauernhaus untergebracht war, wo wir von vornherein auf jede neuzeitliche Bequemlichkeit und Erleichterung verzichten mußten, wo in dem Ort für uns ,,Ketzer" keine Glocke zur Kirche rief (da ja niemand weiter dort evangelisch war) da habe ich an Steyr wie an ein verlorenes Paradies oft zurück denken müssen. Doch eine wahrhaft große Sache kann nur durch große Opfer möglich sein. So pflegte mein Mann mich dann oft zu trösten. Und sein unerschütterliches Gott-Vertrauen wurde herrlich belohnt. Sein Aufruf fand begeistertes Echo und von allen Seiten kam die Hilfe: es war für mich ein ganz großes Erlebnis, ich mußte mich oft meiner Kleinmütigkeit schämen. Und es ging vorwärts draußen auf dem Moor, es war eine Lust, zu arbeiten und zu schaffen." ,,Er (Waitkat) sah" so fährt Pfarrer Knorek in seiner Erzählung über den ,,Sonnenhof" fort, ,,wie in Deutschland nach dem Muster Bodelschwinghs Arbeiterkolonien und Heimstätten für solche Entgleiste geschaffen wurden, aber in Österreich kümmerte sich kein Mensch darum, weder die Regierung, noch sonstige dazu berufene Stellen. Anderen möchte es gleichgültig sein, aber Waitkats Gewissen ließ es keine Ruhe mehr und da er ein Mann der Tat war, faßte er den Entschluß, nach Bodelschwinghschem Vorbilde soziale Aufbauarbeit zu leisten. Daß dies nicht ohne große Opfer gehen wird, war ihm von vornherein klar. Es war ein kühnes Wagnis, denn die gesicherten Mittel fehlten dazu. Als er aber auf einer Reise wie durch ein Wunder bei Böhmisch Leipa das weite Habsteiner Moor sah, trat er sofort in Verhandlungen, um es zu erwerben und durch eine Arbeiterkolonie urbar zu machen. In Habstein lächelte man darüber, denn der Sumpf galt als nicht entwässerbar, da die zum Bach gezogenen Entwässerungsgräben zu wenig Gefälle hatten. Waitkat erwarb das ganze Moor im Ausmaße von 30 Hektar von der Ortsgemeinde Habstein um den Betrag von 16.600 K. Im Sommer 1913 gab er sein Pfarramt und damit seine und seiner Familie sichere Existenz auf und zog nach Habstein. Er kaufte drei alte Eisenbahnwagen (zum Preise von je 80 K), stellte sie hufeisenförmig auf, baute sich ein Dach darüber und nannte dieses merkwürdige Bauwerk 'Sonnenhof'. Werkleute fanden sich bald mehr ein, als er beherbergen konnte. Der erste Sonnenhofgast war schon eingezogen, als die drei Wagen noch ganz frei im offenen [70] Moor standen. Nun begann die Arbeit. Die Entwässerung gelang, indem der Hauptentwässerungsgraben durch große Rohre unter dem Bach hindurchgeführt und in einen anderen Abfluß geleitet wurde. Nach einem reichlichen Jahre war schon der nächstgelegene Streifen von 3 Hektar trockengelegt, 3 Kilometer Gräben waren zur Entwässerung ausgehoben worden, auch eine 20 Meter lange und 10 Meter breite Scheune war aus alten Telegraphenstangen errichtet worden, dazu ein einfacher Stall und Schupfen. Im ersten Jahre schon hatte der Sonnenhof 38 Heimlosen für kürzere oder längere Zeit Obdach, Arbeit und Brot gegeben." Was waren das für Leute, mit denen und an denen Waitkat dort arbeitete? Waitkat pflegte zu sagen: ,,Bei jedem haperts irgendwo". Strafentlassene, die niemand in Arbeit nehmen wollte, Erwerbsschwache mit körperlichen Fehlern, die im wirtschaftlichen Kampfe beiseite geschoben wurden, sonst irgendwie entgleiste Menschen, die die Arbeit nicht liebten, alle ohne Heim, Brüder von der Landstraße, Kunden, Strabanzer, Vagabunden. Jugendliche, noch nicht lange der Schule entwachsen, Burschen, Männer, Alte, von 14 bis 65 Jahren, stammend aus aller Herren Länder, Evangelische und Katholische, Gebildete und Schwachsinnige. Daß mit solchem Material nicht leicht zu arbeiten war, wird jeder einsehen, zumal die Leute ja aus verschiedenen Berufen kamen. Der erste Jahresbericht weist aus: 2 Tischler, 1 Schauspieler, 1 Anstreicher, 1 Kassierer, 1 Schmied, 5 landwirtschaftliche Arbeiter, 1 Kaufmann, 3 Fleischer, 1 Wanderredner, 2 Glashüttenarbeiter, 1 Bäckermeister, 2 Bandweber, 1 Handelsschüler, 1 Gaisbub, 6 Fabriksarbeiter, 2 Gärtner, 2 Schlosser, 1 Seiler, 1 Zuckerbäcker, 1 Kellner, 1 Zimmermann, 1 Schuster. Wie schwer war es da, jedem die rechte Arbeit zuzuweisen, dem einen paßte dies nicht, dem anderen jenes. Dazu mangelte es nicht nur an Bettzeug, Wäsche, Kleidung und Schuhwerk, sondern vor allen Dingen am rechten Handwerkszeug, denn das meiste davon war ja zusammengebettelt. Und die Arbeit auf den nassen Moorwiesen und in den sumpfigen Gräben gehört gewiß auch nicht zu dem angenehmsten. Kein Wunder, daß manche bald wieder das Weite suchten, aber der Sonnenhof wurde doch immer wieder voll, zumal manche auch bald wieder kamen. Waitkat brachte bald Ordnung und Grundsätze hinein. Wer zum ersten Male kam, konnte, wenn es ihm nicht mehr gefiel jederzeit wieder gehen. Kam er aber wieder, dann mußte er sich verpflichten, wenigstens ein halbes Jahr zu bleiben, ,,weil seine Wiederkehr beweist, daß er noch nicht fähig ist, draußen auf eigenen Füßen zu stehen". Für die Einhaltung dieser Verpflichtung bürgte sein Guthaben, das ihm nicht ausbezahlt wurde, wenn er vor der Zeit gehen wollte. Das war vom erzieherischen Standpunkte aus sehr wichtig, denn er verhinderte dadurch manchen verderblichen Rückfall, stärkte die Willenskraft und schuf sich zugleich eine feste Sonnenhof-Familie mit allen guten Einflüssen geordneten Zusammenlebens. Dann aber kam der Krieg und eine ganze Anzahl der Sonnenhofbewohner war einzeln oder truppweise zur Kriegsdienstleistung eingezogen worden, der Sonnenhof jedoch füllte sich immer wieder sehr schnell und bis Ende 1915 waren es gerade 90, die in ihm Zuflucht gesucht und gefunden hatten. Waitkat konnte mit Befriedigung ein wohltuendes, einträchtiges Zusammenleben und Zusammenarbeiten feststellen. Der Sonnenhof war zu einer stillen Insel mitten im Lärm der Kriegszeit geworden. Als aber im Jänner 1916 auch die 46jährigen zum Kriegsdienste eingezogen wurden, rückte auch Waitkat als Kriegsfreiwilliger ein, und zwar mit der Waffe, obwohl er ohne große Schwierigkeiten als Leiter des Sonnenhofes die Befreiung vom Kriegsdienste hätte erreichen können. 5 Sonnenhofgäste waren noch übriggeblieben und Waitkats wackere Frau übernahm mit kühnem Mute die Leitung. Sie wohnte mit ihren Kindern eine halbe Stunde vom Sonnenhofe entfernt bei einem Bauer in Habstein und sah jeden Tag nach dem Rechten, dieweil Waitkat in Böhm.-Leipa Rekruten abrichtete. So ging zunächst alles ganz gut weiter, zumal Waitkat vom Böhm.-Leipa her wenigstens alle Sonntage auf den Sonnenhof kommen und entsprechende Anordnungen treffen konnte. Am 13. August 1916 aber wurde Waitkat ins Feld gerufen, und zwar an die Isonzofront. [71] Nun lag die ganze Last und Verantwortung der Sonnenhofarbeit allein auf den Schultern der Frau Pfarrer Waitkat. Man kann die ganze Wucht dieses kühnen und tapferen Wagnisses nur dann richtig ermessen, wenn man bedenkt, daß ja Waitkat dem Sonnenhof seine eigene sichere Existenz und die Existenz seiner Familie geopfert hatte. Darum mag die Frage offen bleiben, wer der größere Held war, Waitkat, der die mühsam begonnene Arbeit nach den ersten herrlichen Erfolgen verließ und dem Zwange des Gewissens folgend mit der Waffe ins Feld zog, oder seine tapfere Frau, die in felsenfestem Gottvertrauen die ungeheure Last der Sonnenhofarbeit auf sich nahm. Und eine ungeheure Last war es für Frau Pfarrer Waitkat, in den schweren Kriegszeiten, wo kaum für eine kleine Familie das Nötigste beschafft werden konnte, für eine ganze solche Kolonie zu sorgen und sich in den wüsten Zeiten unter haltlosen Menschen Respekt zu verschaffen und durchzusetzen. Aber Frau Pfarrer Waitkat hielt durch, bis nach dem Kriege der Gatte wieder heimkam. Waitkat schrieb damals: ,,Es war aber auch die höchste Zeit, denn meine Frau war am Ende ihrer Widerstandskraft." Als dann auch die Entscheidung über das Schicksal Deutschböhmens fiel, gab Waitkat seinen Plan auf und ging im Mai 1919 als Pfarrer nach Warnsdorf. Und das war auch höchste Zeit, denn seine umfassenden Kenntnisse, seine reichen Erfahrungen und seine unverwüstliche Arbeitskraft wurden bei dem Aufbau unserer deutschen evangelischen Landeskirche auf andere Weise nötiger gebraucht. Den Sonnenhof schenkte er dann, wie ja bekannt ist, dem evangelischen Diakonissenhaus in Prag, das ihn zu seiner heutigen Größe ausbaute. Dient er auch derzeit nicht eigentlich den Brüdern von der Landstraße und entlassenen Sträflingen, so bewahrt er doch junge, schwererziehbare Burschen davor, der Landstraße und dem Zuchthaus anheimzufallen. Und das ist, wie Waitkat selbst schrieb: ,,eine fast noch viel schönere Arbeit". Seine Entstehung aber verdankt der Sonnenhof dem tiefen sozialen Empfinden Waitkats und sein Sonnenhof mit 3 alten Eisenbahnwagen war doch, wie er ahnend schon im Jahrgang 1915, Heft 16, des damaligen ,,Gemeindeboten" schrieb: ,,die Knospe, aus der der eigentliche Sonnenhof erblühen sollte". Vielen ist er schon zum Segen geworden, vielen wird er es noch werden. Waitkats selbstlose und opferfreudige Liebe trug, trägt und wird weiter ihre Früchte tragen. Der Sonnenhof bleibt eine soziale Tat. Pfarrer Knorek. |
Der ,,Sonnenhof" wurde, wie bereits berichtet, vom Evangelischen Diakonissenhaus in Prag, Sokolstraße 33, gekauft und zu einem Heim für schwer erziehbare Burschen ausgebaut. Nun, am 31. Juli 1921 war es soweit, daß es auf dem Habsteiner Moor zur Grundsteinlegung eines geräumigen Hauses kam, in welchem einige Jahre später neben dem Daueraufenthalt von über 40 Burschen auch Pfarrerrüstzeiten abgehalten werden konnten. Die Leitung hatte der Diakon Paul Rabe mit seiner Frau übernommen.[117]
Über die Tagung des Weltbruderschaftskongresses in Prag ging uns folgender Bericht zu.
Der Weltbruderschaftskongreß wurde am 29. August mit einem gemeinsam
gesungenen Choral eröffnet. Synodal-Senior Souèek und Rev. Dr. Moore
von Worcester sprachen ein Gebet. Der Kongreß wurde im Namen der Stadt
Prag durch eine Dame begrüßt, sodann durch den Vertreter der
tschechoslowakischen Kirche, die gegenwärtig im ganzen Lande 900.000
Seelen zählt, ferner durch den Vertreter der evangelisch-brüderischen
[72] Kirche. Auch der Vertreter der Deutschen evangelischen Kirche wurde
ersucht, den Standpunkt der Deutschen zum christlichen Bruderschaftsgedanken
darzutun. Er betonte, unter großem Beifall das Wort ergreifend, daß
die deutschen Kirchen bei den verschiedenen Weltkongressen um der jüngst
vergangenen Ereignisse willen Zurückhaltung üben. Aber das Verlangen
nach einem sich Wiederverstehen sei in christlichen Kreisen sehr groß,
hüben und drüben. Er wage zu sagen, daß die Deutschen ein
vorzügliches Objekt für den Bruderschaftsgedanken darstellen, denn
sie hätten viel erlitten und seien, wie jüngst ein Schwede (Lic.
theol. Karl Dymling) urteilte, kraft ihrer Gemütsanlage nicht exklusiv.
Darum seien sie auch ein vorzügliches Subjekt des
Bruderschaftsgedankens. Gute Gedanken sind Kräfte, die durchgreifen. Es sprachen noch Vertreter aller evangelischen Gemeinschaften Böhmens und sodann insbesondere am Nachmittag 2 Engländer und 2 Franzosen. Am Nachmittag war bei der Britischen Gesandtschaft im Thunschen Palais großer Empfang. Es ist vielleicht angenehm aufgefallen, daß ein Franzose versöhnliche Worte auch gegenüber der deutschen Nation fand, als er den Weltbruderschaftsgedanken vom Standpunkte der Franzosen darlegte.[118] |
Ihre Geburtsstunde war der Neujahrstag 1920 als Dr. Farský in der Niklaskirche auf dem Altstädterring ein Hochamt nach einem textlich und musikalisch neu entworfenen tschechischen Missale hielt, die amtierenden Geistlichen waren zumeist Ministerialbeamte. Auch weiterhin übte die Kirche auf die Beamtenschaft des Staates eine große Anziehungskraft aus und hatte am Staate ihre Stütze. Acht Tage später erfolgte die formelle Gründung der Kirche. 140 frühere römisch-katholische Priester erklären ihren Austritt aus der Kirche. Wenn man bedenkt, daß die Vereinigung tschechischer, römisch-katholischer Priester in den Sudetenländern damals 6500 Mitglieder zählte, bedeutet das nicht viel. Man setzte sich mit Gewalt in den Besitz von 30 katholischen Kirchen. Die erste Kirchenversammlung 1921 zählt 109 Kirchengemeinden, 200.000 Gläubige. Für die Lehre wurden als maßgebend erklärt: Die Lehre Christi nach der Erklärung der 7 ersten allgemeinen Konzilien, das nizänische Glaubensbekenntnis, die Tradition der slawischen Apostel Cyril und Methodius. Trotz des Mangels an religiösen Gedanken rief die Nationalkirche eine starke Abfallsbewegung des tschechischen Volkes hervor. Einzelheiten der Entwicklung darf ich übergehen. Da das Nationale dieser Kirche starken Anklang fand, setzte vor der Volkszählung 1921 der Sokol (die tschechische Turnerschaft) mit einer großen Werbetätigkeit ein, sodaß dann die Volkszählung 525.333 Anhänger der neuen Kirche zählte.
Selbstverständlich hatte die tschechoslowakische Kirche viele innere Schwierigkeiten zu überwinden und leidet noch daran. Die religiösen und allslawischen Gesinnten suchten Anschluß an die orthodoxe Kirche über Belgrad. Dieser östlich gerichteten orthodoxen Strömung steht eine westliche, ja freidenkerischen Anschauungen stark Raum gebende Richtung gegenüber. Nicht ohne Interesse ist ein Blick in den Katechismus der von Farský und Kalous 1922 herausgegeben wurde. Nach einer Einleitung, wie tschechoslowakische Kinder grüßen und wie man das Kreuzeszeichen macht, beginnt der erste Hauptteil mit den Überschriften: Das Leben der Welt, Gotteserkenntnis, die Lehre Jesu oder das Christentum, Jesus der heldenhafte Märtyrer der Menschheit. Frage 3 zeigt eine dem Pantheismus nahe Formulierung: Was ist das lebendige Weltgesetz? [73] Das lebendige Weltgesetz ist Gott. Ähnliche Formulierungen haben den Widerstand der orthodoxen Richtung hervorgerufen. Ein Abschnitt des Katechismus redet unter der Überschrift ,,Vermächtnisse" von Cyrill, Methodius, Hus, Comenius. Es wird auch der nationalen Erwecker des 18. und 19. Jahrhunderts gedacht und Palackýs Wort zitiert: ,,Jeder zu den seinen und immer der Wahrheit gemäß." Der Abschnitt schließt mit der Frage: ,,Was ist uns Beweis für den Sieg der Wahrheit? Beweis für den Sieg der Wahrheit sind Leben und Arbeit und Erfolg aller Schöpfer unserer Republik und der Wahlspruch ihres großen Wappens ,die Wahrheit siegt'." Dieser Katechismus ist vergriffen und wird nicht mehr neu aufgelegt werden. Dem Jugendunterricht ist noch eine von Farsky bearbeitete Ausgabe alttestamentlicher Geschichten in Verwendung. Das Neue Testament wird erst folgen. Das Gesangbuch enthält Lieder tschechischen, englischen, französischen und deutschen Ursprungs. Auch einige Sätze der Lehrerresolution von 1924 sollen hier ihren Platz finden: ,,Die tschechoslowakische Nationalkirche erblickt ihre Lebensaufgabe in der Rückkehr zum Christentum der Evangelischen selbst. Sie erstrebt eine solche Religion, welche sowohl den kulturellen als auch den moralischen Geboten des modernen Menschen und modernen Tschechen besonders entsprechen würde. Indem sie sich auf die Tradition stüzt, will die tschechoslowakische Nationalkirche, die von husitischen Ahnen und von böhmischen Brüdern begonnene Reformation fortsetzen und zum definitiven Abschluß bringen. Auch diejenigen Glaubensartikel müssen zum Gegenstand werden, die die Reformation ohne Veränderung belassen hat. Die einzige Basis, die wir gemeinsam mit allen anderen christlichen Kirchen haben, bleibt für uns die Idee und die Definition Gottes."
So hat die tschechoslowakische Kirche ihre Probleme formuliert ohne sie zu lösen. Diese Arbeit ist noch zu leisten und läßt daher noch verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten offen. In dem Kirchenvolk ist sicherlich religiöses Sehnen vorhanden. Der neue Patriarch Bischof Procházka wurde vorigen Monat in sein Amt eingeführt. Die Kirche besitzt 203 Gemeinden, 64 Kirchen sind neu gebaut. Die in der ersten Zeit mit Gewalt enteigneten katholischen Kirchen wurden vom Staat der katholischen Kirche wieder zurückgegeben. Sie ist ja eine Macht mit der man rechnen muß.[119]
Ausführlich sprach ich mit Fedor Ruppeldt, dem Pfarrer aus Suèaby, der mir die Haltung der slowakischen Bischöfe in Bezug auf die Deutschen rechtfertigte. Die Deutschen in der Slowakei haben magyarisierende Tendenzen. Sie seien gar nicht deutsch-national gesinnt. Sie wollten in ihren Schulen das Magyarische pflegen und wir zwangen sie das Deutsche zu pflegen. Senior Schmidt hat auch mitzureden in ihrer Distriktsverwaltung. Wenn ich die Verhältnisse kennen würde, würde ich mit den deutschen Brüdern in der Slowakei nicht zufrieden sein.[120] Die Kirchen der Brüder heißen: Die vereinigte Kirche der deutschen Brüder, die Vereinigung der Brüderkirche, die Cheltschitzky Vereinigung der Brüder.[121]
Johannes Georg Schaarschmidt wurde am 1. Oktober 1872 zu Euba bei Chemnitz geboren als viertes Kind des dortigen Pfarrers C. R. Schaarschmidt, durch den er auch den ersten Schulunterricht empfing. Am Palmsonntag 1887 wurde er in der Kirche zu Kaditz konfirmiert und erhielt als Einsegnungsspruch das Wort, das seitdem als heller Leitstern über seinem Lebensgange geleuchtet: Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit." Hebr. 13,8. Kurz darauf erfolgte seine Aufnahme in die Fürsten- und Landesschule St. Afra in Meißen, wo er sechs Jahre hindurch seine weitere Ausbildung erhielt.
Nach bestandener Reifeprüfung Ostern 1893 wählte er das Studium der Theologie, [74] nicht nur einem Wunsche seiner Eltern entsprechend, sondern auch dem Zuge seines Herzens folgend. Er besuchte nacheinander die Universität zu Tübingen, Leipzig und Erlangen. Nach Ablegung der theologischen Kandidatenprüfung in Leipzig Ostern 1897 übernahm er eine Lehrerstelle an dem Knabeninstitut des Kantors Heyne in Tharandt, dessen Mitarbeiter und Freund gewesen zu sein, er zu seinen schönsten Lebenserinnerungen rechnete. In der an der gleichen Anstalt wirkenden Lehrerin Elisabeth Brühl lernte er seine nachmalige erste Gattin kennen. Ostern 1899 unterzog er sich vor dem Evangelisch-lutherischen Landeskonsistorium in Dresden der Wahlfähigkeitsprüfung, suchte aber nicht eine Anstellung in der Heimatkirche, sondern richtete seinen Sinn auf die Diaspora, auf die in katholischem Lande zerstreut lebenden evangelischen Glaubensgenossen.
Die Gemeinde Teplitz in Böhmen wählte ihn zum Vikar und betraute ihn mit der Versorgung einer der Predigtstationen, die damals im Beginn der Los-von-Rom-Bewegung um die Teplitzer Mutterkirche herum aufgeblüht waren. Es war die junge Gemeinde Dux. Dort durfte er auch den Bau der schmucken Lutherkirche am großen Barbarasee und ihre festliche Einweihung am Sonntag Jubilate 1902 erleben. Als die Gemeinde Dux zur selbständigen Pfarrgemeinde erklärt wurde, wurde er ihr erster Pfarrer und wieder an einem Jubilatesonntag - 1904 als solcher eingeführt.
Anfang 1908 ging er vom Neuland der evangelischen Kirche Österreichs auf altehrwürdigen, durch die Märtyrergeschichte dieser Kirche geweihten Boden über.
Die Toleranzgemeinde Thening bei Linz wählte ihn zu ihrem Pfarrer, der er bis Anfang 1922 gewesen ist. Die besondere geistliche Regsamkeit dieser Gemeinde hatte zwei Ursachen, erstens die Glaubenstreue der Vorfahren, die - einzig und allein gestützt auf das vor feindlichen Späheraugen sorgsam gehütete Bibelbuch - evangelische Art hindurchgerettet hatten durch die Nachtzeit der Gegenreformation bis zu der Toleranz, der Duldung, die Kaiser Josef II. den Evangelischen in seinem Reiche gewährte, zweitens aber der Glaubensgeist der württembergischen Kirche, den seine Vorgänger, durchwegs Württemberger, in die Gemeinde Thening gepflanzt hatten. Als ein kostbares Kleinod hütete die Gemeinde ihre guten evangelischen Schulen, mit deren Lehrern ihn ein kollegiales Verhältnis verband.
Während seiner Theninger Zeit starb zunächst im Jahre 1916 seine Mutter, 1920 mußte er auch seine Gattin begraben, die ihm in Amt und Haus eine treue Gehilfin gewesen war.
Die engen Beziehungen, in denen die Gemeinde Thening und deren Pfarrer von jeher zu dem ersten österreichischen Diakonissenhause Gallneukirchen bei Linz gestanden, führten dazu, daß Pfarrer Seh. auf Wunsch des Gallneukirchner Mutterhauses sein gesegnetes Arbeitsfeld in Thening verließ und Anfang 1922 die Leitung des jungen Diakonissenwerkes in Aussig übernahm. Dort waren seit 1898 Gallneukirchner Schwestern im öffentlichen Krankenhause tätig gewesen. Ein eigenes Diakonissenhaus sollte die große Arbeit nach und nach übernehmen. Durch Gottes Gnade gelang es, in vier Jahren einen Stamm von Schwestern für die neue Anstalt zu gewinnen. Ein schön gelegenes Schwesternheim in Doppitz bei Aussig konnte erworben, eine Marthaschule zur wirtschaftlichen Ausbildung junger Mädchen darin eingerichtet werden.[122]
[75] (Aus ,,Deutscher Glaube", 1920, Heft 4, 98f.)
Das Kinderheim in Görkau. Als die Klage immer lauter ertönte, daß das Waisenhaus in Haber keine weiteren Kinder aufnehmen könnte, eine Vergrößerung desselben zurzeit untunlich wäre, wurde im Eger-Seniorat der Plan erwogen, ein Kinderheim neben dem schon in Deutsch-Horschowitz bestehenden zu gründen. Da nun im Görkauer Pfarrhaus die vermietete Wohnung im Erdgeschoß frei wurde und eine liebe Großmama sich fand, die die nötige Einrichtung, vor allem Möbel und Küchengeräte zu spenden bereit war, wurde das Anerbieten von der Senioratsversammlung in Karlsbad im Sommer 1917 angenommen und ein Ausschuß für Kinderschutz und Jugendfürsorge mit der Arbeit betraut. Es war bei den traurigen Ernährungsverhältnissen ein großes Wagnis; gut, daß wir nicht wußten, daß es damit noch schlimmer werden sollte. Gott aber sei Dank, daß der Plan ausgeführt wurde und wir hindurch kamen. Ließ die Ernährung auch viel zu wünschen übrig, es sind doch manche Kinder, die aus noch viel schlimmeren Verhältnissen kamen, gerettet worden. Was die nicht ausreichende Ernährung verschulden mochte, wurde durch Ordnung und regelmäßige Lebensweise, erziehliche Einwirkung und fröhliche, sangeslustige Gemeinschaft auszugleichen gesucht. Eine Ziege sorgt mütterlich für den nötigen Milchbedarf, wenn sie aber nichts hergibt, was ja alljährlich durch etwa zehn Wochen zu geschehen pflegt, dann muß das ganze Pfarrhaus mit 1/2 Liter schon gewässerter Kuhmilch begnügen, und das ist gewiß ein Kunststück. Auch die Beschaffung von Wäsche und Kleidern war nicht leicht. Eine Kiste mit gebrauchter Hotelwäsche aus Prag, obwohl hoch versichert, wurde ausgeraubt. Dann und wann kamen ja Spenden, aber es reichte nicht. So hat das Pfarrhaus oft herhalten müssen. Und wie viel und oft mußten die alten Sachen geflickt werden, wie fleißig war da die Großmama und immer willig, bis sie nicht mehr konnte und heimging. Das Bewußtsein, daß die Anstalt eine Gründung der Gemeinden des Seniorates ist, ist doch in diesen Gemeinden in sehr ungleichem Maße lebendig. So kam es, daß im vergangenen Jahre das Geld oft sehr knapp und der Ausschuß aus seinen Mitteln helfen mußte. Gegen Jahresschluß liefen dann doch so viel Spenden ein, daß wir mit einem Rest von K 1569,71 abschließen konnten; und da auch seither einige größere Gaben kamen, so hoffen wir, damit schon einige Zeit auszulangen. Darum bitten wir doch die alten Freunde, dem bescheidenen Werke Treue zu halten, und neue Helfer sollen willkommen sein. Es freut uns auch sehr, wenn das Kinderheim besucht wird, es ist uns sehr wertvoll, wenn man einen unmittelbaren Eindruck zu gewinnen sucht, wir wären dankbar, guten Rat zu hören. Die Ausgaben im Jahre 1919 betrugen K 8577,77, dieser Betrag, geteilt durch 3390 Verpflegstage, ergibt für ein Kind eine tägliche Ausgabe von K 2,53; das ist gewiß nicht viel, freilich auch nur möglich, weil doch auch manche Naturalgabe dem Haushalte zugute kam. Von 14 Kindern, die sich hier aufhielten, ist ein Knabe über die Schulzeit hinaus behalten worden, bis er von seinem aus französischer Internierung heimkehrenden Vater übernommen wurde, ein zweiter kam ins Kinderheim nach Hermannseifen, zwei Schwestern holte der aus dem Kriege heimgekehrte Vater, nachdem er sich wieder verheiratet hatte, fünf kamen neu hinzu, fünf waren das ganze Jahr hier. Wenn die Anmeldungen und Bitten um Aufnahme, die einlaufen, alle berücksichtigt werden sollten, dann müßte die Anstalt wesentlich vergrößert, auf die doppelte Kinderzahl berechnet werden. Es müßte ein eigenes Heim gebaut werden und das würde große Mittel erfordern. Dafür bietet die verhältnismäßig kleine Zahl von 10 bis 14 Kindern die Möglichkeit, sich mit dem einzelnen näher zu beschäftigen und auf es einzuwirken, wie es das gerade notwendig hat. Im übrigen, wenn wir der schweren Zeit denken, die hinter uns liegt, wir lassen uns im Blick auf die gewiß auch nicht leichte Zukunft keine grauen Haare wachsen, wenigstens nicht mehr, als schon vorhanden sind. Wenn wir uns sorgten, dann hat immer noch ein Höherer unser Sorgen beschämt.[123] Pfarrer Gurniak. [76] |
Görkau, eine sterbende Gemeinde, schlechter Kirchenbesuch. Die Fabrikanten zahlen wenig Steuern. Zwei Brüxer Herren wünschen Eingreifen der Kirchenleitung, damit die Gemeinde sich aufrafft. Saaz wünscht Besuch, auch Jechnitz - auch Brünn.
Gustav-Adolf-Verein. Die Jahresversammlung des
Gustav-Adolf-Hauptvereines für Böhmen, Mähren und Schlesien,
die am 7. und 8. September in Komotau stattfand, war dem
äußeren Verlaufe und der Zahl der Teilnehmer nach von der
Jahresversammlung eines Zweigvereines nur wenig zu unterscheiden; ja es mag
Zweigvereinsfeste geben, die äußerlich glänzender und
großartiger verlaufen. Und das ist schließlich kein Wunder. Entsenden
doch zu der Jahresversammlung des Hauptvereines nur die sechs Zweigvereine, zum
Teil von weit her, ihre Vertreter, während bei den Versammlungen der
Zweigvereine fast immer eine weit größere Anzahl ihrer Ortsvereine
schon infolge der bequemen Reiseverbindungen vertreten zu sein pflegen. Aber
was dem Jahresfeste des Hauptvereines an zahlreichen von weither
zusammengeströmten Festgästen und einer entsprechenden, schon
äußerlich wirkenden Aufmachung vielleicht abging, wurde reichlich
aufgewogen durch den 0inneren Gehalt der Tagung. Schon der freundliche Empfang, den die Festgemeinde Komotau den Gustav-Adolf-Boten bereitete, und ihr reges Interesse an der ganzen Gustav-Adolf-Sache, das sich vor allem in dem guten Besuch der beiden Gottesdienste, der schönen Festkollekte und einer besonders gesammelten Festgabe von 1200 Kronen kund tat, wirkten herzerhebend. Dasselbe ist von den geistigen Darbietungen zu sagen, die den eigentlichen Inhalt des Festes ausmachten und keinen Teilnehmer, ob jung oder alt, Mann oder Frau, bewährt in der Gustav-Adolf-Arbeit oder noch unbewährt, leer ausgehen ließen. Ich nenne nur die tiefdurchdachte und packende Festpredigt vom Herrn Pfarrer Siegmund aus Roßbach, die warmherzigen und geistvollen Begrüßungsansprachen von Herrn Senior Piesch, Komotau, Herrn Kirchenpräsidenten D. Wehrenfennig, Gablonz, und dem Vertreter des reichsdeutschen Gustav-Adolf-Vereines, Herrn Generalsekretär Pfarrer Geißler aus Leipzig, die werbenden und gewinnenden Worte von Herrn Pfarrer Steckert, Hermannseifen, im Kindergottesdienste und den geistsprühenden, glänzenden Bericht von Herrn Senior Fischer, Eger, über die drei zur Hauptliebesgabe vorgeschlagenen Gemeinden Braunau in Böhmen, Christdorf in Mähren und Friedek in Schlesien, von denen Christdorf - nun schon zum zweiten Male - den Preis (diesmal waren es 3500 Kronen) für seinen Kirchbau errang. Doch auch die beiden unterliegenden Gemeinden gingen nicht leer aus, und allen drei Gemeinden wurde vom Herrn Senior Fischer noch eine besondere namhafte Unterstützung von seiten des ,,National Lutheran, Council of Amerika" in sichere Aussicht gestellt. Weiter gelangten gemäß den Vorschlägen des Vereinsvorstandes zur Verteilung: 8000 Kronen zur freien Verfügung des Zentralvorstandes der Gustav-Adolf-Stiftung in Leipzig, 8000 Kronen für Gemeinden in unserer Kirche mit eigenen evangelischen Schulen und eine ganze Anzahl kleinerer Spenden an alle die Gemeinden unseres Vereinsgebietes, die früher in der Pflege des österreichischen Gustav-Adolf-Hauptvereines gestanden sind. Wieviel Hilfe wird mit allen diesen Gaben nun doch wieder so mancher einsamen und schwer um ihren Bestand ringenden evangelischen Gemeinde gebracht! Wieviel Sorgen werden durch sie verscheucht, und wieviele Herzen in der Nähe und in der Ferne durch sie erfreut werden! Wir sollten noch weit eifriger und williger unsere Kräfte und Gaben in den Dienst der wichtigen und von Gott so reich gesegneten Gustav-Adolf-Sache stellen! Eine wunderschöne Nachfeier bildete der Ausflug nach Schloß Rothenhaus und dem evangelischen Kinderheime in Görkau. Das Lob, das Herr Präsident D. Wehrenfennig dem Heime und vor allem der Heimmutter, Frau Pfarrer Gurinak, spendete, war wohl verdient. Mögen Pfarrherr und Pfarrfrau, die in selbstlosester Weise dies kleine [77] Liebeswerk auf sich genommen haben, noch recht viel Freude an ihren Schützlingen erleben und jederzeit die notwendige Hilfe und Unterstützung bei ihrer nicht immer leichten Arbeit finden! Zum Schluß noch eine kurze Anregung, die hoffentlich keiner der Teilnehmer an dem so harmonisch und befriedigend verlaufenen Komotauer Feste mißdeuten wird. Würde unser Fest nicht ebenso schön und befriedigend verlaufen sein, wenn jeder Teilnehmer für die Zeit des Zusammenseins einmal auf den Genuß von Alkohol und Nikotin freiwillig verzichten und durch solchen Verzicht vielleicht noch ein paar Kronen mehr für die Zwecke des Gustav-Adolf-Vereines oder für das Liebeswerk des Görkauer Kinderheimes erspart hätte? Die Freiheit, aus der heraus der Apostel Kolosser 2,16 geschrieben hat, soll gewiß nicht angetastet werden. Aber derselbe Apostel, der auch Römer 14,21 und 1. Korrinther 8,13 geschrieben hat, würde uns gewiß nicht tadeln, sondern nur loben, wenn wir, um den Glaubensgenossen noch mehr Gutes tun zu können, ein solches geringes Opfer für so kurze Tage auf uns nehmen würden.[124]
Falkenau a. d. Eger. |
Während Präsident Wehrenfennig in seinen Notizen nur eine Zeile über den Kirchentag bringt, gibt Pfr. Waitkat zu diesem Ereignis seine besondere deutsch-christliche Meinung ab; im Oktoberheft des ,,deutschen Glaubens" lesen wir die Ansprache unseres Präsidenten und im darauffolgenden Novemberheft die Stellungnahme Waitkats unter dem Titel: ,,Deutsch und evangelisch". Bei dieser Gegenüberstellung wird sehr deutlich, welche Rangordnung das nationale Element für den Präsidenten und für Waitkat hat: Wehrenfennig wertet die reformatorische Bewegung als ,,rein religiöse Erhebung und Erneuerung Deutschlands", Waitkat kann ,,religiös" nicht ohne ,,national" denken, darum schließt er auch mit dem Satz seinen Artikel: ,,Denn lutherisch ist für uns nicht gleich ,,augsburgisch", sondern uns ist ,,lutherisch" gleich ,,deutsch und evangelisch". - Im folgenden seien die beiden Artikel abgedruckt, wobei die zeitliche Aufeinanderfolge eingehalten wird.
Ansprache des Präsidenten D. Wehrenfennig bei der Nachfeier des Reformations-Jubiläums aus Anlaß des II. Deutschen Kirchentages in Stuttgart. Hochverehrte Schwestern und Brüder nach Luthers und nach deutscher Art! Von ganzem Herzen danke ich dafür, daß man, als die großen starken evangelischen Kirchenkörper zu einer Einheit zusammengefaßt werden sollten, der Trümmerstücke gedachte, der deutschen Kirchen im Auslande und sie an einem Erlebnis teilnehmen ließ. Wir deutschen Evangelischen in der tschechoslowakischen Republik sind oft betrübt darüber, daß der Protestantismus im Reiche so zerspalten erscheint. Es hat in Deutschland einer der evangelischen Kirchenmänner in evangelischer Bußgesinnung öffentlich das unglückselige Wort gesprochen: ,,Der Protestantismus ist am Ende." Und nun geht dieses Wort in der Runde durch alle katholischen Blätter in Nordböhmen, Mähren und Schlesien. Umso fröhlicher wird mein Herz hier, wo ich Zeuge sein durfte einer großartigen Einigung des evangelischen Deutschland. Davon will ich nun zu Hause reden und zeugen. Bei der herrlichen Schlußansprache des Präsidenten von Pechmann fiel mir ein Wort Luthers ein: ,,Wir wollen alle gern concordiam haben. Aber das medium concordiae sucht niemand, welches ist mutue caritas", wechselseitig geübte Liebe. Weiter sagt er: ,,Die Sachen sollen streiten, die Personen sollen eins sein." So war es in diesen Tagen in Stuttgart. [78] Ich bringe Ihnen, liebe Brüder und Schwestern, den herzlichen Gruß der deutschen evangelischen Kirche Tschechoslowakiens, die eine rechte Volkskirche sein will. Sie ist klein, aber man sieht an ihr doch zweierlei: daß eine Volkskirche eine rechte Heimat werden kann, die freudig macht und opferwillig. 88.000 Seelen (Asch ungerechnet) brachten im Jahre 1920 K 1,123.427 an pflichtmäßigen Kirchensteuern auf. Zweitens sieht man an unserer Volkskirche, daß sie aus dem Nichts, d. h. ohne Geld und Gut aufgebaut werden kann, denn unser Vermögen liegt in Wien oder in Kriegsanleihe angelegt zinsenlos und unerreichbar. Aber freilich die Kirche lebt von Zuversicht und Ergebung. Und das ist der Seeleninhalt Luthers am Tage von Worms gewesen. Zuversicht und Ergebung ist die einzig richtige Einstellung, soll Gottes Kraft in uns einströmen und uns erfüllen. In der Tschechoslowakischen Republik, besonders in Böhmen, ist gegenwärtig ein reichbewegtes religiöses Leben. Die Los-von-Rom-Bewegung unter den Deutschen, anfangs wie ein Sturzbächlein des Erz-, Jser- und Riesengebirges ins Tal fallend, ist in ruhigere Bahnen getreten, aber durchaus nicht zum Stillstand gekommen. Aber unter den Tschechen geht die Bewegung hoch einher. Seit 1 1/2 Jahren hat ein Schisma innerhalb des katholischen Volkes tschechischer Zunge 900.000 Seelen der tschechoslowakischen Nationalkirche zugeführt. Auch die tschechische Brüderkirche hat sich binnen Jahresfrist von 150.000 auf 200.000 Seelen vermehrt. Nehmen Sie hinzu, daß diese Kirchen den Auspruch erheben, den innersten und tiefsten Staatsgedanken in sich zu tragen als ein geschichtliches Erbe und daß Masaryk sich ein bewußtes Glied der evangelischen Kirche nennt, so gibt das einen besonderen Ausblick in die Zukunft. Wie hätte Luther diese Vorgänge beobachtet und gedeutet! Einmal folgte auf eine böhmische nationale religiöse Bewegung nach 100 Jahren eine rein religiöse Erhebung und Erneuerung Deutschlands. Könnte es nicht wieder so werden? Jedenfalls laßt uns getrost sein! Es ist eine Zeit, da der Glaube sein Meisterstück ablegen darf, da er obsiegen soll in allen Stürmen wie der Sturmvogel in den Lüften, wo er singt und triumphiert mitten in Not und Drangsal: ,,Herzlich lieb habe ich dich, Herr meine Stärke!"[125] D. Erich Wehrenfennig. |
Deutsch und evangelisch. Die Bedeutung des Stuttgarter Kirchentages. Was auf dem Stuttgarter Kirchentag geschehen ist, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Achtundzwanzig deutsche evangelische Kirchengemeinschaften, die bisher nebeneinander im Deutschen Reich lebten, jede für sich, ohne Fühlung mit den andern, haben hier durch ihre berufenen Vertreter den Willen geäußert, sich zu einer alle umfassenden kirchlichen Gemeinschaft zusammenzuschließen. Was war das Trennende gewesen? Zum Teil die Landesgrenzen. Das wird auch weiter bleiben; die Landeskirchen bestehen weiter mit ihrer besonderen Verfassung und Verwaltung, ihren Besonderheiten im Kultus usw. Zum andern Teil waren es konfessionelle Unterschiede. Auch die werden bleiben. Es wird auch weiterhin Kirchen geben, die sich noch ,,augsburgisch", andre, die sich ,,reformiert", ,,uniert", ,,freireligiös" od. dgl. nennen. Aber das ist endlich, endlich von den berufenen Vertretern aller dieser Kirchen in seiner Bedeutung erfaßt und in der Stuttgarter Gründung zum Ausdruck gebracht worden: daß alle diese Kirchen wie Äste an einem und demselben Baum sind und unter einer und derselben Sonne stehen! Vorher war über dem sperrigen Auseinanderstreben das wertvollere Bewußtsein der Zusammengehörigkeit, des Zusammengewachsenseins, des Trinkens aus einer Wurzel fast erloschen gewesen. Jetzt kommt das endlich zu seinem Recht. Jetzt wird endlich das ins Auge gefaßt, daß auch auf kirchlichem Gebiet alle Trennung durch Landesgrenzen an Bedeutung zurücksteht hinter der Zugehörigkeit aller zum deutschen [79] Volk, und daß alle Sonderart der Glaubensbekenntnisse an Bedeutung zurücksteht hinter dem Bekenntnis aller zum Evangelium. Deutlicher konnte letzteres kaum bezeugt werden, als es durch die einmütig beschlossenen Leitsätze zur Schulfrage geschenen ist, wenn es da heißt: ,,Oberstes Ziel der Erziehung ist der fromme und sittliche Mensch des Evangeliums", und wenn als Grundsätze für die Erteilung des Religionsunterrichts die Normen des christlichen Glaubens und Lebens bezeichnet werden, ,,wie sie in dem in der heiligen Schrift gegebenen und in den Bekenntnissen der Reformation bezeugten Evangelium enthalten sind." Dabei ist noch besonders zu beachten, daß unter den 340 Mitgliedern des Kirchentages nicht die vorwärtsdrängende Jugend, sondern das Greisenalter und die bekenntnistreue Altgläubigkeit vorherrschend war. Um so erhebender war es zu sehen, wie in diesem ,,ehrwürdigen Senat von Weißbärten" ein starker Zukunftsglaube zum Ausdruck kam, der Größeres vorausahnte, als was in Stuttgart geschah. Was liegt daran, ob man die große kirchliche Gemeinschaft, die hier begründet ist, nur ,,Kirchenbund" nennen will oder ,,Zweckverband" oder sonstwie. Tatsächlich ist sie da, diese Gemeinschaft, die sich auf das ,,Deutsch und evangelisch" gründet. Und je ungehinderter dies beides in seiner nunmehr klar zutage getretenen Verbindung zur Auswirkung kommen wird, desto deutlicher wird werden, daß diese Gemeinschaft eine wahrhaft religiöse Lebensgemeinschaft ist, eine deutsche ,,Kirche". Dann wird übrigens auch ihr Gegensatz zur römischen Kirche mit voller Klarheit offenbar werden. Niemand kann das Stuttgarter Ereignis freudiger begrüßt haben als wir hier in unserer Deutschen evangelischen Kirche in der Tschechoslowakei. Es ist die denkbar gewichtigste Rechtfertigung der Richtlinien, die für unsere Kirchengründung maßgebend waren. Wie ein kleiner Vortrupp sind wir auf ungewissen Wegen vorangegangen. Jetzt sehen wir in derselben Richtung die gewaltigen Massen des deutschen evangelischen Volkes nachrücken. Darum, wer uns hier mit dem ausgeklügelten Schlagwort ,,Zweckverband" scheu machen und Luthers Namen dazu benützen will, uns konfessionell-lutherische Scheuklappen vorzubinden, der mag sich dadurch bei konfessionell-lutherischen Amerikanern, die uns jetzt lehren wollen, was ,,lutherisch" bedeutet, beliebt machen, aber er ist in Gefahr, die Fühlung mit dem Volk Luthers und das Verständnis für Luthers Frömmigkeit zu verlieren. ,,Lutherisch" ist doppeldeutig, darum wollten wir es nicht im Namen unserer Kirche haben, sondern wählten dafür die Bezeichnung, die uns erschließt, was in jenem Namen beschlossen liegt, und die dabei unmißverständlich ist. Denn ,,lutherisch" ist für uns nicht gleich ,,augsburgisch". Sondern uns ist ,,lutherisch" gleich ,,deutsch und evangelisch".126 Wt. |
Aus ,,Deutscher Glaube", 1921, Heft 3,64
Mähr.-Ostrau. Die hiesige gemischtsprachige Gemeinde hat sich als ,,Evangel. Pfarrgemeinde A. B." mit einer eigenen Gemeindeordnung der deutschen evangel. Kirche in der Tschechoslowakischen Republik angeschlossen. Sie ist durch die nach dem Zusammenbruche neu entstandene tschechische evangel. Brüdergemeinde in einen harten Kampf hineingezogen worden, welcher sich noch immer mehr verschärft, trotz [80] allen Entgegenkommens unsererseits. (Die Kirche wurde ihnen gegen einen mäßigen Mietzins zur Mitbenützung überlassen.) Die tschechische Brüdergemeinde erhebt allerlei Ansprüche auf Kirche und Pfarrhaus, obwohl sie als eine Neuschöpfung dazu gar nicht berechtigt ist. Darum werden auch ihre fortgesetzten und in einer durchaus unbrüderlichen und unevangelischen Art vorgebrachten Forderungen abgewiesen. In diesem Kampfe ist das Augsburgische Bekenntnis das Band, das alle Angehörigen der hiesigen Gemeinde einigt und zusammenhält. Wir können sogar feststellen, daß der uns aufgedrungene Kampf vielfach zur Läuterung und Festigung des Glaubens und der Bekenntnistreue geführt hat. Die Gemeinde zählt jetzt gegen 4000 Seelen und soll nach den Behauptungen der Gegenpartei gegen 2000 Seelen verloren haben, was sich jedoch nicht feststellen läßt, da die Austritte zur tschechischen Brüderkirche bei der Bezirkshauptmannschaft nicht angemeldet werden. Es handelt sich übrigens bloß um solche, die auch früher schon mit der hiesigen Gemeinde nur in einer ganz losen Verbindung gestanden sind und tschechisch-national gesinnt gewesen waren. Es ist auch bezeichnend, daß, obwohl die hiesige Kirche und das Pfarrhaus hauptsächlich mit Hilfe von Unterstützungen durch den Gustav-Adolf-Verein und durch deutsche und polnische evangelische Gemeinden A. B. in Schlesien und anderwärts erbaut wurden und obwohl nur ein geringer Teil der nunmehrigen tschechisch-brüderischen Gemeindeglieder zur Erbauung von Kirche und Pfarrhaus Beiträge geleistet hat, die tschechische Bürgergemeinde trotzdem ganz die gleichen Eigentumsrechte beansprucht. |
,,17. Oktober: Prüfung bis 18. X., Cand. Mittag Josef (aus Weiher bei Bodenbach) pro ministerio. - Besuch im Hause Dr. ... (unleserlich)"
,,22./23. Oktober: Prag - Diakonissenhaus, Fest des 20jährigen Bestandes. Ich sprach über: 'Menschen tragen Kronen', Vespermann (Graz) hatte die Festpredigt. - Aussprache mit Schaarschmidt und Baier und Oberschwester Käthe. Besprechung mit Dr. Müller über die Slowakei, 'da haben sie uns was Schönes vorgelegt.' - Im Landesschulrat wegen Aussig interveniert."
Pfarrer Oskar Sakrausky schreibt für den ,,Deutschen Glauben" einen Beitrag ,,20 Jahre Diakonissenarbeit":
Das Prager evangelische Diakonissenhaus feierte am 23. Oktober sein
zwanzigjähriges Bestehen. Gewiß ist dies kein Anlaß, ein Jubiläum zu feiern. Wohl aber ein Anlaß, zurückzuschauen und sich dankbar der erfahrenen Gotteshilfe zu freuen. Wer die Geschichte der von Prag aus in Angriff genommenen Diakonissenarbeit schreiben will, sieht in Gedanken ihren Ausgangspunkt von einer wirklichen Jubelfeier nehmen, die von der deutschen evangelischen Gemeinde Prags im Jahre 1891 begangen wurde. Jubelfeiern sind Lebensabschnitte. Besinnliche Menschen werden abseits von lauter Festesstimmung in ihren Gedanken in die Tiefe geführt. Neben vielem Erfreulichen sehen sie das Mangelnde, Fehlende. Als unsere Gemeinde im Jahre 1891 das Fest ihres hundertjährigen Bestehens feierte, da wurde von denen, die zu ihren Besten zählten, klar erkannt, daß gerade diese Gemeinde auf heiß umstrittenem Boden eines besonders innigen Gemeindelebens bedurfte. Zum weiteren Ausbau des Gemeindelebens die evangelische Diakonie einzuführen, wurde als notwendig erkannt. Es sollte ,,die Gemeinde gesammelt [81] werden, um gemeinsame Arbeit und gemeinsame Sorge, das Bewußtsein ihr gegeben werden, daß wir Glieder sind an einem Leibe, der da ist Christus." Die beiden Pfarrer Karl Eckardt und Kurt Grethen bereiteten dem Gedanken den Boden, der Gustav-Adolf-Frauenverein, in den Vorarbeiten zu der Hundertjahrfeier begriffen, gab als erste Spende 500 fl., ein Legat einer treuen Freundin der Gemeinde von 1000 fl. - es stammte von Frau Anette Hail - und die Zusicherung des Presbyteriums, das Werk zu stützen, ließen den ,,Ausschuß für Gemeindepflege" den Mut fassen, an die Verwirklichung des Gedankens zu gehen. Man berief noch im Jubeljahr als Gemeindeschwester die Diakonisse des Dresdener Mutterhauses, Schwester Doris Gehrke, der zwei Jahre später eine zweite folgte. Mit der ihn auszeichnenden Klarheit und Zielsicherheit hat Pfarrer Grethen in dem ersten Jahresbericht der Gemeindepflege die Aufgaben und Ziele dieser Arbeit gezeichnet. Mit großer Treue und Selbstüberwindung haben durch 10 Jahre hindurch Dresdener Diakonissen dem auch in unserer Gemeinde vielen Vorurteilen begegnenden Gedanken der Diakonie durch die Tat der Liebe den Boden bereitet. Als nach 10 Jahren das Dresdener Diakonissenhaus seine Schwestern abberufen mußte, faßte der evangelische Gustav-Adolf-Frauenverein im Juli 1901 den Plan, in Prag ein Diakonissenhaus zu begründen. Man war sich von vornherein klar, daß das neue Werk nicht nur für die evangelische Gemeinde Prag, sondern auch für die Gesamtkirche Österreichs und vorzüglich Böhmens, wo infolge der Übertrittsbewegung unverhofft eine ganze Zahl neuer Gemeinden entstanden war, Bedeutung bekommen mußte. Der 1. Oktober 1901 ist als Gründungstag anzusehen, als Begründer Pfarrer Emil Wolf, der mit großer Treue durch 15 Jahre hindurch dem Werke seine besten Gaben und Kräfte widmete. Freundliche Aufmunterung wurde der jungen Gründung zuteil: die Superintendentialversammlung für Westböhmen begrüßte im Jahre 1902 das junge Haus lebhaft und verpflichtete alle dabei vertretenen Gemeinden zu ausgiebiger Förderung desselben. Drei Schwestern aus Deutschland, die der Einladung des Frauenvereins gefolgt waren, begannen in einem Prager Privatsanatorium ihre Arbeit. In dem der Gemeinde gehörigen und der Kirche benachbarten Hause fanden die Diakonissen ihr erstes bescheidenes Heim. Das Dresdener, später auch das Leipziger Mutterhaus übernahmen freundlich die Ausbildung der ersten Probeschwestern, deren Arbeit vorläufig auf Gemeindepflege und Privatkrankenpflege beschränkt blieb. Bis die Leitung zu Beginn des Jahres 1903 in die Hand eines neugewählten 14gliedrigen Vorstandes überging, lag sie in den Händen des ,,Ausschusses für das Diakonissenhaus", den der Vorstand des Frauenvereins mit dieser Aufgabe betraute und der aus Pfarrer Wolf und den Damen Heumann und Osborne bestand. Im Laufe des Jahres 1903 wurde der Verein ,,Evang. Diakonissenhaus in Prag" von der Behörde bestätigt. Am Schlusse dieses Jahres gehören zehn Schwestern dem Diakonissenhause an, die Beratung der Haus- und Berufsordnung wird beendet, die Alters- und Invaliditätsfrage in Angriff genommen. Der Wunsch nach einem eigenen Hause entsteht. Senior Zilchert tritt als erster Obmann an die Spitze des Vereins. Die ersten Gemeindepflegestellen in Turn und Trebnitz werden errichtet. Langsam wächst das Werk. Ein Bauprojekt wird 1907 aufgestellt und wieder verworfen, 1908 endlich das Sanatorium Sokolstr. 33 erworben und am 2. Dezember eingeweiht. Damit war endlich die Ausbildungsstätte für die Schwestern geschaffen. Freiwillige Kräfte aus der Gemeinde haben dem Hausgeistlichen und der Oberin beim Schwesternunterricht freundliche Hilfe geleistet, bis im Jahre 1914 eine ,,Probemeisterin" berufen wurde, Diakonisse Schwester Ida Gumpesberger, der nun im besonderen die Aufgabe der Schwesternerziehung obliegt. Die Anleitung und der Unterricht in der Krankenpflege lag und liegt in den Händen des leitenden Arztes Dr. Ernst Veit, der als treubewährter Freund der Sache auch dem Vorstand seit seiner Gründung angehört. [82] Die jetzige Oberin, Diakonisse Schw. Martha Lücke, ist seit 1912 im Amte. Nach dem Weggang von Pfarrer Wolf hat sein Nachfolger im Pfarramte, Pfarrer Oskar Sakrausky, 1916 das Amt des Leiters übernommen. Die Schwesternzahl betrug nach den ersten 10 Jahren 21, und ist bis heute auf mehr als das Doppelte gestiegen. 1911 konnte der Verein das anstoßende Eckhaus Nr. 31 erwerben, welches zum Teil für Krankenpflege und Schwesternwohnung eingerichtet wurde. Im Kriege hat das Diakonissenhaus seine Kräfte in den Dienst der Verwundetenpflege gestellt, zeitweise waren 21 Schwestern, auch im Felde, mit Kriegsdienstleistung beschäftigt. Der Umsturz mit seinen neuen Grenzen hat eine Abtrennung der in Deutschösterreich liegenden Arbeitsgebiete nötig gemacht; in Graz, mit welcher Gemeinde das Haus seit 1905 Arbeitsbeziehungen unterhält, ist ein neuer Mittelpunkt der österreichischen Arbeit geschaffen worden. Säuglings-, Kinder- und Altenfürsorge sind der Arbeit des Diakonissenhauses angegliedert worden. Der neuerbaute Sonnenhof wird demnächst den bisher in Pfarrer Waitkats Notbau untergebrachten schwer erziehbaren Burschen seine Pforten öffnen. Dieser Bericht soll nicht geschlossen werden, ohne die Männer und Frauen zu nennen, die Gott von uns gerufen hat, und deren Namen mit der Geschichte unseres Hauses untrennbar verbunden bleiben: Fabrikant Wilhelm Fischer, Baron Friedrich von Bellersheim, Kurator Edmund Humburg, Frau Helene Heumann, Frau Marie Gutfreund. Möge es unserem Hause vergönnt sein, reiche Arbeit im Dienste selbstloser Heilandsliebe zu leisten! Mögen aber auch Viele in der evangelischen Mädchen- und Frauenwelt sich finden, die ihr Leben diesem Dienen weihen.[127] O. S. |
,,6. November: Karbitz - Visitation. Es hat sich herausgestellt, daß Pfr. Milner durchaus nicht unfähig ist. Er predigte verständlich, logisch und erbaulich über das Sittengesetz. Der Schwung der Rede fehlt ihm; aber doch merkt man ihm den Ernst an. Das Presbyterium hatte keine Klage, höchstens, daß der Pfarrer im Religionsunterricht nicht alle äußersten Stationen versorge. Die Rechtfertigung über Peterswald (3 Stunden Wegs oder 30 Kè Bahnfahrt wurde angenommen). Das Gehalt des Pfarrers beträgt Kè 700 monatlich. Die Gemeinde will heuer Kè 8000 einnehmen. Gegenwärtig sind erst 2000 eingekommen. Für Peterswald erhält Milner aus der Reserve Kè 100, aus der Auslandshilfe Kè 500. [128]
,,4. Dezember: In Preßburg: Vortrag über Weltlage des Protestantismus; Sitzung des Convents mit den Missourivertretern. Theodor Reuter (Grimmitschau i. Sa.) und Martin Willkommer, Vicepräses der Synode der evang. lutherischen Freikirche in Sachsen, Niederplanitz bei Zwickau i. Sa. Eine Verständigung über den konfessionellen Standpunkt kam nicht zu Stande. Dann, Nachmittag, Sitzung und meine Aussprache über den Convent. Sie stellen sich unter meinen Schutz und ich soll in Prag verhandeln. Das Lyceum ist in Gefahr." [83]
Aus ,,Deutscher Glaube" 1921, Heft 11, 246f.:
Die evangelische Kirche A. B. in der Slowakei. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war Ungarn größtenteils protestantisch, aber die dort besonders blutige Gegenreformation unterwarf es äußerlich ganz der römischen Kirche. Das Toleranzedikt und die 1848 erklärte Gleichberechtigung der Protestanten hatte zur Folge, daß sich doch wieder viele zum evangelischen Glauben bekannten. Es bildete sich eine national-ungarische kalvinische Kirche mit 2 1/2 Millionen Seelen, während die Slowaken und Deutschen vorwiegend dem augsburgischen Bekenntnisse zufielen (1 1/2 Millionen). Das Pariser Friedensdiktat zersetzte auch diese ungarischen evangelischen Kirchen. Die neugebildete ,,Slowakei" übernahm etwa ein Drittel der evangelischen Gemeinden Ungarns. Die Mehrzahl derselben sind augsburgischen Bekenntnisses (zirka 400.000 Seelen), darunter gegen 50.000 Deutsche. Diese evangelischen Gemeinden A. B. schlossen sich unter Mitwirkung des Ministers für die Slowakei zu einer evangelischen Kirche A. B. in der Slowakei zusammen. Sie ist autonom und zerfällt in einen östlichen und westlichen Distrikt, an deren Spitze je ein Bischof-Administrator steht. Der östliche Distrikt umfaßt 9, der westliche 8 Seniorate. Diese überwiegend slowakische evangelische Kirche A. B. spielt seitdem im politischen Leben der Slowakei eine wichtige Rolle. Die Prager Regierung wußte wohl, daß vor allem die evangelischen Slowaken seit langem die tschechischslowakische Verbrüderung gewünscht und betrieben hatten. So wurden sie sichtlich bevorzugt. Die evangelisch-theologische Akademie in Preßburg wurde wieder eröffnet, und zwar rein slowakisch. Man verhalf ihnen zu der von ihren gewünschten Kirchenverfassung. Slowakische evangelische Pfarrer wurden an leitende Regierungsstellen berufen. Doch der Dünkel und die Mißgriffe tschechischer Beamten und Lehrer entfremdeten bekanntlich die Slowakei den Tschechen. Die Anhänger der völligen Unabhängigkeit der Slowakei gewannen immer mehr Boden. Im Sommer 1920 konnte nur das Standrecht den offenen Aufruhr niederhalten. Auch die brüderlichen Gefühle der evangelischen Slowaken drohten recht zu erkalten. Deshalb veranstaltete die ,,Konstanzer Union", die sogenannte Zentrale der tschechoslowakischen Evangelischen" in Prag, Anfang September 1919 eine Fahrt führender tschechischer Evangelischer nach der Slowakei. Sie besuchten dort verschiedene Gemeinden. In Lipto Szent Miklos kam es zu einer Konferenz mit slowakischen Glaubensbrüdern. Im Verlaufe derselben wurde zwar eine direkte Vereinigung der evangelischen Kirche A. B. in der Slowakei mit der tschechisch-brüderischen evangelischen Kirche zunächst von slowakischer Seite abgelehnt, aber man beschloß, durch Besuche, Vertretung bei kirchlichen Versammlungen und Mitarbeit in den beiderseitigen Blättern in nähere Beziehungen zu treten. Von tschechischbrüderischer Seite aus hat man denn weiter, besonders durch eine 2. größere Rundreise durch die Slowakei, die Freundschaft zu stärken gesucht. An einen Anschluß an die tschechischbrüderische Unionskirche denken aber die Slowaken A. B. wohl auch heute noch nicht. Als strenge Lutheraner lockt sie das Unionsprogramm der tschechischbrüderischen evangelischen Kirche wenig, auch fürchten sie die kirchliche Abhängigkeit von Prag. Die evangelische Kirche A. B. in der Slowakei hat den Vorteil, daß ihre Glieder [84] größtenteils in geschlossenen Gebieten Dorf an Dorf zusammenwohnen. Es herrscht viel kirchlicher Sinn, die Pfarrstellen sind meist gut dotiert, der Pfarrer bekommt vor allem Naturalien. Die Opfer- und Gebefreudigkeit der Kirchenglieder ist im allgemeinen groß. In den Familien herrscht gute alte evangelische Tradition, wie das Volk überhaupt sehr konservativ ist. So in den ganz überwiegenden Landgemeinden, die teilweise von der Kultur und den Kulturstraßen weit entfernt liegen. In den Stadtgemeinden macht sich freilich auch schon Materialismus, verbunden mit laxer Lebensanschauung und Unkirchlichkeit, bemerkbar. Eine ,,Los von Rombewegung" gibt es in der Slowakei nicht. Man wahrt ängstlich den ,,Burgfrieden" mit den Katholiken. Freilich hat auch das neue Prager interkonfessionelle Gesetz für die Slowakei bisher keine Gültigkeit, sondern es gilt noch das ungarische Gesetz von 1868, das den Kirchenübertritt sehr erschwert und vom Konvertiten z. B. noch 5jährige Kirchensteuernachzahlung verlangt. Von der Trennung von Kirche und Staat wollen die evangelischen Slowaken nichts wissen. Besondere Beachtung erfordert die rücksichtslose Behandlung der evangelischen Deutschen innerhalb dieser Kirche seitens der slowakischen Mehrheit. Slowakische Kirchenmänner waren es, die im Jänner 1919 eigenmächtig und gegen den Willen der Deutschen den aus 12 Geistlichen und 12 Laien bestehenden ,,Generalkirchenrat" als vorläufige oberste Kirchenbehörde einsetzten, dem dann auch von der Prager Regierung durch Gesetz die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse übertragen wurde. In diesem Kirchenrate wurde keinem Deutschen ein Platz gewährt. Der Kirchenrat berief für Jänner 1921 nach Trencsin-Teplitz eine Synode, welche die neue endgültige Kirchenverfassung durchzuberaten hatte. Die Abgeordneten der deutschen Gemeinden mußten sich auf derselben stark zurückgesetzt fühlen, war doch z. B. die Verhandlungssprache durchgängig slowakisch. Ihre Forderung, die deutschen Gemeinden, wenn ihnen schon volle kirchliche Selbständigkeit versagt bliebe; zu einem eigenen deutschen Kirchendistrikt zu vereinigen, wurde abgelehnt, so daß nun die einzelnen deutschen Gemeinden innerhalb der Kirchendistrikte auf Gnade und Ungnade der slowakischen Mehrheit ausgeliefert und jedenfalls hinsichtlich des Anteils von der höheren Kirchenverwaltung völlig lahmgelegt sind. Ein daraufhin erfolgtes Ersuchen der deutschen Gemeinden an das Unterrichtsministerium, ihnen den Anschluß an die Deutsche evangelische Kirche in der Tschechoslowakei zu gewähren, wurde nicht beantwortet. Man muß hoffen, daß entweder der bemerkenswerten und geistig bedeutenden deutschen Minderheit in der neuen evangelischen Kirche A. B. in der Slowakei ihr volles Recht wird, oder daß sie die Freiheit erhält, sich an die Deutsche evangelische Kirche anzugliedern. Dann würden sich wahrscheinlich die zurückbleibenden Slowaken in absehbarer Zeit doch mit der tschechischbrüderischen Unionskirche verbinden, und wir hätten die Kirchenbildungen nach völkischen Grundsätzen wie im Westen der Republik. Nur wenn die evangelische Kirche A. B. der Slowakei durch Liebe oder Gerechtigkeit in sich selbst ganz einig ist, wird sie gegenüber der mächtig erstarkenden katholischen Volkspartei (Pater Hlinka) ihren Glaubensbesitz wahren und weitere erfreuliche Fortschritte machen.[129] Gottfried E. Schmidt. |
Der Besuch des Präsidenten in Aussig und Schreckenstein galt der 1. Tagung des Evangelischen Bundes zur Wahrung deutschprotestantischer Interessen in der Tschechoslowakischen Republik in Aussig-Schreckenstein über die Pfarrer Felix Reimann in Obersedlitz folgenden Bericht gibt:
Sie wurde eingeleitet durch eine Sitzung der Bundesleitung, die sich einhellig
zur [85] Losung bekannte: ,,Heraus an die Öffentlichkeit mit
Vorträgen aufklärender, apologetischer und evangelisatorischer Art,
nicht um neue Glieder für unsere Kirche zu gewinnen, sondern um unserem
Volke in seiner sittlich-religiösen Not Führer- und Helferdienste zu
tun!" In der nachmittägigen Hauptversammlung konnte
Obmannstellvertreter Pfarrer Reimann (Obersedlitz), der für den
leider verhinderten, auf einer beruflichen Reise in England weilenden,
Bundesobmann, Herrn Disponenten Faber (Dux), den Vorsitz führte,
die Vertreter der Ortsgruppen sowie einige Gäste, unter diesen vor allem
die Präsidenten unserer Landeskirche D. Wehrenfennig (Gablonz)
und den Vertreter des Evangelischen Bundes im Deutschen Reiche, Pfarrer
D. Hochstetter (Berlin), willkommen heißen. Vertreten waren 18
Ortsgruppen, 28 sind bis jetzt gegründet mit etwa 1600 Mitgliedern. Im
Jahre 1920 haben 18 Ortsgruppen Beiträge entrichtet, zusammen 2455 K,
darunter Graslitz mit nur 41 Mitgliedern 500 K. Der mit Dank und Beifall begrüßte Kassabericht des Zahlmeisters, Herrn Direktors Schneefuß (Teplitz), zeugte von überaus umsichtiger Verwaltung der Kassageschäfte. In seinem klaren, ebenso gründlichen wie großzügigen Tätigkeitsbericht gab der Schriftführer, Pfarrer und Konsenior Hickmann (Dux); einen Überblick über die bisher geleistete Arbeit des Bundes, der als eine noch sehr junge Organisation noch keine weit ausgreifende Tätigkeit entfalten konnte, besprach sodann die Ergebnisse des vorjährigen, verfassunggebenden Kirchentages in Turn, soweit sie den Bund näher angehen, der nicht nur unserer evangelischen Kirche ein Hüter, sondern unserem ganzen freiheitlich gesinnten Volke ein Erzieher zur Innerlichkeit sein will, und der darum ein besonderes Interesse daran hat, daß die religiösen Wahrheiten und sittlichen Ideen der Reformation unserem Volke in einer Weise dargeboten werden, die neben der Treue gegen die geschichtlichen Grundlagen des Protestantismus die Aufgeschlossenheit für die Bedürfnisse der Gegenwart und die Einstellung auf unser modernes Bewußtsein nicht vermissen läßt, und gab endlich wertvolle Richtlinien für die Weiterarbeit. Hieran knüpfte sich eine längere Wechselrede, in der u. a. ein Bergarbeiter, Herr Hübner aus Herbitz (Gemeinde Karbitz) der sich vom Adventisten zum überzeugten evangelischen Christen durchgerungen, ein warmes, lebendiges Bekenntnis zum Evangelium ablegte, aus dem schöpfen müsse, wer gesegnete Wirksamkeit für den Bund und durch den Bund für unser Volk üben wolle. Er könne zumindestens hinsichtlich vieler Angehöriger des Arbeiterstandes aus eigener Erfahrung diese Versicherung geben, daß in unserem Volke ein starkes Sehnen nach religiöser Nahrung, ein Christushunger, vorhanden sei. Wir können jeder Ortsgruppe nichts besseres wünschen, als daß ihr solch ein Laienredner, solch ein Mitarbeiter erstünde, wie ihn Karbitz an dem Genannten, übrigens einem Sozialdemokraten, besitzt. Die darauf folgende Wahl für drei durchs Los ausgeschiedene Mitglieder und einen Ersatzmann der Bundesleitung brachte deren Wiederwahl. Als Ort für die nächste Hauptversammlung wurde Reichenberg ausersehen. Nach 1/2 6 Uhr konnte Pfarrer Reimann mit Dankesworten und einem Aufruf zu rühriger Weiterarbeit schließen. Im anschließenden Festgottesdienst in der Pauluskirche zu Aussig, der durch eine von Frl. Bernd (Türmitz) unter Orgelbegleitung seitens des Herrn Lehrers Simmich (Obersedlitz) gesungene Arie aus Mendelsohns ,,Elias" verschönt ward, predigte Präsident D. Wehrenfennig gedankentief und innig, wie immer mit starker Wirkung auf die lauschende Seele über Offenbarung Johannes 3,7-11. Den Abschluß der Tagung bildete die Festversammlung in Studenys Sälen in Schreckenstein. So erfreulich es war, daß die Vertreter auch ferner Ortsgruppen und Gemeinden, wie Brünn, Eger, Falkenau, Gablonz, Graslitz, Grottau, Reichenberg, Trautenau, Warnsdorf noch dageblieben waren, um die Festversammlung mitfeiern zu können, so peinlich wirkte andererseits der verhältnismäßig schwache Besuch aus Obersedlitz-Krammel und Schreckenstein, besonders aber die auffallend geringe Beteiligung [86] seitens der Gemeinde Aussig. Gewiß war der 8. Dezember an sich als Arbeitstag in den Fabriken sowie des nahenden Weihnachtsfestes wegen der Veranstaltung nicht günstig: doch war seinerzeit in der Lokalfrage wegen keine andere Wahl geblieben. Spätes Erscheinen der Teilnehmer verzögerte dann noch den Beginn, so daß die reiche Vortragsordnung nicht vollständig dargeboten werden konnte. Nach den kraftvollen Begrüßungsworten des Vorsitzenden, Lehrers Simmich (Obersedlitz), grüßten den Evangelischen Bund noch besonders die Gemeinden Aussig und Obersedlitz durch Oberkirchenrat D. Gummi und Pfarrer Reimann sowie die deutschen evangelischen Frauen durch Frau Dr. Laufberger (Karbitz), worauf nach dem ausgezeichneten Vortrag zweier Gedichte durch Frl. Hilde Kerschner (Modlan) und zwei sauber gesungenen Chören des Gesangvereines Schicht (Krammel) Pfarrer D. Hochstetter das Wort ergriff zu seiner Rede über ,,Der deutschen Seele Not und Rettung". Er beleuchtete meisterhaft die Zustände im Deutschen Reich, kritisierte in vielfach stark satirischer Weise die Unterschätzung hoher geistiger, sittlicher religiöser Werte und Persönlichkeiten seitens der durch die Revolution in Deutschland ans Ruder gekommenen Mächte, zeichnete das Bild der beispiellosen Verwirrung auf geistigem Gebiete, wo die Ersatzmittel, an denen so viele Deutsche von heute sich genügen lassen, von ungleich traurigerer Wirkung sind, als es hinsichtlich der Ernährungsverhältnisse im Kriege der Fall gewesen. Aus diesem Elend könne nur Besinnung auf die eigentlichen Quellen unserer Kraft: ,,Innerlichkeit, Glaube, Gottesfurcht, herausführen. Lebhafter Beifall lohnte die fast einstündigen, wirkungsvollen Ausführungen. Namens der nichtgeistlichen Bundesarbeiter antwortete darauf Ing. Freude (Brünn), der im besonderen die Laienschaft zu tätiger Mitarbeit aufrief. Nach dem Schargesang ,,Ein feste Burg ist unser Gott!" erfreute Herr Georg Schicht (Aussig) die Versammelten durch den Vortrag von vier überaus ansprechend gesungenen Liedern für Tenor, worauf der Abend wegen der nahen Abfahrtszeit der Züge geschlossen werden mußte. Alles in allem ist zu erwarten, daß die von der Tagung ausgegangenen reichen Anregungen auf fruchtbaren Boden gefallen und der Auftakt gegeben worden sei zu eifriger und - walt's Gott - gesegneter Tätigkeit im Dienst unserer evangelischen Kirche und des ganzen freiheitlich gesinnten deutschen Volkes, dem unser Bund helfen will, seinen Freiheitssinn in rechter Weise zu betätigen.[130] F. Reimann (Obersedlitz). |
Seit Februar 1918 ist nicht mehr Pfarrer Waitkat Alleinherausgeber des ,,Evangelischen Gemeindeboten" und späteren ,,Deutschen Glauben" sondern nunmehr als Schriftleiter auch Pfarrer Hugo Piesch in Reichenberg verantwortlich. Er ist am 23. September 1870 geboren, wurde am 17. Juni 1894 ordiniert und kam im Jahre 1899 als Pfarrer nach Reichenberg. Im Jahr 1913 wurde er Konsenior für das Iser-Seniorat, den späteren Ostböhmischen Kirchenkreis. Noch als Kirchenrat hatte er das Amt des Schriftleiters des ,,Deutschen Glaubens" inne. Im Jahre 1937 bekleidete er noch die Obmannstelle des Gustav-Adolf-Zweigvereines des ostböhmischen Kirchenkreises. Er starb erst nach der Vertreibung der Sudetendeutschen verwitwet in Neuendettelsau.
Die Meldung über seine Installation als Kirchenrat in Reichenberg im ,,Deutschen Glauben" ist so bescheiden, wie er selbst sein Leben über gewesen ist:
,,Reichenberg, Sonntag den 11. Dezember 1921 fand hier die feierliche Amtseinführung unseres Pfarrers Hugo Piesch als Senior des ostböhmischen Kirchenkreises [87] und im Anschluß daran die Angelobung der neugewählten Presbyter statt. Den Festtag beschloß ein glänzend besuchter Familienabend mit reichhaltiger Vortragsordnung."[131]
Zum Abschluß dieses Jahres noch einige Anmerkungen:[132]
Folgende Gemeindegründungen wurden im Jahre 1921 vorgenommen:
Die evangelische Predigtstation Rochlitz im Riesengebirge (Pfarrgemeinde Hohenelbe) mit Erlaß der Kirchenleitung vom 17. Mai 1921, Zl. 1266 zur Zweiggemeinde erhoben, desgleichen die evangelische Predigtstation Böhm.-Leipa (Pfarrgemeinde Haida) mit Erlaß der Kirchenleitung vom 31. Mai 1921, Zl. 1323; die evangelische Predigtstation Grulich (Pfarrgemeinde Trautenau) mit Erlaß der Kirchenleitung vom 1. August 1921, Zl. 2181; die evangelische Predigtstation Graslitz (Pfarrgemeinde Falkenau an der Eger) mit Erlaß der Kirchenleitung vom 1. August 1921, Zl. 2182, als selbständige Pfarrgemeinde A. B. bestätigt; die evangelische Predigtstation Türmitz (Pfarrgemeinde Aussig) mit Erlaß der Kirchenleitung vom l. September 1921, Zl. 3249, zur Zweiggemeinde erhoben; die evangelischen Predigtstationen Chodau, Neusattl, Elbogen, Schlaggenwald (Pfarrgemeinde Falkenau a. d. E.) wurden mit Erlaß der Kirchenleitung vom 10. September 1921, Zl. 2606 zu Zweiggemeinden erhoben; desgleichen die evangelische Predigtstation Hakkelsdorf (Pfarrgemeinde Hohenelbe) mit Erlaß der Kirchenleitung vom 15. Dezember 1921, Zl. 3714.
Umgepfarrt wurde folgende Predigtstation:
Mit rechtskräftiger Entscheidung der Kirchenleitung vom 1. Dezember 1921, Zl. 3609 wurde die Umpfarrung der Predigtstation Eichwald aus dem Sprengel der evangelischen Pfarrgemeinde A. B. Teplitz-Schönau in den Pfarrsprengel der deutschen evangelischen Pfarrgemeinde A. B. Turn bewilligt.
Glück- und Segenswünsche:
Die Kirchenleitung hat aus besonderem Anlaß ihren Dank und Anerkennung ausgesprochen: Dem Kurator der evang. Gemeinde in Trautenau Fritz Zimmermann, anläßlich seines 70. Geburtstages für sein langjähriges und verdienstvolles Wirken (8. 3. 1921, Zl. 832);
dem Organisten und Kantor der evang. Gemeinde Marienbad Karl Fischer für sein 25jähriges Wirken als Organist (Mai 1921, Zl. 1373);
dem Presbyter der evang. Gemeinde A. B. Gablonz a. N. Oberlehrer Friedrich Mükke für sein langjähriges ersprießliches Wirken anläßlich seines 60. Geburtstages am 8. September 1921;
dem Senior des schlesischen Seniorates A. B. Martin Haase in Troppau anläßlich seines 50jährigen Amtsjubiläums (Dekret vom 14. September 1921, ZL 2714);
dem Kirchenanwalt Josef Marschner in Falkenau an der Eger wurde zu seinem 60. Geburtstag die Glückwünsche der Kirchenleitung ausgesprochen (21. 11. 1921).
Titelverleihungen erfolgten:
Dem Pfarrvikar Friedrich Grobe in Chodau wurde mit Erlaß der Kirchenleitung vom 6. April 1921, Zl. 1051, der Titel ,,Pfarrer" verliehen;
weiters wurde der Pfarrer-Titel verliehen dem Vikar Ernst Grober in Graslitz mit Erlaß der Kirchenleitung vom 25. August 1921, Zl. 2447;
dem Pfarrvikar Waldemar Theodor Winkler in St. Joachimsthai mit Erlaß der Kirchenleitung vom 3. November 1921, Zl. 3368. [88]
Als Senior wurden bestätigt:
Pfarrer Gustav Fischer in Eger in der 1. Kirchenkreisversammlung für das (Ascher und) Egerland, zum Senior gewählt am 7.3.1921 und mit Zl. 1662 vom 18. Juni 1921 bestätigt;
Pfarrer und Senior Ernst Piesch in Komotau, wiedergewählt als Senior (Kirchenrat) des westböhmischen Kirchenkreises A. B. in der Kirchenkreisversammlung am 1. November 1921 in Karlsbad;
Pfarrer und Senior D. Dr. Robert Zilchert in Prag, wiedergewählt als Senior (Kirchenrat) des mittelböhmischen Kirchenkreises A. B. im November 1921;
Pfarrer und Konsenior Hugo Piesch in Reichenberg als Senior (Kirchenrat) des ostböhmischen Kirchenkreises A. B. (installiert am 11. Dezember 1921, Dekret vom 11. 12. 1921, Zl. 3505).
Bestätigung von Pfarrern und Vikaren:
Vikar Dr. Paul Rieger in Deutsch-Gabel als Pfr. d. ev. Gde. A. B. in Haida (Dekr. 28. 12. 1920, inst. 30. l. 1921, Zl. 3434);
cand. theol. Heinrich Herr als Personalvikar d. Pfrs. M. Haase in Troppau (Dekr. 10.5. 1921, inst. 30. 3. 1921, Zl. 136);
cand. theol. Hans Rotter als Pers. Vikar d. Pfrs. Fr. Knorek in Trautenau (Dekr. 18.5. 1921, inst. 29. 6. 1921 in Grulich, Zl. 1261);
Vikar Gerhard Pohl als Pfr. der d. ev. Pfgde. zu Deutsch-Horschowitz (Dekr. 18. 5. 1921, Zl. 1261, inst. 29. 5. 1921);
cand. theol. Georg Badura als Pfr.vikar der deutsch, ev. Zweiggde. A. B. Oderberg (Dekr. 28. 5. 1921, Zl. 1405, inst. 23. 9. 1923);
cand. theol. Otto Pustowka als Pfr.vikar der d. ev. Pfgde. A. B. Zauchtel (Dekr. 30. 5. 1921, Zl. 1446, inst. 7. 8. 1921);
Vikar Gottfried Wehrenfennig zum Pfr. der d. ev. Pfgde. A. B. in Turn (Dekr. 31. 5. 1921, inst. 12. 6. 1921);
Pfr. Kurt Hennlich zum Pers. Vikar des Pfrs. Hugo Piesch in Reichenberg mit dem Amtssitz in Deutsch-Gabel (Dekr. 10. 6. 1921, Zl. 1557, inst. 26. 6. 1921);
Vikar Adolf Matuschek zum Pfr. d. d. ev. Gde. Iglau (Dekr. v. 10.6.1921, inst. 16.10. 1921, Zl. 1567);
cand. theol. Hugo Piesch als Pfr. Vikar d. d. ev. Pfgde. Gablonz a. N. (Dekr. v. 27.6. 1921, Zl. 1751, inst. 7. 8. 1921);
Vikar Hans Hodel als Pfr. der d. ev. Pfarrgde. Braunau i. B. (Dekret v. 21.9.1921, Zl. 2773, inst. 2. 10. 1921);
Pfarramts-Kandidat Martin Sasse als Pfr. der d. ev. Pfarrgemeinde A. B. Haber (Dekr. 20. 9. 1921, Zl. 2785, inst. 2.10.1921);
Pfr. Vikar Paul Karzel als Pfarrer der d. ev. Pfgde. A. B. Friedek (Dekr. 28.10.1921, Zl. 3304, inst. 2. 7. 1922);
cand. theol. Rudolf Chmiel als Pers. Vikar d. Pfrs. Johann Michalik in Mähr.-Ostrau (Dekr. vom 8. 11. 1921, Zl. 3433, inst. 5. 2. 1922);
cand. theol. Erich Leonardi als Pers. Vikar d. Pfrs. Gustav Fischer in Eger, mit dem Amtssitz in Königsberg a. E. (Dekret vom 15.12.1921, Zl. 3470, inst. 15.1.1922).
Ihr Amt haben niedergelegt:
H. Lange in Weipert, Pfarrer, 1. 2. 1921.
Arthur
Fronius, Pfr. in Iglau am 1. 2. 1921.
Walther Reinhard, Pfr.
in Deutsch-Horschowitz am l. 4. 1921.
Benjamin Gorgon, Pfr. in
Mährisch-Schönberg am 3. 5. 1921.
Dr. Fr. Kubisch, Pfr. in
Haber am 28. 5. 1921.
Paul Sikora, Hilfsgeistlicher in Friedek, im
Juli 1921. [89]
Gestorben sind:
Kurator Hermann Sturm in Rosendorf am 19. 4. 1921.
Altkurator
Carl Ferdinand Daemisch am 9. 11.1921.
Kurator Dr. Wilhelm
Bornemann am 21. 12. 1921.
[90]
[93] Schon vor dem gründenden Kirchentag in Turn, kam am 1. Oktober 1919 in Teplitz ein Ausschuß der Senioratsabgeordneten zusammen und beschlossen unter anderem eine Abordnung unter Führung des Herrn Superintendenten D. Gummi (Aussig) nach Prag zu senden ,,um der Regierung die Absichten der deutschen evangelischen Kirche bekannt zu geben". ... Präsident Masaryk antwortete auf eine begrüßende Ansprache des Superintendenten folgendes: (Deutscher Glaube, 1919, 9/10, 185 f.)
,,Ich danke Ihnen, meine Herren; Sie können versichert sein, Ihr Wunsch wird erfüllt werden. Ich selbst bin ein Mitglied der evangel. Gemeinde, ein bewußtes Mitglied. Ich werde die deutsche Kirche gerade so wie die tschechische schützen. Ich glaube nicht, daß es nötig ist; Sie werden ja selbstverständlich die vollste Gleichberechtigung haben und trotzdem, daß unser Staat eine Sonderung des Staates von der Kirche haben will, soll das weder der Kirche noch der Religion zum Abbruch dienen. In loyalster Weise werde ich Ihre gerechten Ansprüche unterstützen. Eine Staatspauschale kann nach meiner Meinung auch bleiben, wenn Trennung von Kirche und Staat durchgeführt ist."
Staatssekretär Dr. Drtina, der auch aufgesucht wurde und in Vertretung des Ministers Habermann empfing, sprach über die beabsichtigte Durchführung der Trennung von Kirche und Staat, die aber durchaus nicht zum Schaden der Religion ausschlagen solle. Man denke vielmehr an eine freie Kirche unter dem Protektorate des Staates. Die evangelischen Kirchen, von denen man wohl sagen kann, daß sie eine hohe Kulturstufe repräsentieren, werden Verständnis haben für unsere großen, modernen Fragen. Man hoffe deshalb auf deren Unterstützung. Die Deutschen sollen die Frage für sich vorbereiten, wie es die Tschechen schon tun und dann muß sie gemeinsam gelöst werden. Dr. Drtina sagte unter anderem: ,,Ich bin überzeugt von der Bedeutung der Religion und auch für meine Person ein durchaus religiöser Mensch."
[94] T. G. Masaryk, Die Weltrevolution, Erinnerungen und Betrachtungen 1914 - 1918, deutsch: Berlin 1925, zitiert nach Nittner, Dokumente zur Sudetendeutschen Frage 1916 - 1967, München 1967, Seite 41, aus: Ernst Nittner, Marksteine der Geschichte der böhmischen Länder, in: Tausend Jahre Bistum Prag 973 - 1973, Beiträge zum Millenium, München 1974, Ackermann Gemeinde, Seite 265.
[95] Josef Lukl Hromádka, Cesty èeských evangelikù, Praha 1934, deutsch zitiert von Ludìk Bro¾, Von der Toleranz bis heute, in: J. L. Hromádka, Von der Reformation zum Morgen, 271.
[96] Derselbe a.a.O. 257.
[97] Dr. Eduard Bene¹ wurde am 28. Mai 1884 in Kozlan (Böhmen) geboren. Er entstammt aus einer Kleinhäuslerfamilie. In Prag-Weinberge besuchte er das Gymnasium und studierte an der tschechischen Universität Prag germanische und romanische Philologie. Mit einem Stipendium der Alliance francaise geht er 1905 nach Frankreich, studiert in Paris Philologie, in Dijonne Jura, 1907 auch in London, 1909 in Berlin. Er betätigt sich als Mitarbeiter des sozialdemokratischen [108] Tagblattes Právo Lidu und verschiedener sozialistischen Zeitschriften, steht aber auf nationalem Boden und vertritt die Anschauungen Masaryks. 1908 erwirbt er das juristische Doktorat in Dijonne mit der Schrift: ,,Le Probleme Autrichien et la question tcheque", in welcher eine demokratische Föderalisierung Österreichs gefordert wird. In Prag erwirbt er auch das philosophische Doktorat, findet 1909 eine Stelle als Lehrer an der Handelsakademie und habilitiert sich für Soziologie mit der Abhandlung: ,,Quelques verites simples sur la federalisation de l'Autriche-Hongrie", 1912 an der Universität, 1913 an der Technik, (aus: Hassinger Hugo, a.a.O. 311); Pleyer Wilhelm, Europas unbekannte Mitte, München-Stuttgart, 1957, 146 ff.
[98] Hassinger Hugo, a.a.O. 322 f.
[99] Derselbe a.a.O. 375 ff.
[100] Blau Josef, a.a.O. 347 ff.
[101] Hassinger Hugo, a.a.O. 324, und: Ereignisse und Tatsachen zur sudetendeutschen Geschichte vom Weltkrieg bis zur Heimkehr, in: Sudetendeutscher Schicksalskampf Leipzig 1938, 98.
Blau Josef, 13.
[102] Sudetendeutscher Schicksalskampf, a.a.O. 100.
[103] Hassinger Hugo, a.a.O.456 ff.
[104] Löffler Horst, a.a.O. 22f.
[105] Hassinger a.a.O. 448 ff. und Sudetendeutscher Schicksalskampf a.a.O. 99.
[106] Im ,,Deutschen Glauben" 1921, Heft 1 und 4 werden Durchführungsbestimmungen zur Kirchenverfassung mitgeteilt, damit die Deutsche evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien auch ihre neue rechtliche Gestalt erhalten kann (Heft 1, 13 f.):
Aus den Einführungs-Bestimmungen zur neuen Kirchenverfassung. Art. 2: Mit dem 1. Jänner 1921 treten der Oberkirchenrat und die vom Kirchentag gewählte Kirchenleitung und die Kirchenausschüsse ihr Amt an. Art. 3: Das Amt der seitherigen Superintendenten und Superintendential-Ausschüsse erlischt mit 1. März 1921. Art. 4: Die seitherigen Senioren und Senioratsausschüsse führen bis zu der nach Inkrafttreten der neuen Kirchenverfassung durchzuführenden Konstituierung der Kirchenkreise und ihrer Vorstände die Geschäfte der Kirchenkreise. In Kirchenkreisen, die mit den bisherigen Senioratsbezirken nicht zusammenfallen oder in denen bisher keine Senioratsämter bestanden, ernennt die Kirchenleitung einen vorläufigen Verwaltungsrat, dessen Amtstätigkeit bis zur Konstituierung des Kirchenkreises und Bestellung des Kirchenkreisvorstandes währt. Art. 5: Die nach bisherigem Rechte angestellten Seelsorger und Lehrer gelten nach Inkrafttreten der neuen Kirchenverfassung als nach Vorschrift der neuen Kirchenverfassung bestellt. Art. 6: Die Gemeinden haben nach Inkrafttreten der neuen Kirchenverfassung ohne Verzug alle jene Anordnungen zu treffen, die sich durch die neue Kirchenverfassung als notwendig erweisen. Die bisherigen Predigtstationen haben sofort nach Inkrafttreten der Kirchenverfassung festzusetzen, ob sie im Sinne der neuen Kirchenverfassung als Filialgemeinden oder Predigtstationen gelten wollen und ihr Verhältnis zu den Muttergemeinden nach den Vorschriften der neuen Kirchenverfassung zu regeln. Die Gemeindevertretungskörper haben binnen 5 Monaten nach Inkrafttreten der neuen Kirchenverfassung ihre Neuwahlen vorzunehmen, doch wird ihnen empfohlen, wo es tunlich ist, die Neuwahlen in möglich kurzer Frist vorzunehmen. |
Kirchenkreis des Ascher- und Egerlandes. Die Kirchengemeinden Eger und Fleißen unterstanden bisher dem Senioratsamt in Komotau und die Gemeinden Asch, Roßbach und Neuberg bildeten eine eigene Diözese. Da sich aber nach der staatlichen Umwälzung die Kirchengemeinde Asch an die neugegründete Deutsche evangelische Kirche in der Tschechoslowakischen Republik nicht angeschlossen hat und bis heute allein geblieben ist, so haben sich die Pfarrgemeinden Roßbach und Neuberg mit den Gemeinden Eger und Fleißen zu einer eigenen Diözese zusammengeschlossen, die den Namen ,,Kirchenkreis des Ascher- [109] und Egerlandes" trägt. Zum Leiter dieses Kirchenkreises wurde Prof. Gustav Fischer, Pfarrer in Eger, ernannt. Am 1. März tritt die neue Kirchenverfassung in Kraft. Da findet dann die Wahl des Kirchenrates (Seniors) für diesen Kirchenkreis statt. In Roßbach gibt es 6000, in Neuberg 4800, in Eger 2442 und in Fleißen 1502 Evangelische, im ganzen Kirchenkreis also 14.744. |
Die Genehmigung der Kirchenverfassung erfolgte erst einige Monate später, die Gemeinden aber mußten wie auch die ganze Kirche als legale Rechtskörperschaften erscheinen können, so daß die nachfolgenden §§ der neuen Kirchenverfassung als Vorangabe zur genehmigten und anerkannten Kirchenverfassung den Gemeinden dienten.
Heft 1921/4. Zahl 1080. Gablonz a. N., im April 1921. Diese Paragraphe der Kirchenverfassung - genommen aus dem bisher fertiggestellten Teil - werden den Gemeinden mitgeteilt, damit sie den Neuaufbau durchführen können. § 6. Jede Kirchengemeinde hat das Recht und die Pflicht, Beiträge von allen ihren Angehörigen zur Erhaltung ihres Kirchenwesens, ihrer Schul- und Wohltätigkeitsanstalten zu fordern und nötigenfalls zur Einbringung der Beiträge den Beistand der weltlichen Behörde in Anspruch zu nehmen. § 18. Stimmberechtigte Glieder der Gemeinde sind jene männlichen und weiblichen Gemeindeangehörigen, die den kirchlichen Anforderungen (§ - ) entsprechen, das 21. Lebensjahr zurückgelegt haben und mit den ihnen vorgeschriebenen kirchlichen Beiträgen (§ - ) für das letztvergangene Jahr nicht im Rückstande sind. Männliche oder weibliche Gemeindeglieder, denen aus irgend einem Grunde keine kirchlichen Erhaltungsbeiträge vorgeschrieben wurden, sind bei zutreffenden übrigen Voraussetzungen in das Verzeichnis der stimmberechtigten Glieder der Gemeinde aufzunehmen, wenn sie ausdrücklich und rechtzeitig es verlangen. Gemeindeglieder, die aus dem Sprengel einer anderen Gemeinde zugezogen sind, hat der Kirchenvorstand über ihr Ansuchen bei Zutreffen der übrigen Voraussetzungen sogleich in das Verzeichnis der stimmberechtigten Glieder der Gemeinde aufzunehmen, wenn sie nachweisen, daß sie in der Gemeinde, der sie vorher angehörten, stimmberechtigt waren. In neu errichteten Gemeinden sind alle Mitglieder stimmberechtigt, die in der Gemeinde, der sie vor Errichtung der neuen Gemeinde angehörten, das Stimmrecht besaßen. § 37. Das Wahlrecht kommt in der Regel jedem Stimmberechtigten ohne Unterschied des Geschlechtes (§ - ) zu, sofern der Ausübung nicht verfassungsmäßige Hindernisse entgegenstehen. § 38. Es ist Pflicht aller Wahlberechtigten, nur solche Personen in verfassungsmäßige Vertretungskörper und für kirchliche Stellen zu wählen, die durch Betätigung ihrer Kirchenmitgliedschaft, insbesondere durch Teilnahme an der kirchlichen Gemeindearbeit das Vertrauen der Wähler in ihre kirchliche Einsicht und Erfahrung gewonnen haben. § 39. Wählbar in die Gemeindevertretung sind alle stimmberechtigten Mitglieder (§ - ). Durch die ,,Gemeindeordnung" (§ - ) kann aber jede Gemeinde die Wählbarkeit in die Gemeindevertretung von einem höheren Lebensjahre, als es § - festsetzt, abhängig machen. § 40. Wählbar in den Kirchenvorstand und die übrigen kirchlichen Vertretungskörper sind wahlberechtigte Mitglieder, die das 30. Lebensjahr zurückgelegt haben. § 49. Für jedes Mitglied eines kirchlichen Vertretungskörpers, das ihm nicht schon vermöge seines Amtes angehört, muß gleichzeitig und für die gleiche Amtsdauer, sofern die Kirchenverfassung nicht anders bestimmt (§ - ), ein Ersatzmann gewählt werden. Er ist einzuberufen: 1. wenn das Mitglied stirbt, 2. wenn es nach den Bestimmungen der Kirchenverfassung aufhört, der Körperschaft anzugehören, 3. wenn es andauernd verhindert ist, an den Verhandlungen teilzunehmen. Die dauernde Verhinderung ist ebenso wie ihr Aufhören dem Vorsitzenden schriftlich anzuzeigen. Ist auch die Vertretung durch den Ersatzmann nicht mehr möglich oder aus verfassungsmäßigen Gründen unzulässig, sind ohne Verzug für den Rest der Amtsdauer Neuwahlen durchzuführen. § 60. Um die zur Bildung einer neuen Pfarrgemeinde erforderlichen gesicherten Mittel (§ - ) nachzuweisen, ist ein Jahresvoranschlag aufzustellen, in dem die jährlich verfügbaren Mittel [110] und die voraussichtlichen Erfordernisse der Pfarrgemeinde für den persönlichen und sachlichen Aufwand einander gegenüber gestellt sind. Die Mittel gelten als gesichert, wenn Stammvermögen, zinstragende oder sonst ertragfähige Liegenschaften vorhanden sind, die künftigen Gemeindeglieder sich zu Beiträgen in einem bestimmten Betrage verpflichtet, kirchliche Unterstützungsvereine oder andere Stellen jährliche Gaben von bestimmter Höhe auf mindestens 10 Jahre bereitgestellt oder sonst rechtsverbindlich zugesichert haben. Hat jedoch eine Zweiggemeinde bereits durch mehr als zehn Jahre bestanden, so kann vom Nachweis der gesicherten Mittel abgesehen werden. § 62. Innerhalb einer Pfarrgemeinde können die vom Sitze des Pfarramtes entfernt wohnenden Gemeindeglieder unter Zustimmung des Pfarrers und Kirchenvorstandes sowie des Kirchenkreisvorstandes und mit Genehmigung der Kirchenleitung Zweiggemeinden errichten. Für die Errichtung sowie für die Änderung der Grenzen findet § 60 sinngemäße Anwendung. § 75. Die kirchliche Pflege nichtdeutscher Glaubensgenossen, die von den Einrichtungen der Deutschen Evangelischen Kirche Gebrauch machen wollen, regelt jede einzelne Gemeinde für ihren Sprengel in der Gemeindeordnung (§ - ) unter Beachtung der § - festgelegten grundsätzlichen Bestimmungen. Die Kirchenkreisversammlung. § 203. Die Mitglieder der Kirchenkreisversammlung sind: 1. der Kirchenrat und sämtliche Pfarrer des Kirchenkreises, der Kirchenkreisanwalt und sein Stellvertreter; 2. eine den Pfarrern der Gemeinde gleiche Anzahl weltlicher Abgeordneter, welche der Kirchenvorstand jeder Pfarr- bzw. Stammgemeinde aus der Reihe seiner Mitglieder zu wählen hat (§195), und zwar auch dann, wenn eine Pfarrstelle erledigt ist; 3. je ein Vertreter, den der Kirchenvorstand jeder über 300 Seelen zählenden Zweiggemeinde aus der Reihe seiner Mitglieder zu wählen hat (§ 195); der Sinn des Punktes 4 ist der: Jede wenigstens vierklassige Gemeindeschule entsendet einen vom Lehrkörper aus der Reihe seiner Mitglieder zu erwählenden Vertreter - auch Brünn nur einen -. Der Kirchenvorstand beruft im Auftrage des Kirchenkreisvorstandes die Mitglieder des Lehrkörpers zur Wahlversammlung ein. Das Wahlergebnis wird in der Wahlversammlung festgestellt. Der Kirchenvorstand händigt dem Gewählten die Wahlbescheinigung aus. 5. Ferner haben die lehrbefähigten Lehrpersonen sämtlicher ein- bis dreiklassigen evangelischen Volksschulen des Kirchenkreises einen, bzw. in dem Falle, wenn in dem Kirchenkreis keine Mittelschule, Lehrerbildungsanstalt, Bürgerschule oder mindestens vierklassige Volksschule besteht und an den ein- bis dreiklassigen Volksschulen wenigstens fünf lehrbefähigte Personen angestellt sind, zwei Vertreter in die Kirchenkreisversammlung zu wählen. Die Wahl geschieht, wo es tunlich ist, in einer vom Kirchenkreisvorstand zu berufenden Lehrerversammlung, andernfalls in der Art, daß der Kirchenkreisvorstand jeder lehrbefähigten Lehrperson der ein- bis dreiklassigen Volksschulen des Kirchenkreises ein Verzeichnis sämtlicher wählbaren, an solchen Schulen in dem Kirchenkreis angestellten lehrbefähigten Lehrpersonen mit der Aufforderung zustellt, binnen einer bestimmten, von den Kirchenkreisvorstand festzustellenden Frist, diejenigen Lehrpersonen, die sie zu Vertretern wählt, schriftlich namhaft zu machen. Nach Ablauf der Wahlfrist vollzieht der Kirchenkreisvorstand die Stimmenzählung und stellt den Gewählten die Wahlbescheinigung aus. Punkt 6 handelt von der Vertretung evangelischer Vereine, die im Kirchenkreis ihren Sitz haben und sich über das Gebiet der Gesamtkirche erstrecken. 7. Für die unter 2 bis 6 bezeichneten Vertreter, die für jede Versammlung besonders gewählt werden müssen, sind Ersatzmänner zu wählen; eine Wiederwahl ist gestattet. Die Wahl weiblicher Vertreter ist zulässig. Erich Wehrenfennig |
[107] Siehe die Beilage zu Seite 54-57.
[108] Wehrenfennig Erich, Mein Leben und Wirken, 16.
[109] Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien, Gablonz a. N. 1924, Verlag der Deutschen Evangelischen Kirchenleitung in Böhmen, Mähren und Schlesien. § 137.
[110] ,,Deutscher Glaube", 1921, Heft 5/6, 111 - 113; Heinrich Reinhold Zinnecker in Mittel-Langenau, geboren 25. 4.1884, ordiniert 2. Oktober 1910, im jetzigen Amt seit dem Jahre 1912.
[111] ,,Deutscher Glaube", 1921, Heft 8,171 und Umschlag-Blatt (grün), Seite 3 Aufnahmebedingungen [111] für den Eintritt in den Diakonissenberuf in Aussig (Böhmen). - ,,Deutscher Glaube", 1921, Heft 10, 230 und 225 Kurze Nachrichten. - Pfarrer Dr. Friedrich Saul ist Pfarrer und Rektor der Anstalten in Gallneukirchen.
[112] Wehrenfennig Erich, a.a.O. 17. - ,,Deutscher Glaube", Heft 5/6, 104 f. Zur Hundertjahrfeier der evangelisch-theologischen Fakultät in Wien, ,,Deutscher Glaube", Heft 5/6, 102 ff.
Immer ist es der Stolz der deutschen evangelischen Kirchen gewesen, daß
ihre Geistlichen nicht auf Priesterseminaren ,,gedrillt" werden, sondern sich
auf Universitäten in freiem wissenschaftlichen Studium ihre theologische
Bildung holen müssen. Als in Österreich in den Tagen der Reformation
die ersten evangelischen Gemeinden entstanden, zogen die jungen Leute, die sich
dem Studium der Theologie widmen wollen, auf die norddeutschen
Universitäten, vor allem nach Wittenberg. Wie oft mußte später,
als die Gegenreformation einsetzte, dies ,,Auslaufen" bei schweren Strafen
verboten werden. Dann hat es ja bald in Österreich keine evangelischen
Gemeinden mehr gegeben und keine ordentlich angestellten Geistlichen, bis
Kaiser Josefs Toleranzpatent dem Evangelium wieder freie Bahn gab. Die neuen
evangelischen Gemeinden holten sich ihre ersten Pfarrer zunächst aus
Deutschland. Der junge inländische Nachwuchs mußte wieder an deutsche
Universitäten studieren gehen. Denn an Schaffung einer inländischen
theologischen Bildungsstätte oder gar an Zulassung des Studiums der
evangelischen Theologie an einer österreichischen Universität war
zunächst nicht zu denken. Erst das Jahr 1821 brachte den ersten Erfolg auf dem Wege zu diesem Ziel mit der Eröffnung einer ,,k. k. theologischen Lehranstalt" in Wien für das Studium der evangelischen Theologie und die Ausbildung der evangelischen Geistlichen. Mit zwei Professoren wurde sie eröffnet und führte lange ein bescheidenes Dasein. Erst das Sturmjahr 1848 brachte ihr die Zuerkennung der ,,Lehr- und Lernfreiheit" und das Jahr 1850 (8. Oktober) die Erhebung zur ,,Fakultät". Das Promotionsrecht wurde ihr sogar erst im Jahre 1861 verliehen. Das hatten auch die Stürme der vierziger Jahre gegen die Übermacht Roms nicht durchsetzen können, daß die neue Fakultät in den Rahmen der Wiener Universität eingefügt, - ihr vollständig einverleibt worden wäre. Um dies letzte Ziel hat die evangelische Fakultät und die ganze evangelische Kirche des alten Österreich alle diese Jahre bis heute umsonst gekämpft. Die immer erneuten Eingaben an die Regierung wurden teils glatt abgewiesen, teils mit aufschiebenden Versprechungen abgetan, zuletzt gar nicht mehr beantwortet. Der Fels, an dem alle Bemühungen abprallten, war eine Person. Der unlängst verstorbene berühmte Indienforscher und treue evangelische Christ, Univ.-Prof. Leopold von Schröder, der darüber zuverlässig unterrichtet war, sprach es einmal im engeren Kreise, von seiner eigenen Entrüstung fortgerissen, mit aller Bestimmtheit aus: ,,Der Kaiser will nicht" - derselbe Franz Josef I., dessen Namen unter dem ,,Protestanten-Patent" steht, durch das unsere evangelische Kirche in Österreich Gleichberechtigung mit der römisch-katholischen erhielt. Das Eine wurde nur noch erreicht, daß 1912 den Professoren der Fakultät der Titel ,,Universitätsprofessor" ausdrücklich zuerkannt wurde. Diese offene Zurücksetzung erschwerte natürlich wesentlich die Berufung tüchtiger Professoren. Trotzdem zieren hochangesehene Namen die Liste der Männer, die an der Fakultät unterrichtet haben. Otto, Lipsius, Frank, Ewald, Sellin, Feine, Loesche, Knopf haben hier gelesen und den jungen Nachwuchs der evangelischen Geistlichkeit Österreichs erziehen helfen. Hemmend wirkten dabei auch noch die Schwierigkeiten, die aus der Aufgabe erwuchsen, auch die tschechischen evangelischen Theologen für ihr Amt vorbilden zu müssen. Diese Schwierigkeiten sind ja jetzt behoben. Die Fakultät ist jetzt rein deutsch. Gegenwärtig besteht das Professorenkollegium aus den sechs ordentlichen Professoren: Fritz Wilke (Dekan), Karl Beth, J. Bohatec, Richard Hoffmann, Johannes Walter und Karl Völker. Vom 5. bis 8. Juni (weil der 2. April in die Osterferien fiel) begeht nun die Fakultät ihre Hundertjahrfeier. Eine Festschrift mit Beiträgen aller Mitglieder der Fakultät ist unter dem Titel ,,Religion und Sozialismus" im Verlage von Edwin Runge (Berlin-Lichterfelde) erschienen. Der evangelische Pfarrverein für Österreich hat die Widmung einer Ehrengabe als eines Zeichens der Dankbarkeit beschlossen, und zwar, dem Wunsche der Fakultät entsprechend, in Form einer Sammlung von Bildern aller kirchlichen Gebäude der alten Landeskirche, darüber hinaus aber noch einer von den Gemeinden und Pfarrern gespendeten Geldsumme zur freien Verfügung der Fakultät. Als gewichtigste Festgabe [112] erhofft die Fakultät die Erfüllung ihres alten Wunsches nach Einverleibung in die Universität. Möchte diese Hoffnung keine trügerische sein! Das wünschen mit den Professoren und Studenten viele tausend deutsche evangelische Herzen in der alten Ostmark. Als ein Bollwerk evangelischen Deutschtums, eine Hochburg echter theologischer Wissenschaft, ist diese evangelische Hochschule in der Donaustadt 110 Jahre unerschüttert auf vorgeschobenem Posten gestanden, umbrandet von römischer Todfeindschaft, ein Hort und Stolz der Evangelischen in Österreich, wenn auch gering geachtet von den anderen. Wer will sagen, was die nächsten 100 Jahre ihr bringen werden? Weissagen können und wollen wir nicht. Aber unsere große Hoffnung stammt an solch einem Festtage neu auf: Die Hoffnung, daß das ganze Deutschvolk in Österreich sich in den kommenden Tagen wieder zum Evangelium hinfinden wird, für das es schon einmal zum größeren Teil gewonnen war. Dann wird auch unsere alma mater am Donaustrand zu den ihr gebührenden Ehren kommen und viele Kinder um sich sehen. Gott walt's! Waitkat |
[113] Amtsblatt Jgg. I,4 und VII,3; und VIII,3.
[114] Christdorf (Mähren) mit den Predigtstationen Bautsch, Herzogwald, Hof und Römerstadt, Religionsunterricht dort und in Barn, Karlsberg und Stohl. Gegründet: 1849, seit 1782 Filiale von Hillersdorf in Schlesien, Johann Babylon, geboren am 30. April 1866, ordiniert 31. August 1891, im jetzigen Amt seit 1901. - ,,Deutscher Glaube", 1921, Heft 3, 61.
[115] ,,Deutscher Glaube", 1921, Heft 10, 225 Kurze Nachrichten.
[116] ,,Deutscher Glaube" 1930, 135ff. - Friedrich Wilhelm Knorek, geboren 24. Mai 1887, ordiniert 9. März 1913, im jetzigen Amt in Trautenau seit 1915.
[117] ,,Am Sonnenhof" bei Habstein, Deutscher Glaube 1921, Heft 11, 215 f.
Etwa eine Viertelstunde weit führt uns der Weg längs ,,saurer" Wiesen
zu der kleinen Ansiedlung, dem Sonnenhof, der vom Diakon ,,Bruder Rabe"
und dessen Schwester musterhaft geleitet wird. Der Name klingt
äußerst romantisch und erweckt fast mystische Vorstellungen. Man
denkt an irgend eine ehrwürdige Gestalt in mönchischem Habit, zum
mindesten an einen ewig salbungsvollen, langweiligen Herrn. Statt dessen sitzt
vor mir ein junger Mann mit flottem Schnurrbart in gutgeschnittenem Lodenanzug
und Ledergamaschen. Sein Gehaben ist ganz bescheiden, ganz ruhig. Er
könnte ein kleiner Kaufmann oder Landwirt sein, der ohne Überhebung
von seinen Geschäften spricht. Seine Gefährtin ist seine Schwester,
ein junges Mädchen von etwa zwanzig Jahren. ,,Schwester Rabe" folgte
einfach aus ihrem Elternhaus bei Chemnitz ihrem Bruder hierher, weil er ohne
eine verläßliche Mitarbeiterin, diese Stelle nicht hätte
annehmen können. Er leitete früher in Moritzburg in Sachsen eine Fürsorgeanstalt für hundertfünfzig Knaben und wurde, als das Prager Diakonissenhaus auf dem Sonnenhof eine ähnliche Anstalt gründen wollte, zur Errichtung und Leitung hierher berufen. Und so ist er hier ,,der Vadder" von vorläufig nur zwölf Buben verschiedenen Alters, Aussehens, Charakters, verschiedener Herkunft, die alle nur Eines gemeinsam haben, nämlich irgendwie mit dem, was man menschliche Gesellschaft nennt, in Konflikt geraten zu sein. Es sind ,,schwer erziehbare Jungen", die ihren Eltern oder sonstigen Angehörigen schon große Sorgen bereitet haben. Sie gerieten durch böses Beispiel, schlechte Gesellschaft, durch hemmungslose Begierden, durch die Not der Zeit, in der sie ihre Jugend verleben mußten, auf Abwege. Manche sind da, die eigentlich nichts Besonderes auf dem Kerbholz haben, die sich bloß an keine Arbeit gewöhnen können. Bruder Rabe nimmt sie alle auf und versteht sie richtig zu behandeln. Offenbar ein angeborenes Talent, entwickelt und veredelt durch richtige Schulung und langjährige Erfahrung. Es geht suggestive Kraft von diesem Manne aus. Und dabei, wie gesagt, keinerlei Pose, kein Gewaltmittel, auch keine heuchlerische, salbungsvolle Frömmigkeit, mit der er etwa ein geheucheltes Nachgeben bei den Jungen erzielen könnte. Er erzieht einfach durch das Beispiel. Das Ziel ist Arbeit, zugleich aber auch Mittel zu praktischem Zweck. Das Moorland ringsum soll entwässert und urbar gemacht werden, und außerdem wird an dem Bau eines neuen, größeren und bequemeren Hauses gearbeitet. Ein Teil dieser Aufgabe ist schon geschehen. Bisher brache, unfruchtbare Wiesen lieferten schon Hafer, fünfzig Sack Kartoffeln wurden geerntet, wo sonst außer nassem Schilf nichts anderes wuchs, und riesige Heuschober, kunstgerecht unter Rabes Leitung aufgebaut, werden dafür sorgen, daß der kleine Viehstand des Sonnenhofes im Winter keinen Mangel leidet. Und etwa im Dezember soll der große Augenblick kommen, das das neue Haus bezogen wird. Es ist schon unter Dach, das rote Ziegeldach, das von der Straße herüberleuchtet. Die [113] roten Betonziegel und die großen grauen Betonblöcke haben die Jungen selbst hergestellt. Sie sind mit allem Eifer dabei und freuen sich der Arbeit. Welcher Junge - und gar erst solche phantasiebegabte, und deshalb schwer erziehbare Buben - hätte nicht Lust am Basteln! Nur das Muß der Arbeit will anfangs nicht schmecken. Der ,,Vadder" Rabe weiß sie aber zu packen. Kommt da einer und erklärt, er will keine Erde zum Bau tragen, er sei dazu nicht da. Innerlich erwartet er wahrscheinlich einen großen Krach vonseiten Bruder Rabes. Der aber bleibt ruhig und wendet sich ab. Unerwarteter Effekt. Der Bub sieht die anderen arbeiten. Er steht unbeachtet dabei. Er fühlt sich auf einmal unnütz, überflüssig. Auch langweilig mag ihm werden. Niemand kümmert sich um ihn. Und auch nicht ein kleines bißchen interessant erscheint er hier mit seiner offenen Widersetzlichkeit. ,,Was ist, möchtest du mir nicht eine einzige Schaufel voll Erde zutragen?" Eine Schaufel? Warum denn schließlich nicht. Aber in dem Kraftgefühl der Jugend ist ihm eine Schaufel auf die Dauer zu wenig, er kann bald die beiden Behälter, die zu füllen sind, nicht voll genug kriegen. Ein Wort der Anerkennung spornt noch mehr an, ein Befehl hätte unbedingt Trotz und Widersetzlichkeit hervorgerufen. Bruder Rabe ist ein ganz ausgezeichneter Psychologe, Gedankenleser, Seelenarzt und Freund. Er kennt jedes Einzelnen Lebensgeschichte und individualisiert; förmlich instinktmäßig weiß er Simulation von Wahrheit zu unterscheiden. Er kann sich aber auch auf seine Buben verlassen. Auf dem hundertfünfundzwanzig Strich weiten Lande bewegen sie sich ganz frei und scheinbar ohne Aufsicht, sie werden ins Dorf mit Botengängen geschickt, oft sogar mit der Eisenbahn in das nahe gelegene Böhmisch-Leipa, und es fällt keinem ein, diese Freiheit oder das Geld, daß sie mit bekommen mußten, zu benützen und durchzugehen. Jeder Junge hat neben der allgemeinen Arbeit noch seine spezielle Aufgabe. Der eine pflegt die Hühner, der andere sieht auf die Enten, der dritte hilft in der Küche (was übrigens abwechselnd geschieht), ein anderer führt genau Buch über die täglichen Menüs, wieder einer hat die Aufsicht über die Kühe und Kälber, von denen eines schon ein Sonnenhofer Kind ist. Das neue Haus wird wirklich komfortabel sein. Es ist für etwa fünfzig Jungen eingerichtet. Da wird es eine wirkliche Küche geben mit Warmwasserleitung, einen Waschraum mit Brause zur täglichen Benützung für die Buben, Speisesäle mit großen Fenstern und verschiebbaren Türen, Schlafsäle, ein Fremdenstübchen, ein Krankenzimmer und eine Wohnung für das Hauselternpaar, wenn endlich einmal Bruder Rabe sich Zeit nimmt, eine Lebensgefährtin zu wählen. Die Öffentlichkeit sollte sich mit diesem Werke der Menschenrettung, das hier ganz in der Stille gegründet und betrieben wird, mehr beschäftigen. Die Kosten werden natürlich nur zum kleinsten Teil von den Jungen und deren Angehörigen getragen. Die Beiträge sind erstaunlich gering, und für ganz Unbemittelte gibt es sogar Freiplätze. Wer hilft an der Zukunft mitbauen? |
[118] Weltbruderschaftskongreß in Prag, ,,Deutscher Glaube", 1921, Heft 11, 248.
[119] Die tschechoslowakische Kirche aus: Sakrausky Oskar, Die Lage der evangelischen Minoritäten in der Tschechoslowakei, Heidelberg 1928.
[120] Zur Frage der Vereinigung der lutherischen deutschen Gemeinden in der Slowakei und ihre Wünsche bezüglich der Vereinigung mit der ,,Deutschen evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien": Schmidt, D. Carl Eugen, Pfarrer und Senior in Preßburg, ,,Die lutherische Kirche der Slowakei und der Kampf der Kirchengemeinde Preßburg", Preßburg 1922; Sakrausky Oskar, Pfarrer in Prag, Die Lage der evangelischen Minoritäten in der Tschechoslowakei, Heidelberg, 1928.
[121] Die Brüdergemeinde, ein Zweig der deutschen Brüdergemeinde Zinzendorfs mit Traditionen von den böhmischen Brüdern her, wurde von dem Staat unter dem Namen ,,evangelische Brüderkirche" (Cirkev bratrská) anerkannt, was oft zur Verwechslung mit der tschechisch-evangelischen Brüderkirche (Èeskobratrská církev evangelická) Anlaß gab. Der alte Staat hatte sie als Kirche 1880 anerkannt. Sie zählt einige tausend Seelen und 11 Gemeinden, acht tschechische und drei deutsche.
@Die ,,tschechisch-brüderische Unität" (Jednota èeskobratrská), früher freireformierte Kirche war im alten Österreich nicht anerkannt und ist es auch jetzt nicht. Ihre Arbeit in Böhmen geht hauptsächlich auf einen Maurer namens Johann Balzar zurück, der aus der römischen Kirche kommend, sich zum biblischen Christentum hindurchkämpfte. Der Brüderrat ordnet gemeinsame Angelegenheiten der 30 kongregationalistischen Gemeinden, die [114] 3000 Mitglieder (ohne Kinder) umfassen. Die Brüderunität (Jednota bratrská) des Chelèitzky ist ein Zweig der Baptistenkirche. Ihr Leiter und Organisator ging aus der freireformierten Kirche hervor. Auch diese Gemeinden führen ein Einzeldasein und beschicken eine Konferenz. Ihren Namen haben sie von dem ehrwürdigen Peter Chelèitzky, von welchem Verbindungslinien aus dem 15. Jahrhundert zu Leo Tolstoj führen, ohne daß ein historischer Zusammenhang bestünde. Es sind 47 Gemeinden mit 48 Predigern und 4000 Seelen und einer vorbildlichen Jugendorganisation.
[122] Aus: Evangelischer Volkskalender, 1930, Herausgegeben vom oberösterreichischen evangelischen Verein für innere Mission in Gallneukirchen 1929, gezeichnet F. S. (Rektor Friedrich Saul) 68 f.
[123] Siehe dazu den Aufruf der ,,Evangelisch-sozialen Frauenschule in Wien, Zur Berufswahl der Mädchen", im ,,Deutschen Glauben" 1922, Heft 9, Umschlagseite 2.
[124] ,,Deutscher Glaube" 1921, Heft 10, 226f.
[125] ,,Deutscher Glaube" 1921, Heft 10, 207f.
[126] ,,Deutscher Glaube" 1921, Heft 11, 237 f.
[127] ,,Deutscher Glaube" 1921, Heft 10, 220ff.
[128] ,,Deutscher Glaube" 1921, Heft 8, 170.
Karbitz. (Vortrag Dr. Rieger aus Haida und Sprechabend.) Die neu gegründete Ortsgruppe des Deutschen evangelischen Bundes begann ihre Tätigkeit in der Öffentlichkeit mit einem Sprechabend am 23. Juni l. J. in der deutschen Turnhalle. Es war uns geglückt, Herrn Pfarrer Dr. Rieger aus Haida zu einem Vortrag über ,,Christentum, Katholizismus und modernes Denken" zu gewinnen. Als wir die Einladungen zu dieser Veranstaltung in der großen Halle austragen ließen, konnte uns um den Besuch bang sein, war doch die Bevölkerung noch im Banne der Turn- und Heimatfeste hierorts und in der Umgebung und kurz nach einer festlichen Sonnwendfeier am 21. Juni in der Vorbereitung zum Ortsfest am 26. Juni begriffen. Dennoch war hauptsächlich die Intelligenz des ganzen Städtchens, unter der unser Herr Pfarrer einen starken Anhang hat, sehr zahlreich vertreten. Der große Saal war derartig angefüllt, daß viele stehen mußten und auch die Galerie geöffnet werden mußte. Die große Erwartung auf den Vortrag des Redners enttäuschte niemand. Im Gegenteil, man hörte mehr als man erwartete; seit der Los-von-Rom-Zeit war niemand so wie er imstande, durch seinen fast 1 1/2 Stunde langen Vortrag frisches Glaubensfeuer in die denkende deutsche Bevölkerung zu bringen. Sein überzeugungstreuer, tief religiös gehaltener Vortrag gewann uns viele Freunde und Anhänger. Nach Schluß seiner Rede tobte langanhaltender Beifall. Nach der Pause meldete sich ein Mitglied der Gesellschaft Jesu, P. Egger, zum Worte und versuchte nach Art seines Ordens den Vortragenden zu widerlegen, rief aber wiederholt Gelächter und Protestrufe hervor, doch nicht von evangelischer, sondern gerade von katholischer Seite. Besonders schroff war die Zurückweisung einer Äußerung des Herrn Dechanten, welcher meinte, die Evangelischen sollten nach Deutschland gehen. Hier war der Tumult auf der Seite der katholischen Deutschbewußten so stark, daß der Vorsitzende wiederholt um Ruhe bitten mußte. Auch einen Doktor der Rechte hatten die römischen mitgebracht zur Verteidigung ihrer Dogmen. Wie kläglich stand der Mann samt den vier anwesenden Rompriestern und Verfechtern des Mittelalters einem Dr. Rieger gegenüber da! Als der nun auf alle Verdrehungen mit seinen glaubenstreuen, modernen Anschauungen so gut parierte, gewann er beinahe alle in der Versammlung Anwesenden. Von evangelischer sowie katholischer Seite wurde die Äußerung laut: Doktor Rieger gehört ins Volk; seine Gabe muß fürs deutsche Volk zur Erlangung seiner Freiheit im Glauben voll ausgenützt werden. Darum empfehlen wir allen evangelischen Bundesortsgruppen, Herrn Dr. Rieger zum Reden die Möglichkeit zu verschaffen. Dann wird bestimmt wieder frischer Lebensgeist im Protestantismus Platz greifen. Herrn Pfarrer Dr. Rieger sei hier nochmals herzlich Dank gesagt für den großartigen Erfolg unserer herrlich verlaufenen Versammlung. Klerikale Blätter haben sich nicht gescheut, ebenso wie die in der Mariascheiner Gegend verbreiteten mündlichen Gerüchte, Dr. Rieger gleichsam als einen Schuljungen hinzustellen, der auf die einfachsten theologischen Fragen keine Antwort wußte; indessen hat er spitzfindige Fragen dieser Art in seiner klaren, volkstümlichen Weise ins rechte Licht gerückt, ohne die bis 3/4 1 währende Versammlung ins Uferlose zu verlängern, wie die Gegenseite bestrebt zu sein schien. Herrn Pfarrer Milner gebührt gleichfalls Dank für seine rührige Vorbereitung, der wir den gefüllten Saal verdanken, ebenso Herrn Kurator Knaut für die Leitung dieser bewegten Versammlung. Wilh. Schicker, Obmann. [115] |
[129] Aus: Die lutherische Kirche der Slowakei und der Kampf der Kirchengemeinde Preßburg, von D. Carl Eugen Schmidt, Pfarrer und Senior in Preßburg, Preßburg 1922, 38-40.
Antrag von 126 Mitgliedern der Gemeinde Preßburg. Wie den Tagesblättern zu entnehmen war, hat der Ministerrat die von der Synode in Trentschin-Teplitz ausgearbeitete Kirchenverfassung genehmigt und bestätigt. Hieraus muß gefolgert werden, daß die Vorstellung unserer Gemeinde vom 4. April 1921 in Sachen dieser Kirchenverfassung von seiten der Regierung unberücksichtigt geblieben ist. Wir ersuchen, diese für unsere Gemeinde hochwichtige Angelegenheit dem Junikonvente zur Stellungnahme vorzulegen, damit unsere Gemeinde endlich einmal zur Ruhe und zu gedeihlicher kirchlicher Arbeit gelange. Und zwar beantragen wir, daß die Gemeinde nunmehr - da all ihre ernsten Bemühungen, eine für uns annehmbare zeitgemäße Kirchenverfassung zu erlangen fehlgeschlagen - ihren Anschluß an die deutsche evangelische Kirche in der Tschechoslowakischen Republik ausspreche und sich unter deren Kirchenregierung in Gablonz stelle. Diesen Antrag zu begründen erübrigt sich. Haben wir uns doch davon sattsam überzeugt, daß unsere besonderen kirchl. Belange in der slowakischen Nationalkirche, deren Mehrheit wir auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sind, weder das rechte Verständnis, noch die rechte Pflege finden werden. Es widerstrebt uns, unsre beste Kraft in aussichtslosen Kämpfen zu verzehren und die Kirche zum Tummelplatze völkischer Leidenschaften zu machen oder aber uns einfach in stummer Resignation darein zu schicken, daß man uns auf dem Gebiete der höheren kirchlichen Verwaltung von vornherein lahmlegt und mundtot macht. Wir wünschen eine postitiv bauende und dabei friedliche kirchliche Arbeit im Rahmen unseres eigenen Volkstums, wie uns dies auch die Friedensschlüsse ausdrücklich gewährleisten. Rechtsgutachten des Gemeindeanwalts Dr. Frühwirth und der Rechtskommission. Über den Antrag mehrerer Gemeindemitglieder, den Anschluß unserer evang. Kirchengemeinde A. B. zu Preßburg an die deutsche evangelische Kirche in der Tschechoslovakischen Republik auszusprechen, erlauben wir uns folgende Rechtswohlmeinung zu unterbreiten: Gegen den Antrag kann vom rechtlichen Standpunkte aus nichts eingewendet werden. Dem in unserer bisher geltenden Kirchenverfassung (§11) festgelegten Grundsatze gemäß hat in unserer Kirche alle Macht ihre Wurzeln in der Kirchengemeinde. Dieses souveräne Recht bildet den Eckpfeiler der kirchlichen Autonomie, ohne welche die evangelische Kirche nicht bestehen kann. Durch die im Jänner 1919 durch die Regierung erfolgte Aufhebung der bisherigen kirchlichen Organisation und Beschränkung der Autonomie ist ein Zustand eingetreten, in welchem die einzelnen Kirchengemeinden, da sie sich keine freigewählten höheren Kirchenkörper schaffen konnten, - ihre völlige Unabhängigkeit und Freiheit zurückerlangten. Dieser revolutionäre Zustand hätte nur so behoben werden können, wenn sich die einzelnen Gemeinden zu einem Aufbaue von unten ihrer höheren Organisation freiwillig zusammengefunden hätten. Ein solcher Aufbau und Zusammenschluß ist nicht erfolgt und hat unsere Kirchengemeinde ihr Recht und ihre Freiheit, sowie völlige Unabhängigkeit in ihrer wiederholt erklärten und in aller Form zum Ausdrucke gebrachten Stellungnahme gewahrt. Unsere evang. Kirche A. B. galt nach der Rechtsauffassung der ungarischen Staatsverfassung und im Geiste der ungarischen historischen Verfassungsgesetze als eine ,,rezipierte", das heißt es wurde ihre Autonomie, die Gewalt der völligen Selbstverwaltung anerkannt und derselben Schutz und Unterstützung gewährleistet. Schon das ungarische Gesetz Art. XLIII. vom Jahre 1895 von der freien Ausübung der Religion hat im Wesen eine solche Distinguierung beseitigt resp. auf die in Hinkunft anzuerkennenden Religionsbekenntnisse beschränkt. Das Verfassungsgesetz der tschechoslovakischen Republik, - welches naturgemäß die früheren ungarischen Verfassungsgesetze - und so auch obbezogenes, außer Kraft setzte, hat alle Vorrechte, Sonderstellungen und Privilegien angesichts des demokratischen Staatsgedankens völlig gegenstandslos gemacht. Innerhalb der Staatsgrenzen der tschechoslovakischen Republik sind durch das Verfassungsgesetz in den §§ 121,122 und 124 allen Religionsbekenntnissen vollkommen gleiche Rechte eingeräumt. Bemerkt muß werden, daß selbst [116] nach der historischen ungarischen Rechtsauffassung die Rezipierung sich nur auf das Bekenntnis, jedoch niemals auf die kirchliche Organisation bezogen hat. Das Recht der freien, unbeeinflußten Organisation der Bekenntnisgemeinden unserer Kirche bestand immer und besteht heute auf diesem Staatsgebiete in erhöhtem Maße. Es steht daher rechtlich außer jedem Zweifel, daß jede Kirchengemeinde berechtigt ist, sich einer ihr entsprechenden innerländischen kirchlichen Organisation anzuschließen. Hiebei muß in Betracht gezogen werden, daß die ,,Deutsche evangelische Kirche in der tschechoslowakischen Republik" staatlich anerkannte autonome Rechte besitzt und alle im Verfassungsgesetze gewährleisteten Rechte für sich in Anspruch nehmen kann, demzufolge in der Lage ist gleichen Schutz und gleiche Rechte zu gewähren, wie jedes andere Kirchenregiment. Beschluß der Gemeinde Preßburg vom 11. Juni 1922. Verlesen wird das Protokoll der Rechtskommission vom 8. Juni l.J. und auf Grund des darin enthaltenen Antrages beschlossen, daß sich die evang. Kirchengemeinde A. B. zu Preßburg dem Verbande der deutschen evangelischen Kirche A. B. in der tschechoslowakischen Republik anschließt und sich von heute ab deren Kirchenregierung in Gablonz a/N unterstellt. |
[130] ,,Deutscher Glaube", 1922, Heft 1, 27 f.
[131] ,,Deutscher Glaube", 1922, Heft 1, 23.
[132] Alle folgenden Angaben aus dem Amtsblatt I, Heft 4,1-4.