Die Deutsche Evangelische Kirche
in Böhmen, Mähren und Schlesien
1919 - 1921
Heidelberg-Wien o.J. (1989), 116 Seiten
(2. Teil)
1920
Der Verfassungsentwurf von Gustav Fischer
Die Ascher Anschlußfrage
Staatliche Zuschüsse
Hilfe aus den USA und vom Gustav-Adolf-Verein
Kampf um die Erhaltung der evangelischen Gemeindeschulen
Internationale Ökumene und Versailles
Kirche und Politik
Der verfassungsgebende Kirchentag in Turn
Das Aussiger Diakonissenhaus
Personalia
In den Herbstmonaten des Jahres 1919 hatte die Kirchenleitung schon die ,,Grundsätze" für die kommende Kirchenverfassung erarbeitet und diese an das zuständige Ministerium (Ministerium für Schulwesen und Volksbildung) geschickt. Es mußte ja zu dem neuen Staat irgendein Verhältnis (Vertrag, Gesetz und dgl.) hergestellt werden. Dazu aber mußte der Staat wissen, mit wem er es zu tun hat, bzw. wie sich die ,,neue" Kirche versteht. Und bevor der 2., der ,,bekennende" Kirchentag einberufen werden konnte, was noch im gleichen Jahr geschehen sollte, mußten Grundsätze und Verfassung zumindest als Vorschläge fertig sein. Der ,,Deutsche Glaube" vom Januar 1920 berichtet:
,,Der Verfassungsausschuß hatte am 17. Dezember v. J. in Komotau über den vom Obmann ausgearbeiteten Entwurf zur neuen Kirchenverfassung beraten und den Entwurf mit einigen, die Belange der Schule betreffenden Abänderungen angenommen. Bei der am 11. Jänner in Teplitz abgehaltenen Sitzung der Kirchenleitung hat der Obmann des Verfassungsausschusses den Entwurf vorgelegt und begründet. Die Kirchenleitung hat sich im wesentlichen mit dem Entwurf einverstanden erklärt und die Zustimmung gegeben, daß er gedruckt und alsbald an die Gemeinden versendet werde. Es wird dann Sache der Kirchenvorstände (Presbyterien) und Predigtstationsausschüsse sein, den Entwurf zu prüfen und in den vor dem nächsten Kirchentag abzuhaltenden Senioratsversammlungen zum Entwurf Stellung zu nehmen. Gustav Fischer Obmann." |
Gustav Fischer, geboren am 30. November 1873, seit dem Jahre 1900 im Amt als Pfarrer der rund 2600 Seelen umfassenden Gemeinde Eger, wurde zum Senior (Kirchenrat) in der 1. Kirchenkreisversammlung für das Ascher- und Egerland am 7. März 1921 gewählt. Er war der Hauptverfasser der ,,Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien", die bis auf einige spätere Abänderungen samt den ,,Grundbestimmungen" beim 2. verfassungsgebenden Kirchentag in Turn angenommen wurde. Er starb leider schon am 23. November 1922 in Eger.[50]
Diese Grundsätze oder wie sie dann hießen ,,Grundbestimmungen" sind in drei Teile geteilt. Der erste Teil sagt, wie sich die Deutsche evangelische Kirche selbst versteht. Der zweite Teil redet von ihrem Verhältnis zum (èsl.) Staat und der 3. Teil von ihrem Verhältnis zur evangelischen Kirche des ehemaligen Österreich. Daraus einige bemerkenswerte Absätze:[51]
§ 1. Die ,,Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien" steht auf dem alleinigen Grunde der Heiligen Schrift. Sie hält sich in ihrem Leben an die Grundsätze der Reformation und in ihrer Lehre an das evangelisch-lutherische Bekenntnis. |
Über diesen so wichtigen Paragraphen, den Wehrenfennig auch Präambel nennt, schreibt er:
1920 wurde der bekennende Kirchentag einberufen. Da ging es vor allem um die Präambel. Sie lautete: ,,Die Deutsche evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien steht auf dem alleinigen Grunde der heiligen Schrift und sie hält sich in ihrem Leben an die Grundsätze der Reformation und in ihrer Lehre an das evang.luth. Bekenntnis." Es war ein wunderbares Erlebnis, als nach heißem Kampf die Annahme erfolgte und auf den Zuruf zum Vorsitz hin: ,,Melden Sie diesen Kampf wegen des Bekenntnisses nach Amerika" - von mir geantwortet wurde: ,,Ich werde es tun und ich bekenne mich zu dieser meiner Kirche in ihrem Sosein vor dem In- und Auslande."[52] [24] |
Interessant ist die Bemerkung des Präsidenten über die Kritik von Senior Souèek, der Name unserer Kirche sei nicht zutreffend. Der 56jährige Senior des Prager Seniorates und spätere Vorsitzender der Tschechischen Brüderkirche mag sich wohl als überzeugter reformierter Christ gegen die Anführung des lutherischen Bekenntnisses im Namen unserer Kirche gewehrt haben. Er meinte sein Deutsches Gegenüber in Prag daraufhin ansprechen zu müssen, da ja die deutsche evangelische Gemeinde in Prag, wie auch jene in Brünn sogenannte ,,A. u. H. B." Gemeinden waren und sich später ,,Vereinigte deutsche evangelische Gemeinden" mit Rücksicht auf die helvetische Minderheit ihrer Glieder nannten. Denn sehr frühe und ausnahmsweise hatten sich diese Gemeinden in nationaler Beziehung in je eine deutsche und eine tschechische Gemeinde getrennt, was sonst in der evang. Kirche im ehemaligen Österreich strikte abgelehnt worden war um der leidigen Sprachen und Nationalitätenfrage des alten Österreich auszuweichen.[53]
Der 2. Paragraph der ,,Grundbestimmungen" lautete:
,,Zur .Deutschen Evangelischen Kirche' gehören dermalen alle deutschen evangelischen Kirchengemeinden und Glaubensgenossen in Böhmen, Mähren und Schlesien, die sich ihr anschließen." |
Es hängt also die Zugehörigkeit zur Deutschen evangelischen Kirche nicht nur von der Nationalität oder vom nationalen Bekenntnis, sondern davon abgesehen, von der freien Willensentscheidung der sich Anschließenden ab, die sich etwa auf das Bekenntnis gründen könnte. Die tschechische Brüderkirche hatte ja eine Periode der Bekenntnisvereinigung und Bekenntnisentwicklung seit der Jahrhundertwende durchgemacht. Auf dem ,,Ersten Kongreß der tschechischen Protestanten Böhmens und Mährens", der am 28. September 1903 im Volkshaus in den königl. Weinbergen zu Prag zusammentrat, wurde in der anschließenden Resolution unter anderem folgende Forderung erhoben: Die Vereinigung der tschechischen protestantischen Kirchen. Führend war damals der Konsenior aus Èaslau und Katechet der tschechischen Lehrerbildungsanstalt, Lic. theol. Franz Kozák der dann auch der Gründer der ,,Konstanzer Unität" wurde. Diese Vereinigung beider Kirchen A. B. und H. B. fand dann ihre rechtliche Bestätigung in der tschechischen Generalsynode am 17. und 18. Dezember 1918.[54] Im teschener lutherischen Einflußgebiet hatten sich die gemischtsprachigen Gemeinden von Tschechisch-Teschen, Neu-Oderberg, Friedeck und Mährisch-Ostrau wegen ihres Augsburgischen Bekenntnisses der Deutschen evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien und nicht der Tschechischen Brüderkirche angeschlossen. Sie hatten freilich nach § 4 dieser Grundbestimmungen die Grundsätze und Verfassung dieser Kirche anzuerkennen. Hier setzte sich Bekenntnis gegen nationale Zugehörigkeit durch, wie es in der alten ehemaligen österr. Kirche üblich war.[55]
§ 3 heißt demnach:
Die Kirchen- und Unterrichtssprache ist innerhalb der Grenzen der allgemeinen Gesetze und Vorschriften die deutsche. (Verfassungsgesetz vom 29. Februar 1920.) |
In den weiteren §§ werden die Zugehörigkeit von Diasporagliedern zur Kirche, die Gliederung der Kirche in Kirchenkreise, Pfarrgemeinden und Gesamtgemeinde ohne Superintendenzen, die öffentlichen Rechte, die freie Entscheidung über alle inneren Angelegenheiten, die ausschließliche Disziplinarzugehörigkeit der geistlichen Amtsträger zur Kirche, die finanzielle Freiheit der Kirchenbehörden, die Verbindlichkeit der zu erlassenden Kirchenverfassung sowie der allgemeinen kirchlichen Ordnungen geregelt.
Der zweite Teil, der das Verhältnis der Kirche zum Staat bestimmt, besteht aus 8 §§. Das Recht der freien Religionsausübung nach dem Glaubensbekenntnis der Kirche wird wie allen Bewohnern des Staatsgebietes entsprechend dem § 122 des Gesetzes vom 24. Februar 1920, G. - S. Nr. 121 zugesichert. Die Gemeinden können ihre Seelsorger frei wählen, diese aber können nur mit èsl. Staatsangehörigkeit definitiv angestellt werden. Die Errichtung von Schulen an jedem Ort der Republik und der Besuch von [25] theol. Lehranstalten des Auslandes, sowie die Gründung von Vereinen zur Förderung von kirchlichen, Unterrichts- und wohltätigen Zwecken wird gestattet. Abgaben und Steuern an andere Kirchen können nicht verlangt werden, wie auch der Schutz und Beistand der staatlichen Behörde zur Einbringung von Umlagen, oder zur Erhaltung des Kultus etc. dienen wird genehmigt. Und zuletzt heißt es im § 20 wörtlich:
,,Die Deutsche Evangelische Kirche hat Anteil an den alljährlichen, von Staatswegen zur Bestreitung der Bedürfnisse der evangelischen Kirchen bestimmten Beiträgen." |
Im ganzen gesehen, waren mit diesen Bestimmungen günstige Verhältnisse der Kirche zum Staat geschaffen, die jeden staatskirchlichen aber auch klerikalen Charakter abgelegt hatten.
Im 3. Teil geht es um die Rechtsnachfolgeschaft der Kirche nach der alten evangelischen Kirche A. u. H. B. im ehemaligen Österreich, bei welcher die Obliegenheiten des ehemaligen (staatlichen) k. k. evangelischen Oberkirchenrates auf die Kirchenleitung der Deutschen Evangelischen Kirche übergehen, die aber in der Kirchenverfassung ihre nähere Regelung finden. Aber auch alles Vermögen, alle Anstalten, Stiftungen und Fonds, welche die Kirchengemeinden der Deutschen Evangelischen Kirche von der ehemaligen Kirche in Österreich innehatten, gehen ganz bzw. verhältnismäßig in deren Besitz und Verwaltung über. Auch steht der Deutschen evangelischen Kirche ein verhältnismäßiger Anspruch auf das Vermögen der ev. Kirche A. u. H. B. im ehemaligen Österreich einschließlich ihrer Anstalten und Fonds zu. Diese ,,Grundbestimmungen" wurden am 20. Dezember 1922 sowie die Kirchenverfassung am 4. Juli 1924 durch den Minister für Schulwesen und Volkskultur Markoviè bestätigt.
Es dauerte also einige Jahre bis die neue Kirchenverfassung in Gültigkeit trat, so daß die neue Ordnung der Kirche sich an den bereits genehmigten Grundbestimmungen und an der diesen Bestimmungen angepaßten alten Kirchenverfassung vom Jahre 1891 orientierte. Diese Grundbestimmungen wurden in der ersten Nummer des ,,Amtsblattes der Deutschen Evangelischen Kirchenleitung für Böhmen, Mähren und Schlesien", Heft 1, Gablonz a. N. den 1. Februar 1923 Jahrgang 1 Seite 2 f. veröffentlicht. Als Nr. 1 auf der ersten Seite des Amtsblattes steht die ,,Genehmigung" der Kirche seitens des èsl. Staates. In diesem Sinne ist auch die Tagebuch-Notiz Wehrenfennigs zu
,,1920 1. März: erfuhr ich beim Sektionschef Franz Danovsky, daß unsere Kirche schon anerkannt ist. Das war geschehen im Februar 1920, Zahl 58.596/19 Zl. 329 durch das Ministerium."
Inzwischen erreichte den Präsidenten noch die Nachricht vom Tode des Pfarrers Johannes Stuber vom 20. Februar 1920. Stuber war am 29. März 1864 geboren, wurde im Jahr 1891 ordiniert und war seit dem Jahr 1907 im Amt in der Gemeinde Jägerndorf, die seit 1882 eine Filialgemeinde von Troppau war. Sie hatte etwa 1000 Seelen und gehörte zum Schlesischen Seniorat der ehemaligen Mährisch-Schlesischen Superintendenz. Durch die Abtretung der Gemeinden um Bielitz und z. T. um Teschen an den neuen polnischen Staat, wurde das schlesische Seniorat, jetzt Kirchenkreis, wesentlich kleiner. Der zuständige Senior bzw. Kirchenrat war Pfarrer Martin Theodor Haase, der sein 50jähriges Amts Jubiläum im Jahre 1921 feierte. Er hielt wohl auch das Begräbnis des Jägerndorfer Pfarrers Stuber.[56]
[26] In der Endfassung der Kirchenverfassung (1924) ist unter den §§ 254 und 255 die Zusammensetzung und Wahl der Beiräte der Kirchenleitung, sowie des Ständigen Kirchenausschusses angegeben. Vom Kirchentag werden vier Beiräte (1. Verfassungs- und Verwaltungsangelegenheiten, 2. Wirtschaftsangelegenheiten, 3. Schul- und Unterrichtswesen, 4. Kirchenpflege) mit je 3 Mitgliedern gewählt. Die Obmänner der vier viergliederigen Gremien bilden den Ständigen Kirchenausschuß, was etwa dem früheren Synodalausschuß entspräche. Wehrenfennig meint wohl in seiner Aufzeichnung mit den ,,vereinigten Kirchenausschüssen" diesen ständigen Ausschuß, der seine Bezeichnung wohl erst im Laufe der Überarbeitung erhielt.
Die Ascher Anschlußfrage ist eine typische Frage des Überganges von der alten Kirche zur neuen Kirche. Das sogenannte Ascher-Ländchen hatte immer ein Eigenleben, das seinen Ursprung nicht nur in der besonderen landschaftlichen Lage als äußerster Westzipfel Böhmens hatte, sondern auch abdachungsmäßig nach Sachsen (Elster) und nicht nach Böhmen (Eger) ausgerichtet war. Dazu kam die geschichtliche Besonderheit dieser Herrschaft der Grafen von Zedtwitz. Diese Herrschaft war ein Kronlehen des Königreiches Böhmen, dessen Besitzer seit der Vereinigung der Krone Böhmens mit dem Hause Habsburg Vasallen und Untertanen dieses Hauses wurden. Sie strebten jedoch die Reichsunmittelbarkeit an und gerieten darüber in Streit mit der Krone Böhmens. Als sie ihr Ziel nicht erreichten, unterwarfen sie sich ihrem Landesherren im Jahre 1775, der ihnen und ihren Untertanen einige Begünstigungen gewährte, die in einem Hofkanzleidekret niedergelegt wurden. Dieses bestimmte:
1. daß die Familie Zedtwitz als die Besitzer der Herrschaft Asch, in der
freien Ausübung des A. B. nicht gestört und in der bis dahin
bestehenden Ausübung der jurium ecclesiasticorum et circa sacra nicht
gehindert werde; 2. daß für die ad forum ecciesiasticum einschlagenden Angelegenheiten ein eigenes Consistorium zu Asch bestellt werde, von welchem der Instanzenzug an die ,,k. Appellationskammer" (später an die k. k. Statthalterei in Prag), und weiter an die ,,höchste Hofstelle" (jetzt das k. k. Staatsministerium) zu nehmen sei; 3. daß bei allen diesen Stellen ,,secundum principia Augustanae confessionis in judicando" vorzugehen sei; 4. daß sich jedoch der Monarch das jus summum circa sacra vorbehalte. |
Als sich die evangelische Generalsynode A. C. im Jahre 1864 konstituierte, erschienen die Vertreter des Distriktes Asch nicht. Sie meinten, es würden immer noch jene Verhältnisse gelten, die das Hofkanzleidekret beschrieb. Die Generalsynode A. C. indessen vertrat den Standpunkt, daß das allerhöchste Patent vom 8. April 1861 samt der Ministerialverordnung vom 9. 4. 1861 Reichsgesetze wären, ordentlich publiziert wurden und ausdrücklich auch für das Königreich Böhmen als geltend erklärt wurden. Deshalb stellte sie das Ansuchen an das Hohe k. k. Staatsministerium am 9. 7. 1864 ,,Hochdasselbe wolle entsprechende Einleitung treffen, daß die Evangelischen des Bezirkes Asch baldigst der Wohlthaten des A. H. Patentes vom 8. April 1861 und der darauf begründeten Kirchenverfassung in vollem Umfange theilhaftig werden." Das k. k. Ministerium hat dann ,,mittelst allerhöchster Entschließung vom 5. Dezember 1869" (Erlaß 11676/1869) die Auflösung der damaligen Sonderverfassung der evang. Glaubensgenossen im Ascher Gebiete auf Grund des Patentes 1861 veranlaßt. Die Ascher Glaubensgenossen wurden in die allgemeine evang. Kirchenverfassung miteinbezogen, das Ascher Konsistorium wurde aufgelöst, so daß die Glaubensgenossen in den Verband des betreffenden Seniorates einbezogen sind und damit auch mittelbar der zuständigen Superintendenz unterstehen und so den höchsten Organen der Gesamtgemeinde der evang. Kirche in Österreich unterstehen. In einem weiteren Erlaß erfolgt noch eine rücksichtsvolle Durchführungsverordnung, damit der Erlaß nicht aussehe wie ein Octroy. Das war der Sachverhalt der Ascher Glaubensgenossen. Sie hatten rechtlich keinen anderen Status als alle übrigen deutschen Evangelischen in Böhmen, Mähren und Schlesien.[57]
[27] Freilich mag diese besondere Vergangenheit nur im Hintergrunde der Vorbehalte bezüglich ihres Anschlusses an die deutsche evangelische Kirche gewesen sein. Tatsächlich waren es andere Gründe, denen aber ihre ,,gesegnete Eigenbrödelei" unbewußt entgegengekommen war. Sie gaben in diesem Falle an, daß ihr Abseits zur neuen evangelischen Kirche einer Verbindung mit der bayerischen Landeskirche dienlich sei, zumal ihr Pfarrer Dr. Georg Held aus Bayern stammte und überdies es im Jahre 1920 immer noch die Hoffnung gab, daß der deutsche Teil des böhmischen Landes vielleicht doch noch abgetrennt werden könnte und an Deutschland anzuschließen sei. Der ,,Friedensvertrag" von St. Germain war ja noch kein halbes Jahr alt. (10. Sept. 1919) Zum anderen befürchteten die Glaubensgenossen der drei Ascher Gemeinden, sie würden auf Grund ihrer Leistungsfähigkeit finanziell zu stark für den Ausbau der Gesamtkirche herangezogen werden, da diese meistens aus armen Diasporagemeinden bestand. Jedenfalls beschloß noch am 3. Mai 1920 die Superintendentur mit ihren drei Gemeinden der Gesamtgemeinde der neuen evangelischen Kirche ferne zu bleiben. Einen solchen Beschluß, der dann doch eintrat, suchte Senior Wehrenfennig mit seinen vereinigten Kirchenausschüssen noch im April desselben Jahres zu verhindern.[58] Leider hatten diese Besprechungen keinen Erfolg gebracht, aber langsam kam doch auch in Asch ein Einsehen. Am 15. November 1923 konstituierte sich in der ersten Kirchenkreisversammlung zu Asch der Ascher Kirchenkreis, was bedeutet, daß die Ascher nun doch die neue Kirche mit ihren Ordnungen aber auch Verpflichtungen anerkannten. Am 6. Jänner 1924 wurde Pfr. Ringulf Siegmund in Roßbach als Kirchenrat installiert, nachdem er in der 3. Kirchenkreisversammlung am 1. Mai 1923 in Eger zum Kirchenrat gewählt worden war. Und am 27. 4. 1924 wurde nun auch Dr. Georg Held als Kirchenrat in Asch installiert (Zl. 117 v. 3.4.1924). Insgesamt aber wurde die Ascher Frage erst im Jahre 1926 (am 3. Kirchentag in seiner 5. Sitzung am 28. September gelöst. Die Mitteilung im Amtsblatt erfolgte unter Zahl 3114/27 (Abl. v. 1. 2. 1928, Jgg. 6, Nr. 6).[59] Sie lautet:
Ascher Sonderrechte Die Kirchenleitung hatte im Jahre 1922 einvernehmlich mit dem Ständigen Kirchenausschuß Vereinbarungen mit der Evangelischen Kirchengemeinde Asch getroffen, die sich auf den Anschluß dieser, einen eigenen Kirchenkreis bildenden Gemeinde an unsere Kirche und auf ihre Unterstellung unter die Kirchenleitung bezogen. Die Gemeinde Asch hat auf diese ihre Sonderrechte verzichtet. Dagegen hat der 3. Kirchentag in seiner 5. Sitzung vom 28. September 1926 der Kirchengemeinde Asch dauernd eine Mitgliedsstelle in der Kirchenleitung eingeräumt. Dieses Mitglied wurde auf diesem Kirchentage und wird auf allen folgenden Kirchentagen auf Grund und im Rahmen eines von der Kirchengemeinde Asch erstatteten Dreiervorschlages, der jedoch mindestens 2 weltliche Vertreter zu nennen hat, verfassungsmäßig gewählt. Dieser Beschluß kann in Hinkunft nur mit Zustimmung der Kirchengemeinde Asch geändert werden. Hievon geschieht die Verlautbarung.
Deutsche Evangelische Kirchenleitung. |
In der Angelegenheit der Kirchenverfassung lagen neben den sogenannten ,,Grundbestimmungen" noch Vorlagen von Senior Gustav Fischer und von Pfr. E. Stökl aus Wien vor, der im ,,Deutschen Glauben" Leitsätze über den Umbau der Kirchenverfassung veröffentlichte. Sie sind im folgenden als Beilage abgedruckt und stellen somit die erste amtliche Veröffentlichung der Deutschen Evangelischen Kirchenleitung für Böhmen, Mähren und Schlesien in ihren Amtsblatt unter Nr. 1 im 1. Jahrgang, 1. Heft vom 1. Februar 1923 dar. [28]
Auch Pfarrer Schreiber aus Falkenau schrieb seine Bemerkungen zum Kirchenverfassungsentwurf im Maiheft 1920 des ,,Deutschen Glaubens". Man wollte ja bis gegen Ende dieses Jahres mit den Vorbereitungen soweit sein, daß alle Stellungnahmen seitens der Kirchenvorstände der Kirchenkreisämter etc. durchgearbeitet waren um beim kommenden Kirchentag einen einigen Beschluß darüber zu fassen.[60]
Wegen der staatlichen Beiträge an die Kirchen sollte nun verhandelt werden. Aus diesem Anlaß notiert Senior Wehrenfennig:
,,1920 16. April erhalten wir die erste offizielle Zuschrift des Synodalrates der tschechisch-brüderischen Kirche"
und:
,,1920 19. April vereinigte Sitzung unserer Kirchenleitung mit dem Synodalrat der tschechisch-brüderischen Kirche in Prag. Dabei wurde die Staatsunterstützung aufgeteilt. Es sollen die tschechisch-brüderischen Gemeinden 300.000 Kronen bekommen und dann wird der Rest nach dem Schlüssel verteilt: 35% zu 65%."
Es blieb wohl der tschechisch-brüderischen Kirche nichts anderes übrig als die ebenfalls neuentstandene Deutsche Evangelische Kirche anzuerkennen, nachdem bereits am 1. März des Jahres 1920 diese durch das zuständige Ministerium anerkannt worden war. Die Einladung zu der gemeinsamen Sitzung bestätigt dies. Sehr bald also hatte sich die neue Staatskassa auch dem religiösen Leben geöffnet. Gab es doch in der Tschechoslowakei 10,384.860 Katholiken in 14 Diözesen, deren Grenzen durchaus nicht mit den Staatsgrenzen übereinstimmten. Aber auch zur Griechisch-katholischen (unierten Kirche mit Rom) Kirche bekannten sich 1921 eine halbe Million Einwohner. Die Böhmischen Brüder zählten 234.000 Seelen, während die tschechische Brüderkirche im Jahr 1920 rund 200.000 Angehörige zählte.[63] [29]
Anscheinend hatte das Ministerium dieser Kirche neben einem festen Betrag von 300.000 Kronen noch einen weiteren Betrag zur Verfügung gestellt, der zwischen ihr und der Deutschen Evangelischen Kirche nach dem schon genannten Schlüssel aufgeteilt werden sollte. Ob nun diese Aufteilung der Staatsmittel für gerecht oder ungerecht seitens der Deutschen empfunden wurde, ist uns nicht bekannt. Jedenfalls bemühte sich die deutsche Kirchenleitung sofort um weitere Geldquellen. Ob es damals schon Beiträge unter der Bezeichnung ,,Kongrua" gegeben hat, ist kaum anzunehmen, da der èsl. Staat in vieler Hinsicht sich nicht an das mit dem ehemaligen Österreich abgeschlossene Konkordat hielt und selbst erst im Jahre 1928 ein solches mit der Bezeichnung ,,Modus vivendi" abschloß.[64]
,,1920 13. Mai: Prof. Morehead vom National Lutheran Council of America schrieb aus Berlin einen Brief, worin er keine Hilfe zusagen kann, weil wir mit den lutherischen Grundsätzen des National Council nicht zu harmonieren scheinen."
Nach dem kommenden Kirchentag dieses Jahres, stellte sich auch die Bekenntnislage der Kirche als ,,Lutherische" deutlich heraus, obwohl sie das Bekenntnis nicht in ihren Namen aufnahm. Von da an ergab sich ein ausgezeichnetes und hilfreiches Verhältnis zum Lutheran Council.[65]
So wie sich die katholischen Diözesangrenzen nicht an die Grenzen der neuen Tschechoslowakei hielten, sondern ihre traditionellen Bereiche einhielten, gab es auch auf evangelischer Seite Grenzgebiete, die politisch zur È.S.R. kirchlich aber zu Deutschland (Schlesien) gehörten. Solange Böhmen zu Österreich gehörte, wurden gewisse Grenzorte von der evangelischen Kirche in Schlesien versorgt, was anscheinend nach dem Herrschaftswechsel bei der tschechischen Regierung nicht mehr möglich war. So mußten nun von der Deutschen Evangelischen Kirche Maßnahmen zur Wahrnehmung der cura animarum in diesen Grenzorten getroffen werden. Senior Wehrenfennig schreibt:
,,1920 11. Mai: Sitzung in Friedland (ca. 25 km nördlich von Reichenberg) mit den Pfarrern von Reichenau, Weigsdorf, Seidenberg, Markt Lissa, wegen Pastorisierung der Grenzgebiete, die politisch zu Böhmen gehören und kirchlich zu Deutschland (Zittau in Sachsen)."
Es muß angenommen werden, daß dieses Gespräch zu aller Zufriedenheit eine Lösung brachte, die weder die Hoheitsrechte der derzeitigen Machthaber Böhmens noch die Obsorge der sächsischen Kirche verletzte, sondern zum Segen der betroffenen [30] evangelischen Grenzler ausging. Es war seitdem nichts mehr über dieses Problem zu hören.
Der 17. Mai war für Senior Wehrenfennig ein Glückstag. Der ,,Deutsche Glaube" (1920/6, 154) schreibt: Der schwedische Gustav-Adolf-Verein in Stockholm hat der deutschen evangelischen Kirchenleitung in Gablonz a. N. 6500 schwedische Kronen = 62.000 Kè bewilligt. Aus dem Lande Gustav Adolfs kam einst Hilfe für die deutsche evangelische Not. Auch für unsere Not kommt die erste tröstende Antwort aus dem Norden.
Und der Präsident Wehrenfennig notiert:
,,1920 17. Mai: sendet der Gustav-Adolf-Verein in Stockholm 6500 schwed. Kronen als Hilfe."
Gott sei gedankt! Wofür sie am dringlichsten waren, wußte Wehrenfennig ganz genau. Aber auch die nächste kurze Eintragung ist erfreulich:
,,1920 7. Juni: laufen die genehmigten Satzungen des evangelischen Gustav-Adolf Hauptvereins der èsl. Rupublik ein, genehmigt durch das Ministerium des Inneren (Erlaß 17721 v. 2.4.1920) und durch die politische Landesverwaltung (Zl. 8 A 553/2 ai 1920, 118 096 v. 23. 4. 1920)."
Es ist kaum vorstellbar, daß die Diasporakirche des ehemaligen Österreich, gleichgültig welcher Nationalität die Glaubensgenossen und welches Bekenntnisstandes die Gemeinden waren, ohne die Hilfe dieses segensreichen Vereines hätten existieren können. Senior Wehrenfennig berichtet noch aus seiner Vikars- und Pfarrerzeit in Trautenau, daß er dort nur mit Hilfe des Gustav-Adolf-Vereines den äußeren Aufbau dieser zuletzt 1139 Seelen zählenden Gemeinde durchführen konnte. Sein zu einer innigen Verbindung mit dem Gustav-Adolf-Verein gewachsenes Verhältnis schildert Wehrenfennig folgendermaßen:
,,Ich suchte die Hilfe der Gustav-Adolf-Vereine und fand sie bei
Oberkonsistorialrat Dr. Dibelius in Dresden und beim Präsidenten Pank.
Doch mein erstes Gustav-Adolf-Fest machte ich in Frankenberg in Sachsen mit.
Hofprediger Kessler hielt die Predigt, die auf mich einen tiefen Eindruck
machte. Er sprach von den Salzburger Emigranten. Da hörte ich zum ersten
Mal im Gottesdienst die Posaunenbegleitung der Choräle. Ich war innerlich
ganz aufgerührt und gedachte unserer Armut in der Diaspora! Als mit dem
Mittagessen das Fest schließen sollte, wurde ich sehr traurig, ich war
nicht zu Wort gekommen. Und nun sollte ich heimkehren. Da wurde von Hofprediger
Kessler von der Diaspora gesprochen. Ich bat meine Amtsbrüder aus der
Diaspora, daß sie mich antworten lassen mögen und begann zu sprechen.
Bei der Schilderung unserer Armut kam ich bald ins Stocken und hörte auf.
Ich setzte mich, aber Kessler erhob sich und sagte: ,,Als ich Erzieher der
kaiserlichen Prinzen war und im Religionsunterricht das Lied vorkam ,Jerusalem,
droben vom Golde erbaut...', da sagte spontan Prinz Eitel Fritz: ,Wenn ich
einmal in den Himmel komm', dann nehme ich alles Gold, das ich da finde und
werfe es auf die Armen von Berlin herab'." Kessler sprachs, nahm einen leeren
Teller und ging mit den Worten - an den Stühlen der Tischgäste vorbei
- : ,,Und wir wollen nun alles Gold, das wir haben, auf die Armen von Trautenau
werfen." ... Dann brachte er mir den Teller, dessen Boden mit lauter
Goldstücken gefüllt war. Das war mein erstes Gustav-Adolf-Erlebnis.
Auf einem anderen Fest sprach Präsident Pank zu mir: ,,Junger Mann, machen Sie was Sie wollen, wir stehen hinter Ihnen." Als ich Geheimrat Fricke besuchte und um 300 RM als Zuschuß zum Pfarrgehalt [31] bat, damit wir zur Pfarrwahl schreiten können, war er zunächst ablehnend. Dann fragte er plötzlich: ,,Also, Sie sind aus Trautenau? Da war ich doch Feldgeistlicher!" Und nun erzählte er von den dortigen Gefechten. Seine liebe Gattin mahnte zweimal an das Mittagessen. Er sagte: ,,Ich komme schon" ... und sprach weiter zu mir. Aber endlich stand ich auf und sagte: ,,Herr Geheimrat, ich kann nicht mehr bleiben, ich bringe Sie um Ihre Mahlzeit." Da verabschiedete er mich mit den Worten: ,,Die 300 RM soll Trautenau haben auf 3 Jahre." Ein wunderbares Erlebnis war es auch, als Oberhofprediger Dibelius in Löbau über die Hauptliebesgabe abstimmen ließ und eine Stimme nicht für Trautenau stimmte. Wie böse er da werden konnte, weil die Einmütigkeit der Abstimmung gestört war. Wir erhielten damals 7000 RM. Durch Dibelius wurde Trautenau auch für die Hauptliebesgabe in Berlin angesetzt. Wir waren damals noch Filiale und es war gegen den Brauch. Der Vorsitzende des Wiener Hauptvereins fuhr nach Berlin, um zu protestieren, aber wir blieben im Dreiervorschlag. Freilich bekamen wir nur den Trostpreis, aber auch der war groß genug. Ich habe in der Gustav-Adolf-Gemeinschaft unendlich viel mich Bewegendes erlebt. Durch ihre Hilfe konnte ich den Bau dreier Kirchen möglich machen. In Trautenau, in Neudorf bei Gablonz, und in Kronsdorf in Schlesien, wo schon mein Vater eine Filiale betreute. Der Zentralvorstand von Leipzig hat mich gewürdigt, ein Mitglied dieser Körperschaft zu werden und ich durfte ihr 9 Jahre angehören. Ich habe alle Präsidenten von Fricke bis auf Dr. Heinzelmann persönlich erlebt. Und den jetzigen Präsidenten D. Lau lernte ich von Stollberg aus kennen und schätzen, als er die Landeskirche leitete. Wie konnte sich im Verkehr mit diesen Persönlichkeiten und in diesen hochbedeutsamen Sitzungen, an denen ich teilnehmen durfte, mein Blick weiten. Wie lernte ich die evangelischen Kirchen in Deutschland in ihren Sorgen und Problemen verstehen. Wieviel Kräfte, Anregungen und Liebe strömte aus der Gustav-Adolf-Gemeinschaft in meine Kirche ein. Wir waren Aussaat und Ernte des Gustav-Adolf-Werkes."x66 |
Nun waren also die Satzungen des Gustav-Adolf-Vereines genehmigt und die Gemeinden konnten ihre Sammlungen durchführen. Zwei Drittel wurde an den Hauptverein abgeführt und ein Drittel wurde bei den Gustav-Adolf-Festen in drei Teilen (Terno) den notleidenden Gemeinden auf Grund ihrer Ansuchen zugeteilt. Fast wichtiger war noch, daß die Deutsche Evangelische Kirche nun auch in die große Gustav-Adolf-Familie und ihre Diasporaarbeit miteinbezogen wurde. Dies war auch ein rechtes Bindeglied zu den evangelischen Kirchen im Mutterland der Reformation.
Die Nachkriegsarmut der evangelischen Gemeinden in den Sudetenländern war unvorstellbar, denn es waren ja nicht nur die Gemeinden, sondern die Menschen selbst durch den Krieg und durch den Kriegsausgang verarmt. Da war einmal die Nichtanerkennung der österreichischen Kriegsanleihe, die selbstverständlich seitens der deutschen Bevölkerung in Böhmen, Mähren und Schlesien gezeichnet worden war. Während sich die Tschechen an der Zeichnung mit einer Milliarde Kronen so gut wie fast nicht beteiligten, entfielen auf das sudetendeutsche Gebiet allein etwa 6 - 7 Milliarden Kronen. Diese Schuld wurde nun vom tschechischen Staat nicht anerkannt. Überdies wurde der Kriegsanleihebesitz mit in die Grundlage zur Bemessung der Vermögensabgabe mit einbezogen. Unzählige Existenzen wurden dadurch sogleich vernichtet, unzähligen Produktionsstätten wurde das Betriebskapital genommen, zahlreiche Geldinstitute mußten ihre Schalter schließen.[68] Eine rücksichtslose Inflation sowie Bodenreform [32] taten ein übriges, die Deutschen in den Sudetenländern zu schädigen. Allein der enteignete deutsche landwirtschaftliche Boden hätte 25.000 Bauernfamilien eine Existenz geboten. Ungezählte Tausende deutscher Wald- und Landarbeiter haben ihren Arbeitsplatz verloren, während in ihre Stellungen tschechische Grenzler und tschechische Kolonisten mit staatlicher Unterstützung eindrangen. In den ©kodawerken fanden Massenentlassungen deutscher Ingenieure statt. Bis zum Jahr 1924 wurden trotz bestandener Sprachprüfung, die von öffentlichen Angestellten verlangt wurde, 7000 deutsche Eisenbahner und 40.000 Postangestellte entlassen. Die Bewerbung um Arbeitsplätze, Konzessionen, Posten im öffentlichen Dienst fielen immer zu Gunsten von tschechischen Aspiranten aus. Staatsaufträge gingen grundsätzlich an tschechische Unternehmer, und deutsche Beamte und Angestellte wurden grundlos in rein tschechische Gebiete versetzt, wo es für die Kinder keine deutsche Schule gab und auch das gesellschaftliche Leben nur von Tschechen bestimmt wurde.[69]
Besonders fühlbar wurde die auf Armut zielende Politik auf dem Gebiet des Schulwesens. Und da wieder besonders in den deutschen evangelischen Gemeinden.[70]
Die tschechoslowakische Republik hatte schon vor der Konstituierung ihres Parlaments in der Nationalversammlung vom 22. 1. 1920 die Verfassung (29.2.1920) sowie das Sprachengesetz, das Schulgesetz und das Gesetz über die Bodenreform erlassen. Im großen Ganzen blieb es bei der gesetzlichen Grundlage des ehemaligen Österreichischen Schulgesetzes vom Jahre 1868 und 1869 (Reichsvolksschulgesetz), so daß sich die bisherigen ,,evangelischen Gemeindeschulen", soweit die Gemeinden finanziell dazu in der Lage waren, weiter erhalten konnten. Freilich kostete dies unerhörte Anstrengungen der Schulerhalter, wie z. B. aus verschiedenen Gemeinden berichtet wird:
Ein besonderes Wort ist noch über die in den Schulen und den Anstalten der Inneren Mission geleistete Erziehungs- und Pflegearbeit zu sagen. Alle 10 evangelischen Gemeindeschulen konnten aufrecht erhalten werden. Eine gewaltige Leistung, wenn man überlegt, um wieviel höher ein Lehrergehalt heute ist, als noch vor fünf, sechs Jahren! Das Gefühl freudigen Stolzes, das bei der Feier des 60jährigen Bestandes der deutschen evangelischen Gemeindeschule in Aussig zum Ausdruck kam, ist sicherlich in allen unseren Gemeinden mit eigenen evangelischen Schulen zu finden. Doch sei neben dem Großen, was die evangelischen Schulen zum Wohle unserer Kirche leisten durften, die noch umfangreichere, wenn auch weniger in die Augen fallende Arbeit nicht vergessen, die in zahllosen Schulstuben in Stadt und Land von unseren Pfarrern, Vikaren und Lehrern an unserer heranwachsenden Jugend getan worden ist, von der nun einmal neun Zehntel ihre religiöse Unterweisung nicht in eigenen Gemeindeschulen, sondern nur im Rahmen des allgemeinen öffentlichen Schulunterrichts empfangen kann. Glücklich jede Gemeinde, die wie Karisthal in Schlesien in der Lage ist, für diesen Religionsunterricht einen eigenen Religionslehrer anzustellen! Wie viele Seelsorger sehen sich hier in ihren weitverzweigten Gemeinden doch noch immer vor Aufgaben gestellt, die sie neben allen anderen, was auf ihnen liegt, einfach nicht erfüllen können."[71] |
Daß sich aber auch Senior Wehrenfennig in seiner Gemeinde Gablonz für die evangelische Schule eingesetzt hat, zeigt folgender Bericht:
Gablonz a. N. (Für unsere Schule.) Der Krieg und seine
Folgen, darunter die tiefe Entwertung des Geldes, haben die Ausgaben der
Gemeinde ungewöhnlich erhöht. Der größte Tender Lasten
rührt von der Erhaltung der Gemeindeschulen her. Auf Beschluß des
Presbyteriums und der Gemeinde-Vertretung sollte die ganze Gemeinde zu
der Frage Stellung nehmen, ob sie den Willen hat, ihre Schule, welche im Jahre
1912 ihr 50jähriges Jubelfest feierte, ungescheut der andauernden hohen
Kosten auch weiterhin zu erhalten. Am Montag den 29. Dezember wurde diese Sache
vorgelegt und ein freudiges, einstimmiges ,,Ja, wir wollen!" war die Antwort.
Nach der Begrüßung der Versammelten durch den Kurator, Herrn Franz Dahm, und nach einigen musikalischen Darbietungen gab der Kassier, Herr Georg Klaar, ein [33] ungeschminktes und verständliches Bild von der Geldlage der Gemeinde Gablonz, aus dem folgendes festgehalten sei: Die Gehälter der Lehrer werden im Jahre 1920 ungefähr 59.000 K ausmachen. Die Beheizung der Schule kostet 1919 9000 K. Da die Bezüge der Kirchenbeamten auch entsprechend erhöht werden müssen, werden die Gesamtausgaben unserer Gemeinde im Jahre 1920 rund 100.000 K betragen. Wenn wir die Schule erhalten wollen, dann werden wir die Gemeindebeiträge ganz gewaltig steigern müssen. Nun fragte Herr Klaar: ,,Sind wir gesonnen, das Bestehende zu erhalten? Oder sind wir gesunken und erschlafft, so daß wir tatlos den Dingen ihren Lauf lassen? Je mehr jemand für eine gute Sache opfert, desto mehr ist sie ihm wert und desto höher schlägt sein Leben. Die Gemeinde hat die Schule aus kleinen Anfängen auf ihre jetzige Höhe gebracht und wir sind stolz auf sie. Aber eine Gemeindeschule hat nur dann Wert, wenn sie erstklassig ist. Eine minderwertige Schule wäre Energie-Vergeudung. In dieser Erkenntnis haben wir immer getan, was notwendig war." Dann ergriff der Herr Landes-Pfarrer Wehrenfennig das Wort und führte in längerer Ausführung den Anwesenden die Bedeutung der evang. Gemeinde-Schule vor die Seele. Er sagte u. a.: ,,Wir wollen uns heute nicht in eine falsche Begeisterung versetzen, sondern nüchterne Tatsachen sprechen lassen; denn unsere Beschlüsse sollen Dauer haben. Von altersher war es das Ideal einer evangel. Gemeinde, eine Schule zu haben. Die evang. Kirche kann nur mit geistiger Kraft (mit der Freude am Lichte der Wahrheit) wirken; sie kann nicht auf Staatsgewalt pochen. Die tapferen Gemeinden, die sich auch durch die liberale Zeit - nach 1869 - ihr Kleinod, die Schule, gewahrt haben, sind vorbildlich für andere Gemeinden geworden. Die evangel. Kirche steht auf dem Boden des allgemeinen Priestertums und sie ist stets eine demokratische Gemeinschaft gewesen. Darum ist eine evang. Schule nicht klerikal. Wir schätzen unser Bekenntnis als Sache des Gewissens und der Weltanschauung. In der deutschen evangel. Gemeindeschule wird niemand der Jugend diesen Schatz rauben. Die Gemeindepflege des Seelsorgers würde durch die Auflassung der Schule sehr erschwert, der Religionsunterricht bei den (in den verschiedenen öffentlichen Schulen) ,,verlaufenen Schäflein" wäre dann furchtbar ermüdend und unfruchtbar. Das Kind braucht den Frieden des Hauses und die Geheimnisse der Religion - wie ja das Kind überhaupt das Geheimnis braucht! - Daß ihm dies erhalten bleibt, dafür bietet die evang. Gemeindeschule eine weit größere Bürgschaft als die allgemeine Schule, deren Weiterentwicklung in diesem Belange wir noch nicht kennen." Alle Redner, die in der Wechselrede das Wort ergriffen, gaben der Zuversicht Ausdruck, daß die Kosten sicher aufzubringen sein werden, da sich die Gemeinde mit dem Gedanken, die Schule, für welche die früheren Geschlechter gesorgt und geopfert haben, aufzulassen, unmöglich befreunden könne. Endlich wurde folgende Entschließung einstimmig angenommen: ,,Die Teilnehmer des großen evangel. Gemeinde-Abends wünschen und verlangen, daß Presbyterium und Gemeindevertretung alles daransetzen, um der Gemeinde die Schule unter allen Umständen zu erhalten und sie verpflichten sich ernstlich, jeder an seinem Teil, dafür zu wirken, daß die nötigen großen Opfer von allen freudig getragen werden in Erkenntnis der großen Bedeutung unserer Schule als Hort unseres Glaubens- und Volkstums gerade in der jetzigen Zeit und in Erkenntnis dessen, was unsere Schule für unsere Vorfahren war und in der Zukunft für unsere Nachkommen sein wird." Die 1. Strophe des Lutherliedes ,,Ein' feste Burg" besiegelte dieses entschlossene und erhebende Bekenntnis.[72]
Wie stellen sich die evangelischen Gemeinden zu dem neuesten Lehrergehaltsgesetze? Um nur einige Beispiele herauszugreifen, standen bis zum 1. September 1919 evangelische Lehrkräfte den staatlichen Lehrern in folgendem Ausmaße nach (Teuerungs- und Anschaffungsbeiträge mit eingerechnet): Aussig: Frl. Friesleben 4700 gegen 5964; also um 1264 K. [34] Bodenbach: Rollwagen 4480 gegen rund 8000; also um 3520 K. Eger: Harlfinger 3252 gegen rund 6300; also um 3000 K. Haber und Rosendorf: Werner und Schindler je 2200 gegen über 8000; also um 6000 K. Brünn: annähernd gleich. Hermannseifen: Völpel um den Anschaffungsbeitrag von rund 2000 K. Prag: Repp, Schmidt, Bäcker durchschnittlich 7200 gegen 10.300; also um rund 3100 K. Gablonz: gleich! Teplitz: Lindemann, Rößler um rund 3000 K. Nach dem 1. September 1919 gilt das Gesetz vom 7. Oktober 1919, mit welchem das staatliche Einkommen aller oben zum Vergleich herangezogenen Personen sich erhöht: bei 5-15 Dienstjahren um rund 2000 K, bei 15-25 um rund 4000 K, bei 25-35 um rund 6000 K. Die Erhöhung der Gehälter der evangelischen Lehrer ist hoffentlich überall im Gange. Gablonz will auch wieder volle Bezüge gewähren. Über Prag wurde bereits im vorigen Heft berichtet. Bäcker.[73] |
Während die kirchlichen Gemeindeschulen nur unter der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen Lage indirekt litten und durch ihren privaten Status gleichsam in ihrer Existenz geschützt waren, kamen die öffentlichen deutschen Schulen auf Grund des Schulgesetzes in beabsichtigte Existenznöte.
Seit dem Umsturze wurde das deutsche Volksschulwesen durch die Auflassung von 3618 Schulklassen (darunter 300 selbständigen Schulen) ungemein schwer geschädigt. Die Schulbehörden begründen diese Maßregeln mit Ersparungsrücksichten und mit dem Sinken der Schülerzahl. Sie ließen wohl auch tschechische Klassen auf, errichteten aber dafür beiläufig 1000 neue tschechische Schulen mit annähernd 2000 Klassen als ,,Minderheitsschulen" im deutschen Sprachgebiete, so daß es gegenwärtig (Anfang des Schulj. 1925/26) viel mehr tschechische Schulen gibt als vor 1918, deutsche aber um ein Viertel weniger. Von diesen Klassenauflassungen und von dieser Durchsetzung mit Minderheitsschulen sind namentlich die deutschen Gemeinden in der Nähe der Sprachgrenze, die Sprachinseln, vor allem die von Iglau und die größeren Orte betroffen.
Die tschechische ,,Revue für Wissenschaft, Kunst und soziales Leben", ,,Na¹e doba" (Unsere Zeit) schrieb 1925 auf S.429-432 gegen diese Schulauflassungen; gerade in Klassen mit geringerer Schülerzahl wäre der Lehrer imstande, zu zeigen, was er leisten könne, darum wäre die Ausnützung dieser Gelegenheit nur im Sinne der neuzeitlichen Pädagogik gelegen; und wozu Klassen und Schulen auflassen, wenn man diese in kurzer Zeit wieder werde errichten müssen, bis sich die Schülerzahl wieder gehoben haben wird?"
Diese 3618 aufgelösten deutschen Schulklassen machen beinahe 24% oder ein Viertel des deutschen Schulbestandes von 1918 aus. Die aufgelösten Klassen verteilen sich wie folgt:
Böhmen: Von 8.475 deutschen Kl. i. J. 1918 aufgel. 2.405
Kl. Mähren: Von 2.285 deutschen Kl. i. J. 1918 aufgel. 948 Kl. Schlesien: Von 987 deutschen Kl. i. J. 1918 aufgel. 265 Kl. Zusammen: Von 11.757 deutschen Kl. i. J. 1918 aufgel. 3.618 Kl. |
In manchen Schulbezirken kommen diese Auflösungen einer schweren Katastrophe gleich.
Dauba, Asch, Karlsbad, Landskron, Leitmeritz (26-29% der Schulklassen bereits gesperrt), Brüx, Mies, Rumburg, Schluckenau, Trautenau, Warnsdorf (30%), Neuhaus, Saaz (35%), Dux, Teplitz-Schönau (38%), Aussig, Reichenberg Stadt (40%), Reichenberg Land (44%), Deutschbrod, Gablonz (49%), Pilsen (72%), Budweis, Prag (80%). - Ähnlich ist es in den deutschen Gebieten Mährens und Schlesiens. [35]
In Böhmen, Mähren und Schlesien herrscht volle achtjährige Schulpflicht (ohne jede Erleichterung), in der Slowakei und in Karpatenrußland sechsjährige Schulpflicht. Die Schulen sind in Klassen abgeteilt, je nach der Anzahl der Lehrer, die an ihr beschäftigt sind. In den einklassigen Schulen sind alle acht Schuljahre in einer Klasse vereinigt. An zweiklassigen Schulen bilden die ersten drei Schuljahre die erste, die übrigen zusammen die zweite Klasse usw.; wo eine Bürgerschule besteht, besuchen die Schüler der drei obersten Schuljahre die drei Bürgerschulklassen. Eine Trennung nach Geschlechtern wird in der Praxis nicht vorgenommen, wenn dadurch die Klassenzahl (Qualität) der Schule geschädigt würde; denn eine fünfklassige gemischte Schule ist besser als eine dreiklassige gemischte mit einem Aufbau von je einer Knaben- und einer Mädchenklasse. Auch die Bürgerschulen und die Mittelschulen (Gymnasien und Realschulen) haben Koedukation, solange die Schülerzahl nicht zur Errichtung getrennter Anstalten hinreicht. In den drei westlichen Ländern ist die Schule interkonfessionell (schon seit 1869); in den östlichen Ländern aber werden die meisten Schulen von den Kirchengemeinden erhalten.[74]
Während innerhalb von 5 Jahren 1919 - 1924 durch verschiedene administrative Maßnahmen rund 4000 deutsche Schulklassen geschlossen wurden, kam es im gleichen Zeitraum zur Gründung von rund 1200 sogenannten ,,Minderheitsschulen für tschechische Schulkinder". Oft wurden in diesen zunächst nur die eigenen Kinder der dorthin versetzten tschechischen Beamten oder Lehrer unterrichtet, dann versuchte man deutsche Eltern durch Druck und materielle Versprechungen dazu zu bringen, ihre Kinder nicht mehr in die deutsche sondern in die tschechische Schule zu schicken. Die Bezeichnung dieser tschechischen Schulen im deutschen Gebiet als ,,Minderheitsschulen" war insofern doppelt infam, als damit nicht nur die tschechische Mehrheit zur ,,Minderheit" umfunktioniert wurde, sondern weil der tschechische Staat außenpolitisch sich damit brüstete, inzwischen soundsoviele Minderheitsschulen errichtet zu haben - eine völlige Umkehrung der Tatsachen.[76]
Nun ist das zeitgeschichtliche Umfeld der wichtigen Schulfragen für die Deutschen und auch besonders für die evangelischen Deutschen deutlich: Bei der deutschen evangelischen Schule ging es nicht nur um kirchliche Belange, wie es seit der Reformationszeit üblich war, sondern auch um nationale Existenzfragen, denn nur von 10 Gemeinden konnten die evangelischen Schüler eine deutsche evangelische Schule besuchen, die übrigen deutschen evangelischen Schüler der 56 Gemeinden waren auf die öffentlichen Schulen angewiesen. Falls ihre Diasporasituation eine doppelte war, hinsichtlich des Glaubens und der Volkszugehörigkeit, mußten deren Eltern immer befürchten, daß die deutsche Schule ihrer Kinder aufgelöst und durch eine tschechische Schule ersetzt würde. So war die Weiterexistenz einer deutschen evangelischen Schule für die Kirchenleitung durchaus eine Sorge ersten Grades, der tatkräftig abgeholfen werden mußte. So wurde der Gemeinde Haber geholfen, aber die Schulen in Karlsthal und Kleinbressel im schlesischen Kirchenkreis mußten trotz aller Anstrengung aufgegeben werden.
,,22. August: zu Karlsthal wird die Schule aufgelassen, Kleinbressel auch"
Aber nicht nur mit administrativen und finanziellen Mitteln wurden die deutschen Schulen als Zeichen nationalen kulturellen Lebens bekämpft, sondern es wurde immer wieder versucht die deutschen Schulen aus der Öffentlichkeit des tschechoslowakischen Staates mit Gewalt zu verdrängen. So berichtet der Direktor i. R. der deutschen evangelischen Schule in Prag, Franz Repp, über das Schuljahr 1920/1921:
,,Der Umsturz hatte sich bis auf einige Gewalttätigkeiten verhältnismäßig ruhig vollzogen. In der Folge wurde aber die Forderung, dem neuen Staate, insbesondere der Hauptstadt Prag wenigstens äußerlich ein ausgesprochen tschechisches Gepräge zu geben, [36] immer stürmischer. Am 16. November 1920 abends erschien vor dem Schulhause ein fanatischer tschechischer Volkshaufe, in dem sich auch mehrere Legionäre befanden. Das Haustor war bereits geschlossen. Die Tumultuanten schlugen ein Fenster der Pfarramtskanzlei ein, um durch dieses ins Haus zu gelangen. Als das Tor geöffnet war, strömte die Menge in alle Räume des Hauses vom Turnsaale bis zum Dachboden. Das Bild des Turnvaters Jahn wurde zerschlagen und sonst im Hause allerlei Unfug angerichtet. Auch in die Wohnung des Seniors Dr. Zilchert und des Pfarrers Sakrausky drang die Volksmenge ein und bedrohte beide Herren tätlich. Während ein Teil des Pöbels im Schulhause wütete, nahmen andere das große Schild über dem Haustore herab und schleppten es unter dem Gejohle der Menge fort. Sicherheitswache war weit und breit nicht zu sehen. Das Schild war schwarz und trug in Goldbuchstaben die Aufschrift: ,Deutsches evangelisches Pfarr- und Schulhaus'. Es war eines der letzten deutschen Schilder in Prag."[77]
Vom 12. bis 20. August 1920 tagte zum ersten mal in Genf eine Vorkonferenz jener Kirchen Europas und der Vereinigten Staaten, die ein gemeinsames Interesse an den Fragen des Glaubens und der Kirchenverfassung (Kirchenordnung) hatten. Eine solche gemeinsame Überlegung verschiedener Kirchen war schon im Jahre 1910 von dem Bischof der Episkopalkirche (westliche Diözese des Staates New York mit Sitz in Buffalo) Charles Henry Brent (1862 - 1929) angeregt worden, aus der sich dann die erste in Lausanne im August 1927 zu Stande gekommene Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung (faith and order) mit 394 Delegierten aus 109 Kirchen entwickelte. Bei der Vorkonferenz in Genf nahmen schon 133 Vertreter von mehr als 80 Kirchen aus 40 Ländern teil.[78] Wehrenfennig schrieb über seine Teilnahme:
,,Als die Kirchen der Welt wieder zueinander Fühlung suchten und fanden, gab es viele Weltkirchenkonferenzen. An allen nahmen die anderssprachlichen christlichen Kirchen der È.S.R. teil. Es war selbstverständlich, daß wir uns auch beteiligten."[79] |
Wehrenfennig schreibt dazu folgenden Bericht im ,,Deutschen Glauben" (1920, Heft 9/10 u. Heft 11).
Die Weltkonferenz zur Erwägung von Fragen betreffend Glauben und Kirchenordnung zu Genf vom 12. bis 21. August 1920. Bericht von Sen. Erich Wehrenfennig, Gablonz, der die Tagung mitmachte. Die Weltkonferenz zur Erwägung von Fragen betreffend Glauben und Kirchenordnung zu Genf vom 12. bis 21. August 1920 wurde von der amerikanischen protestantischen bischöflichen Kirche vorbereitet. Vertreten waren zu Genf aus 80 Kirchen und 40 Ländern 133 Persönlichkeiten. Es waren dies offizielle Vertreter der Anglikaner, Baptisten, Kongregationalisten, Jünger (Disciples), der griechisch-orthodoxen Kirchen des Morgenlandes, der Freunde, der Lutheraner (Schweden, Norwegen, Dänemark, Ungarn, Tschechoslowakei), Methodisten, der Mährischen Kirche (Brüder), Altkatholiken, Presbyterianer, Reformierten und Unionisten. 4 Deutsche ohne eigentliches Mandat waren auch dabei. Den Vorsitz bekam Bischof H. Brent von New York. Unter die Sekretäre wurde auch Dr. Siegmund-Schulze, Berlin, gewählt. Die Verhandlungssprachen waren [37] die englische und französische. Über Verlangen eines Professors aus Sofia (eines Bulgaren) wurde die deutsche Sprache hinzugenommen und die Dolmetscher übertrugen jede Rede auch ins Deutsche. Alle Verhandlungen verliefen im Geiste christlich-brüderlicher Einmütigkeit. Der erste Verhandlungsgegenstand war: ,,Die Kirchen und das Wesen der geeinigten Kirche." Es sprachen dazu: 1. Dr. Kurtis (Kirche von Schottland), ein Presbyterianer. Er nannte Masaryk, Wilson und Horthy als Männer ihres Geistes, des demokratischen Geistes. Er fühle sich den Methodisten und Kongregationalisten nahe und auch zur Kirche von England hätten sie nun bessere Beziehungen. Auf dem Altar der Versöhnung und Liebe wollten sie ihre Schätze darbringen, damit sie Eigentum aller Kirchen werden könnten. Die Presbyterianer in der ganzen Welt stünden schon vor völliger Einigung. 2. Der Bischof von Bombay als Vertreter der Englischen Hochkirche meldet, daß alle Auslandskirchen mit der Kirche von England in völliger Einigung stehen (252 Bischöfe). Er meint, daß es Gottes Absicht ist, daß eine Kirche werde, geeint durch einen Glauben und einerlei Amt. Die bischöflichen Gemeinschaften und die nicht bischöflichen, die aber reiche Elemente der Freiheit, Wahrheit und des Lebens bewahren, sind jetzt noch getrennt. Eigenwille, Ehrgeiz und Mangel an christlicher Liebe sind Hauptursachen der Spaltung. Christus darf aber nicht zerteilt bleiben. Die christlichen Gemeinschaften sollen behalten, was charakteristisch ist für ihren Kultus und Gottesdienst, aber sie sollen 3 Dinge annehmen: 1. das Bekenntnis zur heiligen Schrift als dem Inhalt der göttlichen Offenbarung und als Regel für den Glauben; 2. das Nicänische Glaubensbekenntnis als genügenden Ausdruck des christlichen Glaubens oder das apostolische Glaubensbekenntnis; 3. die Taufe und das Hl. Abendmahl als den Ausdruck einer wirklichen Gemeinschaft in und mit Christus. Sodann soll da sein eine Dienerschaft, anerkannt von jedem Teil der Kirche als im Besitz befindlich nicht nur des inneren Rufes des Geistes, sondern auch eines Auftrages Christi und der gesamten Gemeinschaft, also das Bischofsamt (Episkopat). Wir bezweifeln keinen Augenblick die Gültigkeit der Dienerschaft anderer Kirchen, die das bischöfl. Amt (Episkopat) nicht besitzen, sie sind ja offenbar vom hl. Geist gesegnet worden, aber die Geschichte lehrt, daß das Bischofsamt die Einheit und Fortdauer der Kirche am besten bewahren hilft. Dem apostolischen Brauch der Handauflegung ist ein volles Maß der göttlichen Gnade zugesichert. Ohne Demutsübung ist eine Einigung unmöglich. Wir, die jetzigen Bischöfe, sind geneigt, von den Dienerschaften der geeinigten Kirche einen neuen Auftrag für unser Amt entgegenzunehmen. Die Diener anderer Gemeinschaften können Bischöfe werden. Die Lambeth, Konferenz, gibt die Anregung: Wir müssen in einer Kirche Platz finden für die einzelnen Kirchen. Bisher ging so ziemlich jede Kirche auf Unterwerfung der ändern aus. Wir müssen uns vielfach ergänzen. Er ist für Gebietskirchen. Auf einem geographischen Gebiet soll eine Kirche sein, die eingesprengten Minderheitskirchen (Diaspora) sollen in der vorherrschenden Kirche aufgehen. 3. Der Kongregationalist D. Boynton vertritt eine kleine Gemeinschaft von 800.000 Seelen. Freiheit, Loyalität, Liebe zu Gott sind ihre Grundsätze. Unsere Unabhängigkeit hat ihre Schranke an der Brüderlichkeit. Zur Annahme des bischöflichen Amtes konnte sich die Versammlung der Kongregationalisten noch nicht entschließen, aber ein gemeinschaftliches Predigtamt wäre ein Fortschritt auf dem Wege, als große einige Kirche die Völker zu versöhnen. 4. Der Methodist (Bischof Nuelson): Er vertritt 33 Millionen. Die Loslösung von der englischen Kirche verursachten deren engherzige Leiter. Die Methodisten legen den Nachdruck auf die religiöse Erfahrung. Nicht Dogma, nicht Einrichtungen, sondern Hilfe! Sie fühlen sich allen nahe, deren Herz recht steht zu Gott. Sie verkennen nicht den Reichtum des historischen Erbes der Kirchen, aber ihr Angesicht ist auf die Zukunft gerichtet. Das Wort des Jesaia leitet sie: ,,Gedenke nicht an die vorigen Dinge, sondern ich will Neues tun." Sie wollen Geist und Leben des Pfingstfestes verbreiten [38] und die Welt erobern für den Sohn Gottes. Aus den 39 Glaubensartikeln der Kirche Englands haben sie die ausgeprägt kalvinischen und romanistischen ausgeschieden. Das Neue, das der von Problemen bedrängten Welt kommen muß, ist, daß die Einheit der Kirche Christi zur Darstellung kommen muß. 5. Die Jünger Christi (D. P. Ainslie-Baltimore): Nicht Philosophie ist der Grund, sondern Christus, der Sohn Gottes. Dessen Jünger wollen sie sein. Vor 100 Jahren fing diese Gemeinschaft an (Thomas Kampel). Sie suchen nichts Neues. Das hl. Abendmahl halten sie biblisch: Sie fühlen sich nicht als besondere Sekte, sie sind für die Einigung. Gebet und freundschaftlicher Austausch der Gedanken wird sie vorbereiten. 6. Der Metropolit von Seleucia Germanos vertritt die griech.-orthodoxe Kirche: Hinter ihm stehen 130 Millionen Bekenner der kath.-apost.-orthodoxen Kirche. Sie sind in verschiedene Kirchen geteilt, haben aber eine Union. Es gilt bei ihnen das demokratische Prinzip wie in den Zeiten der Apostel. Sie erlauben die slawischen Sprachen. Sie haben eine glorreiche, kampfreiche Vergangenheit. Sie legen ein praktisches Programm vor, da eine Aussprache über das Dogma zu keinem Resultat führen würde. Man müsse mit dem Proselyten machen aufhören und den Glauben aufgeben, daß jede Kirche allein den christlichen Geist besitze. Hilfe und gegenseitige Liebe der christlichen Kirchen aufrichten (Armenier). Vereinigung der Kirchen zum Zwecke der Aufstellung christlicher Grundsätze und Zusammenarbeit gegen jedes System, das widerchristlich ist (Bolschewismus, Alkoholismus usw.). Die Kirchen müssen sich studieren und die verwandten Gruppen sollen sich nähern, damit bei der nächsten Weltkonferenz statt 15 nur 6 Parteien sind. 7. Der Wesleyaner D. Hughes führt aus: Wir glauben nicht an alte Kirchenordnungen, sondern an die Ordnung. Wir fühlen eine große Kluft zwischen den Anglikanern und uns. Christus kam in die Welt, Sünder selig zu machen. Wir verweisen auf Ephes. 2,19 und 20. Jede Kirche hat in diesem großen Entwurf ihren Platz. Wir brauchen die eigene religiöse Erfahrung von der erlösenden Kraft Christi. Eine Hierarchie gibt es für uns nicht. Der Berufene wird Diener am Wort, er ist von Gott beauftragt, dann wird er von der Kirche bestätigt. Wir glauben nicht an apost. Nachfolge (Sukzession), aber an Ordnung. Um der Ordnung willen muß der Pfarrer besondere Rechte haben. Wird ein Bischofsamt angenommen, so soll damit nicht viel Wesen gemacht werden. Verschiedene Auffassungen der Sakramente müssen erlaubt sein. Wir haben den Laienstand in die kirchliche Arbeit hineingenommen. Das soll in der vereinigten Kirche auch gelten. Die Zivilisation ist am Ende ihrer Mittel. Gott möge uns befreien von allen Vorurteilen, die uns hindern, mit vereinigter Stimme auszusprechen, daß Christus in die Welt gekommen ist, Sünder zu erlösen. 8. Die Lutheraner (Ostenfeld, Bischof von Seeland): 60 Millionen sind es auf der Welt. Die Lehre ist nicht die Hauptsache, Intellektualismus auch nicht das Ziel der Kirchen. Die kirchliche Frömmigkeit der einzelnen gibt die der Kirche. Die Kirche ist da, wo das Wort Gottes lauter und rein gelehrt wird und die Sakramente nach Christi Einsetzung gespendet werden. Einigkeit brauchen wir im Evangelium und Gesetz. Im Leben muß das Evangelium verwirklicht werden. Soviel wir dem Evangelium näher kommen, um so näher kommen sich die Herzen. Ohne viel Freiheit ist das Christentum nicht möglich. Die Schuldfrage auf dem Genfer Kirchenkongreß. Auf der hauptsächlich von angelsächsisch-amerikanischer Seite beschickten Genfer Konferenz zur Vorbereitung einer Allgemeinen christlichen Weltkirche haben Franzosen und Belgier die planmäßigen Bemühungen unserer früheren Gegner fortgesetzt, Deutschland durch immer neue ,,Schuldbekenntnisse" zu belasten. Aber diesmal haben sie ihr Ziel schließlich doch nicht erreicht. Der entschiedene Widerspruch der anwesenden deutschen Pastoren, die es ablehnten, eine Erklärung abzugeben, hatte wenigstens den Erfolg, daß die große Mehrheit der Konferenz auf amerikanischen Vorschlag es ablehnte, [39] sich mit der Frage zu beschäftigen. Angesichts der unerquicklichen Aussprache, die vorherging, wird man in Deutschland aber erst recht den Entschluß des ,,Deutsch-Evangelischen Kirchenausschusses würdigen, der Konferenz fernzubleiben. In dem ausführlichen Ablehnungsschreiben an den Sekretär der Konferenz heißt es u. a.: ,,Deutschland und die evangelischen Kirchen Deutschlands sind seit Beginn des Krieges und in seinem ganzen Verlauf mit einer Überfülle unwahrer Vorwürfe und Verleumdungen verfolgt und überschüttet worden, ohne daß eine der christlichen Kirchen der feindlichen Staaten, der Wahrheit die Ehre gebend, dagegen aufgetreten wäre. Gegen den unerhörten Schmachfrieden von Versailles hat bisher keine der christlichen Kirchen des Feindeslandes ein Wort des Einspruchs gefunden. Gewiß ist gegenüber der nach Beendigung des Waffenkrieges einsetzenden grausamen Fortsetzung der Hungerblockade, der noch fortgesetzt Tausende unseres Volkes zum Opfer fallen, in dankenswerter Weise seitens einzelner edler Menschenfreunde und auch seitens einiger zu gemeinsamen Liebeswerk verbundener großer Vereinigungen in den feindlichen Staaten vielfach und in steigendem Maße Erhebliches geschehen. Doch ist nichts darüber bekannt geworden, daß seitens der christlichen Kirchengemeinschaften der feindlichen Länder diesem aller Christlichkeit, ja aller Menschlichkeit hohnsprechenden Verfahren entgegengetreten und dafür eingetreten worden wäre, die Gebote der christlichen Nächstenliebe zur Geltung zu bringen. Frankreich hat es für zulässig angesehen, in dem von ihm besetzten deutschen Gebiet Tausende von farbigen, namentlich schwarzen Truppen zu verwenden. Die von diesen an unseren Frauen und Töchtern verübten Greuel und Schandtaten schreien zum Himmel. Die Proteste Deutschlands sind verhallt. Den evangelischen deutschen und deutsch-schweizerischen Missionen ist auf allen von der Entente erreichbaren Missionsgebieten während des Weltkrieges die Fortsetzung, nach seiner Beendigung sogar die Wiederaufnahme ihres Missionswerkes verwehrt worden und soll ihnen dauernd unmöglich gemacht werden. Die kurz vor dem Weltkrieg auf der Edinburger Weltkonferenz feierlich gegebenen Zusagen sind schmählich gebrochen worden. Soweit insbesondere die angelsächsische Machtsphäre reicht, ist die kirchliche Versorgung der deutschen evangelischen Glaubensgenossen im Ausland, auch z. B. im Heiligen Lande, durch die deutsche evangelische Heimat zu einem Trümmerfeld geworden." Für den Deutsch-Evangelischen Kirchenausschuß handelt es sich nicht sowohl um die Frage, wie die Staatsregierungen der fremden Mächte sich zu Deutschland gestellt haben, sondern vielmehr in erster Linie darum, was die kirchlichen Gemeinschaften, deren Vertreter sich jetzt in Genf zusammenfinden, getan haben, um ihrerseits die christlichen Gebote zur Geltung zu bringen. Und da muß er, wie es am Schluß des Schreibens zusammenfassend heißt, angesichts der eben angeführten Tatsachen feststellen, ,,daß eine Zusammenkunft mit Vertretern der Kirchengemeinschaften der feindlichen Länder für das evangelische Deutschland mit dem Gebot christlicher Wahrhaftigkeit nicht vereinbar sein würde. Unsere evangelischen deutschen Landeskirchen sind auch als Volkskirchen zu sehr mit dem Geschicke unseres deutschen Volkes verbunden, als daß sie sich über die furchtbaren Geschehnisse der letzten sechs Jahre hinwegsetzen könnten, als wären sie nicht geschehen. Der Deutsch-Evangelische Kirchenausschuß empfindet tief den Schmerz, den gewiß aus christlichem Geiste herausgeborenen Bestrebungen auf einen inneren Zusammenschluß der Christenheit gegenüber zurückhalten zu müssen, hält aber dafür, daß Gottes Stunde für einen einheitlicheren Zusammenschluß der gesamten Christenheit noch nicht gekommen ist." [40] |
In seinen Notizen erwähnt der Präsident auch einen Besuch bei den ökumenisch interessierten Theologen Dr. Pfenninger und Bodmer, beide Nachkommen berühmter Pfarrergeschlechter in der Schweiz.
Diese Kirchenkonferenz war von allen Kirchenfamilien außer der römisch-katholischen besucht worden. Verschiedene Versuche, auch die römische Kirche zur Teilnahme zu bewegen, waren abgelehnt worden. Die Frage der kirchlichen Einigung stand in Genf im Mittelpunkt, besonders wichtig war die Erklärung der orthodoxen Kirchen, daß sie zur Mitarbeit in einem ,,Kirchenbunde" bereit seien. Man setzte einen Fortsetzungsausschuß ein, der seinerseits die Weltkonferenz für Glaube und Kirchenverfassung für den August 1927 in Lausanne vorzubereiten hatte.[80]
Die Teilnahme solcher kleiner Kirchen wie die in der È.S.R. neuentstandenen tschechischen, slowakischen und der deutschen Kirche war für deren Existenz sehr wichtig, damit sie hinsichtlich ihres theologischen aber auch praktisch-seelsorgerlichen Weges nicht in das Abseits gerieten. Die Diasporaexistenz einer christichen Kirche ist ohne solche überregionalen Zusammenkünfte gar nicht denkbar. Selbstverständlich nahmen aus diesem Grund auch die tschechischen und slowakischen Bruderkirchen an diesen Konferenzen teil.
Trebnitz war eine Zweiggemeinde von etwa 100 Seelen (1938 - 138 Seelen) - Pfr. Dr. Fritz Giesecke war schon in der österreichischen Zeit Ersatzmann des Konseniors Pfr. Gerhard Hickmann aus Dux, später Kirchenrat des Mittelböhmischen Kirchenkreises und als Oberkirchenrat Vertreter des Präsidenten.
Wenn auch nicht angegeben ist, um was sich die Aussprache mit Giesecke drehte, so ist der Hinweis auf den Predigtort des Präsidenten und die nochmalige am 7. Oktober d. J. wiederholte Aussprache der beiden Männer wegen Trebnitz ein möglicher Hinweis auf die Schwierigkeiten, in welche Dr. Josef Titta, der Gründer des ,,Deutschen Volksrates" in Trebnitz gekommen war.
Aus der ,,Alldeutschen Bewegung" hervorgegangen, taten sich Josef Titta und Raphael Fächer zusammen und gründeten im Jahre 1904 eine neue Organisation in Böhmen, die die nationale Schutzarbeit zu koordinieren hatte.[81] Titta hatte sich als junger Arzt im Jahre 1889 in Trebnitz niedergelassen, welches zur damaligen Zeit ein hart umkämpftes Sprachinselchen war.
,,Er baute es zu einem deutschen Bollwerk gegen den tschechischen Vorstoß gegen Leitmeritz und Lobositz und gegen den Durchstoß bis zu den tschechischen Minderheiten im Kohlengebiet von Brüx und Dux aus. Er schuf ein ganzes Netz von vorbildlichen Organisationen und Einrichtungen, u. a. eine gute Volksbücherei, einen Kindergarten, eine Bürgerschule, eine Wirtschaftsschule und zwei Fortbildungsschulen. In diesem Zusammenhang stand auch die auf ihn zurückgehende Gründung einer evangelischen Zweiggemeinde, für die er den Bau der deutschen evangelischen Christuskirche durchsetzte, die eine Zierde der Stadt Trebnitz geworden ist und weithinleuchtend ihr Haupt erhebt, zum Zeichen dafür, daß hier Deutsche wohnen, die gewillt sind, ebenso wie es die Deutschen in Galizien getan haben, ihr Volkstum zu wahren, wie er selbst in seiner Dankrede zur Feier seines 60jährigen Geburtstages bekannte ... Mit dieser Trebnitzer Arbeit hatte Dr. Titta den Beweis erbracht, daß überall, wo sich eine tüchtige Führerpersönlichkeit mit ihrer ganzen Kraft entgegenstemmte, der tschechische Ansturm zu bannen sei. In Trebnitz hatte sich das Blatt gewendet: Die Deutschen waren nun im Aufstieg. Dabei hielt sich Dr. Titta durchaus in den Schranken von Recht und Gesetz. Er forderte und erstrebte nichts Unbilliges. Er behandelte auch die Gegner achtungsvoll. So wurde Trebnitz ein Vorbild und Sinnbild ... Mit dem Kriegsschluß brach sein [41] Werk zusammen und er selbst kam in größte Bedrängnis, in Lebensgefahr und in tschechische Haft. Unter Verzicht auf seine politische Tätigkeit kehrte er schließlich zu seiner ärztlichen Tätigkeit nach Trebnitz zurück. Am 9. August 1923 erlag er einer chronischen Nierenerkrankung. Bei der Trauerfeier, die sein langjähriger Mitarbeiter und zwar nicht nur als Vikar in Trebnitz sondern auch in der Schutz- und Volksratsarbeit, Pfarrer Reimann hielt, führte für den Bund der Deutschen in Böhmen u. a. Pfarrer G. Wehrenfennig, aus: 'Dieser Mann war mehr als ein ganzer Schutzverein!'"[82] |
Über diesen tüchtigen Vorkämpfer des Deutschtums in Böhmen gingen wohl die Beratungen der beiden kirchenleitenden Geistlichen. Wie an dieser Stelle so auch an allen anderen Stellen seiner tagebuchartigen Notizen bringt Präsident Wehrenfennig keine Namen und Sachangaben, wenn es sich um den politischen Volkstumskampf handelt, in den ja auch die Deutschen Evangelischen hineingestellt waren und nicht nur an unbedeutender Front. Mag sein, daß sich Wehrenfennig sehr bewußt als Geistlicher und Verkündiger des Evangeliums an die Zwei-Regimente-Lehre Luthers, oder sich auch nur an die im alten Österreich geübte politische Abstinenz bei Predigten und Reden hielt. Trebnitz und in ihm Dr. Titta machte den beiden Geistlichen gewiß Sorge, ob dieser wackere Mann doch wieder aus tschechischer Haft entlassen werden wird. Außerdem war schon am 20. 2. 1919 der sog. ,,Kanzelparagraph" erschienen.
(Der sogenannte ,,Kanzelparagraph") Gesetz vom 20. Februar 1919, G.-Slg. Nr. 111 Artikel I. § 303 des Strafgesetzes vom 27. Mai 1852, R.-G.-Bl. Nr. 117, lautet: ,,Wer öffentlich oder vor mehreren Leuten oder in Druckwerken, verbreiteten bildlichen Darstellungen oder Schriften die Lehren, Gebräuche oder Einrichtungen einer vom Staate gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgenossenschaft verspottet oder herabzuwürdigen versucht oder einen Religionsdiener derselben bei Ausübung gottesdienstlicher Verrichtungen beleidigt oder sich während einer öffentlichen Religionsübung auf eine zum Ärgernis für andere geeignete Weise unanständig beträgt, macht sich, insofern diese Handlungsweise nicht das Verbrechen der Religionsstörung bildet (§ 122), eines Vergehens schuldig und soll mit strengem Arrest von einem bis zu sechs Monaten gestraft werden. In gleicher Weise ist wegen Vergehens, sofern nicht eine strafbare Handlung vorliegt, der Geistliche, welchen Bekenntnisses immer oder eine andere in ähnlicher Funktion tätige Person zu bestrafen, welche bei einer religiösen Verrichtung, insbesondere bei der Ausübung des Predigeramtes, beim Religionsunterricht oder einer Religionsübung, bei einer Prozession, Wallfahrt oder ähnlichen Versammlungen über Angelegenheiten des staatlichen oder politischen Lebens spricht, geltende oder beantragte Gesetze oder Regierungsverordnungen kritisiert, bestimmte politische Organisationen oder Parteien empfiehlt, gegen bestimmte politische Organisationen oder Parteien agitiert, die Presse einer bestimmten politischen Richtung empfiehlt oder ablehnt, in den Wahlkampf, sei es zum Vorteil, sei es zum Schaden irgend welcher Kandidaten oder Parteien eingreift." Artikel II. Dieses Gesetz tritt mit dem vierzehnten Tage nach der Kundmachung in Wirksamkeit. Artikel III. Mit dem Vollzuge dieses Gesetzes werden die Minister der Justiz, des Innern und des Schulwesens betraut.[83] [42] |
Neben zwei Besuchen im Ostböhmischen Kirchenkreis in den Gemeinden Grottau, sowie in der Zweiggemeinde Kratzau und in Haida, die mit Reformationsgottesdiensten verbunden sind (24. 10. u. 31. 10.),[84] steht vor diesen wieder eine Reise nach Prag zur Vorstellung beim Landesschulrat, die wohl nur eine repräsentative Bedeutung hatte. Danach geht es von Prag nach Teplitz-Schönau zu einer Kirchenleitungssitzung wegen der Staatspauschale. Hier wird beschlossen, mit der tschechisch-brüderischen Kirche eine gemeinsame Sitzung abzuhalten. Es ist ja höchste Zeit, die benötigten Mittel für das kommende Jahr 1921 abzusprechen und eine gemeinsame Angleichung der Bedürfnisse zu finden.
,,1920 5. Dez. - 7. Dez.: Verfassungsgebender Kirchentag in Turn."
Für eine evangelische Kirche kann es keinen wichtigeren Verhandlungspunkt geben als ihre Verfassung oder Ordnung, da in dieser nicht nur ihr von Gott gegebener Auftrag nach den göttlichen Verheißungen in der Heiligen Schrift, sondern auch deren lehrhaltes Verständnis nach ihrem Bekenntnis und der sich daraus ergebenden Ordnung der Verkündigung, des Vollzuges der Sakramente, der Lehre und der Seelsorge niedergelegt und geordnet werden müssen. Dazu kommt, daß auch die Rücksicht auf die vorhandene Gesellschafts- und politische Ordnung bedacht werden muß, in welcher alle jene Christen leben und betreut werden sollen, die diesem Bekenntnis und damit dieser Kirche angehören. In den vorliegenden Berichten wird daher diesem wichtigen Ereignis etwas umfangreicher als sonst gedacht.
Wehrenfennig schreibt darüber (Mein Leben und Wirken 14):
,,1920 wurde der bekennende Kirchentag einberufen. Da ging es vor allem um die
Präambel. Pfarrer und Senior Gustav Fischer von Eger hatte sie formuliert.
Sie lautete: ,Die Deutsche evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und
Schlesien steht auf dem alleinigen Grunde der heiligen Schrift und sie
hält sich in ihrem Leben an die Grundsätze der Reformation und in
ihrer Lehre an das evang.-lutherische Bekenntnis.' Es war ein wunderbares Erlebnis, als nach heißem Kampf die Annahme erfolgte, und auf den Zuruf zum Vorsitz hin: ,Melden Sie diesen Kampf wegen des Bekenntnisses nach Amerika' - von mir geantwortet wurde: ,Ich werde es tun und ich bekenne mich zu dieser meinen Kirche in ihrem Sosein vor dem In- und Auslande.' Auf dieses Wort hin strömten die Versammelten bis auf zwei zum Vorsitz hin und reichten mir die Hand. Etwa zehn Minuten später war die Wahl des Kirchenpräsidenten auf Lebenszeit beschlossen. Und der älteste Senior, Dr. Martin Haase, nahm die Angelobung vor. In großer Einmütigkeit war so der Grund der Kirche gelegt und die Einmütigkeit blieb uns gottlob erhalten." |
Dr. Dr. Ernst Lehmann weiß darüber etwas mehr zu berichten:
,,Beim Neubau dieses Kirchenwesens ging es insbesondere 1919 beim gründenden und 1920 beim verfassungsgebenden Kirchentag nicht ganz ohne Spannungen ab. Konservative Vertreter mit wohlbegründeter Bibelgläubigkeit insbesondere aus Mähren und Schlesien standen gegen den religiösen Idealismus der Vertreter aus den jungen Los-von-Rom-Gemeinden. Um die Fragen des Bekenntnisstandes, den Namen der Kirche, ihre Aufgliederung und um die Befugnisse der kirchlichen Organe wurde hart gerungen.[86] Die Person des künftigen Kirchenpräsidenten aber stand sehr schnell außerhalb allen Zweifels. Mit 103 von 106 abgegebenen Stimmen wurde der Senior des ostböhmischen Kirchenkreises, Erich Wehrenfennig, als Initiator der neuen Kirchengründung, zum Kirchenpräsidenten auf Lebenszeit gewählt. Dieser erste und letzte [43] Kirchenpräsident sollte der edelste Repräsentant dieses recht komplexen Kirchengebildes werden. Das Bekenntnis vor seiner Wahl: ,,Ich bekenne mich zu dieser meiner Kirche in ihrem Sosein vor dem In- und vor dem Auslande" hat er treu gehalten. Er vereinigte bestes Erlanger Erbe mit langjährigen Diasporaerfahrungen und wuchs sich allmählich zur unumstrittenen Autorität und zum ruhenden Pol aus. Er wußte das Kirchenschiff durch die vielfältigsten Stürme mit einem altösterreichischen Mindestmaß an auftrumpfender Macht und Bürokratie und einem Höchstmaß an seelsorgerlicher Weisheit und Liebe zu steuern, die ihn auch widerstrebende Herzen gewinnen ließ. Was aus der Kirche ohne diesen ihren persönlich bescheidensten und überaus lauteren ersten Diener geworden wäre, ist nicht auszudenken. So war es ein gütiges Geschick, daß durch alle Jahre des Bestandes dieser Kirche bis zur Austreibung 1945 das Kirchenregiment in den Händen dieses unvergleichlichen und für alle Anregungen stets aufgeschlossenen Mannes lag. Wie stark er allmählich - ohne es im mindesten anzustreben - dieser Kirche das Siegel seiner Persönlichkeit aufprägte, das im einzelnen aufzuweisen, wäre höchst verdienstvoll.
Was man bei dieser Kirchengründung vom Staate erwartete, nämlich die Zusicherung der Rechte des Protestantenpatentes vom Jahre 1861, und die Freiheit zur selbständigen Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten, wurde nach unendlich vielen Reisen nach Prag und unzähligen Verhandlungen mit den inländischen kirchlichen und staatlichen Behörden durch die bereits erwähnte Genehmigung der Kirchenverfassung gewährt. Die neue Kirche wurde innerhalb der Tschechoslowakischen Republik ein entscheidender deutscher Selbstverwaltungskörper, in dem deutschen Leben und deutsche Gesinnung dadurch bewahrt werden konnte, daß evangelisches Leben und evangelischer Glaube gepflegt wurden.
Die innere Ausgestaltung der neuen Kirchenverfassung erfolgte in Anlehnung an die altösterreichische, doch unter folgerichtiger Durchführung des synodalen Gedankens und unter der besonderen Mitwirkung des Laientums. Die Gesamtkirche gliederte sich in sechs Kirchenkreise (Seniorate), an deren Spitze aus den Gemeinden gewählte Kirchenräte (Senioren, bzw. Dekane oder Superintendenten) und Kirchenkreisausschüsse standen. Die Superintendentur Asch hatte sich lange gegen den Beitritt und damit gegen die Umwandlung in einen Kirchenkreis gewehrt. Man befürchtete, als leistungsfähigster Kirchenkreis zu stark für den Ausbau der Gesamtkirche herangezogen zu werden. Noch am 3. Mai 1920 beschloß diese Superintendentur mit ihren drei von der Gegenreformation unberührten Gemeinden Asch, Roßbach und Neuberg die Fortsetzung der alten, gesegneten Eigenbrödelei. Schließlich aber fügte man sich doch den Verhältnissen. Die vom Kirchentage (Landessynode) gewählte Kirchenleitung setzte sich aus dem theologischen Kirchenpräsidenten und aus theologischen und weltlichen Oberkirchenräten zusammen, unter denen einer, der Kirchenanwalt, Jurist sein mußte. Die gesamte Kirchenleitung versah ihr Amt ehrenamtlich, ihre Agenda wurde durch Jahre von einer Kanzleikraft, später von zwei Kräften geführt. Auch der Kirchenpräsident blieb Pfarrer seiner Gemeinde und erhielt nur zeitweise einen Vikar zur Aushilfe. Sobald ein Pfarrer dringend eine theologische Hilfskraft benötigte, war zumeist der Kirchenpräsident der erste, der seinen Vikar zur Verfügung stellte. In seiner Gemeinde Gablonz a. N., wurde allerdings mit 1920 eine zweite Pfarrstelle errichtet. An der Spitze der Kirchenvorstände, denen das Amt der Leitung der einzelnen Gemeinden anvertraut war, standen weltliche Kuratoren; die Pfarrer waren somit nicht Vorsitzende der Presbyterien. Den volkskirchlichen Charakter betonten überdies noch die Gemeindevertretungen, denen die Kirchenvorstände jährlich Rechenschaft abzulegen hatten, und die Wahl der Pfarrer und der Gemeindevertretung durch die gesamten wahlberechtigten Gemeindeglieder. Am Ende des Jahres 1944 umfaßte die gesamte Kirche in sechs Kirchenkreisen 70 Pfarrgemeinden, 28 Zweiggemeinden und 120 Predigtstellen mit 156.694 Seelen, die Zahl der Pfarrer betrug 86. Der Ascher Kirchenkreis umfaßte die Pfarrgemeinden Asch, Fleißen, Neuberg und Roßbach, zusammen 25.694 [44] Seelen. Zum westböhmischen Kirchenkreis gehörten die Pfarrgemeinden: Budweis, Chodau, Deutsch-Horschowitz, Eger, Falkenau, Görkau-Rothenhaus, Graslitz, Kaaden, Karlsbad, Komotau, Königsberg a. d. E., Marienbad, Neudeck, Pilsen, Saaz und Weipert, zusammen 28.038 Seelen. Zum mittelböhmischen Kirchenkreis zählten die Pfarrgemeinden: Aussig, Schreckenstein, Türmitz, Bodenbach-Tetschen, Brüx, Dux, Eichwald, Haber, Karbitz, Leitmeritz, Lobositz, Prag, Rosendorf, Teplitz-Schönau, Turn, zusammen 36.581 Seelen. Der östböhmische Kirchenkreis faßte die Pfarrgemeinden Braunau, Deutsch-Gabel, Friedland/Isgb., Gablonz a. N., Grottau, Grulich, Haida, Hermannseifen, Hohenelbe, Mittel-Langenau, Morchenstern, Neustadt a. T., Reichenberg, Rumburg, Trautenau, Warnsdorf mit 30.079 Seelen zusammen. Im mährischen Kirchenkreis finden wir die Pfarrgemeinden Brünn, Christdorf, Hohenstadt, Iglau, Mähr.-Schönberg, Mähr.-Trübau, Neutitschein, Olmütz, Zauchtel mit zusammen 16.987 Seelen. Im schlesischen Kirchenkreis waren die Pfarrgemeinden Freiwaldau, Freudenthai, Friedeck, Hillersdorf, Klein-Bressel, Jägerndorf, Kuttelberg, Mähr.Ostrau, Troppau und Würbenthal mit 16.972 Seelen vereinigt. Durch den Anschluß an das Deutsche Reich im Jahre 1938 gingen der Kirche verloren die Gemeinden Tschech. Teschen mit etwa 5000 Seelen und Neu-Oderberg, die mit in die schlesische Kirche eingegliedert wurden und mit den ehemaligen ostschlesischen Gemeinden Altösterreichs den Kirchenkreis Teschen bildeten. Znaim mit seinen Zweiggemeinden und Predigtstellen Nikolsburg, Lundenburg und Eisgrub kam an die Österreichische Kirche, desgleichen Krummau mit Neubistritz. Die Gemeinde Pilsen verlor Bergreichenstein, Albrechtsried und andere Predigtstellen an die bayerischen Gemeinden Zwiesel und Furth im Walde. Prachatitz mit seiner Umgebung kam an Passau. Zählt man diese Gemeinden, die ursprünglich durchaus zur sudetendeutschen evangelischen Kirche gehörten, hinzu, so läßt sich vor der Austreibung die Seelenzahl auf etwa 165.000 schätzen."[87]
So wie eine Kirche lebt, so lebt auch ihre Ordnung. Diese ist auch nicht der einmalige, endgültige geniale Einfall eines Einzelnen, sondern vieler, in der Ordnung und mit der Ordnung erfahrener verantwortlicher Christen in Gemeinde und Leitung der Kirche. Endlich erscheint die ,,Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien", erst nach ihrer Genehmigung seitens des Ministeriums für Schulwesen und Volkskultur, G. Zl. 87.457/24 - VI vom 7. August 1924 gezeichnet vom Vertreter des Minist. für Schulwesen und Volkskultur: Dr. Markoviè m. p. Die Genehmigung wird im 2. Jahrgang des Amtsblattes der Deutschen Evangelischen Kirchenleitung für Böhmen, Mähren und Schlesien, Gablonz a. d. Neiße, den 1. Oktober 1924, Heft 3, Seite 21 veröffentlicht.
Unter Nr. 16 teilt der Kirchenpräsident mit:
An alle Kirchenkreisämter, Pfarrämter und Kirchen vorstände. Nr. 16
Deutsche Evangelische Kirchenleitung Zum Erscheinen der Kirchenverfassung. Der gründende Kirchentag in Turn (26. Oktober 1919) hatte einen Verfassungsausschuß eingesetzt. Sein Obmann, Pfarrer Gustav Fischer in Eger, legte den auf Versammlungen aller Seniorate und in vielen Presbyterien durchberatenen Entwurf zu der vorliegenden Kirchenverfassung auf dem verfassungsgebenden Kirchentag vor, der gleichfalls in Turn (5. bis 7. Dezember 1920) getagt hat. Der Entwurf war in der Hauptsache das verdienstvolle Werk eines Einzelnen. Daß er seine erste Gestalt nicht behalten hat, macht das Verdienst des Verfassers nicht geringer. Aber es bedarf einer Erklärung dafür, warum der vorliegende Druck den Entwurf [45] zum Teil nicht wiedererkennen läßt. Zahlreiche Abänderungsanträge hatten noch dank der aufopfernden Arbeit des erweiterten Verfassungsausschusses auf dem Kirchentag selbst berücksichtigt werden können. Im Mittelpunkt der Verhandlungen aber war die Bestimmung über das Bekenntnis der Kirche gestanden. Vor der Aussprache über diese Frage hatten andere wichtige Punkte notwendigerweise zurücktreten müssen. So kam es, daß dem Redaktionsausschuß mehr Arbeit zufiel, als wünschenswert gewesen wäre. Ihm wurde vom Kirchentag der Auftrag, den tiefgreifenden Abänderungsantrag der Schlesischen Senioratsversammlung auf Erweiterung des ersten Abschnittes zugunsten einer übersichtlichen Zusammenfassung der allgemeinen Bestimmungen, die z. T. in den anderen Abschnitten verstreut und wiederholt zu finden waren, bei seiner Arbeit zu verwerten. Indes war die Aufgabe des Redaktionsausschusses damit nicht erschöpft. Eine große Reihe wichtiger fachlicher Änderungen - so z. B., um nur eine besonders bedeutsame zu nennen, den Umbau der in der Fassung des Entwurfes ungenügenden §§ 244 ff. (neuer Zählung) - hatte er dem Ständigen Kirchenausschuß vorzuschlagen. Später stellte sich bei meist mündlichen Verhandlungen mit dem Ministerium die Notwendigkeit heraus, einzelne §§ zu ergänzen bzw. einige Streichungen vorzunehmen. Dies geschah nach reiflicher Beratung der Kirchenleitung mit dem ständigen Ausschuß, der die Verantwortung dafür im Sinne, des § 255 vor dem nächsten Kirchentage trägt. Der Redaktionsausschuß ließ sich auch die Ausrottung des Kanzleistils, soweit er aus der alten österreichischen Kirchenverfassung in den Entwurf herübergenommen war, angelegen sein; sprachliche Unebenheiten glaubte er beseitigen zu müssen. Bei all dem standen ihm Herr Oberlandesrat Karl Stadler, der Jurist. Oberkirchenrat und der Obmann des ständigen Ausschusses, Kirchenrat Gerhard Hickmann zur Seite. Dem Obmann des Redaktionsausschusses Pfarrer Gottlieb Bodenbach verdanken wir auch noch ein zuverlässiges Stichwörterverzeichnis und den Anhang über Benennungen und Titel. Möge die neue Verfassung insbesonders von denen, die zur Leitung und Mitberatung der Gemeinden berufen sind, gerne gelesen werden und mögen alle bewußten Glieder der Kirche den Sinn derselben erfassen, mehr zweckvolle Lebensäußerung der Gemeinde, weniger behördliches Verwaltungswesen zu treiben! Der Redaktionsausschuß verabschiedet seine Arbeit mit den Worten: ,,Freie Verfassung ist nur ein Mauerwerk, das den äußeren Bau einer Kirche zusammenhalten soll. Ihr Leben bestimmt sie nicht. Leben vermag die Kirche nur zu schöpfen aus dem Born des Evangeliums, zu dem uns die deutsche Reformation wieder den Weg gewiesen hat. Diesen Weg müssen wir wandern, daß wir die Hand des Meisters finden und uns von ihm führen lassen. Dann wird auch unsere junge, deutsche Kirche an ihrem bescheidenen Teile dem Reiche Gottes auf Erden dienen". Und schließlich sei erinnert an das Wort des heimgegangenen Pfarrer und Kirchenrat Fischer, der über die Kirchenverfassung dem Kirchentag zu Turn berichtete und also schloß: ,,Nicht eine gute oder minder gute Kirchenverfassung wird bei allem Werte einer guten Kirchenordnung die Entscheidung bringen über den Aufstieg oder Niedergang unseres evang. deutschen Volkstums. Ob wir ein lebendiges Glied sein werden an dem, der das Haupt ist, das wird nicht von der Schärfe und Genauigkeit unserer Kirchenverfassung abhängen, sondern von der Treue und Liebe, in der wir zu unserem Herrn und Meister stehen." Dr. Wehrenfennig, Präsident |
Einen Tag nach dem verfassungsgebenden Kirchentag in Turn ist Präsident Wehrenfennig unterwegs nach Prag, um den dort anwesenden J. A. Morehead (John Alfred M. 4. 2. 1867 - 1. 6. 1936) vom amerikanischen Lutheran National Council zu treffen. [46] Da auf Grund der Entscheidung des Kirchentages von Turn die Bekenntnislage sich als deutlich lutherisch herausstellte, entschloß sich dieser nach einer freundlichen Aufnahme, Wehrenfennig einen Scheck auf 300.000 Kè auszustellen. Außerdem verspricht er, unsere Kirche in regelmäßige Lebensmittelsendungen aus den Staaten mit einzubeziehen. Wehrenfennig schreibt in seinen Notizen:
,,8. Dez. reise ich mit Pfarrer Fischer nach Prag zu Dr. Morehead. Wir werden köstlich bewirtet in seinem Absteigequartier und er schreibt uns einen Scheck aus auf lautend 300.000 Kr. und kündet Lebensmittelsendungen an für die Pfarrer."
,,1920 24. Dezember Sitzung in Aussig für Diakonie und Amerikahilfe."
Die evangelische Pfarrgemeinde Aussig im ehemaligen Elbe-Seniorat, jetzt im Mittelböhmischen Kirchenkreis, war seit 1873 eine Filialgemeinde von Teplitz-Schönau und wurde 1878 zur Pfarrgemeinde erhoben. In Aussig und in Bodenbach waren evangelische 5klassige Schulen. Beide Gemeinden zusammen hatten rd. 9000 Seelen, einen Diakonieverein, einen Diakonissenverein mit einem Mutterhaus in Doppitz. Seit dem Jahre 1898 waren hier schon Gallneukirchener Schwestern im öffentlichen Krankenhaus in Aussig tätig. Dieses hatte in Gallneukirchen den Antrag gestellt, die Pflegearbeit des Krankenhauses mit rund 150 bis 200 Betten zu übernehmen. Am Peter und Paulustag des Jahres 1898 wurde der erste Rektor Pfarrer D. Bauer in sein Amt eingeführt. Dr. theol. Karl Julius Reinhold Bauer, geb. am 9. Dezember 1865, im Jahr 1893 ordiniert, übernahm dann das Amt des Rektors, welches er bis zu seiner Wahl als Pfarrer von Gallneukirchen im Jahr 1910 innehatte. Etliche Wochen nach seiner Amtsübernahme in Aussig zog am 28. Juli Oberschwester Elise Lehner, die Mitbegründerin des Diakonissenhauses von Gallneukirchen mit einer Schar von 12 Schwestern und Gehilfinnen nach Aussig und übernahm die Arbeit, die von Nonnen aufgegeben worden war. Oberschwester Elise Lehner 1847 aus Gumpolding in der evang. Pfarrgemeinde Thening als 9. Kind von 10 Kindern geboren, blieb noch eineinhalb Jahre bis die Schwestern sich vollends eingelebt hatten. ,,Liebe Schwester, da habt ihr einen schweren Gang gemacht!" meinte Pastor von Bodelschwingh zur Oberschwester, aber gerade diese Station in der weiten Diaspora war ihr besonders am Herzen gelegen.
Nun war eine neue Zeit nach dem Krieg angebrochen und es war die Frage, wie es nun ohne feste Verbindung mit Gallneukirchen weitergehen sollte. Wieder war die erste Frage leider die des Geldes.[88] Es mußte ja das Doppitzer Diakonissenhaus erhalten werden, aus dem auf Grund der nach dem 1. Weltkrieg einsetzenden Schwesternnot alle Schwestern bis auf sechs nach Gallneukirchen abgezogen werden mußten. Aussig stand vor der Aufgabe ein selbständiges Diakonissenhaus zu errichten und sich nach eigenen Hilfskräften umzusehen. Auch die darin untergebrachte ,,Marthaschule" zur wirtschaftlichen Ausbildung von jungen Mädchen mußte weitergeführt werden. Im ,,Deutschen Glauben" vom Mai 1920 erging von Oberschwester Käthe Lintschnigg aus dem Krankenhaus Aussig ein ,,Aufruf an alle evangelischen Mädchen" der folgendermaßen lautete:[89]
,,Weite und vielgestaltige Arbeitsgebiete hat die neue Zeit der ,,Inneren
Mission" aufgetan. Die vorhandenen berufsmäßigen Kräfte
können die stets wachsenden Anforderungen wegen der geringen Zahl nicht
mehr befriedigen. An manchen Orten muß so wichtige und segensvolle Arbeit
ungetan bleiben. Da es sich um Notstände unseres ganzen Volkes handelt,
wenden wir uns an alle ernstgesinnten, [47] gesunden deutschen Mädchen mit
der Einladung, Kraft und guten Willen in den Dienst dieser Sache zu stellen und
in diesen lohnsüchtigen Tagen zu schaffen aus Liebe zu ihren armen
Volksgenossen - um Gotteswillen! Das städtische Krankenhaus Aussig würde im Kreise evangelischer Schwestern aus dem Mutterhaus Gallneukirchen Gelegenheit bieten können in einem der wichtigsten Zweige der Inneren Mission, der Krankenpflege, sich auszubilden. Die ,,Hilfsschwestern", die wir heranziehen möchten, hätten hier eine einjährige Ausbildungszeit zu verbringen, wobei sie keine irgendwie geartete Verpflichtung zu etwaigen späteren Eintritt in die Schwesternschaft eingehen. Im Gegenteil, wir hoffen auf diesem Wege manchem Mädchen die Möglichkeit eines selbständigen Lebensberufes zu bieten. Was wir verlangen ist neben Gesundheit und frommer Lust zur Arbeit lediglich eine der ernsten Arbeit sich anpassende Lebensführung ..." |
Aber auch eine eigene Leitung mußte das Diakonissenhaus erhalten, da ja das Mutterhaus Gallneukirchen im abgetrennten Österreich lag. Es ergab sich, daß der ehemalige Superintendentialvikar Ludwig Baier (geb. 30. 8.1881, ordiniert 11.1.1904) seit dem Jahre 1910 in Aussig als zweiter Pfarrer der deutschen evangelischen Kirchengemeinde A. B. in Aussig mit Dekret vom 25.2.1920 bestellt und in das Amt am 14.3.1920 eingeführt wurde.[90] Daß damit nur eine vorübergehende Lösung geschaffen wurde und man sich nach einem eigenen Rektor umsehen mußte, sollte sich bald zeigen.
Das von Wehrenfennig angegebene Gespräch in Aussig am Weihnachtstag sollte wohl diese Personalentscheidung vorbereiten aber auch auf Grund der amerikanischen Mittel die ärgsten Nöte der Nachkriegszeit beheben. Daß der Präsident sich höchst persönlich um das Aussiger Diakonissenhaus kümmerte, war nicht nur eine Christenpflicht, sondern war ein Auftrag seines Amtes, wie es die Kirchenverfassung im § 212/6, sowie die Kirchenleitung als solche im § 231/6 vorsah. Außerdem war ja in den Grundbestimmungen im Rahmen des ,,Verhältnisses der Kirche zum Staat" im § 17 festgelegt: ,,Die Gründung von Vereinen zur Förderung von kirchlichen, Unterrichts- und wohltätigen Zwecken im Inlande unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorschriften unterliegt keiner Beschränkung" (§ 113 des Gesetzes vom 24. Feber 1920 G. S. Nr. 121). So war es nun an der Kirchenleitung, den nach dem Kriegsschluß ,,gesetzlosen Vereinen" einen neuen organisatorischen und gesetzlichen Unterbau zu geben. Auch die Verteilung der amerikanischen oder sonstigen Mittel, sei es für die Gemeinden, sei es für die diakonischen Einrichtungen, war schon geregelt. Darüber hatte man sich schon am 19. 9.1920 in einer Kirchenleitungssitzung in Falkenau geeinigt und dafür feste Satzungen aufgestellt. In diesem Jahr 1920 wurden seitens des Ministeriums des Inneren (Erl. v. 2. 4. 1920 Zl. 17721/1920 - 6) auch die Satzungen des Evangelischen Gustav-Adolf-Hauptvereines in der tschechoslowakischen Republik zur Kenntnis genommen. Da dieser Hilfsverein der bedeutendste war, weil seine Unterstützungen aber auch seine Initiative zur Selbsthilfe am andauerndsten waren, war die Kenntnisnahme und daher Genehmigung des Vereines für die Kirche überaus wichtig.
Am 7. Nobember 1920 wurde die Zweiggemeinde Turn Pfarrgemeinde. Folgende Kandidaten haben die zweite theologische Prüfung abgelegt und wurden für wahlfähig erklärt:
Anton Scheiderbauer aus Wels am 18. 12. 1919 Zl. 362
Edmund Berthold aus
Teplitz am 17. 12. 1919 Zl. 361
Hans Hodel aus Alt-Fratautz i. d. Bukowina
am 18. 12. 1919 Zl. 360
Paul Karzel aus Wendrin, Tsch.-Teschen am 24. 12.
1919 Zl. 4494
Heinrich Herr aus Iglau am l. 10. 1920 Zl. 2756
Dr. iur.
can. Paul Rieger aus Buchberg i. Schl. am 5. 11. 1920 Zl. 2448
Otto Pustowka
aus Ober-Kurzwald i. Schi. am 14. 6. 1920 Zl. 2033 [48]
Georg Badura aus
Teschen am 14. 6. 1920 Zl. 2032
Karl I. R. Richter aus Wien am 21. 6. 1920
Zl. 1763
Zwei Kuratoren wurden im Jahre 1920 ein Glückwunsch- und Anerkennungsschreiben seitens der Kirchenleitung übermittelt: Dem Kurator der Pfarrgemeinde A.B. Hohenelbe Eduard Kleining zu seinem 25jährigen Wirken als Kurator in dieser Gemeinde und dem Kurator der Gemeinde Trautenau Fritz Zimmermann anl. seines 70sten Geburtstages und für sein langjähriges verdienstvolles Wirken. In den Jahren 1919 und 1920 konnten zwei Gemeinden feiern: Die Gemeinde Karbitz und die Gemeinde Roßbach ihre Glockenweihen. Auch wurden etliche Pfarrer und ein Senior in ihren Ämtern nach Wahl oder Wiederwahl bestätigt:
Pfr. und Senior D. Ferdinand Schenner in Brünn als Senior bzw. Kirchenrat des Mährischen Kirchenkreises am 17.12.1919 und die Pfarrer: Alexander Wenzel in Karbitz (1919), Hermann Geyer in Brüx (1920); Sup. Vikar Ludwig Baier als zweiter Pfarrer in Aussig (1920); Pfr. Otto Waitkat, Leiter des ,,Sonnenhofes" in Habstein als Pfr. in Warnsdorf (1920); Sup. Vikar Bernhard Haase in Hillersdorf (1920); Edmund Berthold zum Personalvikar des Pfrs. Camillo Feller in Karlsbad (1920); Pfr. Ringulf Siegmund als Pfr. in Roßbach (1920); Cand. theol. Hans Hodel als Pers. Vikar des Pfr. E. Wehrenfennig in Gablonz (1920); Cand. theol. Siegfried Fogarascher zum Pers. Vikar des Pfrs. Josef Münster in Teplitz-Schönau (1920); Vikar Helmut Milner in Karbitz als Pfarrer (1920); Pfarrvikar Ernst Kleiß als Pfr. in Kuttelberg (1920); Cand. Theol. Anton Scheiderbauer als Pers. Vikar des Pfrs. Ernst Piesch in Komotau (1920); Pfr. Ernst Herkommer als Pfr. in Jägerndorf (1920); Vikar Dr. Paul Rieger als Pfr. in Haida (1920).
[49]
[51] Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien, Gablonz a. N. 1924, Verlag der Deutschen Evangelischen Kirchenleitung in Böhmen, Mähren und Schlesien, Druck der Nordböhmischen Druck- und Verlagsanstalt Jos. Koschier, Komm.-Ges. Tetschen; V - IX.
Amtsblatt der Deutschen Evangelischen Kirchenleitung für Böhmen, Mähren und Schlesien, Jahrgang 1, Heft 1, Seite 1-3.
[52] Wehrenfennig Erich, a.a.O. 14.
[53] Pfarrer, dann Senior der tschechisch-evangelischen Brüderkirche, geb. am 10. Oktober 1864, seit 1894 Pfarrer der böhmischen evangelischen Pfarrgemeinde H. B., Prag Klemensgasse Nr. 18.
Zilchert (Czilchert) Robert, Lic. theol. und Dr. phil, geboren am 12.12.1867, seit 1898 erster Pfarrer der Vereinigten deutschen evangelischen Pfarrgemeinde A. u. H. B. in Prag, Gerbergasse 13, nach 1918 Senior der ,,Deutschen evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien".
Bene¹ Jakob, Pastor in der böhmischen evangelischen Kirchengemeinde A. B. in Prag: Urkundliche Mitteilung über die jetzige böhmische evangelische Kirchengemeinde Augsburgischer Konfession in der k. k. Hauptstadt Prag im Kronlande Böhmen, betreffend ihr Entstehen und Bestehen ...; Prag 1850, gedruckt bei Bernhard Ferdinand Mohrmann, Hibernergasse Nr. 998 - 2,8. Dazu siehe auch Anm. 25 und 26.
[54] Lic. theol. (Dr. theol.) Franz Kozák, geb. am 14.11.1857, Pfr.in Èaslau seit dem Jahre 1888, Katechet an der ref. Lehrerbildungsanstalt daselbst, Verfasser mehrerer kirchl. Handbücher, beantragte bei diesem ersten Kongreß am 23. (28.?) September eine Resolution, daß die innere Einigung des tschechischen Protestantismus auch äußerlich sichtbar werde, so daß daraus die ,,Konstanzer Unität" wurde. Der Name dieser Vereinigung wurde von dem damaligen Superintendenten-Stellvertreter der Böhmischen Superintendenz H. B. Dr. theol. Vinzenz Du¹ek, ref. Pfarrer in Kolín, vorgeschlagen. Dazu: Ludìk Bro¾, a. a. 0; 262 ff., Rícan Rudolf, a.a.O.182, Filipi Pavel, Die Jahre 1848 bis 1938, in: Tschechischer Ökumenismus, Historische Entwicklung; Herausgegeben vom ökumenischen Rat der Kirchen in der tschechischen sozialistischen Republik, Praha 1977, 223 ff.
Zur ref. Lehrerbildungsanstalt in Èaslau: Bericht des k. k. evang. Oberkirchenrates Wien 1871, Seite LIII-LXII, und 154-166, dann: 2. Heft der ,,Sammlung der allg. kirchl. Verordnungen des k. k. Oberkirchenrates, Jgg. I., Schematismus der evang. Kirche A. u. H. B. in Österreich 1913, 121.
[55] Lehmann - Piesch - Zahradnik, a.a.O. 158 f.
[56] Schematismus 1913, 71; Lehmann - Piesch - Zahradnik a. a. O. 157, Lehmann Ernst, die Unverlierbarkeit evangelischen Kirchentums aus dem Osten, Band 2/Heft 1, Die evangelischen Sudetendeutschen, Verlag ,,Unser Weg", Düsseldorf, 97. Amtsblatt 1/4/6 und 1/4/1.
[57] Die erste Generalsynode der evangelischen Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses in den deutsch-slawischen Ländern Österreichs, Mai - Juli 1864, Wien 1864, 180-187; Bericht des k. k. evangelischen Oberkirchenrates A. u. H. B. an die auf den 7. Juni 1871 einberufene zweite Generalsynode des einen und des anderen Bekenntnisses, Wien 1871, III, Anhang Nr. 1, Seite 1-5 und Nr. 2, Seite 5-7. [94]
[58] Lehmann - Piesch - Zahradnik, a.a.O.115; Im ,,Amtsblatt I/III" Ausweis des Seelenstandes und der geistlichen Amtshandlungen in der D.E. Kirche in der tschechosl. Republik mit 18.971 Seelen für 1921 und mit 19.116 Seelen für 1922 angeführt.
[59] Die Konstituierung des ,,Ascher Kirchenkreises": Amtsblatt 11/1/9.
[60] Erich Stökl, Pfr. in Wien, brachte auf dem Wiener Kirchentag vom 21. Oktober bis 23. Oktober 1919 ,,Leitsätze über den Umbau der Kirchenverfassung", die z. T. in dem 1. Heft des ,,Deutschen Glaubens", 2. Jgg. Seite 12-14 abgedruckt wurden.
[61] Die Klosteraufhebungen Joseph II. dauerten vom Jahre 1782 bis zum Jahre 1786. Von den im Jahre 1770 bestehenden 2163 Klöstern mit etwa 45.000 Mönchen und Nonnen in Österreich-Ungarn wurden bis 1786 738 Klöster aufgehoben. Mit Verfügung vom 28. Februar 1782 wurde aus dem Vermögen der aufgehobenen Klöster und dem Erlös der veräußerten Kirchengüter der Religionsfonds geschaffen. Aus diesem Fonds sollte auch den Geistlichen seitens des Staates ein Mindesteinkommen, die sogenannte Kongrua, garantiert werden. (Handschreiben des Kaisers vom 17. Januar 1783.)
Dazu: Wodka Josef, Kirche in Österreich, Herder Wien 1959, 306f., Winter Eduard, Der Josefinismus und seine Geschichte, Brünn - München - Wien 1943, 168 f., Schwerdling Johann, Praktische Anwendung aller k. k. Verordnungen in geistlichen Sachen Publico - Ecclessiasticis vom Antritt der Regierung weiland Marien Theresien bis ersten May 1788, Wien 1788, Bd. I, 168.
[62] Prostestantenpatent vom 8. April 1861 § 20: ,,Die Evangelischen beider Bekenntnisse werden zur Bestreitung ihrer kirchlichen Bedürfnisse, abgesehen von demjenigen, was bisher schon aus Staatsmitteln für evangelische Unterrichts- und Kultuszwecke geleistet worden ist, jährliche Beiträge aus dem Staatsschatze erhalten, wie Wir dies bereits mit Unserer Entschließung vom 11. Mai 1860 ausgesprochen haben."
Dazu: Fischer Otto, Das Protestantengesetz 1961 mit Erläuterungen und Bemerkungen, in: Kirche und Recht Band 3, Beihefte zum Österr. Archiv für Kirchenrecht, Herausgegeben von Franz Arnold Willibald M. Plöchl, Herder Wien 1962, 35 ff.
[63] Blau Josef, a.a.O. 18, Hassinger Hugo, a.a.O. 125. [95]
[64] 64 Erst das sogenannte Kongruagesetz vom Jahre 1926 brachte den Kirchen in der Tschechoslowakei gewisse finanzielle Erleichterungen. Dazu: Amtsblatt IV/2/15: Das Kongruagesetz in der endgültigen Fassung, RGG III 1772.
Damals hatte aber der junge tschechoslowakische Staat selbst Geldschwierigkeiten, so daß die Bemühungen des Schulausschusses unter dem Vorsitz von Lehrer Bäcker (Deutsche evangelische Schulen in Prag) keinen Erfolg brachten. Der ,,Deutsche Glaube" (1920/5-128) bemerkt dazu:
[65] Wehrenfennig Erich, a.a.O. 14 f. ,,Senior Fischer und ich wurden beauftragt zu Professor Morehead, dem Vertreter des luth. Nat. Council, zu fahren. Wir wurden sehr freundlich empfangen, trotz meines aufrichtigen Berichtes über die Debatte im Kirchentag. Morehead gab uns einen Scheck auf 300.000 Kè für die Nöte unserer Kirche ..." Siehe dazu Anm. 86.
[66] Wehrenfennig Erich, a.a.O., Seite 10 und 11. Seit dem Protestantenpatent des Jahres 1861 § 23 war die Verbindung der evang. Kirche im kaiserlichen Österreich mit Vereinen des Auslandes gestattet. Schon am 26. VII. 1861 also 3 Monate danach hatte sich in Asch ein Zweigverein des Leipziger Gustav-Adolf-Hauptvereines gebildet. Wegen nationaler Differenzen kam es jedoch nicht zu einem ganz Böhmen und dementsprechend auch ganz Mähren umfassenden Zweigverein, sondern zu mehreren Zweigvereinen, die sowohl nationale als auch konfessionelle Eigengesichtspunkte durchzusetzen versuchten. Im 50. Jubiläumsjahr des Gustav-Adolf-Vereines 1912 gab es daher in Böhmen 4 verschiedene Zweigvereine, in Mähren 3 und in Schlesien 2 Zweigvereine. Beim Jahresfest in Teschen 1910 zeigte sich dann, welche tiefe nationale Spaltung den österreichischen Protestantismus erfaßt hatte: ,,Die Veranstaltung der Teschener Gemeinde und des Hauptverein der Ortsgruppe Teschen des deutsch-evangelischen Bundes für die Ostmark hatte beim üblichen Familienabend nur deutsche Reden vorgesehen, was aber von den anwesenden Slawen als Verbot slawischer Gespräche aufgefaßt wurde, so daß ein Teil der slawischen Abgeordneten den Familienabend und das gemeinsame Festmahl mieden, weil sie - wie nachträglich verlautete - geglaubt hatten, daß ihnen nicht gestattet sei, sich dort untereinander ihrer Muttersprache zu bedienen ..." Dazu: Fünfzig Jahre Österreichischer Hauptverein der Evangelischen Gustav-Adolf-Stiftung 1862 - 1912, Wien 1912, 159 - 180.
Steffler Reinhard, a.a.O. 40: Noch im Juni 1918 hatte der Zentralvorstand des Gustav-Adolf-Vereines ... erklärt: ,,daß er getreu der bisher bewährten übernationalen Haltung seines Liebeswerkes die Vereinspflege den evangelischen Tschechen nicht entziehen werde, soweit nicht im Einzelfalle ihre Betätigung deutschfeindlicher Gesinnung solche Unterstützung verbietet." Jetzt am 20. November 1918 schrieben die ,,Tschechischen Brüderstimmen" im Ton großer Gehässigkeit vom Gustav-Adolf-Verein als einem ,,alldeutschen Verein" und zerrissen auch hier das verbindende Glaubensband, daß doch gerade in tschechischen Gemeinden soviel Gutes geschaffen hatte. Die vier tschechischen Gustav-Adolf-Zweigvereine, die vor dem Kriege bestanden, gehen in dem am Gründungstage der neuen Kirche ins Leben gerufenen Hieronymus-Verein auf. Dieser bildete dann bald in fast allen Gemeinden Zweigvereine ..."
In der Zeit von 1831 - 1910 wurden 982 (k. k.) österr. Gemeinden mit 14,506.125 Mark unterstützt, davon in Böhmen, Mähren und Österr. Schlesien mit einer Gesamtsumme von 8,025.580 Mark. (1 Mark lt. Münzgesetz 1873 = 100 Pfennige = 0,3584 g Feingold, umgerechnet auf heutige DM mit 0,2221 g Feingoldgehalt macht eine Summe von 12,921.183 DM oder 90,4 Millionen ÖS.)
[67] Die Gemeinde Haber im Bezirk Leitmeritz gelegen ist schon im Jahre 1784 gegründet worden. Sie ist für viele evangelische Gemeinden die Muttergemeinde geworden. Sie besitzt seit [96] 1862 eine Volksschule, die seitens der Pfarrgemeinde erhalten werden mußte. Der Kampf um die Erhaltung dieser Schule war besonders schwierig, da die Pfarrgemeinde auf Grund der jahrelangen Vakanz der Pfarrstelle recht vernachlässigt war. Unter Pfr. Dr. iur. Franz Kubisch nahm sowohl die Gemeinde mit ihrer Schule als auch das ,,Diözesanliebeswerk Waisenhaus Haber" wieder einen Aufschwung. Pfarrhaus und Kirche wurden renoviert, die Kirchensteuer wurde auch für die armen Kleinbauern eingeführt und eine Sammelaktion brachte namhafte Spenden für Gemeinde und Waisenhaus. Als nun Pfr. Dr. Kubisch mit 1. April nach Amstetten ging, drohte die gesamte Aufbauarbeit wiederum zu Nichte werden. Präsident Wehrenfennig und Pfarrer Fischer versuchen deshalb die Auflassung der Schule in dieser armen Gemeinde mit ausländischen Gaben zu verhindern. Aus ,,Deutscher Glaube", Jgg. 1919, Heft Januar, Seite 18.
[68] Richter Wolfgang, Hauptleiter und Abgeordneter der SdP, Der wirtschaftliche Vernichtungsfeldzug der Tschechen, in: Sudetendeutscher Schicksalskampf, Bibliographisches Institut AG, Leipzig 1938, Seite 14.
[69] Derselbe a.a.O. 17 sowie: Wannemacher Walter, Hauptschriftleiter der ,,Zeit", Die Strategie der Zersetzung des sudetendeutschen Volkskörpers, in Sudetendeutscher Schicksalskampf, 7 ff. [97]
[71] Schreiber Martin, ev. Pfr. in Falkenau a. d. E. ,,Aus der deutschen evangelischen Kirche in der tschecho-slowakischen Republik, in: Evangelischer Volkskalender 1923, 32f.
[72] ,,Deutscher Glaube", eine Monatsschrift für die deutschen evangelischen Gemeinden in der alten Ostmark, 18. (2.) Jgg., Januar 1920, Heft 1, Seite 14 f.
[73] a.a.O. 14.
[74] Blau Josef, a.a.O.348.
[76] Löffler Horst, ,,Am Scheideweg, 1918 - 1938 - 1988" Die Sudetendeutschen gestern, heute - und morgen?, Eckhartschriften 1988, Heft 105, 25.
[77] Repp Franz, Direktor der deutschen evangelischen Schule in Prag, i. R., Geschichte der deutschen evangelischen Schule in Prag, Zur Feier des hundertjährigen Bestandes am 5. und 6. November 1927, Prag 1927, Seite 26.
[78] RGG IV 1574 Artikel: Ökumenische Bewegung.
[79] Wehrenfennig Erich, Mein Leben und Wirken, 16.
[80] RGG a.a.O.
[81] Whiteside Andrew G., Georg Ritter von Schönerer, Styria Verlag 1981, 232.
[82] Lehmann - Piesch - Zahradnik, a.a.O. 106 ff.
[83] Amtsblatt der Deutschen Evang. Kirchenleitung f. B. M. u. Schl. vom 1. 8. 1923, Jgg. 3, Seite 3.
[84] Wie wichtig die Besuche des neuen Oberhauptes der Deutschen evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien waren, ist daran zu ermessen, daß die neue kirchliche Körperschaft [99] der evangelischen Deutschen in dem neuen Staat ,,Tschechoslowakei" einen sichtbaren Ausdruck bekommen mußte, was am deutlichsten durch die Anwesenheit und die Predigt des Präsidenten, sowie durch die anschließenden Aussprachen mit dem Pfarrer und den Presbytern geschah. Wie groß die finanzielle Not dieser neuen gesamten Körperschaft gegenüber den immerhin bessergestellten Gemeinden war, ersieht man an den seit Juli 1920 immer wieder erscheinenden Berichten der ,,Kirchenleitungskasse" in Falkenau an der Eger, wo der Kassier der Gesamtkirche Marschner saß. Hier werden tatsächlich von den Gemeinden einfließende Beträge von 2 Kronen aufwärts gemeldet. ,,Deutscher Glaube", Jgg. 1919, Heft 7, 177 f.
[85] Am 24. September erinnerte die Kirchenleitung alle Gemeinden und Presbyterien nochmals die nötigen Mittel für den bevorstehenden verfassungsgebenden Kirchentag im Dezember dieses Jahres aufzubringen. Senior E. Wehrenfennig schreibt:
Von der Kirchenleitung. Erlaß vom 24. September 1920,
Z. 2368.- Allen Pfarrämtern und Presbyterien ist folgendes umgehend
mitzuteilen: Nach einigen hier eingelangten Zuschriften von Gemeinden herrschen betreffend den Aufruf [100] der Kirchenleitung zur Haussammlung zum Teil unmögliche Auffassungen. Zwei Gemeinden lehnen die Haussammlung wegen ungünstiger Lage des Erwerbslebens und wegen zu großer Inanspruchnahme durch sonstige Sammlungen ab. Eine Gemeinde gibt im Sinne des § 158, al. 2, der Kirchenverordnung eine Ablösung durch eine Kopfsteuer von 10 Heller pro Kopf. Wir suchen aber Liebe und nicht Ausreden und Abfindungen. Die Haussammlung ist eine Probe auf die Kraft, den Lebenswillen und den Willen zur Gemeinschaft in unserer Kirche. Alle Gemeinden und Predigtstationen werden die Fürsorge der ganzen Kirche spüren. Darum haben alle die Pflicht, den Grundstock zu bauen. Die Kirchenleitung versteht es wohl, wenn einzelne Gemeinden die Sammlung auf eine günstige Zeit hinausschieben. Sie versteht es aber nimmer wenn sie sich ausschließen. Da fehlt es sicher nicht an der Gemeinde, sondern an ihren Wortführern. Die Predigtstation Deutsch-Gabel hat gegen 800 K eingesandt, die kleine Gemeinde Hohenstadt (Mähren) 2326 K, Falkenau gegen 1800 K, Gablonz liefert als erste Rate 6000 K ab. Wenn unsere Kirche durch die Haussammlung nicht wenigstens 100.000 K als Grundstock aufbringt, sagt sie damit, daß sie arm sei an Glauben und Liebe. Der Kirchentag dürfte Ende November stattfinden. Bis dahin muß der Beweis erbracht sein, daß wir eine Kirche sein wollen und nicht ein Konglomerat von Gemeinden. Wenn in jeder Gemeinde eine evangelische Persönlichkeit ist, die sich die Sache unserer deutschen evangelischen Kirche aufs Herz nimmt, wird alles gut. Anläßlich eines Vortrages, den der Gefertigte gestern abends in der Gablonzer Kirche über ,,Die Deutsche evangelische Volkskirche, ihr Wesen und ihre Aufgabe in der Gegenwart" hielt, erlebten wir große Anteilnahme. Es gilt trotz der umherschwirrenden Gerüchte von Umsturz und Niederbruch der sittlich-religiösen Werte: ,,Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihrem Brünnlein! Gott ist bei ihr drinnen!" E. Wehrenfennig, Sen. |
Pfarrer Waitkat als Herausgeber des Deutschen Glaubens hatte dazu schon im Märzheft dieses Jahres eine kurze aber umfassende Übersicht des Bestandes der neuen ,,Deutschen evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien" abgedruckt, die Pfarrer G. Fischer in Eger zusammengestellt hatte. Die Seelenzahl der sechs Kirchenkreise betrug bei 60 Gemeinden immerhin 114.451 Seelen.
Vorher: Derzeitiger Bestand: DGl. 1920/3/76.
,,Deutscher Glaube",
1920/Heft 4/101/102.
[86] Zur Erläuterung dieser Spannungen seien im Folgenden 3 Beiträge des Kirchenpräsidenten, des Herausgebers des ,,Deutschen Glaubens" und des Beauftragten des Verfassungsausschusses, Pfr. Senior Schreiber aus Eger: (,,Deutscher Glaube", 2. Jgg., 1920, Heft 11, Seite 244 - 250) angeführt:
Lutherisch wollen wir sein. Vor einem Jahre. Als wir vor einem Jahre in Turn unsre Kirche gründeten, gaben wir ihr den Namen ,,Deutsche evangelische Kirche in der tschechoslowakischen Republik". Die letzten vier Worte bezeichnen nur die räumlichen Grenzen, die ihr gesetzt sind. Aber die ersten sind ihr Gesicht. Wir alle hatten damals den Eindruck, daß dies Gesicht jugendliche Züge zeigte. Und wir fühlten bei aller Kümmerlichkeit, die uns bedrückte, wie ein Strom neuer Freude und Kraft davon ausging, wenn auch nicht weiter darüber geredet wurde. Woher stammt dieser Eindruck? Was hatte sich denn in dem Namen gegen früher geändert? Es war etwas daraus verschwunden, das früher darin gestanden hatte: das ,,A. und H. B." Und etwas anderes war hinzugekommen, was früher gefehlt hatte: das ,,deutsche". Daran mußte es wohl liegen. Wenn wir nun heute, vor dem Zusammentritt des neuen Kirchentages, daran erinnern, so geschieht es, weil Gefahr droht, daß uns jener Gewinn wieder verloren gehen könnte. Sehen wir näher zu. [104] ,,Evangelisch" oder ,,evangelisch A. B."? Daß das ,,A. und H. B." aus dem alten Namen unsrer Kirche ohne jeglichen Kampf verschwand, war wohl für die meisten eine freudige Überraschung. Eine Klage ist darüber nicht geäußert worden. Die Gemeinden, die an dem ,,A. B." oder an dem ,,H. B." hingen, konnten es auch weiterhin festhalten. Aber die es als Fessel empfanden, waren dieser Fessel nun ledig. Unsre junge Kirche wollte weit genug sein, beide oder vielmehr alle drei zu fassen. Alle deutschen Evangelischen sollten in ihr Raum und Bürgerrecht haben. Wie aber nun das ,,evangelisch" so ohne Einschränkung dastand, trat es viel klarer und eindrucksvoller hervor als vordem. Daher wohl noch jenes Kraftgefühl. Denn ,,das Evangelium ist eine Kraft Gottes". Von dem Augsburger Bekenntnis hat das noch niemand gesagt; das ist fleißiger, treuer Menschen Gedankenarbeit und trägt die deutlichen Spuren menschlichen Alterns. Darum hatte beides schlecht zueinander gepaßt. Und nun sind Bestrebungen aufgetaucht, das ,,A. B." doch wieder zurückzuholen. Der Glanz des ,,evangelisch" will sich wieder trüben, wie wenn man einen Schirm vor ein scheinendes Licht stellt. Und ein kalter Hauch weht herein. Evangelische Deutsche, die eben als Brüder und Hausgenossen gegrüßt waren, sollen wissen, daß sie nicht mehr das Hausrecht im neuen Hause haben, sondern nur geduldete Gäste sind: die Evangelischen H. B. und die ,,nur" Evangelischen. Ob das nun 1500 sind oder nur 100, das ist doch wohl gleichgültig. Es dürften aber von den letzteren viel, viel mehr sein und noch viel mehr werden. Das wäre also ein Rückschritt übelster Art. ,,Deutsch" oder ,,(deutsch)?" Es soll immer noch Leute geben, sogar solche in geistlichen Ämtern, die sich unter dem ,,deutsch" in der Bezeichnung neuer religiöser Bestrebungen und Schöpfungen nichts anderes vorstellen können, als daß offen oder heimlich der ,,Wodan-Kult" wieder eingeführt werden soll. Wenn so etwas gar öffentlich ausgesprochen wird, dann ist das ein Armutszeugnis schlimmster Sorte. Aber auch daran denkt niemand von uns, das ,,christlich" hinter dem ,,deutsch" verschwinden zu lassen und einer rein-, d. h. unchristlich-deutschen Religion wie die ,,deutsch-gläubige Gemeinde" sie anstrebt, die Wege zu bahnen. Aber dagegen wehren wir uns allerdings mit aller Entschiedenheit, daß das ,,deutsch" im Namen unsrer Kirche nur als etwas ,,Selbstverständliches" aufgefaßt werden, daß es also keine tiefere Bedeutung haben soll wie die Worte ,,in der tschecho-slowakischen Republik", daß es nur die nationale Begrenzung bezeichnen soll, wie jene die geographische. Es stünde dann im Namen unsrer Kirche gleichsam nur als Erinnerung an den Fußtritt, mit dem wir von den tschechischen Evangelischen aus der alten Kirchengemeinschaft hinausgestoßen worden sind. Nein, uns soll es viel mehr bedeuten: ein ,,principium", einen lebendigen Keimling, den gottgeschaffenen Boden, aus dem unsre Frömmigkeit ihre Urkräfte ziehen muß, die sich dann in der Sonne Jesu Christi zu Blättern und Blüten und Früchten besonderer, nämlich deutscher Art gestalten. Uns ist dies ,,deutsch" im Kirchennamen wie ein Geschenk in den Schoß gefallen. Wir wären viel zu schwerfällig und zu ängstlich gewesen, es uns zu nehmen. Und noch heute hat mancher keine größere Sorge als die, daß wir nur ja nicht durch zu starke Betonung des Deutschen in ,,chauvinistisches" Jahrwasser geraten. Das ist so recht deutsch, gehört aber nicht zu den rühmlichen Eigenschaften des Deutschen. Ein Luther fühlte und redete anders: ,,Für meine Deutschen bin geboren; denen will ich dienen!" Das soll auch der Wahlspruch unsrer jungen Kirche sein, um so mehr, wenn sie auch anderen Volksangehörigen Gastrecht gewähren will. Wir wollen uns also das ,,deutsch" nicht sozusagen einklammern lassen, sondern wollen uns immer bewußter und immer tiefer dahineinleben. Wir werden noch staunen, welche Reichtümer uns daraus erwachsen werden. Zur Pietät gegen unsre Großen aus den Tagen der Reformation werden wir immer gemahnt. Hier ist Pietät noch viel mehr am Platz; Treue zum Volkstum hat noch viel tiefere Wurzeln. [105] Warum soll geändert werden? ,,Um Luthers willen", sagen die einen. - Ich denke, ihm wäre es gewiß lieber, daß er seinen Geist in unsern Seelen spürte, als daß er seinen Namen in unsern Verfassungs-Paragraphen läse. Ich bin sogar überzeugt, daß es ihm ganz und gar zuwider wäre, wenn unsre Kirche sich nach seinem Namen nennen wollte, wie von einer Seite vorgeschlagen wird. Aussprüche, die das bezeugen würden, ließen sich leicht beibringen. Ich suche sie nicht erst auf. Denn wer es nicht selbst fühlt, der wird sich auch aus solchen Aussprüchen nichts machen. Daß das ,,Augsburgische Bekenntnis" gar nicht die Wesensart lutherischen Geistes trägt, sondern aus Melanchthons zaghaftem Geist entsprossen ist, kann man in jeder Kirchengeschichte nachlesen. ,,Weil wir festen Boden unter den Füßen haben müssen," sagen die ändern. ,,Und das kann nur ein Bekenntnis sein." - Das ist mir eine ganz neuartige Rede unter Evangelischen. Ist denn das Evangelium nicht genug fester Boden für eine Kirche? Wenn es einem Päpstlichen nicht fest genug vorkommt, wundert's mich nicht, von seinem Standpunkt aus wäre das recht geredet. Aber von unsern ist's schlecht geredet. Worauf stand denn Luther, als er in Worms sein ,,Hier stehe ich!" sprach? Worauf standen die Evangelischen in der ganzen Zeit bis zum Reichstag zu Augsburg? Das ,,Augsburgische Bekenntnis", auf kaiserlichen Befehl ausgearbeitet, ist kein Boden, ist vielmehr ein Zaun gewesen, eine Verteidigungsmauer meinetwegen, die damals gegen die römischen Bedränger errichtet werden mußte und die dann allzubald, wie wir alle wissen, zum Bruderkampf gegen andre evangelische Bekenntnisgemeinschaften benützt worden ist. Laßt uns nur mutiger als bisher allein auf den Boden des Evangeliums uns stellen! Das wird uns in jeder Hinsicht zum Segen werden. Und mit desto ungetrübterer Ehrfurcht werden wir dann auch jenes Bekenntnisses gedenken können, das die Väter der Reformation in schweren Tagen als schützende Notwehr zu errichten genötigt waren. ,,Wegen der deutschen evangelischen Gemeinden in der Slowakei, die sich uns anschließen, aber von ihrem 'A. B.' nicht lassen wollen." - So sollen sie doch kommen. Mit Freuden werden wir sie als deutsche evangelische Brüder willkommen heißen. Der Rahmen unsrer Kirche ist ja, wie oben gezeigt, weit genug für sie. Daß wir ihn aber um ihretwillen enger machen sollen, ist ein unbilliges Verlangen. ,,Weil unsre kleine Kirche an anderen großen evangelischen Kirchengemeinschaften Rückhalt haben muß; und das können nur die lutherischen sein." - Was für ein Rückhalt ist denn da gemeint? Geistlicher? Werden die Geistesströme, die ja unaufhörlich zwischen unsern evangelischen Kirchengemeinschaften herüber- und hinüberströmen, uns reichlicher fließen, wenn wir ,,A. B." werden? - Oder ist an die Möglichkeit eines verfassungsmäßigen Anschlusses gedacht? In einer Zuschrift heißt es, daß wir uns diese offen halten sollen. Damit uns also später einmal die sächsische oder die bayrische lutherische Kirche in ihren Verband aufnimmt, wozu es vielleicht niemals kommen wird, sollen wir jetzt schon das ,,lutherisch" oder ,,A. B." in unsre Verfassung hineinnehmen, wobei gar nicht sicher ist, ob uns dann nicht noch ganz andre Bedingungen würden gestellt werden. - Oder locken etwa die großen Geldunterstützungen, die jetzt von den amerikanischen Lutheranern an bedürftige evangelische Gemeinden in Europa ausgeteilt werden, aber nur an solche, die sich ausdrücklich als ,,lutherisch" oder ,,A. B." bezeichnen! Ich verstehe wohl die Schwere dieser Versuchung. Wer in Gefahr ist, ihr zu erliegen, der soll täglich des Lutherwortes gedenken, daß ,,wider das Gewissen zu handeln unsicher und gefährlich ist". Vor allem aber soll er sich hüten, Mitschuldige machen zu wollen. Eine alte Geschichte. Sie steht im Galaterbrief, - wer ihn zu lesen weiß. Ich will hier nur zwei Worte daraus hersetzen: ,,So bestehet nun in der Freiheit, damit uns Christus befreit hat, und lasset euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen!" und ,,Ihr liefet fein. Wer hat euch aufgehalten, der Wahrheit nicht zu gehorchen?" [106] Noch ein Lutherwort. Es stammt aus einem Brief, den Luther an Melanchthon schrieb, während dieser in Augsburg an der ,,Confession" arbeitete und schwere Zukunftssorgen sein Gemüt verdüsterten. Es lautet: ,,Du zerquälst dich, weil du Ausgang und Ende der Sache nicht mit Händen greifen kannst. Ja, wenn du's begreifen könntest, so wollte ich mit der ganzen Sache nichts zu tun haben, viel weniger 'Führer' sein. Gott hat sie an einen Ort gestellt, den du trotz all deinem Können und Wissen nicht kennst: er heißt 'Glaube'. Da haben alle Dinge, 'die man nicht siehet' (Hebr. 11,1), ihren Stand. Wenn einer versucht, diese unsichtbaren Dinge sichtbar und greifbar zu machen, wie du tust, der empfängt Sorgen und Tränen als der Mühe Lohn, wie es dir geht. Denn all unser Zureden hilft ja nichts bei dir. Der Herr hat gesagt, er wolle im Dunkeln wohnen (Ps. 18,12), wer da will, machs anders! Gott wahre dir und uns allen den Glauben! Haben wir den, was kann uns der Satan anhaben mitsamt der ganzen Welt?" Das heißt ,,lutherisch". In dem Sinne lutherisch zu sein, das wollen wir doch auf dem Kirchentag unsre Hauptsorge sein lassen. Waitkat. |
Kritische Betrachtung der neuesten Abänderungsvorschläge der
Kirchenleitung zum Verfassungsentwurf. Zum Entwurf der Kirchenverfassung, deren endgültige Festlegung der nächste Kirchentag bringen soll, sind neuerdings von der Kirchenleitung Abänderungen in Vorschlag gebracht worden, deren Annahme eine völlige Verschiebung der Grundlagen unserer jungen deutschen evangelischen Kirche bedeuten würde. Nicht mehr alle deutschen Evangelischen in der tschecho-slowakischen Republik sollen ohne Unterschied des Bekenntnisses die neue Kirche bilden, wie auf dem Turner Kirchentage einmütig beschlossen wurde, sondern die deutschen Evangelischen Augsburgischen Bekenntnisses. Und neben die deutschen evangelischen Gemeinden sollen als gleichberechtigt nichtdeutsche evangelische Gemeinden treten können, wenn sie nur gleichfalls das A. B. in ihren Schilde führen. Ja man wird in dieser ,,deutschen" Kirche jedes Amt, auch das höchste, bekleiden können, wenn man nur neben seiner Muttersprache auch noch die deutsche Sprache - spricht und versteht. - Das ist in Kürze der Sinn der Änderungen, welche die Kirchenleitung vorschlägt. Sie sind so wichtig und grundlegend, daß ich mir zu ihnen einige kritische Bemerkungen erlauben möchte. Vorweg muß gefragt werden, ob die Kirchenleitung zu ihren Vorschlägen überhaupt berechtigt ist. Formell sicherlich nicht. Auf dem Turner Kirchentage wurde sie nämlich ausdrücklich beauftragt, ,,auf Grund der vom Kirchentage genehmigten Grundsätze" die neue Kirchenverfassung auszuarbeiten. § 1 des Verfassungsentwurfes, der jetzt umgestürzt werden soll, ist in seiner bisherigen Form aber nichts anderes als eine knappe Zusammenfassung eben dieser Grundsätze! - Um so gespannter darf man auf die Gründe sein, welche die Kirchenleitung bei ihren Vorschlägen bestimmt haben. In der mitgeteilten ,,Begründung" finden sich nun zweifellos Sätze, gegen die niemand etwas einwenden wird. Ich denke insonderheit an die Ausführungen über Luther. Kein Einsichtiger kann verkennen, was Luther für unser deutsches Volk und für die ganze evangelische Kirche bedeutet. Aber ist deshalb ein ausdrückliches Bekenntnis zu seinem Katechismus und zur Confessio Augustana, die noch dazu weit mehr ein Werk Melanchthons als Luthers gewesen ist, notwendig? Genügt nicht vollständig das Bekenntnis ,,zu den Grundsätzen der Reformation Luthers", wie die bisherige Fassung des § 1 bereits sagt? Anderes in der ,,Begründung" der Kirchenleitung ist sicherlich beachtenswert. So der Hinweis auf den Wert der alten Bekenntnisse und der Nachweis, wie gering die Zahl der ausgesprochen Reformierten unter uns ist. (Ausgesprochen lutherisch sind freilich auch nicht allzu viele unter uns, am wenigsten die vielen tausend Übergetretenen, und längst nicht alle aus dem Reiche Zugezogenen.) Aber hat man das vor einem Jahre in Turn nicht auch bereits gewußt und gewürdigt? Und will man die Gemeinden, die aus den Turner Beschlüssen inzwischen die Folgerungen gezogen und das A. B. aus ihrem Namen gestrichen haben, nötigen, die eben beschlossene und durchgeführte Änderung zu widerrufen? Doch die ,,Begründung" weiß noch anderes zu sagen: ,,Wir haben streng juristisch nur als Kirche A. B. Anspruch auf die Teilnahme an der Liquidation des in Wien liegenden Vermögens der Kirche A. B. Fast kommt man auf den Gedanken, daß auch der frühere Satz: ,,Wir [107] brauchen Rückhalt an der großen Kirche des Luthertums", in erster Linie von finanziellen Rücksichten diktiert ist. Man schämt sich fast zu fragen, ob solche Rücksichten irgendwie entscheidend sein dürfen, wo es sich um die Begründung einer Glaubens- und Gewissensgemeinschaft handelt. Als eine deutsche evangelische Kirche haben wir uns in Turn zusammengeschlossen, das heißt aber als eine Kirche, welche das deutsche Volkstum bewußt zu ihrer Gundlage nimmt und dem Einzelnen in der Ausprägung seines Glaubens und der Einzelgemeinde in ihrem Bekenntnis freien Spielraum läßt, solange solcher Glaube und solches Bekenntnis nur das Evangelium Jesu Christi und die Grundlagen der Reformation nicht verleugnet. An den Turner Grundsätzen, welche dies zum Ausdruck bringen und vor Jahresfrist einstimmig gutgeheißen wurden, wollen wir auch durch die neuesten Änderungsvorschläge der Kirchenleitung und ihre ,,Begründung" uns nicht irre machen lassen. Falkenau a. d. Eger. Pfarrer Schreiber. |
[87] Lehmann - Piesch - Zahradnik, a.a.O. 112 ff.
[88] Saul Fr. Gallneukirchen, Elise Lehner, die erste Diakonissin Österreichs, in: Evangelischer Volkskalender 1923, 46 - 55.
[89] Deutscher Glaube, 1920/5, 136.
[90] Amtsblatt der Kirchenleitung ..., I / Heft 4, Seite 4; Dekret vom 14. 2.1920, 21. 563, installiert am 14.3.1920.
[91] Alle folgenden Angaben aus dem Amtsblatt I, Heft 4,1-4.